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"Das Treffen in Telgte"

Ob Lyrik und Erzählungen durch ihre Transposition in Lied und Oper in der Regel eine "Erhöhung" bedeuten, wovon zum Beispiel Thomas Mann ziemlich überzeugt war, oder ob die Vertonung nicht selten zum Klotz am Bein des literarischen Geists wird – das lässt sich generell wohl kaum entscheiden. Von Fall zu Fall tritt Nobilitierung und Dauerhaftigkeit durch den Zugriff der Komponisten aufs geschriebene Wort ein – so bei Eichendorffs "Mondnacht" oder Wilhelm Müllers "Winterreise", mitunter freilich auch schmerzlicher Verlust – beispielsweise bei der Schrumpfung von Goethes "Faust" auf Gounods "Margarethe", der Entführung und Beschlagnahme von Schillers "Räubern" durch italienische "Masnardieri" bzw. "Briganti" – oder gar bei der Stauchung von Heinrich Bölls "Katharina Blum" zu einer mitteldeutschen Oper gleichen Namens.

Von Frieder Reininghaus | 07.03.2005
    Günter Grass entwarf anläßlich seiner Rekonstruktion eines fiktiven Schriftstellertreffens im Brückenhof zu Telgte geschliffene Wortgefechte und opulente Freßgelage: was in der Mitte des 17. Jahrhunderts literarischen Rang und Namen hatte, stritt und besoff und erleichterte sich da mit mannigfaltigen Anspielungen auf Zusammenkünfte der Gruppe 47 – mit Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann, Martin Walser und anderen. Dass sich von dieser anzüglichen und abgründigen Dimension nichts aufs Musiktheater transportieren lassen würde, war anzunehmen. Daher die bange Frage schon im Vorfeld: Was gewinnt das Treffen zu Telgte durch ein groß besetztes Symphonieorchester und eineinhalb Dutzend Opernstimmen hinzu? Musik, die zunächst einmal die feinsinnigen und deftigen Grass-Worte zudeckte und zum Verschwinden brachte.
    In der Pause wurde allgemein beklagt – auch von professionellen Operngängern – dass partout nicht mitzubekommen war, was die grauen alten Herren da vorne auf einem von irgendwelchen Abfällen übersäten Podium im Schilde führen und aufgeregt gestikulierend verhandeln. Erst als der Diplomat und Komponist Heinrich Schütz ins rückwärtig postierte Orchester trat, verstand man seine Intervention zugunsten deutscher Madrigal- und Opern-Texte – dank Hannes Brock, der freilich eine Sprechrolle zu bestreiten und keinen Ton zu singen hat.

    Das Libretto von Wolfgang Willaschek beläßt im wesentlichen die Graßsche Versuchsanordnung vom Eintreffen der Autoren Andreas Gryphius, Paul Gerhardt etc. bis zum Brand im Brückenhof, dem auch das Dichter-"Manifest" zum Opfer fällt. Problematisch wird es dort, wo er mit Wortkaskaden so etwas wie Kunst am Bau hinzufügte.
    Der gelernte Schauspielmusiker Mayer – den Namen wird man sich merken müssen! – fertigte aus bekannten Bauteilen nach bewährten Mustern etwas "gemäßigt Modernes": eine Art Eintopf, in der die Grassschen Zutaten weitgehend verkocht werden. Regisseurin Christine Mielitz hat sich an einem Nebenstrang der Handlung festgebissen – an der Dienstleistungsfunktion der Wirtin Libuschka und ihrer drei Mägde, die für die Herren des Wortes die Röcke heben und all zu oft berammelt. Die Intendantin scheint dahingehend ein Problem zu haben. Der Zuschauer freilich hat nicht nur eines mit den Augen, die da offensichtlich auf eine inzwischen schon eingebürgerte Theaterart ein wenig provoziert werden sollen, sondern vor allem mit den Ohren. Es mag ja bessere Texte von Günter Grass geben – aber selbst einer von mäßiger Qualität hätte ein besseres Theater-Los ziehen können. Das "Treffen in Telgte" wurde vereinnahmt, zugemüllt, verdunkelt von geschäftigem Musiker-Handwerk.