Zutiefst erschüttert, können sie nur ein Chaos von Strichen und Farben erkennen. Die Enttäuschung auf ihren Gesichtern zu erkennen treibt Frenhofer in Wahnsinn und Tod. Es ist diese Erzählung, die den Kunsthistoriker Hans Belting - der vor allem durch sein enzyklopädisches Werk "Bild und Kult" bekannt geworden ist - zu seinem neuen Buch inspiriert hat. "Das unsichtbare Meisterwerk: Die modernen Mythen der Kunst" ist selbst eine große Erzählung geworden. Sie beginnt um 1800, dem Zeitalter der ersten Museen, und endet, man glaubt es kaum, im Kino. Von der sixtinischen Madonna über den Faust, von Rodins "Höllentor" bis zur Pop Art spannt sich Beltings Geschichte des Werkbegriffs. Sie kreist um ein Problem, das auch Nicht-Künstlern bekannt ist: das schon von Freud beschriebene "Scheitern am Erfolg", die Depression, die der Preis dafür ist, daß man versucht hat, einen Tagtraum in die materielle Realität herabzuzerren, wo nicht als ein Abklatsch von ihm bleibt. Wie zwingt man einem Stein, einer Leinwand, einem Stück Stahl seine Idee auf, ohne diese dabei zu verraten?
In engagierter, zum Plaudern aufgelegter Prosa beschreibt Belting, zu welchen herkulischen Anstrengungen, welchen Tricks und Grübeleien dieses Problem Künstler von Rodin bis Rauschenberg trieb - und wie wir, ihr Publikum, ihnen dabei mit Mythenbildung und Ehrfurchtsbekundungen sekundiert haben.
Es liegt auf der Hand, daß das Problem des unsichtbaren Meisterwerks, der absoluten Kunst, erst auftrat, als die Kunst autonom wurde. Solange das religiöse Sujet oder die Bedürfnisse eines Mäzens das Werk bestimmten, dachte niemand an "absolute Kunst". Das Absolute, Vollkommene war das Göttliche. Höchstes Ziel der Künstler war das Erfüllen eines Regelwerks, das für jedes Bildthema feststand, besonders natürlich für die religiöse Ikonographie.
In der Aufklärung stand dann statt des Göttlichen die Idee im Vordergrund: Freie Menschen und große Ideale würden auch klassische Kunst hervorbringen. Kunst war, was nicht für einen Zweck existiert. Erst das reine Vergnügen macht den Menschen zum Menschen.
Dieser "Kult der Idee" wich dann dem "Kult des Werks". Mit der Einrichtung von Museen setzte das Paris der Französischen Revolution ein weithin austrahlendes Zeichen: Kunst wurde hier nicht präsentiert als das Resultat göttlicher Gnade, auch nicht als Ergebnis pedantischer akademischer Regelbeherrschung und auch nicht einfach einer Idee vom besseren Menschen, sondern als das Produkt eines einsamen Schöpfers. In diesem Wandel sieht Belting die Geburt der modernen Kunst. In dem Moment, in dem diese einsamen Schöpfer ihre Arbeiten der Öffentlichkeit präsentierten, war auch die Werksidee geboren, die Belting durch zwei Jahrhunderte der Kunstgeschichte verfolgt. Aufgehängt in einem Museum, - statt, wie Heidegger einmal bedauernd feststellte, in einer Kathedrale -, wurde die Kunst von ihren traditionellen Aufgaben entlastet und sah sich plötzlich auf sich selbst verwiesen. Die Kunstgeschichte wird auf einmal zum Sujet. Monsieau malt den Tod Raffaels, Ingres des des Leonardo da Vinci, Delacroix malt den alten Michelangelo. Diese Retrospektiven führen geradewegs in die erste große Krise der modernen Kunst: Für Cézanne und Rodin ist das "Werk" nur noch als fortgesetzter Entwurf denkbar, als permanente, unabschließbare Jagd nach der noch unentdeckten Form. Der Torso wird zu ihrem Symbol. So weit, so plausibel. Die Meistererzählung, die dann folgt, also die eigentliche Geschichte der modernen Kunst, hat allerdings leider etwas irritierend Einfaches. Belting hat sich von der postmodernen Skepsis gegenüber dieser Form der Geschichtsschreibung nicht irritieren lassen, was seinem Unternehmen auf die Dauer eher geschadet als genutzt hat. Die Geschichte stellt sich nämlich, hat man sich einmal durch die 551 Seiten gekämpft, als folgende heraus: Die Kunst war solange noch mit sich eins, wie das Göttliche ihr als das Absolute galt. Der Preis für die Autonomie von der Religion war der stete Kampf zwischen Idee und Material. Dieser Kampf findet seine schärfste Zuspitzung mit dem Zerfall der Kunst in Konzeptkunst, bei der nurmehr die Idee gefeiert wird, auf der einen Seite und Objektkunst, bei der lediglich das Material zählt, auf der anderen Seite.
Die Künstler zu Beginn der Moderne, also Rodin oder Cézanne, waren noch Helden dieses Kampfes, weil sie, wie eben Balzacs Frenhofer, noch bereit waren, an ihm zu zerbrechen. Ihre Nachfahren - die Duchamps, die Warhols und die Shermans - sind demgegenüber eigentlich nur noch hilflose Epigonen, denen nichts bleibt als die Zitatkunst. Belting schreibt: "Ein Werk alter Art war ein Bekenntnis gewesen. Bekenntnisse aber werden rar, wenn niemand mehr an sie glaubt. Der Verlust des Werks steht in demselben Zusammenhang, in dem sich der Verlust der Tragödie ereignet hat. Werke konnten auch scheitern, während Simulationen dies nicht können: Sie müssen nicht vom Künstler mit seiner ganzen Existenz verantwortet werden. (...) Werke waren nicht nur Leistungen der Malerei, sondern Zeugnisse der Kultur."
Das sind sie heute offenbar nicht mehr. Wo der Kunst die große, alles verbindende Idee abhanden gekommen ist, die stets mächtiger war als sie selbst, kreist sie seit der Aufklärung nur noch um die eigene Achse. Sie sucht im Werk verzweifelt die Idee der Kunst selbst und muß immer wieder aufs Neue an der schnöden Materialität der Umsetzung scheitern. Wir kennen die Abwärtskurve, die Beltings Erzählung nimmt, aus unzähligen anderen Erzählungen, wie sie gegenwärtig kursieren, die auch allesamt vom Authentischen, vom Heiligen und Magischen ins Banale führen: Früher sprachen die Menschen noch miteinander, heute sehen sie höchstens zusammen fern. Früher wurde noch gelesen, heute schaut man sich Bilder im Internet an. Wo früher die Gemeinschaft zählte, gibt es heute nur noch die vereinzelte Großstadtmonade, die nicht mehr weiß, wo sie hingehört. Hinter diesen melancholischen Abschiedsgesängen schwebt vage ein Bild von den besseren Tagen der Menschheit, den Tagen beispielsweise, in denen es überhaupt noch keine Kunst gab, und in denen die Religion allein völlig ausreichte.
Beltings Kunstgeschichte trägt schwer an der Last ihrer hegelianischen Überzeugungen: daß nämlich die wahre Kunst etwas Vergangenes ist und daß der Tag kommen wird, an dem sie sich endgültig dem Absoluten Geist anverwandelt, dessen niedrigste Verkörperung sie einmal war. Nun läßt sich schwerlich etwas gegen die Feststellung einwenden, die Kunst werde immer intellektueller, immer philosophischer. Wer heute beispielsweise durch die Kunstmeile in der Berliner Auguststraße geht, trifft kaum je auf Malerei - dieser hängt schon fast der Ruch des Obszönen an - sondern eben tatsächlich meist auf komplizierte Konzept- und Postkonzeptkunst. Aber man kann auf diese Erkenntnis auf zweierlei Arten reagieren. Man kann, wie Nietzsche, versuchen, hinter den Ursprung der Kunst zurück zum Magischen zu gelangen, zum Ritual, zur okkulten Feier, bei der im Moment der höchsten Ekstase Gott den Menschen erscheint. Dies versuchen Performance-Künstler, die mit Blut, Knochen oder Selbstverletzungen arbeiten wie der inzwischen verstorbene amerikanische Künstler Bob Flanigan, der sich in seinen Ausstellungen an Infusions- und Dialysegeräte anschließen ließ. Man kann aber auf die Erkenntnis, daß Kunst und Philosophie immer mehr in eins fallen, auch mit Erleichterung reagieren: dann sind dem Erfindungsreichtum beider Seiten ja keine Grenzen mehr gesetzt. Wenn die Philosophie keinem Wahrheitsanspruch mehr unterliegt, kann sie Kunstwerk werden. Wenn die Kunst mit der Philosophie identisch ist, hat sie von ihr nichts mehr zu fürchten. Leider hat Hans Belting den Freiheitsgewinn, der in der von ihm beschriebenen Entwicklung liegt, nicht sehen können. Deshalb können auch solche Werke wie Gerhard Richters Stammheim-Zyklus, bei dem politische wie ikonographische Motive ins Spiel kommen, ebenso wenig gewürdigt werden wie die Erinnerungs-Installationen des russischen Künstlers Ilya Kabakov, die sich um einen Werkbegriff einfach nicht scheren. Die Zeit nach dem Ende der Kunst ist eine große Zeit für die Kunst, und da spielt es gar keine Rolle, daß es nicht immer eine Zeit für große Kunst ist.
In engagierter, zum Plaudern aufgelegter Prosa beschreibt Belting, zu welchen herkulischen Anstrengungen, welchen Tricks und Grübeleien dieses Problem Künstler von Rodin bis Rauschenberg trieb - und wie wir, ihr Publikum, ihnen dabei mit Mythenbildung und Ehrfurchtsbekundungen sekundiert haben.
Es liegt auf der Hand, daß das Problem des unsichtbaren Meisterwerks, der absoluten Kunst, erst auftrat, als die Kunst autonom wurde. Solange das religiöse Sujet oder die Bedürfnisse eines Mäzens das Werk bestimmten, dachte niemand an "absolute Kunst". Das Absolute, Vollkommene war das Göttliche. Höchstes Ziel der Künstler war das Erfüllen eines Regelwerks, das für jedes Bildthema feststand, besonders natürlich für die religiöse Ikonographie.
In der Aufklärung stand dann statt des Göttlichen die Idee im Vordergrund: Freie Menschen und große Ideale würden auch klassische Kunst hervorbringen. Kunst war, was nicht für einen Zweck existiert. Erst das reine Vergnügen macht den Menschen zum Menschen.
Dieser "Kult der Idee" wich dann dem "Kult des Werks". Mit der Einrichtung von Museen setzte das Paris der Französischen Revolution ein weithin austrahlendes Zeichen: Kunst wurde hier nicht präsentiert als das Resultat göttlicher Gnade, auch nicht als Ergebnis pedantischer akademischer Regelbeherrschung und auch nicht einfach einer Idee vom besseren Menschen, sondern als das Produkt eines einsamen Schöpfers. In diesem Wandel sieht Belting die Geburt der modernen Kunst. In dem Moment, in dem diese einsamen Schöpfer ihre Arbeiten der Öffentlichkeit präsentierten, war auch die Werksidee geboren, die Belting durch zwei Jahrhunderte der Kunstgeschichte verfolgt. Aufgehängt in einem Museum, - statt, wie Heidegger einmal bedauernd feststellte, in einer Kathedrale -, wurde die Kunst von ihren traditionellen Aufgaben entlastet und sah sich plötzlich auf sich selbst verwiesen. Die Kunstgeschichte wird auf einmal zum Sujet. Monsieau malt den Tod Raffaels, Ingres des des Leonardo da Vinci, Delacroix malt den alten Michelangelo. Diese Retrospektiven führen geradewegs in die erste große Krise der modernen Kunst: Für Cézanne und Rodin ist das "Werk" nur noch als fortgesetzter Entwurf denkbar, als permanente, unabschließbare Jagd nach der noch unentdeckten Form. Der Torso wird zu ihrem Symbol. So weit, so plausibel. Die Meistererzählung, die dann folgt, also die eigentliche Geschichte der modernen Kunst, hat allerdings leider etwas irritierend Einfaches. Belting hat sich von der postmodernen Skepsis gegenüber dieser Form der Geschichtsschreibung nicht irritieren lassen, was seinem Unternehmen auf die Dauer eher geschadet als genutzt hat. Die Geschichte stellt sich nämlich, hat man sich einmal durch die 551 Seiten gekämpft, als folgende heraus: Die Kunst war solange noch mit sich eins, wie das Göttliche ihr als das Absolute galt. Der Preis für die Autonomie von der Religion war der stete Kampf zwischen Idee und Material. Dieser Kampf findet seine schärfste Zuspitzung mit dem Zerfall der Kunst in Konzeptkunst, bei der nurmehr die Idee gefeiert wird, auf der einen Seite und Objektkunst, bei der lediglich das Material zählt, auf der anderen Seite.
Die Künstler zu Beginn der Moderne, also Rodin oder Cézanne, waren noch Helden dieses Kampfes, weil sie, wie eben Balzacs Frenhofer, noch bereit waren, an ihm zu zerbrechen. Ihre Nachfahren - die Duchamps, die Warhols und die Shermans - sind demgegenüber eigentlich nur noch hilflose Epigonen, denen nichts bleibt als die Zitatkunst. Belting schreibt: "Ein Werk alter Art war ein Bekenntnis gewesen. Bekenntnisse aber werden rar, wenn niemand mehr an sie glaubt. Der Verlust des Werks steht in demselben Zusammenhang, in dem sich der Verlust der Tragödie ereignet hat. Werke konnten auch scheitern, während Simulationen dies nicht können: Sie müssen nicht vom Künstler mit seiner ganzen Existenz verantwortet werden. (...) Werke waren nicht nur Leistungen der Malerei, sondern Zeugnisse der Kultur."
Das sind sie heute offenbar nicht mehr. Wo der Kunst die große, alles verbindende Idee abhanden gekommen ist, die stets mächtiger war als sie selbst, kreist sie seit der Aufklärung nur noch um die eigene Achse. Sie sucht im Werk verzweifelt die Idee der Kunst selbst und muß immer wieder aufs Neue an der schnöden Materialität der Umsetzung scheitern. Wir kennen die Abwärtskurve, die Beltings Erzählung nimmt, aus unzähligen anderen Erzählungen, wie sie gegenwärtig kursieren, die auch allesamt vom Authentischen, vom Heiligen und Magischen ins Banale führen: Früher sprachen die Menschen noch miteinander, heute sehen sie höchstens zusammen fern. Früher wurde noch gelesen, heute schaut man sich Bilder im Internet an. Wo früher die Gemeinschaft zählte, gibt es heute nur noch die vereinzelte Großstadtmonade, die nicht mehr weiß, wo sie hingehört. Hinter diesen melancholischen Abschiedsgesängen schwebt vage ein Bild von den besseren Tagen der Menschheit, den Tagen beispielsweise, in denen es überhaupt noch keine Kunst gab, und in denen die Religion allein völlig ausreichte.
Beltings Kunstgeschichte trägt schwer an der Last ihrer hegelianischen Überzeugungen: daß nämlich die wahre Kunst etwas Vergangenes ist und daß der Tag kommen wird, an dem sie sich endgültig dem Absoluten Geist anverwandelt, dessen niedrigste Verkörperung sie einmal war. Nun läßt sich schwerlich etwas gegen die Feststellung einwenden, die Kunst werde immer intellektueller, immer philosophischer. Wer heute beispielsweise durch die Kunstmeile in der Berliner Auguststraße geht, trifft kaum je auf Malerei - dieser hängt schon fast der Ruch des Obszönen an - sondern eben tatsächlich meist auf komplizierte Konzept- und Postkonzeptkunst. Aber man kann auf diese Erkenntnis auf zweierlei Arten reagieren. Man kann, wie Nietzsche, versuchen, hinter den Ursprung der Kunst zurück zum Magischen zu gelangen, zum Ritual, zur okkulten Feier, bei der im Moment der höchsten Ekstase Gott den Menschen erscheint. Dies versuchen Performance-Künstler, die mit Blut, Knochen oder Selbstverletzungen arbeiten wie der inzwischen verstorbene amerikanische Künstler Bob Flanigan, der sich in seinen Ausstellungen an Infusions- und Dialysegeräte anschließen ließ. Man kann aber auf die Erkenntnis, daß Kunst und Philosophie immer mehr in eins fallen, auch mit Erleichterung reagieren: dann sind dem Erfindungsreichtum beider Seiten ja keine Grenzen mehr gesetzt. Wenn die Philosophie keinem Wahrheitsanspruch mehr unterliegt, kann sie Kunstwerk werden. Wenn die Kunst mit der Philosophie identisch ist, hat sie von ihr nichts mehr zu fürchten. Leider hat Hans Belting den Freiheitsgewinn, der in der von ihm beschriebenen Entwicklung liegt, nicht sehen können. Deshalb können auch solche Werke wie Gerhard Richters Stammheim-Zyklus, bei dem politische wie ikonographische Motive ins Spiel kommen, ebenso wenig gewürdigt werden wie die Erinnerungs-Installationen des russischen Künstlers Ilya Kabakov, die sich um einen Werkbegriff einfach nicht scheren. Die Zeit nach dem Ende der Kunst ist eine große Zeit für die Kunst, und da spielt es gar keine Rolle, daß es nicht immer eine Zeit für große Kunst ist.