Elisabeth Bronfens Opus magnum "Das verknotete Subjekt" ist ein schlagendes Beispiel dafür. Nahezu 800 Seiten werden noch einmal dem Sujet der Hysterie in der Moderne gewidmet, das seit über 30 Jahren für den Feminismus gewissermaßen zum Paradebeispiel dafür geworden ist, wie eine männlich dominierte Psychologie und Psychiatrie den Ausdruck weiblichen Wünschens gnadenlos der klinischen Kränkung überantwortet hat. Auch Bronfens Studie schreibt sich in die Tradition dieser Rehabilitierung der Sprache der Hysterie als "unerhörte Botschaft" ein - wie der Lacan-Schüler Lucien Israel es genannt hat. Sie untersucht medizinische Diskurse und kulturelle Inszenierungen dieser rätselhaften, in ihren Symptomen ständig mutierenden psychosomatischen Störung, die oft als Inszenierung einer abgefeimten Simulatin, Betrügerin oder Verführerin desavouiert wurde. In psychiatrischen und psychoanalytischen, vor allem aber in literarischen Texten, in Opern, Filmen und in der bildenden Kunst verfolgt Bronfen die Spur eines scheinbaren Nichts, die für sie decodierbar wird als Botschaft einer "Verwundbarkeit": "Wenn traditionelle Hysteriekonzeptionen nach wie vor an der Vorstellung des Viel-Lärm-um-nichts festhalten, so schlage ich vor, dieses `Nichts' und die flexiblen Selbstentwürfe ganz ernst zu nehmen und sie als eine Sprache aufzufassen, die es dem Subjekt erlaubt, sowohl persönliches als auch kulturelles Unbehagen zum Ausdruck zu bringen. [...] Der Hysteriker verkündet die Botschaft der Verwundbarkeit - die Verwundung des Symbolischen [...]; die Verwundung der Identität [...]; aber - womöglich vor allem - die Verwundbarkeit des Körpers angesichts der eigenen Veränderlichkeit und Sterblichkeit."
Zugegeben: Es gibt noch viel aufzuarbeiten. Gerade ist auf deutsch Georges Didi-Hubermans Studie über die "Erfindung der Hysterie" durch die photographischen Praktiken in der Salpêtrière erschienen, derjenigen Pariser Klinik, in der Charcot, Freuds Lehrer, Ende des 19. Jahrhunderts das Syndrom der Hysterie durch systematische Photodokumentation der Anfälle seiner Patientinnen wie ein Künstler schuf. Daneben wirft die ebenfalls jüngst übersetzte Studie von Mikkel Borch-Jacobson über Freuds Fall "Anna O." ein sensationell neues Licht auf die kulturelle Inszenierung der Hysterie um 1900, indem sie ebenfalls auf die medizinische Induktion des Phänomens verweist und eine der berühmtesten Patientinnen als Profiteurin dieses kollektiven Medienspektakels entlarvt. Darüber hinaus hat sich das Interesse der Forschung auch über die Highlights der Salpêtrière und der Freudschen Couch hinaus auf den medizinischen Alltag der Verwaltung einer Geschlechterordnung um 1900 verlagert. Dorion Weickmanns Essay zu diesem Thema hat vor allem auf die Stereotypen von "Vampir" und "Kindfrau" aufmerksam gemacht, um zugleich den Weg nach unten nachzuzeichnen, den diese soziale Krankheit innerhalb der Klassengesellschaft durchläuft. Interessant dabei ist nicht nur die Rolle der Massenmedien wie Presse und Film, sondern auch das von Weickmann besonders betonte Übergreifen der Symptome auf das sogenannte starke Geschlecht, das sich im Sinne der sozialhygienischen Ideologie der Epoche zugleich bedroht sieht durch die Begegnung mit der weiblichen Triebhaftigkeit auf dem Schauplatz der Prostitution als auch auf demjenigen der kinematographischen Schaulust.
Der Ansatz der Züricher Anglistin und Amerikanistin Elisabeth Bronfen verdankt sich mehr oder minder explizit dieser gerade im angelsächsischen Bereich aktuellen Neulektüre der Modefrauenkrankheit des Fin-de-siècle. Indem sie sich noch einmal dem Grund für die ambivalente Faszination dieser schillernden Doppelerscheinung zuwendet, schlägt sie aber neue Wege ein. Der Akzent, den sie auf das Motiv der Verletzung beziehungsweise der Wunde legt, soll zugleich ablenken vom gängigsten Vorurteil über Hysterie, nämlich dem Monokausalismus des Sexuellen und genauer noch des weiblichen Komplexes als Mängelwesen gegenüber dem männlichen Geschlecht. Bronfen wiederholt zwar die traditionelle These vom traumatischen Erlebnis, das sich im verschlungenen Knoten der hysterischen Symptomatisierungen niederschlägt, sie siedelt diesen aber in einem allgemeineren Erlebnisfeld menschlicher Existenz an, als es ihrer Ansicht nach die Sexualität und besonders das männliche Primat derselben wäre. Und vor allem greift sie weiter zurück auf das Trauma aller Traumata, dasjenige nämlich der Geburt, das sich in den Körper eingeschrieben hat an der Stelle, wo er seine Mitte als zugleich exzentrierte erfährt, nämlich am Nabel: "Der Nabel steht einerseits für eine Verwundung des Neugeborenen, verweist aber zugleich auf die Trennung von der überwältigenden Unversehrtheit des pränatalen mütterlichen Körpers und verknüpft somit die durch den Verlust herbeigeführte Verwundbarkeit mit der Ermächtigung ..."
In diesem Sinne heißt die Losung des Buches (nach dem griechischen Ausdruck für Nabel): Omphalus statt Phallus, Anerkennung des Mangels als reales Gesetz des Mangels statt symbolische Kastration. Elisabeth Bronfen geht sogar soweit, am Nabel das Gedächtnis einer Urwunde zu verorten, das in der paradigmatischen Form der Verknotung das Subjekt als Abschirmung gegen den Urschnitt erscheinen läßt. Es geht aus einer ursprünglichen Abspaltung oder Abnabelung vom mütterlichen Ursprung hervor, die alles sexuelle Begehren nur als nachträgliche Deckphantasie erweist; so wie die hysterische Inszenierung als omphalische aller symbolischen Repräsentation vorweggeht: "Das verknotete Subjekt, das in der Sprache der Hysterie zum Ausdruck kommt, verknüpft Erinnerungsketten, Phantasien und somatische Symptome miteinander, die aus der Abnabelung hervorgehen, mit der der psychische Prozeß jede Repräsentationsarbeit gegen eine ursprüngliche Lücke abgrenzt."
Diese archetypische Verwundung des Nabeltraumas wird von den modernen kranken Frauen eigentlich immer schon mit den Männern geteilt. Mann und Frau haben eine gemeinsame Wunde, die auch als gemeinsame Narbe bleibt, der Nabel, um den sich auch alles in der Hysterie dreht. Vielleicht ist diese Entdifferenzierung auf dem geschlechtlichen Schauplatz dessen, was im Sinne der reinen Verhaltensnormen neuerdings als Gender bezeichnet wird, die eigentliche Wurzel für die vehement durchgehaltene Desexualisierung des Problemfeldes. Elisabeth Bronfen ist allerdings raffiniert genug, die Beschreibung ihrer allgemein menschlichen Nabelschau wiederum den Merkmalen des Geschlechtes zu unterwerfen, das - nach den Worten der belgischen Feministin Luce Irigaray - nicht eines ist.
Der Nabel als Wunde des Verlustes und als Verbindungspunkt des Ursprungs ist nämlich Modell einer perfekten Simulation, die Vortäuschung einer erogenen Öffnung, in die man nicht eindringen kann, die nirgendwohin führt und als Loch nichts ist: ein Nichts, das doch etwas bewirkt, die Verknotung der Abwesenheiten zur uneigentlichen Repräsentation all der Nicht-Ereignisse, Nicht-Orte, Nicht-Körper zu dem, was Subjektivität heißt, also: Viel Lärm um nichts. Die Unentscheidbarkeit zwischen Öffnung und Abdichtung siedelt gleichsam das menschliche Subjekt auf dem Feld einer Aporie an, das heißt einer Weg- und Steglosigkeit, für die der Knoten eines der ältesten Sinnbilder von Rätselhaftigkeit ist.
Elisabeth Bronfen spricht sinnbildlich auch vom subjektiven Schauplatz einer "omphalischen Krypta", deren Raum hysterischer Verknotungen ein traumatisches Genießen des verlorenen Ursprungs und der daraus resultierenden Vergänglichkeit beziehungsweise Veränderbarkeit jenseits des väterlichen-phallischen Gesetzes gewähren soll. Demgegenüber sind alle Versuche zum Scheitern verurteilt, die das Unentscheidbare des omphalischen Ursprungs durch den gordischen Gewaltstreich einer im Zeichen des Phallus stehenden Geschlechterdifferenz lösen wollen. Am Anfang steht dabei natürlich der Fundamentalmythos abendländischer Subjektivität, nämlich König Ödipus. Bronfens Buch diagnostiziert hier gewissermaßen den Urknoten zwischen Phallus und Omphalus in der traumatischen Gestalt des gescheiterten Muttermordes. Ödipus, der wie alle Hysteriker - mit Wagner gesprochen - "des Wissens bar, doch des Wunsches voll" ist, will Vater- durch Muttermord sühnen, scheitert aber an der Ohnmacht, den eigenen Ursprung auszulöschen: Jokaste tötet sich selbst und zwingt damit Ödipus zur Anerkennung seiner Sterblichkeit, deren mütterlichen Ursprung er im Akt der Selbstblendung als nachträgliche Selbstkastration eben nicht einholen kann.
Damit hat die Autorin das Grundthema vom fundamentalen Verlust des mütterlichen Körpers und seine nachträgliche ödipale Symptom-Repräsentation als sexuell kastrierte und als dämonische Frau vorgegeben, das sie mit viel Gespür für originelle Zusammenhänge und einem in bester angelsächsischer Tradition stehenden close reading durch diverse Beispiele der Wissens- und Unterhaltungskultur durchkonjugiert. Der Parcours beginnt mit einer erhellenden Interpretation von Hitchcocks "Psycho" als Drama gescheiterter Abnabelung. Norman, der Psychopath im einsamen Motel, der die Leiche seiner Mutter im Keller bewahrt und in einer der legendärsten Szenen der Filmgeschichte die ahnungslos duschende junge Frau Marion im Badezimmer niedersticht, hat das Trauma von Geburt und Trennung nie überwinden können. Der Film visualisiert den traumatischen Kern der gerade im Mord sich zur Identifikation sich verknotenden Mutterbeziehung, die eine sexuelle Dimension der Duschszene nachgerade ausschließt: "Normans Konservierung eines Bandes, das zweimal durchtrennt wurde - erst durch die Geburt und dann durch den Muttermord, als er seine Mutter erstach und damit die Nabelschnur erneut durchtrennte -, hält die traumatische Erschütterung am Leben."
Daß diese Szene nicht einfach nur als ein Phantasieszenarium sexueller Penetration gedeutet werden kann, sondern auch als eine Rückkehr zu der traumatischen Erschütterung durch einen früheren Schnitt gelesen werden muß, veranschaulicht ein aufschlußreiches Detail. Ein einziges Mal wird gezeigt, wie das Messer tatsächlich auf Marion einsticht, und dabei ist die Klinge bezeichnenderweise nicht auf die Genitalien oder die Brüste gerichtet, sondern auf den Abdominalbereich unmittelbar über dem Nabel. Norman-Mutter, so könnte man sagen, möchte Marion nicht einfach nur töten, sondern er möchte sie genau an jener Stelle penetrieren, an der sie selbst zur Mutter werden kann."
Elisabeth Bronfen präsentiert damit eine schlüssige Rekonstruktion des Wahngebildes in Hitchcocks "Psycho", und dennoch bleibt für den Leser ein Problem: Das omphalische Interpretationsmodell des fundamentalen Mutterkonflikts beschreibt faszinierend genau ein Krankheitssyndrom, das gemeinhin Psychose heißt. Wo aber bleibt die neurotische Hysterie? Man kann viel über den Psycho Norman sagen, aber eins ist er gewiß nicht, nämlich Hysteriker. Freud, dessen traumatischer Ätiologie hysterischer Symptome sich Bronfen zentral zuwendet, hat einmal die Grenze zwischen Neurose und Psychose klar bestimmt: Der Neurotiker verdrängt seinen Wunsch und verwandelt ihn in Symptome, um sich der Realität anzupassen, während der Psychotiker die Realität verdrängt, um an ihre Stelle die Wahnwelt seiner Wünsche zu setzen. In diesem Sinne ist man mit anderen Beispielen des Buches für Hysterie besser bedient, wie Woody Allens "Zelig", Flauberts "Madame Bovery" oder Wagners "Parsifal" mit seiner, den Leidensschrei von Mozarts Zauberflöte fortsingenden Figur der Kundry. Hier wird kein Dolch gegen mütterliche Abdominalbereiche gezückt, sondern konvertiert das traumatische Wissen des Wunsches brav in subjektive körperliche Störungen, die Freud über eine symbolische Lesart wieder in die Ordnung der Dinge zurückzuholen wußte.
Leider verzichtet die Autorin darauf, ihren Gebrauch der Hysterielehre im Zusammenhang der psychoanalytischen Psychopathologie zu diskutieren. Dabei hätte es nahegelegen, zum Beispiel Freuds lebenslange Ablehnung der Psychose als psychoanalytisch unbehandelbare Grundstörung einmal näher unter die Lupe zu nehmen, denn hier gärt der Kernkonflikt des mütterlichen Bandes und der schizoiden, das heißt durch Spaltung statt durch Verdrängung gekennzeichneten Abnabelungsdramen. Irritierenderweise wird auch die Freudschülerin Melanie Klein nicht genannt, die sich gerade mit ihrer Fokussierung der präödipalen primär-psychotischen Dramatik der Mutter-Kind-Dyade einem radikalen Häresieverdacht ausgesetzt hat. Zu erwarten gewesen wäre auch eine Auseinandersetzung mit dem gleichfalls Freuds Mißtrauen erweckenden Buch von Otto Rank "Das Trauma der Geburt", in dem Bronfens Ansatz in manchen Aspekten vorbereitet wird.
Bei fortschreitender Lektüre kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es bei den Verwirrungen der Nabelschnur zu Knoten eines traumatischen Realen mehr um Mechanismen geht, wie sie zum Beispiel Lacan als Verwerfung des Symbolischen bezeichnet hat: das heißt eine Nicht-Anerkennung des väterlichen Gesetzes, das folglich durch paranoische Projektionen im Außen realer Erscheinungen wiederauftaucht. Was Bronfen selbst als "Phantomisierung des Anderen" diagnostiziert, entspricht diesem Phänomen, für das sie in einem anderen Dokument der Zeit Freuds, nämlich in Schrebers "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken", sicherlich viele Nabelknoten hätte finden können. Es scheint, als habe sich die Autorin in ein szientifisches Selbstmißverständnis verstrickt, das sie zum Beispiel aus Ann Radcliffs und Bram Stokers Schauerromantik oder aus Cronenbergs Horrorfilmen Belege für eine Geschichte der Hysterie zitieren läßt, die vielmehr einen psychotischen Zerfall der Realität beziehungsweise deren Bevölkerungen mit den Phantomen eines wahnhaften Subjekts demonstrieren. Was nicht heißt, daß sich in Draculas Geschichte nicht auch genug hysterische Züge zum Beispiel in den Wundmalen der weiblichen Opfer finden lassen. Nur zeichnen diese sich auf einem anderen Schauplatz ab als die bezeichnenderweise von den männlichen Protagonisten getragenen paranoischen Projektionen der untoten Wiedergänger. Die hysterische Konversion von Erlebnissen in körperlich inszenierte Zeichen ist dagegen eine "Krankheit durch Repräsentation", wie Bronfen vor allem mit Blick auf das psychiatrische Theater Charcots formuliert. Mit ihm kommt der Visualisierungsdrang der Mediziner zur höchsten Vollendung, indem er den hysterischen Körper zu einem "öffentlichen Spektakel" macht: "In Charcots Theater der lebenden Pathologie ließen sich die beiden Seiten des hysterischen Körpers endlos lesen und reproduzieren - die Körperoberfläche, die Haut sowie die Gesten, Posen, Gebärden, die den interpellierenden anderen ins Blickfeld ziehen. Das, was in Charcots Spektakel der hysterischen Körper bezeichnenderweise fehlte, war die Inversion der Visualität, also die psychische Topologie hinter der Körperoberfläche, welche die visuelle Untersuchung der Körperorgane nicht zu durchdringen vermag. Diesen invertierten Schauplatz sollte Freud untersuchen ..."
Freud ist derjenige, der zum ersten Mal zuhörte und seine analytische Arbeit an der Schnittstelle zwischen narrativer Repräsentation und stummer Bezeugung des Traumas ansiedelte. Aber auch hier macht Elisabeth Bronfen eine nachträgliche Deckfigur aus, die den eigentlichen Nabel der Verwundbarkeit verhüllt. Aus der Traumdeutung greift sie den Traum von Irmas Injektion heraus, um zu zeigen, wie in der psychoanalytischen Deutung das Leiden der Patientin hinter Freuds Erzählung verschwindet. Herzstück der Argumentation ist aber eine Rekonstruktion des Falls Emma Eckstein, die aufgrund ihrer hysterischen Symptome von Freuds Jugendfreund Fließ an der Nase operiert wurde und an einem Operationsfehler beinahe verblutete. Statt an den wilden Spekulationen seines Freundes über den Zusammenhang von Hysterie und sexuellen Sensibilitäten der Nasenschleimhaut zu zweifeln, wählt Freuds Interpretation die Zuflucht zur Projektion und beschuldigt die Patientin, aus Liebe zu ihm zu bluten: Ein weiterer von Bronfen unbeabsicht geleisteter Beweis dafür, daß es eigentlich die Paranoia der Männer ist, die hysterische Frauen kreiert.
Vielleicht ist es die drastische Skrupellosigkeit, mit der Freud die Schuld seines Freundes auf das Opfer verschiebt und zugleich sein eigenes Leiden an Nasennebenhöhlenverstopfung in den Vordergrund drängt, die Elisabeth Bronfen gewissermaßen blind macht für die Symbolik der an der Nase von Emma Eckstein ausgetragenen geschlechtlichen Identitätskrise des Meisters selbst. Unhintergehbar bleiben in ihrem Buch aber durchweg zwei Grunddogmen: nämlich die Abkehr von der väterlichen Autorität sowie die von der darin begründeten Universalität des Sexuellen. Immer wieder wird der Gegensatz zwischen traumatischer und sexueller Ätiologie der Hysterie betont, der zumindest im Kontext Freuds irreführend falsch ist, da für Freud gerade die frühkindlichen sexuellen Erlebnisse traumatisch wirkten. Die Autorin fällt mit ihrer obsessiven Beschwörung der Ursprünglichkeit eines im Nabelknoten wurzelnden traumatischen Wissens um den Tod hinter die kopernikanische Wende Freuds zurück, der solche Nabelschauen seinerseits als Deckfiguren des tabuisierten Geschlechts dechiffriert hatte: als Verschiebungsleistung infantiler Sexualtheorien. Bronfens existenzialistischer Pathos ist aber - wie sie übrigens selbst gesteht - auch nur hysterische Inszenierung, die anläßlich der Interpretation von Hitchcocks Marnie die entsprechende Gender-Strategie der Maskerade verrät: "Die Hysterika macht diese sich selbst dekonstruierende Maskerade der Weiblichkeit und des Tochterdaseins zwar zu ihrem Symptom, doch sie glaubt weder an die Weiblichkeit noch an die Tochterrolle, die anzunehmen sie prekärerweise nicht umhinkann. Zugleich eignet sie sich aber auch die Männlichkeit an, um jene paternale Autorität zu unterminieren, an die sie sich mit ihrem Spiel wendet."
Voilà, das ist das Ziel, also nicht mehr die Anerkennung des Mangels als einer Art ontologischer Geworfenheit, sondern List eines Willens zur Macht. So wird verständlich, warum so genuin freudsche Figuren wie die Trauerarbeit in Bronfens Todesarten nicht auftauchen; warum Foucaults Dictum von der "Hysterisierung der Frauenkörper" zitiert wird, ohne daß seine den Hintergrund dazu bildende historische Diagnose von der Auslöschung der alten Liebeskunst durch die modernen Sexualwissenschaften mit einem Wort Erwähnung fände. Alle Debatten im Buch sind überhaupt auffallend clean, ganz im Sinne des amerikanischen Kulturkreises, aus dem das Werk übersetzt wurde. Ist es in diesem Zusammenhang auch irritierend, daß Bronfens Wissensstand sich weitgehend auf den angloamerikanischen Sprachraum zu beschränken und europäische Publikationen zu ihrem Thema nur sehr selektiv zur Kenntnis zu nehmen scheint, so ist es ärgerlich, daß Übersetzer oder Lektorat es nicht für nötig befunden haben, die existierenden deutschen Übersetzungen der zitierten Werke anzuführen. Vielleicht wollte man einen Hauch von Fremdheit aufrechterhalten, um das Geheimnis der Hysterie zu wahren: Bekanntlich sprach ja auch eine der paradigmatischen Hysterikerinnen Freuds über ihr Begehren nur englisch und hat die früheste Formulierung der psychoanalytischen talking cure dementsprechend als "chimney sweeping" artikuliert.
Elisabeth Bronfen hat mit ihrer großoffensiven Kritik am Phallo-Logozentrismus der abendländischen Hysterielehre sicherlich eine wunde Stelle am Nabel des Wissens getroffen. Ihre neoexistenzialistische Desexualisierungmanie schüttet aber das Kind mit dem Bade aus. Das in der Tat ziemlich hysterische Freihalten des ständig beschworenen "traumatischen Genießens" vom penetranten Geruch penetrierender Geschlechtlichkeit hat etwas vom amerikanischen Puritanismus und seiner political correctness. Solche Verwässerungen des Freudschen Libido-Konzepts von Eros und Thanatos sind gerade aus der transatlantischen Version von Ichpsychologie nicht unbekannt. Hier wäre Bronfen übrigens in anderen Filmen Woody Allens oder mit Marilyn Monroe fündiger geworden.
Papa Freud aber hätte über all diese nicht gerade neuen Anwürfe gegen seinen angeblichen Sexismus nur gelächelt und geantwortet: Wer so viele Seiten braucht, um immer wieder zu sagen: Nein, es ist nicht die Sexualität, sagt eigentlich das Gegenteil über die Ursache der Hysterie. Aber vielleicht ist das Ganze ja einfach nur eine Frage der Redeweise, und Elisabeth Bronfen hat sich mit ihrem immerhin zuerst in den USA veröffentlichten Buch nur der neuen - übrigens selbst hysterischen und eigentlich strafunmündigen - Terminologie des amerikanischen Präsidenten angepaßt, daß man, wenn man Lust genießt, natürlich keinen Geschlechtsverkehr hat.
Zugegeben: Es gibt noch viel aufzuarbeiten. Gerade ist auf deutsch Georges Didi-Hubermans Studie über die "Erfindung der Hysterie" durch die photographischen Praktiken in der Salpêtrière erschienen, derjenigen Pariser Klinik, in der Charcot, Freuds Lehrer, Ende des 19. Jahrhunderts das Syndrom der Hysterie durch systematische Photodokumentation der Anfälle seiner Patientinnen wie ein Künstler schuf. Daneben wirft die ebenfalls jüngst übersetzte Studie von Mikkel Borch-Jacobson über Freuds Fall "Anna O." ein sensationell neues Licht auf die kulturelle Inszenierung der Hysterie um 1900, indem sie ebenfalls auf die medizinische Induktion des Phänomens verweist und eine der berühmtesten Patientinnen als Profiteurin dieses kollektiven Medienspektakels entlarvt. Darüber hinaus hat sich das Interesse der Forschung auch über die Highlights der Salpêtrière und der Freudschen Couch hinaus auf den medizinischen Alltag der Verwaltung einer Geschlechterordnung um 1900 verlagert. Dorion Weickmanns Essay zu diesem Thema hat vor allem auf die Stereotypen von "Vampir" und "Kindfrau" aufmerksam gemacht, um zugleich den Weg nach unten nachzuzeichnen, den diese soziale Krankheit innerhalb der Klassengesellschaft durchläuft. Interessant dabei ist nicht nur die Rolle der Massenmedien wie Presse und Film, sondern auch das von Weickmann besonders betonte Übergreifen der Symptome auf das sogenannte starke Geschlecht, das sich im Sinne der sozialhygienischen Ideologie der Epoche zugleich bedroht sieht durch die Begegnung mit der weiblichen Triebhaftigkeit auf dem Schauplatz der Prostitution als auch auf demjenigen der kinematographischen Schaulust.
Der Ansatz der Züricher Anglistin und Amerikanistin Elisabeth Bronfen verdankt sich mehr oder minder explizit dieser gerade im angelsächsischen Bereich aktuellen Neulektüre der Modefrauenkrankheit des Fin-de-siècle. Indem sie sich noch einmal dem Grund für die ambivalente Faszination dieser schillernden Doppelerscheinung zuwendet, schlägt sie aber neue Wege ein. Der Akzent, den sie auf das Motiv der Verletzung beziehungsweise der Wunde legt, soll zugleich ablenken vom gängigsten Vorurteil über Hysterie, nämlich dem Monokausalismus des Sexuellen und genauer noch des weiblichen Komplexes als Mängelwesen gegenüber dem männlichen Geschlecht. Bronfen wiederholt zwar die traditionelle These vom traumatischen Erlebnis, das sich im verschlungenen Knoten der hysterischen Symptomatisierungen niederschlägt, sie siedelt diesen aber in einem allgemeineren Erlebnisfeld menschlicher Existenz an, als es ihrer Ansicht nach die Sexualität und besonders das männliche Primat derselben wäre. Und vor allem greift sie weiter zurück auf das Trauma aller Traumata, dasjenige nämlich der Geburt, das sich in den Körper eingeschrieben hat an der Stelle, wo er seine Mitte als zugleich exzentrierte erfährt, nämlich am Nabel: "Der Nabel steht einerseits für eine Verwundung des Neugeborenen, verweist aber zugleich auf die Trennung von der überwältigenden Unversehrtheit des pränatalen mütterlichen Körpers und verknüpft somit die durch den Verlust herbeigeführte Verwundbarkeit mit der Ermächtigung ..."
In diesem Sinne heißt die Losung des Buches (nach dem griechischen Ausdruck für Nabel): Omphalus statt Phallus, Anerkennung des Mangels als reales Gesetz des Mangels statt symbolische Kastration. Elisabeth Bronfen geht sogar soweit, am Nabel das Gedächtnis einer Urwunde zu verorten, das in der paradigmatischen Form der Verknotung das Subjekt als Abschirmung gegen den Urschnitt erscheinen läßt. Es geht aus einer ursprünglichen Abspaltung oder Abnabelung vom mütterlichen Ursprung hervor, die alles sexuelle Begehren nur als nachträgliche Deckphantasie erweist; so wie die hysterische Inszenierung als omphalische aller symbolischen Repräsentation vorweggeht: "Das verknotete Subjekt, das in der Sprache der Hysterie zum Ausdruck kommt, verknüpft Erinnerungsketten, Phantasien und somatische Symptome miteinander, die aus der Abnabelung hervorgehen, mit der der psychische Prozeß jede Repräsentationsarbeit gegen eine ursprüngliche Lücke abgrenzt."
Diese archetypische Verwundung des Nabeltraumas wird von den modernen kranken Frauen eigentlich immer schon mit den Männern geteilt. Mann und Frau haben eine gemeinsame Wunde, die auch als gemeinsame Narbe bleibt, der Nabel, um den sich auch alles in der Hysterie dreht. Vielleicht ist diese Entdifferenzierung auf dem geschlechtlichen Schauplatz dessen, was im Sinne der reinen Verhaltensnormen neuerdings als Gender bezeichnet wird, die eigentliche Wurzel für die vehement durchgehaltene Desexualisierung des Problemfeldes. Elisabeth Bronfen ist allerdings raffiniert genug, die Beschreibung ihrer allgemein menschlichen Nabelschau wiederum den Merkmalen des Geschlechtes zu unterwerfen, das - nach den Worten der belgischen Feministin Luce Irigaray - nicht eines ist.
Der Nabel als Wunde des Verlustes und als Verbindungspunkt des Ursprungs ist nämlich Modell einer perfekten Simulation, die Vortäuschung einer erogenen Öffnung, in die man nicht eindringen kann, die nirgendwohin führt und als Loch nichts ist: ein Nichts, das doch etwas bewirkt, die Verknotung der Abwesenheiten zur uneigentlichen Repräsentation all der Nicht-Ereignisse, Nicht-Orte, Nicht-Körper zu dem, was Subjektivität heißt, also: Viel Lärm um nichts. Die Unentscheidbarkeit zwischen Öffnung und Abdichtung siedelt gleichsam das menschliche Subjekt auf dem Feld einer Aporie an, das heißt einer Weg- und Steglosigkeit, für die der Knoten eines der ältesten Sinnbilder von Rätselhaftigkeit ist.
Elisabeth Bronfen spricht sinnbildlich auch vom subjektiven Schauplatz einer "omphalischen Krypta", deren Raum hysterischer Verknotungen ein traumatisches Genießen des verlorenen Ursprungs und der daraus resultierenden Vergänglichkeit beziehungsweise Veränderbarkeit jenseits des väterlichen-phallischen Gesetzes gewähren soll. Demgegenüber sind alle Versuche zum Scheitern verurteilt, die das Unentscheidbare des omphalischen Ursprungs durch den gordischen Gewaltstreich einer im Zeichen des Phallus stehenden Geschlechterdifferenz lösen wollen. Am Anfang steht dabei natürlich der Fundamentalmythos abendländischer Subjektivität, nämlich König Ödipus. Bronfens Buch diagnostiziert hier gewissermaßen den Urknoten zwischen Phallus und Omphalus in der traumatischen Gestalt des gescheiterten Muttermordes. Ödipus, der wie alle Hysteriker - mit Wagner gesprochen - "des Wissens bar, doch des Wunsches voll" ist, will Vater- durch Muttermord sühnen, scheitert aber an der Ohnmacht, den eigenen Ursprung auszulöschen: Jokaste tötet sich selbst und zwingt damit Ödipus zur Anerkennung seiner Sterblichkeit, deren mütterlichen Ursprung er im Akt der Selbstblendung als nachträgliche Selbstkastration eben nicht einholen kann.
Damit hat die Autorin das Grundthema vom fundamentalen Verlust des mütterlichen Körpers und seine nachträgliche ödipale Symptom-Repräsentation als sexuell kastrierte und als dämonische Frau vorgegeben, das sie mit viel Gespür für originelle Zusammenhänge und einem in bester angelsächsischer Tradition stehenden close reading durch diverse Beispiele der Wissens- und Unterhaltungskultur durchkonjugiert. Der Parcours beginnt mit einer erhellenden Interpretation von Hitchcocks "Psycho" als Drama gescheiterter Abnabelung. Norman, der Psychopath im einsamen Motel, der die Leiche seiner Mutter im Keller bewahrt und in einer der legendärsten Szenen der Filmgeschichte die ahnungslos duschende junge Frau Marion im Badezimmer niedersticht, hat das Trauma von Geburt und Trennung nie überwinden können. Der Film visualisiert den traumatischen Kern der gerade im Mord sich zur Identifikation sich verknotenden Mutterbeziehung, die eine sexuelle Dimension der Duschszene nachgerade ausschließt: "Normans Konservierung eines Bandes, das zweimal durchtrennt wurde - erst durch die Geburt und dann durch den Muttermord, als er seine Mutter erstach und damit die Nabelschnur erneut durchtrennte -, hält die traumatische Erschütterung am Leben."
Daß diese Szene nicht einfach nur als ein Phantasieszenarium sexueller Penetration gedeutet werden kann, sondern auch als eine Rückkehr zu der traumatischen Erschütterung durch einen früheren Schnitt gelesen werden muß, veranschaulicht ein aufschlußreiches Detail. Ein einziges Mal wird gezeigt, wie das Messer tatsächlich auf Marion einsticht, und dabei ist die Klinge bezeichnenderweise nicht auf die Genitalien oder die Brüste gerichtet, sondern auf den Abdominalbereich unmittelbar über dem Nabel. Norman-Mutter, so könnte man sagen, möchte Marion nicht einfach nur töten, sondern er möchte sie genau an jener Stelle penetrieren, an der sie selbst zur Mutter werden kann."
Elisabeth Bronfen präsentiert damit eine schlüssige Rekonstruktion des Wahngebildes in Hitchcocks "Psycho", und dennoch bleibt für den Leser ein Problem: Das omphalische Interpretationsmodell des fundamentalen Mutterkonflikts beschreibt faszinierend genau ein Krankheitssyndrom, das gemeinhin Psychose heißt. Wo aber bleibt die neurotische Hysterie? Man kann viel über den Psycho Norman sagen, aber eins ist er gewiß nicht, nämlich Hysteriker. Freud, dessen traumatischer Ätiologie hysterischer Symptome sich Bronfen zentral zuwendet, hat einmal die Grenze zwischen Neurose und Psychose klar bestimmt: Der Neurotiker verdrängt seinen Wunsch und verwandelt ihn in Symptome, um sich der Realität anzupassen, während der Psychotiker die Realität verdrängt, um an ihre Stelle die Wahnwelt seiner Wünsche zu setzen. In diesem Sinne ist man mit anderen Beispielen des Buches für Hysterie besser bedient, wie Woody Allens "Zelig", Flauberts "Madame Bovery" oder Wagners "Parsifal" mit seiner, den Leidensschrei von Mozarts Zauberflöte fortsingenden Figur der Kundry. Hier wird kein Dolch gegen mütterliche Abdominalbereiche gezückt, sondern konvertiert das traumatische Wissen des Wunsches brav in subjektive körperliche Störungen, die Freud über eine symbolische Lesart wieder in die Ordnung der Dinge zurückzuholen wußte.
Leider verzichtet die Autorin darauf, ihren Gebrauch der Hysterielehre im Zusammenhang der psychoanalytischen Psychopathologie zu diskutieren. Dabei hätte es nahegelegen, zum Beispiel Freuds lebenslange Ablehnung der Psychose als psychoanalytisch unbehandelbare Grundstörung einmal näher unter die Lupe zu nehmen, denn hier gärt der Kernkonflikt des mütterlichen Bandes und der schizoiden, das heißt durch Spaltung statt durch Verdrängung gekennzeichneten Abnabelungsdramen. Irritierenderweise wird auch die Freudschülerin Melanie Klein nicht genannt, die sich gerade mit ihrer Fokussierung der präödipalen primär-psychotischen Dramatik der Mutter-Kind-Dyade einem radikalen Häresieverdacht ausgesetzt hat. Zu erwarten gewesen wäre auch eine Auseinandersetzung mit dem gleichfalls Freuds Mißtrauen erweckenden Buch von Otto Rank "Das Trauma der Geburt", in dem Bronfens Ansatz in manchen Aspekten vorbereitet wird.
Bei fortschreitender Lektüre kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es bei den Verwirrungen der Nabelschnur zu Knoten eines traumatischen Realen mehr um Mechanismen geht, wie sie zum Beispiel Lacan als Verwerfung des Symbolischen bezeichnet hat: das heißt eine Nicht-Anerkennung des väterlichen Gesetzes, das folglich durch paranoische Projektionen im Außen realer Erscheinungen wiederauftaucht. Was Bronfen selbst als "Phantomisierung des Anderen" diagnostiziert, entspricht diesem Phänomen, für das sie in einem anderen Dokument der Zeit Freuds, nämlich in Schrebers "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken", sicherlich viele Nabelknoten hätte finden können. Es scheint, als habe sich die Autorin in ein szientifisches Selbstmißverständnis verstrickt, das sie zum Beispiel aus Ann Radcliffs und Bram Stokers Schauerromantik oder aus Cronenbergs Horrorfilmen Belege für eine Geschichte der Hysterie zitieren läßt, die vielmehr einen psychotischen Zerfall der Realität beziehungsweise deren Bevölkerungen mit den Phantomen eines wahnhaften Subjekts demonstrieren. Was nicht heißt, daß sich in Draculas Geschichte nicht auch genug hysterische Züge zum Beispiel in den Wundmalen der weiblichen Opfer finden lassen. Nur zeichnen diese sich auf einem anderen Schauplatz ab als die bezeichnenderweise von den männlichen Protagonisten getragenen paranoischen Projektionen der untoten Wiedergänger. Die hysterische Konversion von Erlebnissen in körperlich inszenierte Zeichen ist dagegen eine "Krankheit durch Repräsentation", wie Bronfen vor allem mit Blick auf das psychiatrische Theater Charcots formuliert. Mit ihm kommt der Visualisierungsdrang der Mediziner zur höchsten Vollendung, indem er den hysterischen Körper zu einem "öffentlichen Spektakel" macht: "In Charcots Theater der lebenden Pathologie ließen sich die beiden Seiten des hysterischen Körpers endlos lesen und reproduzieren - die Körperoberfläche, die Haut sowie die Gesten, Posen, Gebärden, die den interpellierenden anderen ins Blickfeld ziehen. Das, was in Charcots Spektakel der hysterischen Körper bezeichnenderweise fehlte, war die Inversion der Visualität, also die psychische Topologie hinter der Körperoberfläche, welche die visuelle Untersuchung der Körperorgane nicht zu durchdringen vermag. Diesen invertierten Schauplatz sollte Freud untersuchen ..."
Freud ist derjenige, der zum ersten Mal zuhörte und seine analytische Arbeit an der Schnittstelle zwischen narrativer Repräsentation und stummer Bezeugung des Traumas ansiedelte. Aber auch hier macht Elisabeth Bronfen eine nachträgliche Deckfigur aus, die den eigentlichen Nabel der Verwundbarkeit verhüllt. Aus der Traumdeutung greift sie den Traum von Irmas Injektion heraus, um zu zeigen, wie in der psychoanalytischen Deutung das Leiden der Patientin hinter Freuds Erzählung verschwindet. Herzstück der Argumentation ist aber eine Rekonstruktion des Falls Emma Eckstein, die aufgrund ihrer hysterischen Symptome von Freuds Jugendfreund Fließ an der Nase operiert wurde und an einem Operationsfehler beinahe verblutete. Statt an den wilden Spekulationen seines Freundes über den Zusammenhang von Hysterie und sexuellen Sensibilitäten der Nasenschleimhaut zu zweifeln, wählt Freuds Interpretation die Zuflucht zur Projektion und beschuldigt die Patientin, aus Liebe zu ihm zu bluten: Ein weiterer von Bronfen unbeabsicht geleisteter Beweis dafür, daß es eigentlich die Paranoia der Männer ist, die hysterische Frauen kreiert.
Vielleicht ist es die drastische Skrupellosigkeit, mit der Freud die Schuld seines Freundes auf das Opfer verschiebt und zugleich sein eigenes Leiden an Nasennebenhöhlenverstopfung in den Vordergrund drängt, die Elisabeth Bronfen gewissermaßen blind macht für die Symbolik der an der Nase von Emma Eckstein ausgetragenen geschlechtlichen Identitätskrise des Meisters selbst. Unhintergehbar bleiben in ihrem Buch aber durchweg zwei Grunddogmen: nämlich die Abkehr von der väterlichen Autorität sowie die von der darin begründeten Universalität des Sexuellen. Immer wieder wird der Gegensatz zwischen traumatischer und sexueller Ätiologie der Hysterie betont, der zumindest im Kontext Freuds irreführend falsch ist, da für Freud gerade die frühkindlichen sexuellen Erlebnisse traumatisch wirkten. Die Autorin fällt mit ihrer obsessiven Beschwörung der Ursprünglichkeit eines im Nabelknoten wurzelnden traumatischen Wissens um den Tod hinter die kopernikanische Wende Freuds zurück, der solche Nabelschauen seinerseits als Deckfiguren des tabuisierten Geschlechts dechiffriert hatte: als Verschiebungsleistung infantiler Sexualtheorien. Bronfens existenzialistischer Pathos ist aber - wie sie übrigens selbst gesteht - auch nur hysterische Inszenierung, die anläßlich der Interpretation von Hitchcocks Marnie die entsprechende Gender-Strategie der Maskerade verrät: "Die Hysterika macht diese sich selbst dekonstruierende Maskerade der Weiblichkeit und des Tochterdaseins zwar zu ihrem Symptom, doch sie glaubt weder an die Weiblichkeit noch an die Tochterrolle, die anzunehmen sie prekärerweise nicht umhinkann. Zugleich eignet sie sich aber auch die Männlichkeit an, um jene paternale Autorität zu unterminieren, an die sie sich mit ihrem Spiel wendet."
Voilà, das ist das Ziel, also nicht mehr die Anerkennung des Mangels als einer Art ontologischer Geworfenheit, sondern List eines Willens zur Macht. So wird verständlich, warum so genuin freudsche Figuren wie die Trauerarbeit in Bronfens Todesarten nicht auftauchen; warum Foucaults Dictum von der "Hysterisierung der Frauenkörper" zitiert wird, ohne daß seine den Hintergrund dazu bildende historische Diagnose von der Auslöschung der alten Liebeskunst durch die modernen Sexualwissenschaften mit einem Wort Erwähnung fände. Alle Debatten im Buch sind überhaupt auffallend clean, ganz im Sinne des amerikanischen Kulturkreises, aus dem das Werk übersetzt wurde. Ist es in diesem Zusammenhang auch irritierend, daß Bronfens Wissensstand sich weitgehend auf den angloamerikanischen Sprachraum zu beschränken und europäische Publikationen zu ihrem Thema nur sehr selektiv zur Kenntnis zu nehmen scheint, so ist es ärgerlich, daß Übersetzer oder Lektorat es nicht für nötig befunden haben, die existierenden deutschen Übersetzungen der zitierten Werke anzuführen. Vielleicht wollte man einen Hauch von Fremdheit aufrechterhalten, um das Geheimnis der Hysterie zu wahren: Bekanntlich sprach ja auch eine der paradigmatischen Hysterikerinnen Freuds über ihr Begehren nur englisch und hat die früheste Formulierung der psychoanalytischen talking cure dementsprechend als "chimney sweeping" artikuliert.
Elisabeth Bronfen hat mit ihrer großoffensiven Kritik am Phallo-Logozentrismus der abendländischen Hysterielehre sicherlich eine wunde Stelle am Nabel des Wissens getroffen. Ihre neoexistenzialistische Desexualisierungmanie schüttet aber das Kind mit dem Bade aus. Das in der Tat ziemlich hysterische Freihalten des ständig beschworenen "traumatischen Genießens" vom penetranten Geruch penetrierender Geschlechtlichkeit hat etwas vom amerikanischen Puritanismus und seiner political correctness. Solche Verwässerungen des Freudschen Libido-Konzepts von Eros und Thanatos sind gerade aus der transatlantischen Version von Ichpsychologie nicht unbekannt. Hier wäre Bronfen übrigens in anderen Filmen Woody Allens oder mit Marilyn Monroe fündiger geworden.
Papa Freud aber hätte über all diese nicht gerade neuen Anwürfe gegen seinen angeblichen Sexismus nur gelächelt und geantwortet: Wer so viele Seiten braucht, um immer wieder zu sagen: Nein, es ist nicht die Sexualität, sagt eigentlich das Gegenteil über die Ursache der Hysterie. Aber vielleicht ist das Ganze ja einfach nur eine Frage der Redeweise, und Elisabeth Bronfen hat sich mit ihrem immerhin zuerst in den USA veröffentlichten Buch nur der neuen - übrigens selbst hysterischen und eigentlich strafunmündigen - Terminologie des amerikanischen Präsidenten angepaßt, daß man, wenn man Lust genießt, natürlich keinen Geschlechtsverkehr hat.