Lob für die deutsche Tageszeitung von höchster Stelle - Bundespräsident Johannes Rau bei der diesjährigen Verleihung des Theodor-Wolff-Journalistenpreises. Zeitung Lesen – das gehört für gut drei Viertel der erwachsenen Deutschen zum Tag wie Zähneputzen, Essen und Arbeiten. Die Zeitung hat nicht ausgedient – trotz Fernsehen, trotz Internet.
Das Lektüretempo für eine Zeitung kann jeder Leser selbst bestimmen, anders als bei Fernsehen und Hörfunk. Und ich denke, dass deshalb Tageszeitungen eine gute Zukunft haben werden.
Bernd Blöbaum, Medienwissenschaftler von der Universität Münster. Optimismus in düsteren Zeiten – denn die Tageszeitungen in Deutschland befinden sich in der schwersten Krise der Nachkriegszeit. Viele überregionale Blätter haben sich in diesem Jahr von attraktiven publizistischen Angeboten getrennt. Die Frankfurter Allgemeine und die Süddeutsche Zeitung stellten ihre Berlin-Seiten ein, auch dem beliebten und hochgelobten SZ-Jugendmagazin "Jetzt" ging es an den Kragen.
Aber es trifft nicht nur diese relativ jungen Print-Produkte, auch die alteingesessene und angesehene FAZ-Beilage "Bilder und Zeiten" verschwand von einem Tag auf den anderen. Was in den Redaktionen bis vor kurzem undenkbar schien, trat ein: Massiver Personalabbau, dem zuerst freie Mitarbeiter, Pauschalisten und Journalisten mit Zeitverträgen zum Opfer fielen, den inzwischen aber auch festangestellte Redakteure zu spüren bekommen. Und ein Ende der Sparmaßnahmen ist nicht in Sicht.
Der Auslöser für die Krise: Die anhaltende Flaute bei den Anzeigen, die traditionell zwei Drittel der Einnahmen von Tageszeitungen ausmachen. Im Jahr 2000, dem "Boomjahr" der deutschen Werbewirtschaft, waren die Werbeeinnahmen der Zeitungen um 490 Millionen Euro gestiegen, im Jahr darauf aber um fast das Doppelte geschrumpft.
Im Gefolge der allgemeinen Konjunkturschwäche setzt sich der Negativtrend in diesem Jahr fort: Die Tageszeitungen müssen Anzeigenrückgänge von bis zu 40 Prozent verkraften. Eine akute Krise, auf die viele Verlage nicht eingestellt waren, weil sie sich an eine permanente Aufwärtsentwicklung gewöhnt hatten – meint Frank Wernecke, Fachbereichsleiter Medien bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
Medienhäuser, insbesondere Zeitungsverlage, sind so aufgestellt gewesen, heute immer noch, dass Krisen überhaupt gar nicht gedacht wurden. Das heißt, es hat z.B. zum Teil kaum Reservenbildung gegeben, um auch mal schwächere Konjunkturphasen zu überstehen. Und es gibt keine Erfahrung im Umgang mit Krisen.
Eine der überregionalen Tageszeitungen, die die Krise besonders schwer getroffen hat, ist die Frankfurter Rundschau. Zwanzig Prozent der Stellen sollen dort abgebaut werden, bis Ende 2003 wird sich die Zahl der Redakteure um mehr als 40 verringern. Vielen Mitarbeitern sind in den vergangenen Wochen bereits Kündigungsschreiben ins Haus geflattert. Drastische Reaktionen auf eine Krise, die, so Chefredakteur Jochen Siemens, seine und andere Zeitungen tatsächlich kalt erwischt habe:
Wir (die Zeitungen) sind da sehr unvorbereitet reingeschlittert. Im Gegenteil, wir haben uns ja noch in den Boom-Jahren 1999, 2000 alle erheblich redaktionell ausgebreitet, neue Dinge angefasst. Neue Teile der Zeitungen dazugelegt, oder wie die SZ sich nach NRW begeben, oder wie die FAZ eine Sonntagszeitung gemacht. Also wir haben in diesen Jahren, die unmittelbar vor der Krise waren, noch heftig hingelangt. Ohne glaube ich zu sehen, dass wir uns eigentlich schon einem strukturellen Problem nähern.
Stattdessen wurde von vielen Verlagen kräftig investiert: In publizistische Angebote, in neue Außenbüros, in Technik – etwa durch den Bau moderner Großdruckereien -, und ins Internet. Ein Medium, in dem Zeitungen nicht zuletzt aus Gründen der Image-Pflege und Leser-Bindung präsent sein sollten, in dem aber nach Ansicht von Michael Maier, Chefredakteur der Netzeitung, viel Geld sinnlos verschwendet wurde:
Einer der größten Fehler, den alle Konzerne, alle Zeitungskonzerne gemacht haben, ist, dass sie sich hier in eine Technologie begeben haben, die sie nicht verstehen, und die sie nicht beherrschen. Das heißt, sie haben sich in Abhängigkeit von großen Technologiefirmen begeben, die natürlich wahnsinnig Geld dafür kassiert haben, dass es dann am Ende nicht funktioniert hat.
In den Verlagshäusern wird seit Monaten die bange Frage diskutiert, wann es wieder aufwärts gehen wird, und ob dann alles so sein wird wie früher. Eine große Unbekannte ist die Zukunft der Rubriken. Ausgerechnet das ehemals lukrative Geschäft mit den Stellenanzeigen ist infolge der Wirtschaftskrise stark eingebrochen.
Alle Tageszeitungen sind davon betroffen, besonders stark die überregionalen. Um mehr als fünfzig Prozent gingen die Erlöse aus dieser Sparte bei der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen in der ersten Jahreshälfte zurück. Doch Jochen Becker, Vorsitzender der Geschäftsführung der FAZ, ist zuversichtlich, dass sich, sobald die Konjunktur wieder anzieht, auch der Markt für Stellenanzeigen wieder erholen wird. Becker im Deutschlandfunk:
Ich will nicht ausschließen, dass das in fünf Jahren, in zehn Jahren, verstärkt über das elektronische Medium geht. Darüber besteht überhaupt kein Zweifel, aber zur Zeit und zumindest in dem Segment, in dem wir uns bewegen, der Fach- und Führungskräfte, also des gehobenen Stellenmarktes, gibt es einen solchen Trend nicht.
Doch nicht jeder sieht das so. Viele in der Branche gehen mittlerweile davon aus, dass Stellenanzeigen, genauso wie Immobilien- und Kfz-Anzeigen, bald und auf Dauer ins Internet abwandern. In den USA sei dieser Vorgang bereits abgeschlossen, gibt der Chefredakteur der Netzeitung, Michael Maier, zu bedenken:
Die Stellenanzeigen, wenn sie mit den Personalberatern z.B. sprechen, wird ihnen jeder sagen, die Stellenanzeige in der FAZ, die hat für mich Image-Charakter, die hat für mich eigentlich Marketing-Charakter. Die wirklich qualitätvollen Anzeigen kommen da nicht rein.
Sollte Maier recht behalten, würde sich die künftige Einnahme-Struktur der Tageszeitungen nachhaltig verändern. Der Anteil der Erlöse aus Anzeigen werde dann von zwei Dritteln auf die Hälfte sinken, vermutet der Medienwissenschaftler Bernd Blöbaum, gleichzeitig werde der Anteil der Verkaufs-Erlöse auf etwa fünfzig Prozent steigen.
Die drastischen personellen Einschnitte und die Verringerung des journalistischen Angebots deuten darauf hin, dass die Zeitungsverlage längst über die Konjunkturkrise hinaus auch eine strukturelle Krise sehen. Deutschland habe eine Entwicklung nachzuholen, die in anderen europäischen Ländern bereits vor einem Jahrzehnt stattgefunden habe, meint Josef Propst von der Geschäftsführung des Axel-Springer-Verlages:
Wenn man das mit anderen Ländern vergleicht und wenn Sie da Schweizer Verlagskollegen fragen, hat es in der Schweiz zehn Jahre zurück eine ähnliche Entwicklung gegeben, in Österreich eine ähnliche Entwicklung. In Deutschland ist diese Entwicklung damals nicht so zum Tragen gekommen, weil über die Wiedervereinigung aus dem Jahr 1989 andere Effekte gewirkt haben. Und im Anschluss an die Wiedervereinigungseffekte sind die New Economy-Effekte gekommen. Und beides hat sich gerade für den Mediensektor sehr positiv ausgewirkt. Und jetzt haben wir einfach diese konjunkturelle Krise.
Früher als andere Verlage nahm Springer diese strukturelle Krisenbewältigung in Angriff. Nachdem das Unternehmen erstmals in seiner Geschichte Verluste gemacht hatte, kündigte es im vergangenen Jahr an, sich von zehn Prozent, d.h. 1400 seiner angestellten Mitarbeiter zu trennen. Siebzig Prozent des Personalabbaus sind bereits vollzogen.
Die von Springer angepeilte Zehn-Prozent-Marke ist inzwischen auch bei vielen anderen Verlagen das Sparziel, etwa beim Verlagshaus der Süddeutschen, das mit dem Abbau von 500 Stellen begonnen hat. Trotz steigender Auflage schreibt das Blatt in diesem Jahr erstmals rote Zahlen. Nicht besser sieht es bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus: Ein 28 Millionen Euro-Verlust und Personalabbau im dreistelligen Bereich, rund 60 Kündigungen wurden bereits verschickt.
Von der Kündigungswelle sind alle Mitarbeiter an Tageszeitungen betroffen – egal, ob sie im Vertrieb, in der Anzeigenabteilung, in der EDV, im Archiv oder aber im redaktionellen Bereich tätig sind. Für viele Journalisten ist es eine neue und schmerzhafte Erfahrung, dass der Rotstift jetzt auch vor den Redaktionen nicht mehr Halt macht. In einem Bereich also, in dem schon jetzt oft viel Arbeit auf wenige Schultern verteilt sei, meint Frank Wernecke vom Verdi-Bundesvorstand:
Wir haben jetzt die Situation, dass in einem und demselben Verlag Arbeitsplätze abgebaut werden (...), und es trotzdem Mehrarbeit, Überstunden, in erheblichem Umfang gibt. Übrigens gerade im Bereich von Journalistinnen und Journalisten. Und es gäbe schon Möglichkeiten, über Freie-Tage-Regelungen, auch über Sabbaticals und ähnliche Dinge zu versuchen, Beschäftigung zu halten in den Verlagen. Das ist auch nen Weg, den wir gerade versuchen, da wo wir die Möglichkeit haben, auf diese Beschäftigungsabbau-Pläne mit den Betriebsräten zusammen zu reagieren, über Arbeitszeit-Reduzierung bei Gehalts-Reduzierung möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern.
Beschäftigungslosigkeit – für die meisten Journalisten war das bis vor kurzem noch ein Thema für Kommentare und Leitartikel. Doch immer mehr Redakteure und Reporter erfahren den Verlust des Arbeitsplatzes am eigenen Leib. Die Zahl als arbeitslos gemeldeter Journalisten stieg zum Ende des ersten Halbjahres 2002 auf gut 2600 – im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs von 25 Prozent.
Vor dem Verlust publizistischer Qualität durch den Personalabbau bei den Tageszeitungen warnen auch die Gewerkschaften. Rolf Lautenbach, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes:
Auf der einen Seite sind wir gemeinsam mit den Verlegern ... sind wir uns einig, dass wir die Qualität in den Print-Titeln nicht mindern dürfen. Aber bei diesen Sparmaßnahmen, die bis zu 20 Prozent im Sinne der Rasenmähermethode abläuft, ist das auch eine Qualitätsminderung. Und das können die Verleger eigentlich auch nicht wollen. (...) Wenn die Qualität sinkt, sinkt sicher auch das Interesse, diese Produkte zu kaufen.
Tatsache ist: Es gibt beunruhigende Tendenzen, wie auch Bundespräsident Rau in seiner Laudatio zur Verleihung des Theodor-Wolff-Preises festgestellt hat. Tageszeitungen trennen sich von Korrespondenten, die Hauptstadt-Büros werden personell ausgedünnt. Vor allem lokale und regionale Blätter müssen zunehmend auf Agenturmeldungen zurückgreifen – die Berichterstattung wird austauschbar. Komplette Zeitungsseiten können inzwischen bei Presseagenturen gekauft werden – eine kostengünstige Lösung gerade für kleine Verlage.
Ebenfalls kostensparend ist die Auslagerung von Redaktionen, wie es die Koblenzer Rhein-Zeitung vorgemacht hat. Lokalredaktionen wurden in eigenständige Dienstleistungsgesellschaften umgewandelt. Wirtschaftlichkeit ist das regierende Prinzip, dem immer öfter publizistischer Anspruch untergeordnet wird. Ein Problem, an dem in einer ganz anderen Epoche bereits Theodor Wolff, damals Chefredakteur des liberalen "Berliner Tageblatts", Anstoß nahm – in einem Memorandum an seinen Verleger, der die angesehene Zeitung drastischen Sparmaßnahmen unterworfen hatte. Wolff schrieb im April 1931:
...dass eine große politische Zeitung eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit hat, nicht nur im Dienste eines Unternehmens, sondern auch im Dienste allgemeiner Interessen steht, und nicht ausschließlich nach den Grundsätzen irgendeines kaufmännischen Unternehmens geführt werden sollte.
Wie kann man die Qualität einer Zeitung auch mit geschrumpftem Etat aufrechterhalten? – diese Frage treibt heutzutage manch einen Chefredakteur in der Republik um. Giovanni di Lorenzo, Tagesspiegel:
Ich glaube, dass die Qualitätszeitungen in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau sind. Sie sind auch erfolgreich. Und jetzt müssen wir zusehen, wie wir auf knapperem Platz mit geringeren Ressourcen, und vielleicht in dem einen oder anderen Fall weniger Leuten, diesen Standard halten. Ich glaube, das wird schwierig, aber nicht unmöglich. Zwingt uns zu der Frage, was ist wirklich gut, und was ist entbehrlich?
Die Frage nach der Entbehrlichkeit haben viele Tageszeitungen in diesem Jahr mit Tatsachen beantwortet. Ob auch der Leser die eingestellten Seiten und Beilagen entbehrlich findet, wird sich zeigen. Der Medienwissenschaftler Bernd Blöbaum hält ein inhaltliches Abspecken der Zeitungen für notwendig:
Die durchschnittliche Lesedauer hat sich in den vergangenen Jahren nicht geändert. Die liegt unverändert bei 30 Minuten, obwohl die Zeitungen viel üppiger geworden sind. (...). Man hat bei Zeitungen in den vergangenen Jahren immer mehr Angebote entwickelt, ohne dass das von der Leserschaft hinreichend honoriert worden ist. Und deshalb muss man heute auch darüber nachdenken, welche Teile der Angebote man wieder zurückfahren kann, an welchen Stellen man wieder etwas beschneiden kann. Und ich denke, da sollte man sich bei Tageszeitungen sehr stark auf die Kernbereiche, also besonders auf das Regionale und Lokale, und dann auf den Bereich der Kultur, Sport, Wirtschaft zurückziehen.
In der gegenwärtigen Krise sind Schrumpfungsprozesse bei den Zeitungen die eine Seite der Spar-Medaille, Konzentrationsprozesse die andere. Beides hängt meist zusammen. Gut hundert Stellen sparte der Axel-Springer-Verlag durch die Verschmelzung der Redaktionen von "Welt" und "Berliner Morgenpost" ein. Verlagsgeschäftsführer Josef Propst lobt die Synergie-Effekte, die durch die Schaffung einer gemeinsamen Redaktion entstanden seien. Die Lokalzeitung "Berliner Morgenpost" profitiere nun bei der Berichterstattung aus Politik und Wirtschaft von der Kompetenz der überregionalen "Welt":
Der Leser der Berliner Morgenpost kriegt eine inhaltlich wesentlich verbesserte Berliner Morgenpost heraus. Umgekehrt kann die Welt wieder aus der regionalen Kompetenz der Berliner Morgenpost profitieren.
Dennoch: Professor Bernd Blöbaum, Medienwissenschaftler von der Universität Münster, hält Entwicklungen wie die redaktionelle Zusammenlegung der beiden Springer-Zeitungen für bedenklich:
Man muss klar sagen, diese Konzentrationen gehen immer zu Lasten der publizistischen Vielfalt. Wenn heute die Welt und die Berliner Morgenpost in einer Redaktion gemacht werden, bedeutet das eben auch, prinzipiell zumindest, dass die publizistische Vielfalt weniger geworden ist, dass auch die Meinungsvielfalt weniger geworden ist, und das ist schon eine besorgniserregende Entwicklung. Zumal sich solche Entwicklungen ja nicht nur in Berlin zutragen, sondern auch auf vielen lokalen Zeitungsmärkten, wo der Blick der Öffentlichkeit nicht so deutlich drauffällt.
Bernd Blöbaum rechnet mit einer Zunahme von Konzentrationsprozessen auf dem deutschen Zeitungsmarkt. Besonders kleine Blätter liefen Gefahr, ihre Eigenständigkeit zu verlieren oder ganz zu verschwinden.
Wir haben ja in der Bundesrepublik (...) in den 60er und 70er Jahren eine Welle der Pressekonzentration gehabt, bei der viele lokale Tageszeitungen vom Markt verschwunden sind, weil sie durch größere Tageszeitungen übernommen worden sind. Und ich denke, wir müssen uns wieder auf so einen Prozess einstellen. Das hat auch damit zu tun, dass im Moment wir einen Wechsel der Verleger-Generation vorfinden. Die ältere Verleger-Generation, die sehr stark durch die Aufbauphase in der Nachkriegszeit geprägt worden ist, und die mit einem sehr starken publizistischen Anspruch an die Verlagsarbeit herangegangen ist, wird im Moment abgelöst von einer jüngeren Generation, die nicht unbedingt in einer publizistischen Tradition steht, sondern die sehr stark Management-geschult ist, (...) und die das Zeitungsunternehmen als Markenunternehmen führt, und vielleicht die publizistischen Elemente nicht so hoch achtet, wie das die Vorgänger-Generation der Verleger noch getan hat.
Bisher verhindert das Kartellrecht ein ungehindertes Fusionieren und Kooperieren auf dem Zeitungsmarkt. Noch kein grünes Licht gegeben hat das Bundeskartellamt für den Kauf des Berliner Verlages durch die Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe. Die beiden konkurrierenden Haupstadt-Blätter "Tagesspiegel" und "Berliner Zeitung" würden zum gleichen Verlag gehören, wenn die Wettbewerbshüter den Kauf genehmigen. Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo wünscht sich die Zustimmung des Kartellamts:
Weil ich glaube beide Zeitungen sonst auf mittlere Sicht wenig Chancen haben, zu überleben. Und ich finde die Erhaltung zweier Qualitätszeitungen und von vielen, vielen hundert Arbeitsplätzen ist die wichtigste Priorität, die man im Moment haben kann, wichtiger als die buchstabengetreue Auslegung von Verordnungen, die in den frühen 50er Jahren erlassen worden sind. Also, die Zukunft sehe ich so, dass es in Berlin weiter Platz gibt für zwei Qualitätszeitungen, die auch Unterschiede aufweisen bei den Lesern, und auch bei ihrer Themensetzung, ihren Schwerpunkten.
Die Betonung liegt auf dem Wort Unterschiede – für di Lorenzo ist entscheidend, dass "Tagesspiegel" und "Berliner Zeitung" ihre Eigenständigkeit behalten, auch wenn sie unter dem Dach des gleichen Verlages operieren. Die Holtzbrinck-Gruppe hat bisher beteuert, es werde keine redaktionelle Zusammenarbeit der Konkurrenz-Blätter geben. Ob sich diese Zusage auch in wirtschaftlich noch schwierigeren Zeiten aufrecht erhalten lässt, wird die Zukunft zeigen.
Bereiche, in denen immer mehr Verlage durch Kooperation Synergien schaffen wollen, sind der Vertrieb und der Anzeigenmarkt. Erst vor wenigen Wochen korrigierte der Bundesgerichtshof eine Entscheidung des Kartellamtes, das einem gemeinsamen Stellenmarkt von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Rundschau einen Riegel vorschieben wollte. Der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger wünscht sich eine leichte Lockerung des Kartellrechts, um solche Kooperationen künftig zu erleichtern. Hauptgeschäftsführer Volker Schulze:
Es gibt keine letztgültigen Verbandsbeschlüsse in dieser Angelegenheit, aber, kleinen und mittleren Verlagen, dieser Trend lässt sich mit Sicherheit ablesen, sollten die Möglichkeiten haben, die ihnen zur Zeit das Kartellrecht verwehrt, zur Optimierung ihrer Leistungskraft im lokalen und regionalen Raum, besser kooperieren zu können, in den Anzeigenmärkten, im Lesermarkt.
Vor allem große Medienhäuser setzen sich in der letzten Zeit mehr oder weniger unverhohlen für eine Änderung des Kartellrechts ein und betreiben eine entsprechende Lobbyarbeit. Eine Tendenz, die den Bundespräsidenten bei der Verleihung des Theodor-Wolff-Preises dazu veranlasste, mahnend an das Memorandum des berühmten Publizisten aus dem Jahre 1931 zu erinnern:
In den vergangenen Jahren haben wir auf den Medien-, zunehmend auch auf den Seiten im Wirtschaftsteil viel über Konzentrationsbestrebungen großer deutschen Medienunternehmen gelesen. Ich wünsche mir, dass alle Verleger, Manager und Unternehmer, die an diesem Übernahme- und Fusionskarussell beteiligt sind, sich Theodor Wolffs Ausspruch zu Herzen nehmen.
Das Lektüretempo für eine Zeitung kann jeder Leser selbst bestimmen, anders als bei Fernsehen und Hörfunk. Und ich denke, dass deshalb Tageszeitungen eine gute Zukunft haben werden.
Bernd Blöbaum, Medienwissenschaftler von der Universität Münster. Optimismus in düsteren Zeiten – denn die Tageszeitungen in Deutschland befinden sich in der schwersten Krise der Nachkriegszeit. Viele überregionale Blätter haben sich in diesem Jahr von attraktiven publizistischen Angeboten getrennt. Die Frankfurter Allgemeine und die Süddeutsche Zeitung stellten ihre Berlin-Seiten ein, auch dem beliebten und hochgelobten SZ-Jugendmagazin "Jetzt" ging es an den Kragen.
Aber es trifft nicht nur diese relativ jungen Print-Produkte, auch die alteingesessene und angesehene FAZ-Beilage "Bilder und Zeiten" verschwand von einem Tag auf den anderen. Was in den Redaktionen bis vor kurzem undenkbar schien, trat ein: Massiver Personalabbau, dem zuerst freie Mitarbeiter, Pauschalisten und Journalisten mit Zeitverträgen zum Opfer fielen, den inzwischen aber auch festangestellte Redakteure zu spüren bekommen. Und ein Ende der Sparmaßnahmen ist nicht in Sicht.
Der Auslöser für die Krise: Die anhaltende Flaute bei den Anzeigen, die traditionell zwei Drittel der Einnahmen von Tageszeitungen ausmachen. Im Jahr 2000, dem "Boomjahr" der deutschen Werbewirtschaft, waren die Werbeeinnahmen der Zeitungen um 490 Millionen Euro gestiegen, im Jahr darauf aber um fast das Doppelte geschrumpft.
Im Gefolge der allgemeinen Konjunkturschwäche setzt sich der Negativtrend in diesem Jahr fort: Die Tageszeitungen müssen Anzeigenrückgänge von bis zu 40 Prozent verkraften. Eine akute Krise, auf die viele Verlage nicht eingestellt waren, weil sie sich an eine permanente Aufwärtsentwicklung gewöhnt hatten – meint Frank Wernecke, Fachbereichsleiter Medien bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
Medienhäuser, insbesondere Zeitungsverlage, sind so aufgestellt gewesen, heute immer noch, dass Krisen überhaupt gar nicht gedacht wurden. Das heißt, es hat z.B. zum Teil kaum Reservenbildung gegeben, um auch mal schwächere Konjunkturphasen zu überstehen. Und es gibt keine Erfahrung im Umgang mit Krisen.
Eine der überregionalen Tageszeitungen, die die Krise besonders schwer getroffen hat, ist die Frankfurter Rundschau. Zwanzig Prozent der Stellen sollen dort abgebaut werden, bis Ende 2003 wird sich die Zahl der Redakteure um mehr als 40 verringern. Vielen Mitarbeitern sind in den vergangenen Wochen bereits Kündigungsschreiben ins Haus geflattert. Drastische Reaktionen auf eine Krise, die, so Chefredakteur Jochen Siemens, seine und andere Zeitungen tatsächlich kalt erwischt habe:
Wir (die Zeitungen) sind da sehr unvorbereitet reingeschlittert. Im Gegenteil, wir haben uns ja noch in den Boom-Jahren 1999, 2000 alle erheblich redaktionell ausgebreitet, neue Dinge angefasst. Neue Teile der Zeitungen dazugelegt, oder wie die SZ sich nach NRW begeben, oder wie die FAZ eine Sonntagszeitung gemacht. Also wir haben in diesen Jahren, die unmittelbar vor der Krise waren, noch heftig hingelangt. Ohne glaube ich zu sehen, dass wir uns eigentlich schon einem strukturellen Problem nähern.
Stattdessen wurde von vielen Verlagen kräftig investiert: In publizistische Angebote, in neue Außenbüros, in Technik – etwa durch den Bau moderner Großdruckereien -, und ins Internet. Ein Medium, in dem Zeitungen nicht zuletzt aus Gründen der Image-Pflege und Leser-Bindung präsent sein sollten, in dem aber nach Ansicht von Michael Maier, Chefredakteur der Netzeitung, viel Geld sinnlos verschwendet wurde:
Einer der größten Fehler, den alle Konzerne, alle Zeitungskonzerne gemacht haben, ist, dass sie sich hier in eine Technologie begeben haben, die sie nicht verstehen, und die sie nicht beherrschen. Das heißt, sie haben sich in Abhängigkeit von großen Technologiefirmen begeben, die natürlich wahnsinnig Geld dafür kassiert haben, dass es dann am Ende nicht funktioniert hat.
In den Verlagshäusern wird seit Monaten die bange Frage diskutiert, wann es wieder aufwärts gehen wird, und ob dann alles so sein wird wie früher. Eine große Unbekannte ist die Zukunft der Rubriken. Ausgerechnet das ehemals lukrative Geschäft mit den Stellenanzeigen ist infolge der Wirtschaftskrise stark eingebrochen.
Alle Tageszeitungen sind davon betroffen, besonders stark die überregionalen. Um mehr als fünfzig Prozent gingen die Erlöse aus dieser Sparte bei der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen in der ersten Jahreshälfte zurück. Doch Jochen Becker, Vorsitzender der Geschäftsführung der FAZ, ist zuversichtlich, dass sich, sobald die Konjunktur wieder anzieht, auch der Markt für Stellenanzeigen wieder erholen wird. Becker im Deutschlandfunk:
Ich will nicht ausschließen, dass das in fünf Jahren, in zehn Jahren, verstärkt über das elektronische Medium geht. Darüber besteht überhaupt kein Zweifel, aber zur Zeit und zumindest in dem Segment, in dem wir uns bewegen, der Fach- und Führungskräfte, also des gehobenen Stellenmarktes, gibt es einen solchen Trend nicht.
Doch nicht jeder sieht das so. Viele in der Branche gehen mittlerweile davon aus, dass Stellenanzeigen, genauso wie Immobilien- und Kfz-Anzeigen, bald und auf Dauer ins Internet abwandern. In den USA sei dieser Vorgang bereits abgeschlossen, gibt der Chefredakteur der Netzeitung, Michael Maier, zu bedenken:
Die Stellenanzeigen, wenn sie mit den Personalberatern z.B. sprechen, wird ihnen jeder sagen, die Stellenanzeige in der FAZ, die hat für mich Image-Charakter, die hat für mich eigentlich Marketing-Charakter. Die wirklich qualitätvollen Anzeigen kommen da nicht rein.
Sollte Maier recht behalten, würde sich die künftige Einnahme-Struktur der Tageszeitungen nachhaltig verändern. Der Anteil der Erlöse aus Anzeigen werde dann von zwei Dritteln auf die Hälfte sinken, vermutet der Medienwissenschaftler Bernd Blöbaum, gleichzeitig werde der Anteil der Verkaufs-Erlöse auf etwa fünfzig Prozent steigen.
Die drastischen personellen Einschnitte und die Verringerung des journalistischen Angebots deuten darauf hin, dass die Zeitungsverlage längst über die Konjunkturkrise hinaus auch eine strukturelle Krise sehen. Deutschland habe eine Entwicklung nachzuholen, die in anderen europäischen Ländern bereits vor einem Jahrzehnt stattgefunden habe, meint Josef Propst von der Geschäftsführung des Axel-Springer-Verlages:
Wenn man das mit anderen Ländern vergleicht und wenn Sie da Schweizer Verlagskollegen fragen, hat es in der Schweiz zehn Jahre zurück eine ähnliche Entwicklung gegeben, in Österreich eine ähnliche Entwicklung. In Deutschland ist diese Entwicklung damals nicht so zum Tragen gekommen, weil über die Wiedervereinigung aus dem Jahr 1989 andere Effekte gewirkt haben. Und im Anschluss an die Wiedervereinigungseffekte sind die New Economy-Effekte gekommen. Und beides hat sich gerade für den Mediensektor sehr positiv ausgewirkt. Und jetzt haben wir einfach diese konjunkturelle Krise.
Früher als andere Verlage nahm Springer diese strukturelle Krisenbewältigung in Angriff. Nachdem das Unternehmen erstmals in seiner Geschichte Verluste gemacht hatte, kündigte es im vergangenen Jahr an, sich von zehn Prozent, d.h. 1400 seiner angestellten Mitarbeiter zu trennen. Siebzig Prozent des Personalabbaus sind bereits vollzogen.
Die von Springer angepeilte Zehn-Prozent-Marke ist inzwischen auch bei vielen anderen Verlagen das Sparziel, etwa beim Verlagshaus der Süddeutschen, das mit dem Abbau von 500 Stellen begonnen hat. Trotz steigender Auflage schreibt das Blatt in diesem Jahr erstmals rote Zahlen. Nicht besser sieht es bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus: Ein 28 Millionen Euro-Verlust und Personalabbau im dreistelligen Bereich, rund 60 Kündigungen wurden bereits verschickt.
Von der Kündigungswelle sind alle Mitarbeiter an Tageszeitungen betroffen – egal, ob sie im Vertrieb, in der Anzeigenabteilung, in der EDV, im Archiv oder aber im redaktionellen Bereich tätig sind. Für viele Journalisten ist es eine neue und schmerzhafte Erfahrung, dass der Rotstift jetzt auch vor den Redaktionen nicht mehr Halt macht. In einem Bereich also, in dem schon jetzt oft viel Arbeit auf wenige Schultern verteilt sei, meint Frank Wernecke vom Verdi-Bundesvorstand:
Wir haben jetzt die Situation, dass in einem und demselben Verlag Arbeitsplätze abgebaut werden (...), und es trotzdem Mehrarbeit, Überstunden, in erheblichem Umfang gibt. Übrigens gerade im Bereich von Journalistinnen und Journalisten. Und es gäbe schon Möglichkeiten, über Freie-Tage-Regelungen, auch über Sabbaticals und ähnliche Dinge zu versuchen, Beschäftigung zu halten in den Verlagen. Das ist auch nen Weg, den wir gerade versuchen, da wo wir die Möglichkeit haben, auf diese Beschäftigungsabbau-Pläne mit den Betriebsräten zusammen zu reagieren, über Arbeitszeit-Reduzierung bei Gehalts-Reduzierung möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern.
Beschäftigungslosigkeit – für die meisten Journalisten war das bis vor kurzem noch ein Thema für Kommentare und Leitartikel. Doch immer mehr Redakteure und Reporter erfahren den Verlust des Arbeitsplatzes am eigenen Leib. Die Zahl als arbeitslos gemeldeter Journalisten stieg zum Ende des ersten Halbjahres 2002 auf gut 2600 – im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs von 25 Prozent.
Vor dem Verlust publizistischer Qualität durch den Personalabbau bei den Tageszeitungen warnen auch die Gewerkschaften. Rolf Lautenbach, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes:
Auf der einen Seite sind wir gemeinsam mit den Verlegern ... sind wir uns einig, dass wir die Qualität in den Print-Titeln nicht mindern dürfen. Aber bei diesen Sparmaßnahmen, die bis zu 20 Prozent im Sinne der Rasenmähermethode abläuft, ist das auch eine Qualitätsminderung. Und das können die Verleger eigentlich auch nicht wollen. (...) Wenn die Qualität sinkt, sinkt sicher auch das Interesse, diese Produkte zu kaufen.
Tatsache ist: Es gibt beunruhigende Tendenzen, wie auch Bundespräsident Rau in seiner Laudatio zur Verleihung des Theodor-Wolff-Preises festgestellt hat. Tageszeitungen trennen sich von Korrespondenten, die Hauptstadt-Büros werden personell ausgedünnt. Vor allem lokale und regionale Blätter müssen zunehmend auf Agenturmeldungen zurückgreifen – die Berichterstattung wird austauschbar. Komplette Zeitungsseiten können inzwischen bei Presseagenturen gekauft werden – eine kostengünstige Lösung gerade für kleine Verlage.
Ebenfalls kostensparend ist die Auslagerung von Redaktionen, wie es die Koblenzer Rhein-Zeitung vorgemacht hat. Lokalredaktionen wurden in eigenständige Dienstleistungsgesellschaften umgewandelt. Wirtschaftlichkeit ist das regierende Prinzip, dem immer öfter publizistischer Anspruch untergeordnet wird. Ein Problem, an dem in einer ganz anderen Epoche bereits Theodor Wolff, damals Chefredakteur des liberalen "Berliner Tageblatts", Anstoß nahm – in einem Memorandum an seinen Verleger, der die angesehene Zeitung drastischen Sparmaßnahmen unterworfen hatte. Wolff schrieb im April 1931:
...dass eine große politische Zeitung eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit hat, nicht nur im Dienste eines Unternehmens, sondern auch im Dienste allgemeiner Interessen steht, und nicht ausschließlich nach den Grundsätzen irgendeines kaufmännischen Unternehmens geführt werden sollte.
Wie kann man die Qualität einer Zeitung auch mit geschrumpftem Etat aufrechterhalten? – diese Frage treibt heutzutage manch einen Chefredakteur in der Republik um. Giovanni di Lorenzo, Tagesspiegel:
Ich glaube, dass die Qualitätszeitungen in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau sind. Sie sind auch erfolgreich. Und jetzt müssen wir zusehen, wie wir auf knapperem Platz mit geringeren Ressourcen, und vielleicht in dem einen oder anderen Fall weniger Leuten, diesen Standard halten. Ich glaube, das wird schwierig, aber nicht unmöglich. Zwingt uns zu der Frage, was ist wirklich gut, und was ist entbehrlich?
Die Frage nach der Entbehrlichkeit haben viele Tageszeitungen in diesem Jahr mit Tatsachen beantwortet. Ob auch der Leser die eingestellten Seiten und Beilagen entbehrlich findet, wird sich zeigen. Der Medienwissenschaftler Bernd Blöbaum hält ein inhaltliches Abspecken der Zeitungen für notwendig:
Die durchschnittliche Lesedauer hat sich in den vergangenen Jahren nicht geändert. Die liegt unverändert bei 30 Minuten, obwohl die Zeitungen viel üppiger geworden sind. (...). Man hat bei Zeitungen in den vergangenen Jahren immer mehr Angebote entwickelt, ohne dass das von der Leserschaft hinreichend honoriert worden ist. Und deshalb muss man heute auch darüber nachdenken, welche Teile der Angebote man wieder zurückfahren kann, an welchen Stellen man wieder etwas beschneiden kann. Und ich denke, da sollte man sich bei Tageszeitungen sehr stark auf die Kernbereiche, also besonders auf das Regionale und Lokale, und dann auf den Bereich der Kultur, Sport, Wirtschaft zurückziehen.
In der gegenwärtigen Krise sind Schrumpfungsprozesse bei den Zeitungen die eine Seite der Spar-Medaille, Konzentrationsprozesse die andere. Beides hängt meist zusammen. Gut hundert Stellen sparte der Axel-Springer-Verlag durch die Verschmelzung der Redaktionen von "Welt" und "Berliner Morgenpost" ein. Verlagsgeschäftsführer Josef Propst lobt die Synergie-Effekte, die durch die Schaffung einer gemeinsamen Redaktion entstanden seien. Die Lokalzeitung "Berliner Morgenpost" profitiere nun bei der Berichterstattung aus Politik und Wirtschaft von der Kompetenz der überregionalen "Welt":
Der Leser der Berliner Morgenpost kriegt eine inhaltlich wesentlich verbesserte Berliner Morgenpost heraus. Umgekehrt kann die Welt wieder aus der regionalen Kompetenz der Berliner Morgenpost profitieren.
Dennoch: Professor Bernd Blöbaum, Medienwissenschaftler von der Universität Münster, hält Entwicklungen wie die redaktionelle Zusammenlegung der beiden Springer-Zeitungen für bedenklich:
Man muss klar sagen, diese Konzentrationen gehen immer zu Lasten der publizistischen Vielfalt. Wenn heute die Welt und die Berliner Morgenpost in einer Redaktion gemacht werden, bedeutet das eben auch, prinzipiell zumindest, dass die publizistische Vielfalt weniger geworden ist, dass auch die Meinungsvielfalt weniger geworden ist, und das ist schon eine besorgniserregende Entwicklung. Zumal sich solche Entwicklungen ja nicht nur in Berlin zutragen, sondern auch auf vielen lokalen Zeitungsmärkten, wo der Blick der Öffentlichkeit nicht so deutlich drauffällt.
Bernd Blöbaum rechnet mit einer Zunahme von Konzentrationsprozessen auf dem deutschen Zeitungsmarkt. Besonders kleine Blätter liefen Gefahr, ihre Eigenständigkeit zu verlieren oder ganz zu verschwinden.
Wir haben ja in der Bundesrepublik (...) in den 60er und 70er Jahren eine Welle der Pressekonzentration gehabt, bei der viele lokale Tageszeitungen vom Markt verschwunden sind, weil sie durch größere Tageszeitungen übernommen worden sind. Und ich denke, wir müssen uns wieder auf so einen Prozess einstellen. Das hat auch damit zu tun, dass im Moment wir einen Wechsel der Verleger-Generation vorfinden. Die ältere Verleger-Generation, die sehr stark durch die Aufbauphase in der Nachkriegszeit geprägt worden ist, und die mit einem sehr starken publizistischen Anspruch an die Verlagsarbeit herangegangen ist, wird im Moment abgelöst von einer jüngeren Generation, die nicht unbedingt in einer publizistischen Tradition steht, sondern die sehr stark Management-geschult ist, (...) und die das Zeitungsunternehmen als Markenunternehmen führt, und vielleicht die publizistischen Elemente nicht so hoch achtet, wie das die Vorgänger-Generation der Verleger noch getan hat.
Bisher verhindert das Kartellrecht ein ungehindertes Fusionieren und Kooperieren auf dem Zeitungsmarkt. Noch kein grünes Licht gegeben hat das Bundeskartellamt für den Kauf des Berliner Verlages durch die Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe. Die beiden konkurrierenden Haupstadt-Blätter "Tagesspiegel" und "Berliner Zeitung" würden zum gleichen Verlag gehören, wenn die Wettbewerbshüter den Kauf genehmigen. Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo wünscht sich die Zustimmung des Kartellamts:
Weil ich glaube beide Zeitungen sonst auf mittlere Sicht wenig Chancen haben, zu überleben. Und ich finde die Erhaltung zweier Qualitätszeitungen und von vielen, vielen hundert Arbeitsplätzen ist die wichtigste Priorität, die man im Moment haben kann, wichtiger als die buchstabengetreue Auslegung von Verordnungen, die in den frühen 50er Jahren erlassen worden sind. Also, die Zukunft sehe ich so, dass es in Berlin weiter Platz gibt für zwei Qualitätszeitungen, die auch Unterschiede aufweisen bei den Lesern, und auch bei ihrer Themensetzung, ihren Schwerpunkten.
Die Betonung liegt auf dem Wort Unterschiede – für di Lorenzo ist entscheidend, dass "Tagesspiegel" und "Berliner Zeitung" ihre Eigenständigkeit behalten, auch wenn sie unter dem Dach des gleichen Verlages operieren. Die Holtzbrinck-Gruppe hat bisher beteuert, es werde keine redaktionelle Zusammenarbeit der Konkurrenz-Blätter geben. Ob sich diese Zusage auch in wirtschaftlich noch schwierigeren Zeiten aufrecht erhalten lässt, wird die Zukunft zeigen.
Bereiche, in denen immer mehr Verlage durch Kooperation Synergien schaffen wollen, sind der Vertrieb und der Anzeigenmarkt. Erst vor wenigen Wochen korrigierte der Bundesgerichtshof eine Entscheidung des Kartellamtes, das einem gemeinsamen Stellenmarkt von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Rundschau einen Riegel vorschieben wollte. Der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger wünscht sich eine leichte Lockerung des Kartellrechts, um solche Kooperationen künftig zu erleichtern. Hauptgeschäftsführer Volker Schulze:
Es gibt keine letztgültigen Verbandsbeschlüsse in dieser Angelegenheit, aber, kleinen und mittleren Verlagen, dieser Trend lässt sich mit Sicherheit ablesen, sollten die Möglichkeiten haben, die ihnen zur Zeit das Kartellrecht verwehrt, zur Optimierung ihrer Leistungskraft im lokalen und regionalen Raum, besser kooperieren zu können, in den Anzeigenmärkten, im Lesermarkt.
Vor allem große Medienhäuser setzen sich in der letzten Zeit mehr oder weniger unverhohlen für eine Änderung des Kartellrechts ein und betreiben eine entsprechende Lobbyarbeit. Eine Tendenz, die den Bundespräsidenten bei der Verleihung des Theodor-Wolff-Preises dazu veranlasste, mahnend an das Memorandum des berühmten Publizisten aus dem Jahre 1931 zu erinnern:
In den vergangenen Jahren haben wir auf den Medien-, zunehmend auch auf den Seiten im Wirtschaftsteil viel über Konzentrationsbestrebungen großer deutschen Medienunternehmen gelesen. Ich wünsche mir, dass alle Verleger, Manager und Unternehmer, die an diesem Übernahme- und Fusionskarussell beteiligt sind, sich Theodor Wolffs Ausspruch zu Herzen nehmen.