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"Das trifft Angela Merkel"

Der Rücktritt von Roland Koch wird ein Erdbeben auslösen, das weit über Hessen hinausgeht. Laut Deutschlandfunk-Chefredakteur Stefan Detjen werde das auch die Bundeskanzlerin zu spüren bekommen.

Stefan Detjen im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Bei mir hier im Studio ist der Chefredakteur des Deutschlandfunks, Stefan Detjen. Sie haben den Anfang der Pressekonferenz mitverfolgt. Was sind die Motive Kochs?

    Stefan Detjen: Wir können uns ja im Moment jetzt zunächst nur auf das beziehen, was er selber gesagt hat. Er sagt, er hat in Hessen das erreicht, was er erreichen wollte: eine stabile bürgerliche Mehrheit in diesem Jahr, nach elf Jahren als Ministerpräsident, zwölf Jahren als Landesvorsitzender. Er sagt, er wollte keine Irritationen auslösen durch diese seit Langem geplante Ankündigung. Das war bemerkenswert. Er hat gesagt, er hat diesen Tag bewusst gewählt mit Blick auf die nordrhein-westfälische Landtagswahl. Er hat gesagt – auch das ist bemerkenswert -, dass die Bundesvorsitzende der CDU, Angela Merkel, seit mehr als einem Jahr von seinem Plan wusste, aus der Politik abzusteigen. Aber eines ist klar, und auch Roland Koch hat ja deutlich gemacht, dass er natürlich selber ganz genau weiß, welche Wirkung diese Rücktrittserklärung hat. Das wird ein Erdbeben auslösen, das weit über Hessen hinausgeht. Das wird in Berlin zu spüren sein, das trifft Angela Merkel.

    Meurer: Worin besteht das Erdbeben Ihrer Ansicht nach?

    Detjen: Angela Merkel ist in einer ganz schwierigen Phase ihrer Regierungsarbeit. Das, was sie in diesen Tagen, in diesen Wochen, in diesen Monaten erlebt, ist eine Krise ihrer Kanzlerschaft, auch in ihrem Parteivorsitz. Es steht ihre Führungsfähigkeit in Frage, als Politikerin, aber auch als Vorsitzende der CDU, und wenn man weiß, wie es in dieser Partei gärt, wie groß das Maß der Unzufriedenheit ist, die Fragen, die Erwartungen, die sich an Angela Merkel als Führungsfigur jetzt richten, ist das eigentlich das schlechteste, was ihr im Augenblick passieren kann, nämlich dass ausgerechnet der Politiker geht, dem in der CDU sicherlich am meisten Führungswillen, am meisten Führungsfähigkeit zugetraut wird. So umstritten Koch ist – Sie haben das eben im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Falter ja sehr schön erläutert -, Koch ist nicht allein eine Galionsfigur eines konservativen Flügels in der Partei, er ist ein Liberal-Konservativer, aber eines wird ihm dezidiert nachgesagt, nämlich ein klarer Führungswille, ein klarer Führungsanspruch, die Bereitschaft, sich, um diese Ansprüche durchzusetzen, in jeden Konflikt zu stürzen, und genau das ist im Augenblick Angela Merkels Schwachstelle. Insofern trifft sie das.

    Meurer: Es ist ja wirklich interessant zu sehen: Nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl, nach der Euro-Krise, in der wir ja noch mitten drin stecken, haben wir heftige Kritik von Horst Seehofer erlebt, dem CSU-Chef, der mehr Führung angemahnt hat, dann Norbert Mappus, der den Umweltminister in Berlin aus dem Amt gekegelt sehen will, jetzt der Rücktritt von Roland Koch. Also: Bayern, Baden-Württemberg, Hessen profilieren sich in der genannten Art und Weise. Ist das schon ein Aufstand gegen die Kanzlerin?

    Detjen: Insofern würde ich das nicht als offenen Aufstand bezeichnen, weil ja keine klare Zielrichtung in dem Sinne erkennbar ist, dass da ein eindeutiger Rivale wäre, der gegen Angela Merkel aufgebaut werden könnte, aber man muss sehen: Es gibt da ein Reservoire, ein Potenzial in dieser Partei, in der CDU, das Angela Merkel sicherlich nie vernachlässigt hat, aber das sie mit guten Gründen gering geschätzt hat, nämlich die Gruppe der Unzufriedenen, die etwas vermissen in dieser CDU, was sich in der CDU bis heute sehr stark etwa mit dem Namen Friedrich Merz, der ja auch vorhin in unserer Sendung schon angesprochen wurde, verbindet. Da sind Leute, die erwarten eine stärkere Führung, eine stärkere Profilierung in ihrer Partei, die sind sozialisiert, die sind gewohnt, mit einer Partei, mit Führungsfiguren ihrer Partei zu leben, die sie in den 80er-Jahren kennen gelernt haben, sicherlich in einer Situation, in der auch das Parteiensystem der Bundesrepublik noch ganz anders war, in der Parteien anders aufgestellt waren, und dieser Konflikt ist noch nicht ausgetragen und ich glaube, das wird auch interessant sein zu sehen, ob sich jetzt und wie sich jetzt andere rühren, etwa Friedrich Merz, der sich ja zurückgezogen hat aus dem politischen Leben, aber von dem auch ich immer wieder aus seinem Umfeld gehört habe, das ist ein Mann, der brennt dafür, nach wie vor auch in die Politik zurückzukehren.

    Meurer: Roland Koch hat ja eben süffisant gesagt, ich kann Ihnen, Journalisten, die Spekulationen nicht austreiben. Eine Spekulation lautet, besteht aus Sicht der CDU die Gefahr, dass es eine neue Kraft, eine neue Partei rechts von der CDU geben kann.

    Detjen: Diese Gefahr muss die CDU ernst nehmen, sie muss diese seit Langem ernst nehmen, denn es ist ja inzwischen klar, dass auch die FDP im Parteiensystem die Funktion, etwa an einem wirtschaftsliberalen Flügel der CDU Profil zu zeigen, nicht wirklich kraftvoll ausschöpfen kann. Und man muss sehen: Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Politikern, nicht nur in der CDU, auch in der FDP - da ist letzte Woche der haushaltspolitische Sprecher zurückgetreten, da ist in der SPD eine Figur wie der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement, der gerade mit Friedrich Merz zusammen ein Buch veröffentlicht hat, also da entstehen Kraftzentren, im Moment noch außerhalb des Parteienspektrums, aber die CDU wird das sehr genau beobachten müssen, was sich da jetzt regt.

    Meurer: Zum angekündigten Rücktritt Roland Kochs als hessischer Ministerpräsident und von seinen Parteiämtern sprach ich mit Stefan Detjen, dem Chefredakteur des Deutschlandfunks. Danke schön.