Dirk-Oliver Heckmann: Paul Kagame, er hat nach 100 Tagen des Mordens und Metzelns mit seinen Milizen dafür gesorgt, dass der Völkermord, den die Hutus an den Tutsis begangen hatten, ein Ende hatte in Ruanda. 16 Jahre ist das jetzt her. Kagame hat als Präsident seitdem Ruhe und Stabilität in das Land gebracht, hat die Wirtschaft erfolgreich angekurbelt, die Korruption bekämpft, in Bildung investiert. Aber er gerät nun auch international immer mehr unter Druck. Die Kritik: Oppositionelle würden mundtot gemacht, ins Gefängnis gesteckt oder von gekauften Mördern schlicht umgebracht. Heute finden Präsidentschaftswahlen in Ruanda statt.
Am Telefon begrüße ich jetzt Rupert Neudeck, den Leiter der Hilfsorganisation "Grünhelme", der sozusagen auf dem Weg in das ostafrikanische Land ist. Guten Morgen, Herr Neudeck.
Rupert Neudeck: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Neudeck, ist der Vorwurf, Kagame mache die Opposition mundtot, berechtigt oder überzogen?
Neudeck: Er ist berechtigt und überzogen. Das muss ich erklären. Einmal ist es in der Tat so, dass es bisher keine richtige Opposition in dem Land Ruanda gibt, aber das, glaube ich, kann jeder deutsche Zuhörer auch verstehen. Das Land hat 1994 in zweieinhalb Monaten eine Million Menschen durch Zerhacken und Ertränken verloren. Das ist erst 16 Jahre her. Und jetzt versucht das Land, aus diesem totalen Desaster wieder herauszukommen, und das ist in afrikanischen Ländern dann meistens so, dass erst mal nicht die formale Demokratie eingeführt werden kann. Deshalb ist das ein Vorwurf, der berechtigt ist und den die westliche Staatengemeinschaft sicher zurecht erhebt. Er ist aber auch ein bisschen überzogen, weil natürlich der Westen in der schlechtesten Position ist, die man sich denken kann. Der Westen hat Ruanda damals beim Beginn des Völkermordes total dem Völkermord überlassen, hat nur die eigenen 1000 Weißen mit dem richtigen Pass herausgehauen und hat die Tutsis dort wirklich dem Völkermord überlassen. Deshalb ist die Position der westlichen Staatengemeinschaft sehr schwach.
Heckmann: Aber Faktum ist, Herr Neudeck, dass Zeitungen zumindest zeitweise verboten wurden, Journalisten wurden festgenommen und eine Reihe von Oppositionellen sind tot, in Haft oder unter Hausarrest.
Neudeck: Das ist alles genau richtig. Es ist sogar noch mehr festzustellen. Wir haben in diesem Land Ruanda, das wirtschaftlich eine glänzende Gegenwart und Zukunft verspricht, bisher keine öffentliche Meinung. Das ist aber die Voraussetzung für das, was wir Demokratie nennen. Wir haben keinen Freimut in der öffentlichen Diskussion. Und das hat sich jetzt aufgegipfelt in den Morden und in den Verboten von einigen oppositionellen Zeitungen, auch von zwei oppositionellen Parteien, und deshalb muss man die Situation und den Stand dieses Landes ein bisschen kritisch sehen.
Heckmann: Die Regierung distanziert sich natürlich von den Morden, sagt, wir haben damit nichts zu tun, wir tun alles, um diese Vorkommnisse aufzuklären, und was das Verbot von Zeitungen angeht, so wird das begründet, beispielsweise mit dem Gesetz, das die Leugnung des Genozids verbietet. Insofern: Muss man nicht für solche Schritte dann doch auch ein wenig Verständnis haben?
Neudeck: Man muss dafür auch Verständnis haben, zumal als Deutscher, denn wir haben ja in Deutschland auch den Paragrafen, dass die Holocaust-Leugnung verboten und bestraft werden kann, und das wird ja auch so durchgeführt. Wir haben in Ruanda einen ähnlichen Paragrafen, das ist die Genozid-Leugnung. Das, finde ich, ist nicht nur verständlich, sondern das kann man auch begründen und das ist legal und legitim.
Was aber gleichermaßen in einem Aufwasch dort passiert, ist natürlich, dass gleichermaßen mit diesem Paragrafen in der Hand die gesamte, jede Bewegung der Opposition, jede Meinung, die nicht gerade die politische Orthodoxie und Korrektheit dort vertritt, auch in Mitleidenschaft gerät. Also es gibt zusätzlich zu der Genozid-Leugnung natürlich noch die quälende Frage, die ja auch das Arusha-Völkermordtribunal im benachbarten Tansania bisher nicht hat lösen können. Wie ist es denn mit den Racheakten der RPF gewesen, also der Tutsi-Streitmacht, die Kagame angeführt hat, die von Uganda kam und die dann im Lande eben auch einiges angerichtet hat, was bis hin zu Morden gegangen ist? Das muss natürlich auf Dauer aufgeklärt werden.
Ich hoffe, dass nach der Wahl, die ja eigentlich nicht so sehr spannend ist, weil wir wissen, wie das Ergebnis aussieht, dass sich das Land wieder ein bisschen freizügiger und großzügiger bewegen kann. Das ist eigentlich die Hoffnung, die Ruander haben, mit denen ich ja sehr viel zu tun habe in den letzten Jahren, dass man etwas großzügiger wird. Das Regime ist ja fest im Sattel und ist eigentlich nicht gefährdet und man wartet eigentlich darauf, dass jetzt, 16 Jahre nach dem furchtbaren Zusammenbruch des Landes, eine größere demokratische Freizügigkeit im Lande herrschen kann.
Heckmann: Kann das gehen mit einem Kagame, den die "Süddeutsche Zeitung" einen weltweit geschätzten Despoten nennt und Kritiker einen Soldaten, für den der Krieg nie zu Ende gegangen ist und der die Mittel des Krieges nie aufgegeben habe?
Neudeck: Ich denke schon. Ich habe ihn kennengelernt, schon beim Völkermord. Da hat er sich wirklich in einer hervorragenden Weise für sein Volk eingesetzt, als die gesamte Staatengemeinschaft versagt hat. Danach hat er für sein Land eine so glänzende wirtschaftliche Zukunft durch eigene Anstrengung und Intelligenz, auch durch Korruptionsbekämpfung veranstaltet. Ich meine, ich kann Ihnen sagen: Zwei Minister, die für unser Projekt in Ruanda zuständig waren, sind mittlerweile wegen Korruption im Gefängnis. Das ist etwas, was in Afrika einzigartig ist. Ich halte den Mann trotz dieser Attribute für fähig, sein Land in eine bessere Zukunft zu führen, auch in eine demokratischere.
Heckmann: Die Regierung sagt, heute gibt es keine Hutu und keine Tutsi mehr, sondern nur noch Ruander. Ist das so, oder wird das jemals so sein?
Neudeck: Das ist jetzt sicher noch nicht so, das kann aber wieder so sein – aus einem bestimmten Grunde, den wir in Deutschland auch erfahren haben. Wahrscheinlich – nein, nicht wahrscheinlich: Nach Meinung der Wissenschaftler gibt es keine zwei Völker in Ruanda, sondern es gibt das, was marxistisch man Klassen nennt. Die Tutsis waren die besitzende Klasse, die aristokratische, die Hutus waren die arbeitende Bevölkerung im Lande, die Kleinbauern, die kleinen Landwirte. Und wenn wir dahin wieder zurückkommen - die Kolonialisten, die Belgier, die Franzosen haben da sehr viel Schindluder getrieben mit diesem Aufhetzen der Völker gegeneinander -, wenn wir wieder dazu kommen, dass dieses Volk, das eine Sprache und eine Kultur hat, wirklich zu einem wird, dann könnte ich mir für die Zukunft Ruandas eine Versöhnung und das vorstellen, was wir mit dem englischen Wort "Nation Building" nennen, nämlich eine wirkliche Bildung einer Nation der Ruander in Ruanda.
Heckmann: Das heißt, Sie sehen mehr Licht als Schatten?
Neudeck: Ich sehe mehr Licht als Schatten und kann nicht anders, weil ich das Land seit fünf Jahren mit großer Bewunderung erlebe, das aus diesem furchtbaren Disaster aus eigener Kraft sich wieder hervorarbeitet.
Heckmann: Über die Lage in Ruanda anlässlich der heutigen Wahlen haben wir gesprochen mit Rupert Neudeck, dem Gründer und Leiter der Hilfsorganisation "Grünhelme". Herzlichen Dank, Herr Neudeck, für das Gespräch.
Neudeck: Ja, danke auch! Alles Gute!
Am Telefon begrüße ich jetzt Rupert Neudeck, den Leiter der Hilfsorganisation "Grünhelme", der sozusagen auf dem Weg in das ostafrikanische Land ist. Guten Morgen, Herr Neudeck.
Rupert Neudeck: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Neudeck, ist der Vorwurf, Kagame mache die Opposition mundtot, berechtigt oder überzogen?
Neudeck: Er ist berechtigt und überzogen. Das muss ich erklären. Einmal ist es in der Tat so, dass es bisher keine richtige Opposition in dem Land Ruanda gibt, aber das, glaube ich, kann jeder deutsche Zuhörer auch verstehen. Das Land hat 1994 in zweieinhalb Monaten eine Million Menschen durch Zerhacken und Ertränken verloren. Das ist erst 16 Jahre her. Und jetzt versucht das Land, aus diesem totalen Desaster wieder herauszukommen, und das ist in afrikanischen Ländern dann meistens so, dass erst mal nicht die formale Demokratie eingeführt werden kann. Deshalb ist das ein Vorwurf, der berechtigt ist und den die westliche Staatengemeinschaft sicher zurecht erhebt. Er ist aber auch ein bisschen überzogen, weil natürlich der Westen in der schlechtesten Position ist, die man sich denken kann. Der Westen hat Ruanda damals beim Beginn des Völkermordes total dem Völkermord überlassen, hat nur die eigenen 1000 Weißen mit dem richtigen Pass herausgehauen und hat die Tutsis dort wirklich dem Völkermord überlassen. Deshalb ist die Position der westlichen Staatengemeinschaft sehr schwach.
Heckmann: Aber Faktum ist, Herr Neudeck, dass Zeitungen zumindest zeitweise verboten wurden, Journalisten wurden festgenommen und eine Reihe von Oppositionellen sind tot, in Haft oder unter Hausarrest.
Neudeck: Das ist alles genau richtig. Es ist sogar noch mehr festzustellen. Wir haben in diesem Land Ruanda, das wirtschaftlich eine glänzende Gegenwart und Zukunft verspricht, bisher keine öffentliche Meinung. Das ist aber die Voraussetzung für das, was wir Demokratie nennen. Wir haben keinen Freimut in der öffentlichen Diskussion. Und das hat sich jetzt aufgegipfelt in den Morden und in den Verboten von einigen oppositionellen Zeitungen, auch von zwei oppositionellen Parteien, und deshalb muss man die Situation und den Stand dieses Landes ein bisschen kritisch sehen.
Heckmann: Die Regierung distanziert sich natürlich von den Morden, sagt, wir haben damit nichts zu tun, wir tun alles, um diese Vorkommnisse aufzuklären, und was das Verbot von Zeitungen angeht, so wird das begründet, beispielsweise mit dem Gesetz, das die Leugnung des Genozids verbietet. Insofern: Muss man nicht für solche Schritte dann doch auch ein wenig Verständnis haben?
Neudeck: Man muss dafür auch Verständnis haben, zumal als Deutscher, denn wir haben ja in Deutschland auch den Paragrafen, dass die Holocaust-Leugnung verboten und bestraft werden kann, und das wird ja auch so durchgeführt. Wir haben in Ruanda einen ähnlichen Paragrafen, das ist die Genozid-Leugnung. Das, finde ich, ist nicht nur verständlich, sondern das kann man auch begründen und das ist legal und legitim.
Was aber gleichermaßen in einem Aufwasch dort passiert, ist natürlich, dass gleichermaßen mit diesem Paragrafen in der Hand die gesamte, jede Bewegung der Opposition, jede Meinung, die nicht gerade die politische Orthodoxie und Korrektheit dort vertritt, auch in Mitleidenschaft gerät. Also es gibt zusätzlich zu der Genozid-Leugnung natürlich noch die quälende Frage, die ja auch das Arusha-Völkermordtribunal im benachbarten Tansania bisher nicht hat lösen können. Wie ist es denn mit den Racheakten der RPF gewesen, also der Tutsi-Streitmacht, die Kagame angeführt hat, die von Uganda kam und die dann im Lande eben auch einiges angerichtet hat, was bis hin zu Morden gegangen ist? Das muss natürlich auf Dauer aufgeklärt werden.
Ich hoffe, dass nach der Wahl, die ja eigentlich nicht so sehr spannend ist, weil wir wissen, wie das Ergebnis aussieht, dass sich das Land wieder ein bisschen freizügiger und großzügiger bewegen kann. Das ist eigentlich die Hoffnung, die Ruander haben, mit denen ich ja sehr viel zu tun habe in den letzten Jahren, dass man etwas großzügiger wird. Das Regime ist ja fest im Sattel und ist eigentlich nicht gefährdet und man wartet eigentlich darauf, dass jetzt, 16 Jahre nach dem furchtbaren Zusammenbruch des Landes, eine größere demokratische Freizügigkeit im Lande herrschen kann.
Heckmann: Kann das gehen mit einem Kagame, den die "Süddeutsche Zeitung" einen weltweit geschätzten Despoten nennt und Kritiker einen Soldaten, für den der Krieg nie zu Ende gegangen ist und der die Mittel des Krieges nie aufgegeben habe?
Neudeck: Ich denke schon. Ich habe ihn kennengelernt, schon beim Völkermord. Da hat er sich wirklich in einer hervorragenden Weise für sein Volk eingesetzt, als die gesamte Staatengemeinschaft versagt hat. Danach hat er für sein Land eine so glänzende wirtschaftliche Zukunft durch eigene Anstrengung und Intelligenz, auch durch Korruptionsbekämpfung veranstaltet. Ich meine, ich kann Ihnen sagen: Zwei Minister, die für unser Projekt in Ruanda zuständig waren, sind mittlerweile wegen Korruption im Gefängnis. Das ist etwas, was in Afrika einzigartig ist. Ich halte den Mann trotz dieser Attribute für fähig, sein Land in eine bessere Zukunft zu führen, auch in eine demokratischere.
Heckmann: Die Regierung sagt, heute gibt es keine Hutu und keine Tutsi mehr, sondern nur noch Ruander. Ist das so, oder wird das jemals so sein?
Neudeck: Das ist jetzt sicher noch nicht so, das kann aber wieder so sein – aus einem bestimmten Grunde, den wir in Deutschland auch erfahren haben. Wahrscheinlich – nein, nicht wahrscheinlich: Nach Meinung der Wissenschaftler gibt es keine zwei Völker in Ruanda, sondern es gibt das, was marxistisch man Klassen nennt. Die Tutsis waren die besitzende Klasse, die aristokratische, die Hutus waren die arbeitende Bevölkerung im Lande, die Kleinbauern, die kleinen Landwirte. Und wenn wir dahin wieder zurückkommen - die Kolonialisten, die Belgier, die Franzosen haben da sehr viel Schindluder getrieben mit diesem Aufhetzen der Völker gegeneinander -, wenn wir wieder dazu kommen, dass dieses Volk, das eine Sprache und eine Kultur hat, wirklich zu einem wird, dann könnte ich mir für die Zukunft Ruandas eine Versöhnung und das vorstellen, was wir mit dem englischen Wort "Nation Building" nennen, nämlich eine wirkliche Bildung einer Nation der Ruander in Ruanda.
Heckmann: Das heißt, Sie sehen mehr Licht als Schatten?
Neudeck: Ich sehe mehr Licht als Schatten und kann nicht anders, weil ich das Land seit fünf Jahren mit großer Bewunderung erlebe, das aus diesem furchtbaren Disaster aus eigener Kraft sich wieder hervorarbeitet.
Heckmann: Über die Lage in Ruanda anlässlich der heutigen Wahlen haben wir gesprochen mit Rupert Neudeck, dem Gründer und Leiter der Hilfsorganisation "Grünhelme". Herzlichen Dank, Herr Neudeck, für das Gespräch.
Neudeck: Ja, danke auch! Alles Gute!