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Das Streben nach reiner Kunst

Die Ostdeutsche Galerie Regensburg soll das Kunsterbe der früher deutsch geprägten Kulturräume in Osteuropa bewahren. Aber es gibt auch immer wieder Wechselausstellungen mit Werken von Außenseitern, Verdrängten oder Vergessenen. In die letzte Kategorie fällt der Maler Moritz Melzer, eine Schlüsselfigur der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts.

Von Gabriele Mayer |
    Erst wurde er von den Nazis als "Kulturbolschewist" verpönt, später dann, in der Nachkriegszeit gründlich vergessen. Die Rede ist von Moriz Melzer, Mitbegründer der Berliner "Neuen Secession" (1910) und der "Novembergruppe" (1918). In einer großen Retrospektive im Regensburger Kunstforum Ostdeutsche Galerie werden jetzt die Werke dieser Schlüsselfigur der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts neu erschlossen.

    Melzer, der in den Jahren nach 1900 im "neuen Weimar" des Harry Graf Kessler studierte, sah sich selbst zwar als traditionsbewussten Außenseiter mit einem Faible für Antike, Renaissance und die großen Maler-Fürsten des 19. Jahrhunderts wie Hans von Marées. Er war aber alles andere als ein Unzeitgemäßer. Zwei Jahrzehnte lang, von 1907 bis 1927, war er wie kaum ein anderer anfällig für die Stimmungen und Stile seiner Zeit, von Spätimpressionismus, Symbolismus und Jugendstil über den expressiven Naturalismus der Kriegsjahre bis zu den heftig splitternden, kubofuturistischen Stadt- und Naturdarstellungen.

    An Melzers Arbeiten lassen sich Glanz und Elend der künstlerischen und lebensreformerischen Aufbruchsbewegungen der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts studieren. Wer ernst nimmt, was er sieht, verliert den Glauben an die Unschuld der Kunst. In den Bildern des tiefreligiösen Moriz Melzer kündigt sich schon der Zivilisationsbruch des Zeitalters der Extreme an. Die Tendenz zur Entindividualisierung ist unübersehbar, das Pathos der Körper-Inszenierungen unheimlich. Da irrlichtern in teilweise archaisierenden Tableaus die kommenden Verwüstungen: Revolution, Weltkrieg, Massenmord. Der Künstler als Seismograph. Als einer, der wittert, was "an der Zeit" ist.

    Denn natürlich war Melzer kein Nazi, auch kein Kommunist. Selbst in der "Novembergruppe" hielt er Distanz zur Tagespolitik. Aber in den großen Sehnsüchten, in den metaphysischen Fundamenten seiner Malerei spürt man die Nähe zu den kollektivistischen Bewegungen. Er verabschiedet sich vom einsamen Ich, er feiert und beschwört die Daseinsmächte.

    In den frühen Akten und Strand-Szenen verschwindet das Subjekt noch auf scheinbar harmlose Weise: die jungen Frauen verschmelzen mit der Umgebung, sind Welle oder Pflanze. Wie im Jugendstil wird der Körper zum Ornament. Der Traum vom neuen Paradies ist bereits in diesen Jahren verstörend, jenseits der Zivilisation lockt ein erstarrtes Arkadien, der Einzelne wird wie bei Maurice Denis Teil einer gespenstischen Idylle.

    Daneben gibt es schon um 1908 vitalistische Szenen im Cinemascope-Format: "Kampf um die Fahne" zeigt mächtige Körper, nackt und prall, die sich nicht nur der Fahne, sondern auch der Frauen bellizistisch bemächtigen. Selbst Badende und Tanzende sind bei Melzer nie für sich, wiedererkennbar, sondern werden von der Gruppe verschlungen. Spätestens in den "Fliehenden" (1913) erscheint das Subjekt nur noch dichtgedrängt, in seriellen Arrangements. Der Wille des Einzelnen zählt bloß, sofern er Teil eines, im Wortsinn "gleichlaufenden" Kollektivs ist. Was diese transindividuellen Szenen von den späteren fatalen Paraden unterscheidet ist ein Rest an existentieller Unruhe. Melzer, dieser Meister der Monotypie, verweigert sich, anders als manche seiner futuristischen und expressionistischen Zeitgenossen, der letzten Konsequenz. Vor der politischen Versuchung flieht er Ende der 20er Jahre in eine neoreligiöse Malerei und in einen angestrengten Klassizismus. Dieser "späte" Melzer in seinem uneinnehmbaren Transzendenz-Exil ist nicht mehr Thema der Ausstellung. Er wird Epigone. Ein sentimentaler Bürger, der gerade noch einmal davongekommen ist.

    Moritz Melzer: Streben nach reiner Kunst - Werke von 1907 bis 1927". So heißt die Ausstellung in der Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg