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Das unbekannte Herrschergeschlecht Mitteleuropas

Die polnisch-litauischen Jagiellonen haben fast 200 Jahre in weiten Teilen Mitteleuropas regiert. Trotzdem sind sie weitgehend unbekannt. Eine Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam widmet sich nun den Kunstschätzen ihrer Herrschaftszeit.

Von Claudia Altmann | 07.03.2013
    "Die Jagiellonen-Ära ist durch die konfessionelle Toleranz ganz stark geprägt. Wladislaw II. war jemand, der unter seinen Ratgebern nicht nur die Katholiker ausgewählt hat, sondern auch die Utraquisten - das sind die Erben von Jan Hus, also dem ersten Reformator der römisch-katholischen Kirche – sodass er nicht diese Karte wirklich spielen wollte, diese Konfessionskarte. Sondern er hat versucht, als Vermittler zu agieren. Und das ist ihm auch gelungen. Das war strategisch, diplomatisch sehr klug."

    Dem tschechischen Historiker Jiri Fajt haben es nicht die bekannten großen und schrecklichen Herrscher angetan. Seit Jahren erforscht er am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig die zwar vergessene, aber in Europa dennoch bedeutende litauisch-polnische Dynastie der Jagiellonen. Zwischen 1386 und 1572 regierten sie in weiten Teilen Mitteleuropas.

    "Die Jagiellonen, die blieben treu der römisch-katholischen Kirche. Wir haben aber im 16. Jahrhundert Sigismund II. Augustus, der als Römisch-Katholik eine Protestantin geheiratet hat, Calvinistin sogar. Und das hat zu keinen irgendwie Problemen geführt. Also das zeigt uns, dass die Jagiellonen-Ära noch die Ära ist, wo eben die Konfession nicht mit Gewalt, mit Kriegen irgendwie gelöst werden müsste."

    Anstatt auf ein starkes Heer setzten die Herrscher bei der Ausdehnung ihres Einflussgebietes auf den Liebreiz ihrer Töchter und eine geschickte Heiratspolitik. Um 1500 erstreckte sich ihr Reich von der Ostsee bis zur Adria und von der Elbe bis zum Schwarzen Meer. Sie herrschten über Polen-Litauen, Böhmen, Ungarn und Kroatien. Ihre Stammresidenzen lagen in Vilnius, Krakau, Prag und Buda, dem heutigen Teil von Budapest rechts der Donau. Durch Eheschließungen verbanden sich die Jagiellonen auch mit den Hohenzollern in Franken und Brandenburg, den Wittelsbachern in Bayern, den Habsburgern in Österreich und den Wettinern in Sachsen.

    Europa erlebte damals dramatische wirtschaftliche und soziale Umbrüche. Die Reformation veränderte den Glauben. Ein neues Welt- und Menschenbild entstand. An diesen Entwicklungen hatten die Jagiellonen entscheidenden Anteil. Sie pflegten einen regen Austausch in Wirtschaft und Technik, förderten den frühen Humanismus und brachten Mitteleuropa zu einer einzigartigen künstlerischen Blüte. Veith Stoß folgte ihrer Einladung nach Krakau und schuf dort den grandiosen Flügelaltar in der Marienkirche. Sie kauften Werke von Albrecht Dürer. Lucas Cranach der Ältere arbeitete für sie ebenso wie Künstler aus Italien und den Niederlanden.

    "Und diese Vermischung der unterschiedlichen Kulturen ist wirklich das, was diese Gebiete, also die Herrschergebiete der Jagiellonen, prägen wird. Das ist sehr interessant. Das kommt nirgendwo vor."

    Der Glanz strahlte auch bis in die Lausitz und ins Erzgebirge, dem Herrschaftsgebiet von Georg dem Bärtigen, Herzog von Sachsen, der 1496 die jagiellonische Prinzessin Barbara geehelicht hatte. In Annaberg ließ das Paar die mächtige Hallenkirche St. Annen errichten. Es ist das bedeutendste spätgotische Bauwerk seiner Art und architektonisch wie handwerklich eine Meisterleistung. Das riesige, mit aus Zinn geschnittenen Blattwerkrosetten verzierte Gewölbe überspannt den gesamten Innenraum. Die reiche Ausstattung mit Altären, der kunstvoll gestalteten Kanzel und 100 Emporenreliefs ist Zeugnis des unermesslichen Reichtums, den die Silberminen Sachsen zu jener Zeit beschert haben.

    "Wir stehen jetzt vor dem Hochaltarretabel der Annenkirche in Annaberg und das ist ein hervorragendes Beispiel des Schaffens des Hans Daucher. Die Fugger, als Investoren waren die hier tätig und aus Augsburg, wo die herkommen, stammt auch der Bildhauer dieses großartigen Werkes. Wir sehen da selbstverständlich die biblischen Szenen mit Anna, mit Joachim und das ist ein Paradebeispiel selbstverständlich auch mit heraldischer Ausstattung. Also diese zwei Engelchen, die halten zwei Wappen, zum Einen Sachsens. Und zum Anderen der weiße Adler am roten Grund ist eben das polnische oder jagiellonische Wappen."

    Beweis für die außergewöhnlich einflussreiche Stellung der Bergleute in der Stadt ist der Bergaltar. Er steht rechts vom Hauptaltar, wo anderenorts jener für die Elite der Münzer seinen Platz hat. Auf ein Kleinod auf dessen Rückseite macht Fajts Leipziger Forscherkollege Markus Hörsch aufmerksam:

    "Dieser Altar hier, der zeigt wirklich auf seiner Rückseite die ausführlichste Bergbaudarstellung, die man außerhalb der Buchmalerei finden kann. Es gibt eine ganz kleine Andeutung in der Mitte auf eine Gründungslegende von Annaberg mit dem lustigen Herrn Knappius, der das Gold finden soll und dafür auf irgendeinen Baum steigt und das dort sucht. Dann kommt aber der Engel und sagt: Nee, da musst Du nicht suchen. Du musst unten suchen."

    Äußerst detailgetreu zeigt das Bild des Künstlers Hans Hesse alle Schritte der Silbergewinnung von der Erschließung eines neuen Bergwerkes, den einfahrenden Bergleuten über Silberwäscher und Schmelzer bis hin zur Münzprägung. Der Bergbau, der über Jahrhunderte die Region geprägt hat, ist mittlerweile zum Erliegen gekommen. Dafür haben sich in der Lausitz, im 130 Kilometer nordöstlich gelegenen Kamenz, bis heute Traditionen erhalten, die auf die Zeit der Jagiellonen zurückgehen. König Wladislaw II. hatte hier 1493 ein Franziskanerkloster gegründet. Diese in der Region einzige herrschaftliche Stiftung setzte er jedoch nicht ohne den Widerstand der Stadtväter durch, wie Stadtarchivar Thomas Binder beim Öffnen einer der Schauvitrinen erklärt. Darin befindet sich die mit dem roten Siegel versehene Urkunde des Königs:

    "Das war wie ein großes Pokerspiel damals vonseiten der Stadt. Man hat versucht, natürlich auch diesen Klosterbau für sich selbst zu nutzen und man hat sich erst einmal schwergetan, diese Mönche zu sich zu nehmen. Und dann meinte der König: Na gut, in dem Falle gebe ich Euch was, ein Privileg, den Fleischmarkt abzuhalten. Und dieser Fleischmarkt von 1507 ist eigentlich der Tag, an dem der Markt abgehalten wird. Also dieser Donnerstag ist seit dieser Zeit der Markttag in Kamenz, seit über 500 Jahren."

    In der Klosterkirche befinden sich bis heute wertvolle von den Jagiellonen gestiftete Kunstwerke. Sie werden derzeit in einer Sonderschau präsentiert. Auch in mehreren anderen Städten Brandenburgs und Sachsens erinnern zurzeit Ausstellungen an die mächtige Dynastie. Die größte ist im Potsdamer Haus der brandenburgisch-preußischen Geschichte zu sehen. Die Kuratoren Jiri Fajt und Markus Hörsch haben 90 Exponate aus dem Herrschaftsgebiet zusammengetragen, darunter Werke von Stoß, Dürer und Cranach. Zu den künstlerischen Highlights gehört auch eine knapp 50 Zentimeter große Darstellung der Heiligen Barbara aus dem Jahr 1490.

    "Es wird – ohne dies zu übertreiben – zu den schönsten Goldschmiedekunstwerken Mitteleuropas gezählt. Zu Recht. Das weist darauf hin, wie wohlhabend der der Auftraggeber gewesen sein muss."

    Die Ausstellung Europa Jagellonica im Haus der Brandenburg-Preußischen Geschichte

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