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Das Versailles des Piemont

Das alte Savoyen-Schloss "Venaria Reale", erbaut Mitte des 17. Jahrhunderts in der Nähe von Turin, stand 200 Jahre lang leer. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sollte der gigantische Komplex in Sozialwohnungen umgebaut werden, in den 80er Jahren wurde sogar ein Abriss diskutiert. Jetzt aber ist das Schloss wie Phönix aus der Asche wieder in altem Glanz erstrahlt.

Von Thomas Migge |
    Barocke Herrschaften huschen über die nackten Wände. Prächtig gekleidet sollen sie dem Palast ein wenig Leben einhauchen. Virtuell versteht sich und mit viel Musik des 18. Jahrhunderts, denn Regisseur Peter Greenaway entschied sich bei seiner Inszenierung der Venaria Reale für das Medium Film. 150 Schauspieler und Statisten waren an Greenaways Projekt beteiligt.

    Das Resultat monatelanger Arbeit: Kurzfilme, die in verschiedenen Sälen und Korridoren des Schlosses an die Wände projiziert werden. Greenaways Schlossgespenster sind lebensgroß und scheinen die Besucher auf Schritt und Tritt zu begleiten.

    Die Venaria Reale. Das ist die italienische Version von Versailles. Die Venaria, ein Jagdschloss auch wenn es die Dimensionen eines Palastes hat, ist nicht nur eine der größten Königsresidenzen Italiens, sondern vielleicht auch die prächtigste überhaupt. Über 200 Jahre lang war die Venaria leider eines der am meisten vernachlässigten Schlösser Italiens: nach dem Ende des Staates der Savoyen, Mitte der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts, wurde das bereits leerstehende Schloss zunächst Kaserne, dann Lagerstätte. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts sollte der gigantische und heruntergekommene Komplex in Sozialwohnungen umgebaut werden. In den 80er Jahren diskutierte man sogar, das Schloss komplett abzureißen, weiß Francesco Pernice, Kunsthistoriker und einer der Kuratoren der aufwendigen Rettungsarbeiten der Venaria Reale:

    "Es kam in der Nachkriegszeit zu zahllosen Akten von Vandalismus. Sie können sich das gar nicht vorstellen wenn Sie es nicht gesehen haben. Es gab keine Möbel mehr, die Fresken allesamt so gut wie zerstört, Stuckarbeiten in tausend Stücke zerschlagen. Obdachlose hausten in den Sälen und verbrannten alte Türen, um sich zu wärmen. Ein himmelschreiender Skandal. Sogar die Fußböden wurden herausgerissen."

    Vor zehn Jahren entschied sich die Stadt Turin, mit der Hilfe der Region Piemont und des Staates sowie privater Sponsoren zur Herkulesaufgabe der Rettung der Venaria Reale: 200 Millionen Euro wurden dafür ausgegeben. Die höchste Summe, die jemals in Italien zur Renovierung eines historischen Monuments bereitgestellt wurde. Doch Pernice und sein Team haben nicht nur hunderte von Sälen, Korridoren, Treppenhäuser und Flure gereinigt und
    restauriert:

    "Das Schloss verfügt über 70 Tausend Quadratmeter Grundfläche. Es hat 27 Tausend Quadratmetern Dachfläche. Der Park ist 800 Tausend Quadratmeter Park groß. Auch er musste komplett instand gesetzt werden. Es schien anfangs unmöglich, all das vor dem endgültigen Untergang zu retten und wieder genauso herstellen, wie es zur Blütezeit der Venaria aussah, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, als Carlo Emanuele II. von Savoyen dieses Schloss errichten ließ. An der Rettungsaktion waren über 800 Personen auf 50 Baustellen und von 11 Unternehmen beteiligt."

    Um sich die Dimensionen der Venaria Reale vorzustellen muss man sich vergegenwärtigen, dass in dem Schloss rund 3.500 Menschen ständig lebten. Allein in den Küchen arbeiteten zirka 500 Personen.

    Jetzt präsentiert sich die Schlossanlage wieder in alter Pracht. Den Restauratoren ist es gelungen, sämtliche 145 Tausend Quadratmeter Stukkaturen, wie zum Beispiel in der Galerie des Barockstars Filippo Juvarra, in der Schlosskirche und in Prunksälen, komplett wieder herzustellen. Deckengemälde und Wandbilder zeigen wieder Könige und Herzöge, Götter und Göttinnen.

    Die Venaria präsentiert sich auch mit ihren ursprünglichen Mobiliar und Kunstwerken. Der Region ist es gelungen, viele der ehemaligen Einrichtung- und Kunstgegenstände auf dem internationalen Antiquitätenmarkt aufzukaufen oder auszuleihen. Darunter einige der schönsten Beispiele italienischen Barockmobiliars, Gemälde von Palma il Vecchio, Van Dyk und Guido Reni, seltene Musikinstrumente, Porzellan und Wandteppiche. Als einer der Kuratoren war Ottaviano Annibaldi für die Neu-Möblierung mitverantwortlich:

    "Wir wollen die Pracht und den Kunstsinn der Savoyen-Dynastie in 200 Jahren Geschichte nacherzählen. Bis zum Ende des 18. Jahrhundert. Die Savoyen inszenierten sich hier als Großmacht, die sie ja nie waren, doch mit diesem Schloss wollten sie sich in die gleiche Reihe stellen wie Frankreich und Spanien."

    Schon Anfang des 19. Jahrhunderts, als den Savoyen klar wurde, dass ihre Großmachtsträume nur Illusionen waren, gaben sie die Venaria Reale auf. Sie überließen die Schlossanlage sich selbst. Die Wiederauferstehung der Venaria ist ein gutes Beispiel dafür, dass man auch in Italien - wenn alle Verantwortlichen an einem Strang ziehen - große Kulturprojekte auf die Beine stellen kann.