Dirk Müller: Der Fußball-Wettskandal weitet sich auf allen Ebenen aus, die betroffenen neun Nationalverbände, auch eben der DFB. Sie müssen heute zum Rapport bei der Europäischen Fußballunion UEFA in die Schweiz. Trotz Frühwarnsystem, trotz systematischer und nahezu flächendeckender Kontrolle, die Dimension des Betrugs ist eine völlig neue in der europäischen Fußballgeschichte. Zahlreiche Spieler sollen dazugehören, auch wieder einmal Schiedsrichter, ebenso Funktionäre und die organisierte Kriminalität. 15 Milliarden Euro Umsatz im Jahr in der Wettbranche, da lohnt sich der Zugriff, da lohnen sich die Manipulationen. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Strafrechtler und Kriminologen Matthias Braasch von der Universität Gießen. Guten Morgen!
Matthias Braasch: Schönen guten Morgen!
Müller: Herr Braasch, muss Kapital Kriminelle anziehen?
Braasch: Das ist ein Phänomen, was wir aus vielen Bereichen kennen, aus der Privatwirtschaft, das kennen wir aus der Verwaltung, das kennen wir auch aus der Politik, Stichwort politische Korruption, Stichwort Lobbyismus, und das ist natürlich - insoweit hat der DFB-Präsident grundsätzlich Recht - selbstverständlich auch dort, wo es um sehr viel Geld geht wie im Wettbereich, deren Ströme eben nicht so kontrolliert werden, wie wir es aus anderen Bereichen kennen, wo die Kontrollen zumindest grundsätzlich etwas besser sind.
Müller: Wurde das jahrelang verschlafen?
Braasch: Da muss man differenziert antworten. Zumindest bis zum Fall Hoyzer ist es komplett verschlafen worden, aber auch als dieses Geschehnis zu Tage gefördert wurde, wurden nicht die ausreichenden Konsequenzen gezogen, wie man es sich gewünscht hätte, auch gerade aus strafrechtlicher und kriminologischer Sicht. Das sind zum einen Probleme im Präventionsbereich, das sind zum anderen immer noch Strukturen bei den Verbänden, die nicht so organisiert sind, wie man es sich wünschen würde, und das sind zum dritten auch immer noch fehlende strafrechtliche Regelungen.
Müller: Sind Kriminelle cleverer als Organisatoren?
Braasch: Das ist der berühmte Satz oder die berühmte Systematik, wie wir das zum Beispiel auch kennen aus dem Bereich der Korruption in der Wirtschaft: sie sind uns immer einen Schritt voraus. Oder wir kennen es auch aus dem Bereich der Doping-Problematik. Auch da, wenn man versucht, neue Präventionsstrukturen zu etablieren, reagieren die Täter selbstverständlich darauf, indem es ihnen immer wieder gelingt, durch das Netz zu schlüpfen. Nur ein Punkt ist ja ganz wichtig: Man muss ja überhaupt erst mal versuchen, ein Netz zu knüpfen, um es für den potenziellen Täter zumindest so schwer wie möglich zu machen.
Müller: Reden wir, Herr Braasch, über dieses Netz, über die Kontrollmechanismen, die seit dem Fall Hoyzer aufgelegt worden sind. Warum funktionieren die nicht?
Braasch: Es ist ja noch schwer abzusehen, ob sie überhaupt nicht funktioniert haben. Sie haben natürlich vollkommen Recht, dass man nicht zufrieden sein kann mit dem Status quo. Zum einen muss man sagen, eine absolute Kontrolle kann es auch im Bereich des Wettgeschäftes nicht geben. Wie ich eben schon sagte, geht es einfach darum, die Mechanismen so festzuzurren, dass es so schwer wie möglich wird. Es ist natürlich so gut wie ausgeschlossen, auch für die Verbände, Wettmanipulationen im asiatischen Raum oder im osteuropäischen Raum komplett zu verhindern, die sich auf drittklassige Spiele in Bosnien oder fünftklassige Spiele in Deutschland beziehen. Dennoch kann man sagen, was die Aufarbeitung in Deutschland anbelangt, dass man sowohl von den Sportverbänden enttäuscht sein muss als, wie ich eben schon sagte, auch von der Gesetzeslage. Das wäre das Stichwort ein immer noch fehlender Tatbestand des Sportbetruges, der unter anderem auch zum Beispiel sich mit der Doping-Problematik auseinandersetzt, oder hier mit dieser Manipulation des sportlichen Wettbewerbs im Sinne der manipulierten Wetten.
Müller: Aber es geht doch, Herr Braasch, auch gerade bei diesen konkreten Fällen - das sind ja unzählige Spiele, die manipuliert worden sind; man redet von mehr als 30 in Deutschland, zweite Bundesliga und viele, viele Spielklassen darunter - in erster Linie erst einmal darum, herauszufinden, wer hat was wo manipuliert.
Braasch: Richtig. Deswegen meine ich, man muss natürlich jetzt abwarten. Wir befinden uns ja noch im Anfangsstadium des Verfahrens, es ist ja noch zu keinen Anklagen gekommen, es sind erste Haftbefehle erlassen worden. Von daher muss man natürlich mal abwarten und gespannt beobachten, wie genau auch die Täter vorgegangen sind im Hinblick darauf, welcher der Spieler zum Beispiel gezielt angesprochen worden ist, oder eventuell auch, welcher Schiedsrichter. Da scheint es ja eine sehr ausgeklügelte Systematik gegeben zu haben bis dahin, dass Spieler wohl gezielt eingeschleust worden sein sollen in manchen Mannschaften. Von daher muss man da natürlich mal abwarten und schauen, wie hoch der professionelle Grad der Kriminalität in diesem Bereich ausgeprägt ist. Aber ich befürchte in der Tat im Hinblick darauf, was wir eben schon sagten, wie Täter sich verhalten und sich organisieren, dass das System, was da zu Tage kommen wird, in der Tat alles in den Schatten stellen wird, was wir bisher kennen.
Müller: Jetzt fordern Sie ein neues Gesetz, Herr Braasch. Aber seit wann lassen sich Kriminelle, seit wann lassen sich potenzielle Täter von Gesetzen abschrecken?
Braasch: Ja. Das ist selbstverständlich nur ein Baustein. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, Strafrecht kann alles und heilt alles. Wir wissen aber aus der kriminologischen Forschung, dass strafrechtliche Regelungen auch zum Beispiel im Bereich der Korruption in der Privatwirtschaft wirken können als wie schon gesagt ein wichtiger Baustein, weil der nötige Druck auf die Strukturen - hier wären es die Verbandsstrukturen, in der Wirtschaft wären es eben die Strukturen in den Unternehmen - so wirken, dass auch Präventionsmaßnahmen - Stichwort Compliance - etabliert werden können, die zumindest die Wahrscheinlichkeit minimieren, dass es zu derartigen Vorfällen kommt. Sie haben sicherlich Recht, dass es einen tatgeneigten Menschen gerade in dem Bereich der Kriminalität nicht abschrecken wird im klassischen Sinne, ob das Strafmaß nun bei zwei Jahren, drei, Jahren oder fünf Jahren liegt. Da haben Sie vollkommen Recht.
Müller: Wettverbote im Internet, das wird auch im Moment diskutiert, gerade beispielsweise auch für diese Live-Wetten, für diese Sofortwetten. Könnte das weiterhelfen?
Braasch: Da bin ich sehr skeptisch, weil Komplettverbote, das wissen wir aus anderen Bereichen, die Menschen eher noch mehr in den Bereich der Illegalität ausweichen lassen - man denke nur an die Zeit der Prohibition, was das Verbot des Alkohols anbelangt -, zumal es auch rechtlich gar nicht so einfach wäre, derartige Wetten im Internet komplett zu verbieten. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg wäre, weil ich sagte schon eingangs: das Problem komplett zu bewältigen, halte ich für völlig ausgeschlossen. Man muss jetzt schauen, dass man bei aller Aufregung nüchtern analysiert und die richtigen Regelungen im Bereich Prävention, aber auch Repression trifft. Ein Komplettverbot halte ich aus rechtlichen, wie auch praktischen Gründen für den nicht richtigen Ansatz.
Müller: Jetzt sagen Sie uns, Herr Braasch, noch, worin die Versäumnisse des DFB liegen?
Braasch: Ich möchte jetzt hier keine Komplettkritik gegen den DFB halten, aber wie ich eben schon sagte kann man sagen, dass nicht nur der DFB - das kennen wir auch aus anderen Sportbereichen -, dass die Verbände auch aus Image-Gründen lange, lange Zeit die Thematik Korruption oder überhaupt Manipulation von Spielen, Manipulation von Spielern und Schiedsrichtern komplett ausgeblendet haben und nicht ernst genommen haben. Das mag unterschiedliche Gründe haben. Auch hier sehe ich gewisse Parallelen zur Privatwirtschaft, die bis zum großen Fall Siemens ebenfalls diese Problematik weit von sich gewiesen hat, und inzwischen, wissen wir, hat sich da einiges getan. Ich glaube, der Sport insgesamt muss einfach erkennen, dass auch er ein Bereich ist, der von Kriminalität nicht nur im Bereich der Korruption massiv betroffen ist, und da vermissen wir noch sehr viele Präventionsregelungen. Da vermissen wir zum Beispiel die Einrichtung von Ombudsleuten und auch von Kontrollstrukturen, um derartige Auswüchse effektiv bekämpfen zu können.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Strafrechtler und Kriminologe Matthias Braasch von der Universität Gießen. Vielen Dank für das Gespräch.
Braasch: Ja, bitte.
Matthias Braasch: Schönen guten Morgen!
Müller: Herr Braasch, muss Kapital Kriminelle anziehen?
Braasch: Das ist ein Phänomen, was wir aus vielen Bereichen kennen, aus der Privatwirtschaft, das kennen wir aus der Verwaltung, das kennen wir auch aus der Politik, Stichwort politische Korruption, Stichwort Lobbyismus, und das ist natürlich - insoweit hat der DFB-Präsident grundsätzlich Recht - selbstverständlich auch dort, wo es um sehr viel Geld geht wie im Wettbereich, deren Ströme eben nicht so kontrolliert werden, wie wir es aus anderen Bereichen kennen, wo die Kontrollen zumindest grundsätzlich etwas besser sind.
Müller: Wurde das jahrelang verschlafen?
Braasch: Da muss man differenziert antworten. Zumindest bis zum Fall Hoyzer ist es komplett verschlafen worden, aber auch als dieses Geschehnis zu Tage gefördert wurde, wurden nicht die ausreichenden Konsequenzen gezogen, wie man es sich gewünscht hätte, auch gerade aus strafrechtlicher und kriminologischer Sicht. Das sind zum einen Probleme im Präventionsbereich, das sind zum anderen immer noch Strukturen bei den Verbänden, die nicht so organisiert sind, wie man es sich wünschen würde, und das sind zum dritten auch immer noch fehlende strafrechtliche Regelungen.
Müller: Sind Kriminelle cleverer als Organisatoren?
Braasch: Das ist der berühmte Satz oder die berühmte Systematik, wie wir das zum Beispiel auch kennen aus dem Bereich der Korruption in der Wirtschaft: sie sind uns immer einen Schritt voraus. Oder wir kennen es auch aus dem Bereich der Doping-Problematik. Auch da, wenn man versucht, neue Präventionsstrukturen zu etablieren, reagieren die Täter selbstverständlich darauf, indem es ihnen immer wieder gelingt, durch das Netz zu schlüpfen. Nur ein Punkt ist ja ganz wichtig: Man muss ja überhaupt erst mal versuchen, ein Netz zu knüpfen, um es für den potenziellen Täter zumindest so schwer wie möglich zu machen.
Müller: Reden wir, Herr Braasch, über dieses Netz, über die Kontrollmechanismen, die seit dem Fall Hoyzer aufgelegt worden sind. Warum funktionieren die nicht?
Braasch: Es ist ja noch schwer abzusehen, ob sie überhaupt nicht funktioniert haben. Sie haben natürlich vollkommen Recht, dass man nicht zufrieden sein kann mit dem Status quo. Zum einen muss man sagen, eine absolute Kontrolle kann es auch im Bereich des Wettgeschäftes nicht geben. Wie ich eben schon sagte, geht es einfach darum, die Mechanismen so festzuzurren, dass es so schwer wie möglich wird. Es ist natürlich so gut wie ausgeschlossen, auch für die Verbände, Wettmanipulationen im asiatischen Raum oder im osteuropäischen Raum komplett zu verhindern, die sich auf drittklassige Spiele in Bosnien oder fünftklassige Spiele in Deutschland beziehen. Dennoch kann man sagen, was die Aufarbeitung in Deutschland anbelangt, dass man sowohl von den Sportverbänden enttäuscht sein muss als, wie ich eben schon sagte, auch von der Gesetzeslage. Das wäre das Stichwort ein immer noch fehlender Tatbestand des Sportbetruges, der unter anderem auch zum Beispiel sich mit der Doping-Problematik auseinandersetzt, oder hier mit dieser Manipulation des sportlichen Wettbewerbs im Sinne der manipulierten Wetten.
Müller: Aber es geht doch, Herr Braasch, auch gerade bei diesen konkreten Fällen - das sind ja unzählige Spiele, die manipuliert worden sind; man redet von mehr als 30 in Deutschland, zweite Bundesliga und viele, viele Spielklassen darunter - in erster Linie erst einmal darum, herauszufinden, wer hat was wo manipuliert.
Braasch: Richtig. Deswegen meine ich, man muss natürlich jetzt abwarten. Wir befinden uns ja noch im Anfangsstadium des Verfahrens, es ist ja noch zu keinen Anklagen gekommen, es sind erste Haftbefehle erlassen worden. Von daher muss man natürlich mal abwarten und gespannt beobachten, wie genau auch die Täter vorgegangen sind im Hinblick darauf, welcher der Spieler zum Beispiel gezielt angesprochen worden ist, oder eventuell auch, welcher Schiedsrichter. Da scheint es ja eine sehr ausgeklügelte Systematik gegeben zu haben bis dahin, dass Spieler wohl gezielt eingeschleust worden sein sollen in manchen Mannschaften. Von daher muss man da natürlich mal abwarten und schauen, wie hoch der professionelle Grad der Kriminalität in diesem Bereich ausgeprägt ist. Aber ich befürchte in der Tat im Hinblick darauf, was wir eben schon sagten, wie Täter sich verhalten und sich organisieren, dass das System, was da zu Tage kommen wird, in der Tat alles in den Schatten stellen wird, was wir bisher kennen.
Müller: Jetzt fordern Sie ein neues Gesetz, Herr Braasch. Aber seit wann lassen sich Kriminelle, seit wann lassen sich potenzielle Täter von Gesetzen abschrecken?
Braasch: Ja. Das ist selbstverständlich nur ein Baustein. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, Strafrecht kann alles und heilt alles. Wir wissen aber aus der kriminologischen Forschung, dass strafrechtliche Regelungen auch zum Beispiel im Bereich der Korruption in der Privatwirtschaft wirken können als wie schon gesagt ein wichtiger Baustein, weil der nötige Druck auf die Strukturen - hier wären es die Verbandsstrukturen, in der Wirtschaft wären es eben die Strukturen in den Unternehmen - so wirken, dass auch Präventionsmaßnahmen - Stichwort Compliance - etabliert werden können, die zumindest die Wahrscheinlichkeit minimieren, dass es zu derartigen Vorfällen kommt. Sie haben sicherlich Recht, dass es einen tatgeneigten Menschen gerade in dem Bereich der Kriminalität nicht abschrecken wird im klassischen Sinne, ob das Strafmaß nun bei zwei Jahren, drei, Jahren oder fünf Jahren liegt. Da haben Sie vollkommen Recht.
Müller: Wettverbote im Internet, das wird auch im Moment diskutiert, gerade beispielsweise auch für diese Live-Wetten, für diese Sofortwetten. Könnte das weiterhelfen?
Braasch: Da bin ich sehr skeptisch, weil Komplettverbote, das wissen wir aus anderen Bereichen, die Menschen eher noch mehr in den Bereich der Illegalität ausweichen lassen - man denke nur an die Zeit der Prohibition, was das Verbot des Alkohols anbelangt -, zumal es auch rechtlich gar nicht so einfach wäre, derartige Wetten im Internet komplett zu verbieten. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg wäre, weil ich sagte schon eingangs: das Problem komplett zu bewältigen, halte ich für völlig ausgeschlossen. Man muss jetzt schauen, dass man bei aller Aufregung nüchtern analysiert und die richtigen Regelungen im Bereich Prävention, aber auch Repression trifft. Ein Komplettverbot halte ich aus rechtlichen, wie auch praktischen Gründen für den nicht richtigen Ansatz.
Müller: Jetzt sagen Sie uns, Herr Braasch, noch, worin die Versäumnisse des DFB liegen?
Braasch: Ich möchte jetzt hier keine Komplettkritik gegen den DFB halten, aber wie ich eben schon sagte kann man sagen, dass nicht nur der DFB - das kennen wir auch aus anderen Sportbereichen -, dass die Verbände auch aus Image-Gründen lange, lange Zeit die Thematik Korruption oder überhaupt Manipulation von Spielen, Manipulation von Spielern und Schiedsrichtern komplett ausgeblendet haben und nicht ernst genommen haben. Das mag unterschiedliche Gründe haben. Auch hier sehe ich gewisse Parallelen zur Privatwirtschaft, die bis zum großen Fall Siemens ebenfalls diese Problematik weit von sich gewiesen hat, und inzwischen, wissen wir, hat sich da einiges getan. Ich glaube, der Sport insgesamt muss einfach erkennen, dass auch er ein Bereich ist, der von Kriminalität nicht nur im Bereich der Korruption massiv betroffen ist, und da vermissen wir noch sehr viele Präventionsregelungen. Da vermissen wir zum Beispiel die Einrichtung von Ombudsleuten und auch von Kontrollstrukturen, um derartige Auswüchse effektiv bekämpfen zu können.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Strafrechtler und Kriminologe Matthias Braasch von der Universität Gießen. Vielen Dank für das Gespräch.
Braasch: Ja, bitte.