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Das Trauma von Srebrenica
Holländische Soldaten und ihre Frauen erzählen

"Warum haben wir nicht gekämpft?", das ist die Frage, die einigen der UN-Blauhelmsoldaten noch immer durch den Kopf geht, wenn sie an das Massaker von Srebrenica denken. Schuldgefühle plagen sie, denn im Bosnienkrieg mussten sie tatenlos zusehen, wie Männern, Frauen und Kinder getötet wurden.

Von Birgit Augustin |
    Mehr als 600 identifizierte Srebrenica-Opfer werden bestattet.
    Mehr als 600 identifizierte Srebrenica-Opfer werden bestattet. (afp/ Elvis Barukcic)
    Er hat das Morden nicht mit eigenen Augen gesehen - aber Srebrenica liegt Henry van de Belt schwer auf der Seele.

    "Ich habe die Deportation der Menschen gesehen, die ethnischen Säuberungen. Was mir am meisten zu schaffen macht, ist die Ohnmacht. Die Ohnmacht, als UN-Blauhelm, dass man etwas tun möchte. Aber dass einem durch alle möglichen Regeln die Hände gebunden sind, und dass man nur zuschauen darf, wahrnehmen und melden, was passiert ist. Diese Ohnmacht ist die schlimmste Erfahrung, die ich je gemacht habe."

    Henry van de Belt war in Srebrenica, als die bosnisch-serbische Armee die Enklave einnahm. Als Dutchbatter, als holländischer Blauhelm. Sein Auftrag: Das von den Vereinten Nationen als Schutzzone definierte, mehrheitlich von Muslimen bewohnte Srebrenica zu schützen. Nicht durch Waffengewalt, sondern durch einfache Präsenz.

    Eine Rechnung, die nicht aufging: Die Serben scherten sich nicht um das Mandat der UNO, sondern nahmen Srebrenica mit Waffengewalt - und die holländischen Blauhelme sahen tatenlos zu.

    "Warum haben wir nicht gekämpft? Wir durften nicht! Als die Serben kamen, mussten wir alle Waffen abgeben. Auf der anderen Seite war auch nur noch ein Bruchteil des Bataillons übrig, als die Enklave fiel. Soldaten, die im Urlaub waren, die kamen auch nicht mehr zurück und wir saßen dann nur noch mit einem Drittel des eigentlichen Bataillons. Dazu noch: zu wenig Brennstoff, zu wenig Essen. Kämpfen war überhaupt keine Option. Kämpfen wäre Selbstmord gewesen!"

    8000 Jungen und Männer fielen den Serben im Juli des Jahres 1995 zum Opfer. Generalstabsmäßig exekutiert und in Massengräbern verscharrt. Meist nach dem gleichen Muster: Zunächst wurden die Opfer in leerstehenden Gebäuden interniert, ohne Essen und Trinken. Dann fuhren die Serben sie zur Exekution an einen abgelegenen Ort. Sofort nach den Erschießungen stand schweres Erdräumgerät zum Vergraben der Leichen bereit - die Massenerschießungen waren sorgfältig geplant.


    Um die Spuren ihrer Gräueltaten zu verwischen, betteten die Serben ihre Opfer in den Monaten danach mehrfach um. In der Gegend rund um Srebrenica wurden später mehr als 20 solcher Massengräber entdeckt. Bis heute allerdings konnte nicht einmal die Hälfte der Leichen namentlich zugeordnet werden. Srebrenica - das bedeutet noch immer ein makabres Puzzlespiel.

    Die Hinterbliebenen der Opfer werfen den niederländischen UNO-Truppen vor, sie hätten dem serbischen Morden tatenlos zugesehen. Zehn bosnische Frauen und die Stiftung "Mütter von Srebrenica" haben nun in einem Zivilprozess vor dem Landgericht in Den Haag eine finanzielle Entschädigung für das erlittene Leid gefordert. 2,6 Milliarden Euro für den Verlust von Vätern, Söhnen, Brüdern. Doch damit sind die Angehörigen gescheitert. Gestern hat das Landgericht ihre Klage gegen die Vereinten Nationen abgewiesen. Denn nach Ansicht der Richter genießen UN-Angehörige Immunität und können deswegen gerichtlich nicht belangt werden.

    Die Entscheidung betrifft jedoch nicht die Klage gegen den niederländischen Staat. Darüber soll im September weiter verhandelt werden. Es ist nicht der erste Anlauf in den Niederlanden, die Tragödie aufzuarbeiten: Es gab mehrere Untersuchungskommissionen, die versucht haben die Rolle der Blauhelme zu durchleuchten. Das Ergebnis: Die Soldaten seien letztlich nicht für das Massaker verantwortlich zu machen. Im Jahr 2002 allerdings übernahm der damalige Ministerpräsident Wim Kok die politische Verantwortung und trat von seinem Amt zurück.
    Eine Mitarbeiterin der Sondergruppe des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen entfernt am 15.07.1996 Erde von Skeletten in einem Massengrab außerhalb des Dorfes Cerska in der Nähe der früheren Moslem-Enklave Srebrenica, Bosnien-Herzegowina. Die Sondergruppe hatte damals bei ihren Ausgrabungen von Massengräbern erstmals konkrete Beweise für die Ermordung von zahlreichen Vermissten sichergestellt.
    Eine Mitarbeiterin der Sondergruppe des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen entfernt am 15.07.1996 Erde von Skeletten in einem Massengrab außerhalb des Dorfes Cerska in der Nähe der früheren Moslem-Enklave Srebrenica, Bosnien-Herzegowina. Die Sondergruppe h (dpa/Odd Andersen)
    Mandat der Niederländer völlig wirklichkeitsfremd?
    Die ehemaligen Dutchbatter fühlen sich seit Jahren zu Unrecht angegriffen: Sie hätten nicht gewusst, was die bosnischen Serben im Schilde führten, sagt Johan de Jonge.

    "Wir haben auch nicht geahnt, dass so etwas passieren würde, weil so etwas erwartet man ja nicht. Es ist zwar Krieg und sie erobern die Enklave, aber das erwartet man nicht."

    Außerdem, erzählt Henry van de Belt, seien sie selbst geschwächt gewesen - die Serben hatten den Holländern die Nachschubwege abgeschnitten. Henry van de Belt und seine Kameraden verfügten nur über leichte Waffen - und sie hatten keinen Kampfauftrag. Das Mandat für die Holländer, die die bosnischen Muslime als reine Friedenstruppe vor der serbischen Übermacht schützen sollten, war, wie sich im Juli 1995 herausstellen sollte, völlig wirklichkeitsfremd. Das Bild von Tom Karremans, dem damaligen Befehlshaber der holländischen Blauhelm-Truppe, der mit dem Serben-General Mladic auf den Fall Srebrenicas anstößt - ein Symbol für die Ohnmacht der Vereinten Nationen.

    Noch ungeklärt ist, warum damals die angeforderte Unterstützung aus der Luft ausblieb: Hatten die Militärs der UNO in Sarajevo die Flugzeuge verweigert? Oder geschah auf Anweisung aus Den Haag nichts?

    Henry van de Belt berichtet, dass es erst ganz zum Schluss das halbherzige Bombardement eines serbischen Panzers gegeben habe. Aber da hatten die Serben schon die gerade mal 450 holländischen Blauhelme im Lager von Potocari eingekesselt, zusammen mit tausenden bosniakischer Flüchtlinge. Kämpfen, sagt Henry van de Belt, hätte alles nur noch schlimmer gemacht.

    "Unser Lager war total überfüllt mit Flüchtlingen. Wenn die Entscheidung getroffen worden wäre, zu kämpfen, dann wäre es für die Serben ein leichtes gewesen, uns alle zu töten. Dann hätte es noch viel mehr Opfer gegeben, noch mehr, als jetzt schon umgekommen sind. Daher halte ich uns immer noch zugute, dass wir noch was Gutes bewirkt haben. Wir konnten durch unsere Anwesenheit zwar nicht den Mord an den Jungen und Männern verhindern, aber den Mord an den Frauen und Kindern, die bei uns im Lager waren."

    Denn nachdem die bosnisch-serbischen Einheiten Srebrenica eingenommen hatten, waren Tausende Einwohner in das nahegelegene Lager der Blauhelme nach Potocari geflohen. Am Abend des 11. Juli 1995 drängten sich dort schätzungsweise 25.000 Menschen auf engstem Raum - vor allem Frauen, Kinder und Alte. Die Serben feuerten auf Häuser in Sichtweite des Lagers, aber auch direkt in die Menge, einzelne Flüchtlinge wurden herausgegriffen und tauchten danach nicht wieder auf.

    Am nächsten Morgen begannen die serbischen Einheiten unter Führung von Ratko Mladic mit der Selektion von Frauen, Kindern und Alten einerseits und Männern andererseits. Angeblich, um nach Kriegsverbrechern zu suchen. Dann begann der Abtransport in den Bussen. Eine der holländischen Blauhelmsoldaten saßen zu Beginn in den Bussen - machtlos.

    "Wir hatten keine Waffen mehr. Trotzdem haben wir versucht, die Menschen dort noch so zu beschützen, wie es irgendwie ging. Aber auf der Hälfte der Strecke wurden unsere Jungs aus den Bussen rausgeworfen, sie mussten zum Camp zurücklaufen. Links und rechts der Strecke wurden die hübscheren Frauen zwischen 14 und 30 rausgeholt. Die wurden dann seitlich in den Wald gezogen und den Rest kann man nur erahnen."
    Der Screenshot vom niederländischen Fernsehen zeigt holländische UN-Soldaten in Potocari, Bosnien-Herzegowina, vor hunderten von moslemischen Zivilisten, die aus dem nahegelegenen Srebrenica vor serbischem Terror geflüchtet waren.
    Niederländische UN-Soldaten in Potocari vor den Zivilisten, die vor den Serben aus Srebrenica geflüchtet waren. (picture alliance / dpa / EPA / ANP / TV)
    Soldaten waren nicht wirklich vorbereitet
    Johan de Jonge war damals gerade 20, Srebrenica sein erster Auslandseinsatz als Berufssoldat. Wie seine Kameraden war er nicht wirklich vorbereitet auf das, was ihn auf dem Balkan erwarten sollte. Johan de Jonge tat in Srebrenica Dienst als Sanitäter und gehörte zu einer Gruppe von 30 Holländern, die von bosnisch-serbischen Einheiten festgenommen und als Geisel festgehalten wurden.

    "In der Gefangenschaft sind wir durch die Serben gut behandelt worden. Ich sah mich selber nur schon an eine Brücke in Sarajevo festgekettet als menschliches Schutzschild der Serben. Aber das ist glücklicherweise nicht passiert. Am letzten Tag des Angriffs auf die Enklave, am 11. Juli, sollten Luftangriffe erfolgen. Die gab es auch, es wurden zwei Bomben abgeworfen. Aber wir waren in dem Moment in Gefangenschaft. Und von einem Übersetzer wurde uns mitgeteilt, dass wir bei einem weiteren Angriff die ersten wären, die draufgingen. Wir haben uns dann alle zusammengesetzt und Abschiedsbriefe nach Hause geschrieben. Da ist man dann 20 Jahre alt und schreibt einen Abschiedsbrief an die Eltern zu Hause. Das ist ganz schön schwer."

    Nach seiner Rückkehr nach Holland waren Johan de Jonge und die anderen Blauhelme auf sich allein gestellt, keiner kümmerte sich um die seelische Verfassung der Soldaten. Obwohl, wie sich bald herausstellen sollte, nur die wenigsten wieder zurück in ein normales Leben fanden. Johan de Jonge und seine Kameraden berichten von Drogen, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch unter den Dutchbattern. Auch Johan de Jonge ist seelisch beschädigt.

    " Das Leben ist schwierig seitdem. In den ersten fünf, sechs Jahren habe ich mein Leben quasi normal geführt. Du kommst zurück, gehst in Urlaub, triffst eine Frau. Du bist verliebt, alles läuft soweit ok. Ich habe den Militärdienst quittiert, habe Kinder bekommen. Das Leben geht weiter. Aber dann, in einem gewissen Moment, bleibt es stehen. Und Du hast Zeit, über alles nachzudenken. Vor ungefähr vier Jahren hatten wir ein Veteranentreffen, es wurde ein Theaterstück aufgeführt. Es war meine Geschichte, die da aufgeführt wurde - da bin ich zusammengebrochen. Und da wusste ich: Ich muss etwas tun."

    Henry van de Belt fing nach seiner Rückkehr nach Holland mit dem Trinken an. Seine Ehe war gescheitert, er lebte in der Kaserne - in Hörweite des Schießstandes. Immer wieder tauchten die Erinnerungen an Srebrenica auf - der Horror, die Ohnmacht. Und irgendwann war dem Berufssoldaten van de Belt klar: Wenn ich hier nicht weggehe, ertrinke ich im Suff.

    "Es gibt welche, die es nicht geschafft haben. Die haben sich umgebracht, ich will da nicht weiter drüber sprechen, das waren Jungs, die haben keinen Ausweg mehr gesehen."

    Das ist nicht Henry van de Belts Weg. Er versucht, zusammen mit anderen ehemaligen Dutchbattern, neue Kontakte nach Srebrenica zu knüpfen. Auf Einladung des Bürgermeisters sind die Holländer dieses Jahr den Friedensmarsch von Tuzla nach Srebrenica mitgelaufen - 100 Kilometer, die Strecke, die den bosnischen Männern vor 13 Jahren in umgekehrter Richtung - nach Tuzla - Rettung vor den Serben versprach.

    Am Ende des Marsches stand heute eine Trauerfeier - und die Beerdigung der Opfer, die nach 13 Jahren identifiziert wurden und nun ihre letzte Ruhe finden sollen. Im Beisein einer Handvoll Männer, die sich damals nicht in der Lage sahen, diesen Menschen im Namen der Weltgemeinschaft zu helfen.

    Er will der bosnischen Bevölkerung Respekt zollen, sagt Johan de Jonge. Aber es ist auch der Versuch, die Scherben des eigenen Lebens wieder zusammenzufügen:

    "Ich erhoffe mir von dieser Reise, dass ich etwas wieder finde, was ich dort habe liegen lassen. Man wurde dort so rausgerissen, dass man nichts abschließen konnte, man konnte sich nicht verabschieden, man konnte sich nicht für die Zeit bedanken, die man miteinander verbracht hat. In der du den Menschen dort hast helfen können und sie dir. Ich hoffe, dass ich davon etwas wieder finden kann. Es ist ein großes Puzzle mit vielen kleinen Puzzlestücken und ich hoffe, dass ich dort das letzte kleine Stück des Puzzles finden kann, um das Bild komplett zu machen."

    Bei Johan de Jonge wurde ein posttraumatisches Stress-Syndrom festgestellt. Er macht eine Psychotherapie und nimmt Medikamente. Seit zwei Jahren geht er mit seinen Erinnerungsstücken aus Bosnien auch in holländische Schulen. Er erzählt dort, was er erlebt hat. Was Krieg bedeutet - gerade auch für Kinder.

    Nur seiner eigenen Frau gegenüber ist Srebrenica kein Thema.

    "Warum sollte ich sie mit meiner Vergangenheit belasten? Ich kann darüber sprechen. Ich kann eine Geschichte erzählen, aber ich spreche dann nicht über meine Gefühle. Das ist schwer. Nicht nur für mich, sondern auch für sie."

    Kennengelernt haben sich die beiden erst nach Srebrenica, Johan de Jonge ist seitdem ein anderer - und seine Frau hat Angst, dass ihn die Kriegserlebnisse ihr immer mehr entfremden. Auch nach all den Jahren.

    "Der wichtigste Punkt für mich war, dass ich das Gefühl hatte, ich kriege keinen echten Kontakt mehr zu Johan. Und es gab so einen Moment, wo ich dachte: bis hierher und nicht weiter. Zu einem bestimmten Zeitpunkt kannst Du selbst nichts mehr daran machen - und dann muss sich etwas ändern."
    Eine Frau schaut sich die Bilder von Opfern des Balkan-Konflikts an, die vor dem Ort des UNO-Kriegsverbrechertribunals für das frühere Jugoslawien in Den Haag aufgehängt sind
    Eine Frau schaut sich die Bilder von Opfern des Balkan-Konflikts an, die vor UNO-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien in Den Haag aufgehängt sind (AFP/ John Thys)
    Dennoch: Der Plan, auf eigene Faust nach Srebrenica zu fahren, zurückzugehen an den Ort des Schreckens, beunruhigte Marie-Lizanna de Jonge mindestens genauso.

    "Jetzt, wo sie mit einer kleinen Gruppe dort sind, stärkt ihn das, er will ja nicht zurückbleiben. Aber ob das im positiven Sinne zu seiner Genesung beitragen wird, das finde ich sehr schwierig einzuschätzen. Im Moment überwiegt die Angst davor, was passieren wird. Geht das wohl gut? Oder ist das nicht ein Schritt in die negative Richtung?"

    Srebrenica ist zum Dreh- und Angelpunkt im Leben der ehemaligen Dutchbatter geworden. Es gibt ein klares "Davor" und "Danach". Die meisten ehemaligen Soldaten reden nicht über ihre Erlebnisse - weil im friedlichen Holland die Kriegsgräuel aus Bosnien mittlerweile weit weg sind und sich keiner mehr so genau an das Geschehene erinnern mag.

    Oder weil der Partner allzu genau weiß, welche offenen Fragen und Schuldgefühle mit dem Stichwort Srebrenica verbunden sind. So wie bei Petula van Son, die wie ihr Partner Henry van de Belt als Soldatin in Srebrenica Dienst tat.

    "Wir können nicht darüber sprechen, denn wenn wir darüber sprechen, geht es immer tiefer und hört nie auf. Wenn man mit Freunden über etwas redet, geht man dann nach Hause, und dann ist es vorbei. Aber mit deinem Partner sitzt du im selben Haus. Es ist einfach sehr schwierig."
    "Sie dürfen mich hassen"
    Henry van de Belt hat längst für sich entschieden, dass er mit den Menschen aus Srebrenica ins Gespräch kommen will. Dass er ihre Geschichte hören und ihnen seine Erfahrungen schildern möchte. Für ihn ist der Friedensmarsch die dritte Rückkehr nach Bosnien. Obwohl er dort als ehemaliger Blauhelm nicht gerade mit offenen Armen empfangen wurde.

    "Zuerst gibt es Wut, sie sind böse und gucken dich an unter dem Motto: Was willst du denn hier? Aber das erfahre ich nicht als persönlichen Angriff. Wenn ich da stehe und sage: Ich bin ein Dutchbatter, dann bin ich ein Dutchbatter. Dann stehe ich da nicht als Henry, den sie im normalen Leben vielleicht einen netten Kerl finden würden. Sondern als Dutchbatter und dann wird man kritisch betrachtet. Sie dürfen mich hassen. Sie wissen es nicht besser. Denn es hat ja noch kein General gesagt: Ich bin verantwortlich, ich habe die Entscheidung getroffen. Es sind die Soldaten und Mannschaften, die zurückgehen, keine Offiziere oder Generäle, sondern die Männer."

    Auf eigene Faust haben sich Henry van de Belt und seine Kameraden einen Wagen gemietet, sind nach Bosnien gefahren, zu viert, immer abwechselnd, 18 Stunden Autofahrt. Sie haben Geschenke mitgenommen, Gartengeräte für die Männer, Erdnussbutter, Käse und Lakritzbonbons für die Frauen und Kinder. Kleine Gesten der Freundschaft. Sie wollen alte Wunden heilen - bei sich und bei den Menschen von Srebrenica. Denn es gibt auch Bosnier, die bereit sind, sich auf diese Gesten der Versöhnung einzulassen.

    Die Teilnahme am Friedensmarsch war für Henry van de Belt, Johan de Jonge und ihre Kameraden eine rein private Initiative, jenseits der großen Politik. Und auch unabhängig davon, wie im September über die Klage der Hinterbliebenen von Srebrenica gegen den niederländischen Staat entschieden wird.
    Schmerzhaften Auseinandersetzung um die eigene Verstrickung
    In einem wichtigen Punkt sind sich Holländer und Bosnier ohnehin einig: General Ratko Mladic und der damalige bosnisch-serbische Präsident Radovan Karadzic - Vollstrecker und Drahtzieher des Massakers von Srebrenica - müssen endlich von Serbien an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert werden. Das würde die 8000 Opfer von Srebrenica zwar nicht wieder lebendig machen. Aber es wäre das Fundament für nachhaltigen Frieden und Stabilität auf dem Balkan.

    Im April hat die EU ein Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen mit Serbien geschlossen, um die europafreundlichen Kräfte im Land zu stärken. Auf Druck der Niederlande wird es so lange nicht ratifiziert, bis Serbien voll und ganz mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kooperiert. Das zumindest ist sich das Land schuldig, nach der schmerzhaften Auseinandersetzung um die eigene Verstrickung in das Massaker von Srebrenica.

    Der ehemalige holländische Blauhelm Johan de Jonge formuliert es so:

    "Ich finde es prima, dass Serbien zur EU kommt, aber dann müssen sie Mladic und Karadzic ausliefern. Dann können wir einen Punkt dahinter machen und weitermachen mit dem Rest unseres Lebens."