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Das Telephonbuch. Technik, Schizophrenie, Elektrische Rede

Von allen technischen Kommunikationsmedien hat das Telephon in letzter Zeit die erstaunlichste Karriere gemacht. Sicherlich, alle reden vom Computer. Aber was den Computer vor allem bei der Jugend eigentlich populär gemacht hat, das ist nicht seine Rechnerkapazität, sondern seine Anschlußfähigkeit ans Internet. Und das funktioniert, wie jeder weiß oder spätestens vom Telecom-Berater erklärt bekommt, über die Telephonbuchse.

Michael Wetzel |
    Ganz zu schweigen vom handy, das universelle und permanente Kommunikation garantiert. Es bleibt der Urwunsch des Menschen, mit seiner Stimme die Ferne zu überwinden und mit allen und jederzeit sprechen zu können. Und all das begann am 2. Juni 1875, als Alexander Graham Bell zum ersten Mal einen Satz durch eine Leitung schickte. Einen Satz? Mehr einen Befehl, der an seinen Assistenten Thomas A. Watson gerichtet war. Die amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Avital Ronell hat in ihrem jetzt endlich auch auf Deutsch erschienenem Werk Das Telephonbuch diese Geschichte der Erfindung mit all ihren Facetten rekonstruiert. Am Anfang waren es also zwei Männer, die nicht nur telephonisch miteinander in Kontakt traten, sondern die in ihren unterschiedlichen Interessen auch konkurrierten: der schottische Taubstummenlehrer Bell und der eher an spiritistischen Experimenten interessierte Watson. Avital Ronell nimmt die Doppelrolle dieses Erfinderpaares zum Anlass, all die Doppeldeutigkeiten und Schizophrenien der Technikgeschichte der Telekommunikation einer subtilen Analyse zu unterziehen. Herausgekommen ist ein ungewöhnliches Meisterwerk, das ein außergewöhnlich breites und detailreiches Panorama dessen bietet, was unsere heutige fernmündliche Kommunikation bestimmt: und zwar im doppelten Sinne des Satzes, nämlich als Aufarbeitung der technikgeschichtlichen Wurzeln und als kulturgeschichtliche Beschreibung einer telephonverkabelten Gesellschaft.

    Ursprünglich als Habilitation an der Universität von Nebraska entstanden, nimmt sich das Buch ein schier unerschöpfliches Thema vor. Philosophie, Literaturgeschichte, Technologie, Psychologie und Politik wechseln in pointierter Form mit anschaulichen Anekdoten und ausschweifenden Assoziationen ab. Um den Kern der Darstellung, die Entstehung des Bell-Imperiums, der ersten großen Telephongesellschaft in Amerika, ranken sich zahllose Geschichten aus der Biographie der Erfinder, aus dem Phantasieleben der Ingenieure überhaupt, die im 19. Jahrhundert verbissen an den maschinellen Extensionen und Prothesen des menschlichen Körpers arbeiteten, bis hin zu metaphysischen Spekulationen über den Anruf des Gewissens und die telematische Verstrickung des Daseins. So erfahren wir aus der Vorgeschichte des Telephons, wie Alexander Bell mit seinem Bruder Melly die Lieblingskatze der Familie tötet, um an ihr die Kehle und die Stimmbänder genauer zu studieren. Für den Bau eines künstlichen Sprechapparates war ihnen kein Opfer zu groß. Von hier aus ist es kein weiter Sprung zu dem im 19. Jahrhundert alles beherrschenden Mythos von Frankensteins Monster, dem aus Leichteilen zusammengestückelten Maschinenmenschen.

    Technik erfordert eben Anpassung ans Tote, wie man mit Adorno sagen könnte. Acvital Ronell folgt in dieser Hinsicht eher der Auseinandersetzung Martin Heideggers mit dem, was dieser das "Gestell" der modernen Welt nennt. Gemeint ist damit das Vordringen der Apparate, aber auch das telematische Durchstellen aller Anrufe des Seins. En detail analysiert die Autorin die latente Telephon-Metaphorik der Sprache des Philosophen, der sich immer wieder auf Ruf- und Zurufverhältnisse des Daseins bezog, und konfrontiert sie mit dem persönlichen Anruf, den Heidegger von der Gestapo im Rahmen seiner Kooperation mit den Nationalsozialisten erhielt. Darüber hinaus wird der Psychoanalyse ein breiter Diskussionsraum eröffnet, kommt in ihr doch ein spezielles Verhältnis von Stimme und Ohr zum tragen. Avital Ronell folgt den Verästelungen des telephonen Lustprinzips bis in die sexuelle Symbolik der verschiedenen Apparate oder die Wiederaufnahme alter religiöser Mythen von der Befruchtung durch das Ohr.

    So bewegt sich das Buch auf den Schaumkronen einer intellektuellen Spritzigkeit, die den dumpfen Sud der so genannten Kulturwissenschaft endlich zum Gären bringt. Ganz zu schweigen von einer sinnlichen Qualität des Buches, die auch der deutsche Verlag wenn auch zwangsläufig in reduzierter Form zur Geltung bringt: nämlich den optischen Reiz einer wild gewordenen Typographie. Das amerikanische Original tritt mit der Guiness-Rekordverdächtigkeit an, nahezu auf jeder Seite mit einem neuen Schriftzug aufzuwarten. Die Buchstaben dehnen sich, schrumpfen, beginnen zu tanzen oder sich wie ein Mückenschwarm in Punktfelder auzulösen. Der Berliner Verlag Brinkmann & Bose, bekannt für seine nicht nur avantgardistischen, sondern auch handwerklich gediegenen Bücher, hat hier sein Möglichstes getan, die Palette typographischer Modulation auszuschöpfen. Übrigens ebenso wie die Übersetzerin, deren manchmal schwerfällig scheinenden Formulierungen letztlich der sprachlichen Schwierigkeit des Originals geschuldet sind. Alles in allem doch ein Buch, dem man nicht nur ein großes Publikum wünscht, sondern auch einen nachhaltigen Einfluss auf die manchmal etwas orientierungslose Kulturwissenschaft.