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Das Verhältnis zu den Juden normalisieren

Heute erscheint ein neues Buch von Papst Benedikt XVI. Seine Reflexionen werden vielen Menschen Impulse für ihr geistliches Leben geben, mehr aber auch nicht, meint Deutschlandfunk-Kirchenexpere Hartmut Kriege. Es werde allerdings für etwas Ruhe an der kirchenpolitischen Front sorgen, dass der Papst auf die Juden zugehe.

Hartmut Kriege im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Wenn der Papst selbst die Feder in die Hand nimmt und dies dann auch noch veröffentlicht, dann ist das schon eine sehr große Sache, nicht nur für die Kirchenwelt. Heute erscheinen die neuesten Reflexionen Benedikts über die Geburt Jesu und die Auferstehung. Und es gibt dafür jetzt schon Applaus von Israel. Bei uns im Studio ist nun Deutschlandfunk-Kirchenexperte Hartmut Kriege. Herr Kriege, wer hat dieses neue Buch geschrieben, der Papst oder Josef Ratzinger?

    Hartmut Kriege: Josef Ratzinger, Benedikt XVI., so lautet die offizielle Bezeichnung auf dem Cover des Buches, also Josef Ratzinger. Viele haben daraus geschlossen, dass er es als Privatmann geschrieben hat. Ist möglich, dass der Theologe Josef Ratzinger da zum Bleistift gegriffen hat, aber er ist nun halt der Papst, und von daher bekommt natürlich dieses Buch ein ganz anderes Gewicht, als wenn es vielleicht der Professor Ratzinger aus Tübingen schreiben würde.

    Müller: Sind solche Bücher wichtig?

    Kriege: Solche Bücher sind insofern wichtig, dass sie sicherlich Impulse hineingeben in, ich sage es jetzt mal etwas theologisch, geistliches Leben einer Glaubensgemeinschaft. Aber ich glaube, vom Fachlichen her, also wenn man mal in die Professorenriege schauen würde, die verschiedenen theologischen Disziplinen, dann ist das Buch nicht unbedingt notwendig, nein.

    Müller: Wird es Auswirkungen haben auf die Praxis der Kirche?

    Kriege: Nein, glaube ich nicht. Die Praxis der Kirche ist eine andere als die - dann müsste man 2.000 Jahre darauf gewartet haben, bis plötzlich diese Bücher von Josef Ratzinger Alias Benedikt XVI. erscheinen. Nein, nein, ich glaube nicht. Das ist eine persönliche Reflexion des Papstes, die ist sicherlich auch richtig und wird vielen Menschen Impulse und Anregungen geben für ihr geistliches Leben innerhalb der Glaubensgemeinschaft Katholische Kirche, aber ich denke, darüber hinaus nicht unbedingt.

    Müller: Gehen wir etwas konkreter, soweit wir das jetzt schon wissen, auf die Inhalte ein. Was hat der Papst auf dem Herzen?

    Kriege: Der Papst hat einmal auf dem Herzen, das ist ja auch schon durch die Presse gegangen, einmal das Verhältnis zu den Juden mehr zu normalisieren. Er schreibt in dem Buch, und das ist auch schon positiv in Amerika bei den großen Organisationen aufgegriffen worden, dass er eben nicht das jüdische Volk kollektiv verantwortlich macht für den Mord am Messias Jesus Christus, also dem Gründer des Christentums, sondern dass es darum geht, nach seiner Auffassung, dass da eine ganz bestimmte Clique von, sagen wir mal, Tempelhierarchen, also aus der Hierarchie des Judentums in Jerusalem, und Anhänger bestimmter revolutionärer Gruppen, dass die dafür gesorgt haben, dass diese Hinrichtung vonstatten geht.

    Müller: Ist dies in dieser Form neu?

    Kriege: Nein, neu würde ich gerade mal nicht sagen. Die Fachwelt hat immer schon, gerade die exegetische, sich darüber Gedanken gemacht, wie das ganze zusammenhängt. Aber interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es natürlich aus der Feder eines Mannes kommt, der vor einigen Jahren ja noch, Sie werden sich erinnern, die heiß umstrittene Fürbitte am Karfreitag - die großen Fürbitten in der Karfreitagsliturgie der Katholischen Kirche beschäftigen sich ja auch mit den Juden, und da heißt es dann noch im lateinischen Text, dass man für die "perfidi Judäi" betet, also die ungläubigen Juden. Da steckt noch das deutsche Wort perfid drin. Das ist natürlich nicht richtig übersetzt, so wie wir es jetzt im Ohr noch haben, aber ich denke, dass da er sozusagen noch mal einen Schritt zurückrudert und sagt, so war das alles nicht gemeint. Wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass wir eine sehr viel neutralere Formulierung in dieser Sache bekommen und dann vielleicht auch Ruhe an der liturgischen wie an der kirchenpolitischen Front eintreten wird.

    Müller: Sagt er, Hartmut Kriege, auch etwas über das Verhältnis, über die Rolle der Muslime?

    Kriege: So weit nicht, weil die Muslime natürlich erst mal nicht im Blickfeld von ihm direkt sind, weil das Christentum ja aus dem Judentum entstanden ist, sozusagen als Sekte, würden wir es modern sagen, was ja auch nicht so stimmt, aber eine häretische Gruppe, die im Judentum entstanden ist und von da aus sich entwickelt hat. Also für ihn geht es speziell und schwerpunktmäßig immer mehr um dieses Verhältnis, wo kommt dieses Christentum her, wo geht das Christentum hin, und das ist auch die zweite große Sorge, die sich in dem Buch ausdrückt: Wird dieses Christentum auch noch die nächsten Jahrhunderte überleben. Darum geht es dort.

    Müller: Sie verfolgen, Hartmut Kriege, ja ganz genau seit vielen, vielen Jahren Josef Ratzinger und auch den Papst Benedikt XVI. In Personalunion ist das ja seit Jahren inzwischen. Jetzt sind viele von außen immer daran interessiert, wie kann man den einordnen. Ist er liberaler geworden?

    Kriege: Nein. Ich denke, die Worte liberal oder konservativ und so oder progressiv greifen da eigentlich zu kurz, denn das sind Schlagworte und irgendwelche Ismen, die man sich da heranzieht. Ich glaube nicht. Josef Ratzinger ist sich über all die Jahre hinweg als Theologe sehr treu geblieben. Er ist - man sagt zwar immer, es gab einen jungen Ratzinger, der war sehr viel liberaler. Weiß ich nicht. Der junge Ratzinger hat auch vor 30 Jahren beziehungsweise 40 Jahren geschrieben. Das war eine andere Zeit, die hat sich verändert. Aber er hat sich insofern weiterentwickelt, dass er natürlich die Strömungen innerhalb der Kirche und der Gesellschaft aufmerksam verfolgt. Aber sagen wir mal, die Lösungen, die er anbietet, vorsichtig gesagt, die Lösungen sind natürlich auch die, die er vor 30 Jahren auch schon parat hatte.

    Müller: Heute erscheint das neue Papstbuch. Vielen Dank. Bei uns im Studio Hartmut Kriege.