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"Das war eine sehr spannende Reise für mich"

Der Tag gilt vielen als "Stunde Null" des internationalen Terrorismus: Am Morgen des 5. Septembers 1972 entführen Terroristen elf israelische Teilnehmer der Olympischen Spiele in München. Der Befreiungsversuch endet in einem Blutbad. Heute zeigt das ZDF ein TV-Drama über die Tragödie. In einer der Hauptrollen: Bernadette Heerwagen als Polizeibeamtin Anneliese Graes.

Bernadette Heerwagen im Gespräch mit Petra Marchewka |
    Petra Marchewka: Frau Heerwagen, die Beamtin hieß ja in Wirklichkeit Anneliese Graes, und im Film wurde sie umbenannt in Anna Gerbers, die Frau lebt nicht mehr, sie ist ja schon ganz früh gestorben, mit 41, und es gibt gar keine Hinterlassenschaften, nichts Aufgeschriebenes von ihr, keine Bücher, keine Interviews und nichts. Wie haben Sie sich denn da trotzdem reindenken können, in diese Gefühlslage und in die Arbeit dieser Frau?

    Bernadette Heerwagen: Es gibt eine berühmte Aufnahme, wie sie mit Issa zusammen mit verschränkten Beinen an der Wand lehnt und den Kopf so leicht schief hält und mit ihm eine Zigarette raucht. Und über solche Sachen habe ich versucht, mich ihr zu nähern, über ihre Gestik, ihre Körperhaltung, und dann habe ich wahnsinnig viel 70er-Jahre-Musik gehört, hab dieses Kostüm angehabt am ersten Drehtag, als wir dann da wirklich standen, wirklich in der Connolly-Straße, wirklich vor dem Originalmotiv, wo noch nicht einmal Spielberg drehen durfte, da standen wir da, ich in diesem Kostüm mit diesem Riesenfunkgerät, vor diesem Originalhaus mit den Balkonen, und ich hab mich dann auch nicht getraut, da reinzugehen, ich bin nur einmal da im Treppenhaus gewesen, aber ich bin zum Beispiel nicht in die Originalwohnung gegangen, weil mir das zu unheimlich war.

    Marchewka: 'München 72' ist ja der erste deutsche Spielfilm zum Thema und eben auch der erste Film am Originalschauplatz, und sehr, sehr besonders ist natürlich auch, dass der in Tel Aviv geborene Regisseur Dror Zahavi, der gerade für seinen Film 'Zivilcourage' einen Grimme-Preis bekommen hat, der hat selbst die Komparsenrollen ganz authentisch besetzt. Es spielen junge Israelis die Sportlermannschaft und junge Palästinenser die Terroristen. Die Stimmung und die Dynamik während der Dreharbeiten muss allein schon deswegen ganz besonders gewesen sein. Was haben Sie davon gespürt?

    Heerwagen: Ich fand das toll und beeindruckend, dass das gemacht wurde, dass Palästinenser und Israelis eingeflogen wurden, das macht es einfach noch authentischer, und ich hatte eben nur mit Shredi zu tun, und das war grandios, einen Schauspieler vor sich zu haben, der diese Rolle so wahnsinnig toll verkörpert und der innerhalb von sechs Wochen nicht nur die Texte auf deutsch auswendig gelernt hat, die ja unglaublich sind, mit wahnsinnig vielen Fremdwörtern, mit Monologen, die er da reden muss, und die Intonation, und auch wie er es gespielt hat, das war unglaublich. Ich hab dann versucht, ein bisschen Hebräisch und Arabisch zu lernen. Ist mir nicht so richtig gelungen.

    Marchewka: Sie sind ja wirklich, mit 'sie' meine ich ihre Rolle, die Figur ist ja diesem Terroristenführer Issa sehr, sehr nahe gekommen und auch eben seinen Positionen sehr nah gekommen."

    Heerwagen: Das finde ich sehr interessant, dass sie eine Frau hingeschickt haben und wie sie sich dann verhalten hat. Weil ich dachte zuerst, als ich das Buch las, dass ich eine Frau spielen werde, die sehr angsterfüllt ist, immerhin spricht sie mit Terroristen, immerhin haben die schon zwei Geiseln erschossen, aber dann wurde mir klar, als ich im Internet dieses eine Zitat von ihr gefunden habe, in dem sie sagt: Die Terroristen waren stets höflich zu mir, deshalb hatte ich nichts zu befürchten. Da war mir klar, dass sie vollkommen naiv gewesen sein muss und dass sie als Essener Polizeiobermeisterin da hinkam, sich gefreut hat, da auch mitzuarbeiten, als 'Olytesse', wie man die damals genannt hat, und dass sie auch keine Angst hatte. Sie hatte vielleicht Respekt vor der Situation, aber sie wollte einfach ihre Polizeiarbeit machen.

    Marchewka: Einmal sieht man im Film – ich weiß nicht, vielleicht ist es Zufall – dass Sie, während Sie vorher die ganze Zeit auf Seiten der deutschen Polizisten und Politiker gestanden haben, als Vermittlerin, haben Sie dann, so scheint es, die Seite gewechselt und stehen eben in Front zu Genscher und den anderen auf der Seite des Terroristen. Das mag Zufall gewesen sein, oder sollte angedeutet werden: Da findet auch ein Verstehen, in Anführungsstrichen, statt, eine Annäherung?

    Heerwagen: Das freut mich so, dass Sie das gesehen haben. Das war mir auch ein großes Anliegen. Ich spreche auch ganz deutlich davon, dass es zu viel Blutvergießen gibt und dass Blutvergießen keine Lösung ist und versuche auch, das ihm deutlich zu machen. Aber es ist tatsächlich so, und das war auch in den Originalaufnahmen so, das fiel mir auch erst später auf, ich hab das natürlich tausend Mal gesehen, dass diese Frau am Anfang auch hinter den Delegierten stand und irgendwann die Fronten gewechselt hat. Und tatsächlich neben Issa stand. Und ich fand das unglaublich und hab' gesagt, Dror, das müssen wir unbedingt einbauen.

    Marchewka: Es wird einfach Ausdruck von Ambivalenz gewesen sein?

    Heerwagen: Ja, ich meine auch nicht, dass sie die Seiten wirklich aktiv wechselt, sondern nur, dass sie sich körperlich so verhält, dass sie sich an seine Seite stellt. Sie ist ja auch die einzige, die wirklich mit Issa spricht. Und wirklich sich auch anhört, was er zu sagen hat. Und das fand ich auch wahnsinnig spannend. Hier ist es natürlich, auch wenn sie das körperlich macht, trotzdem klar gezeichnet: Es ist keine Lösung, immer neues Blut zu vergießen und dass sie das falsch findet, was da passiert.

    Marchewka: Sie sind ja in München aufgewachsen, mit Ihrer Familie, in Bonn geboren, in München aufgewachsen, und da beginnt ja auch Ihre Schauspielkarriere, da gab es ein Schulprojekt, für Kinder und Jugendliche von zehn bis 15 Jahren, und die sollten unter Anleitung einen Filmstoff entwickeln. Und daran haben Sie teilgenommen.

    Heerwagen: Genau. Also eigentlich bin ich nur aus Langeweile Schauspielerin geworden, weil ich nichts zu tun hatte, und in den Bavaria-Filmstudios gab es eben dieses Projekt, 'Das filmende Klassenzimmer' nannte sich das, und da konnte man mit seiner Klasse hingehen und einen Film drehen, und der, der da damals Kamera gemacht hat, rief mich zwei Jahre später an und meinte, er würde jetzt seinen Abschlussfilm drehen, er sei eigentlich Regisseur, und ob ich nicht Lust hätte, die Hauptrolle in seinem Abschlussfilm zu spielen. Das war damals Miguel Alexandre, und das war sein Debütfilm, und natürlich auch mein Debütfilm, ja, und so kam ich dann dazu, dass ich 'Nana' spielte, meine allererste Rolle.

    Marchewka: Mit 17, da waren Sie 17 Jahre alt.

    Heerwagen: Genau, da war ich 17 und bin in die 12. Klasse gegangen, ich weiß noch, ich hatte, glaube ich, sieben Klausuren in dieser Zeit und musste alles nachholen, aber ich hatte einfach so Lust, das zu machen, weil ich nicht wusste, was ich nach dem Abi machen soll. Genau, und dann hab ich beschlossen, Schauspielerin zu werden.

    Marchewka: Und den richtig klassischen Weg sind Sie dann ja nicht gegangen, mit Schauspielschule und allem, was man dann normalerweise macht, sondern Sie haben das autodidaktisch gelöst und haben sich Ihre Lehrer zusammengesucht, selber, ja, und haben das so gemacht.

    Heerwagen: Genau, ich habe mir von Kollegen dann immer Lehrer empfehlen lassen und habe dann mit dem, was ich beim Drehen verdient habe, mir Sprecherzieher, Gesangstunden und alles mögliche genommen und arbeite immer noch regelmäßig mit einem Coach zusammen.

    Marchewka: Familiär vorbelastet sind Sie ja nicht wirklich: In Ihrer Familie gibt es nicht so viele Schauspieler.

    Heerwagen: Nee (lacht), es gibt in meiner Familie gar keine Schauspieler, meine Mutter ist jetzt in München an der Filmhochschule, aber auch erst, nachdem ich angefangen habe zu drehen, mein Vater hatte eine Firma für Objekt- und Personenschutz und mein Bruder ist Fußballer, also irgendwie hab ich nur das Gen, ich hab mich einfach meinem Schicksal gefügt.

    Marchewka: Also geschadet hat Ihnen das offensichtlich nicht, dieser autodidaktische Weg, im Jahr 2000 haben Sie schon gleich den deutschen Fernsehpreis bekommen, für 'Der Schandfleck', 2005 den Adolf-Grimme-Preis für 'Grüße aus Kaschmir', drei Jahre später, 2008, gleich wieder einen Grimme-Preis für 'An die Grenze', und im vergangenen Jahr wurden Sie für den Deutschen Filmpreis nominiert, für Ihre Rolle in dem Zukunftsdrama 'Die kommenden Tage'. Und die Süddeutsche Zeitung hat Sie irgendwann mal als 'die unbekannteste Großartigkeit des deutschen Films bezeichnet'. Ist das ein Lob? Oder ist das ein Tadel?

    Heerwagen: Ich leg das jetzt einfach mal als Lob aus...

    Marchewka: Na ja, 'unbekannt'.

    Heerwagen: Ja, aber es ist ja auch so. Ich galt lange Zeit als 'Geheimtipp', weil man entweder meinen Namen kannte oder mein Gesicht, aber beides hat man nicht so richtig zusammen bekommen, ja, ich hoffe, dass sich das ändert, weil ich will nicht mehr die, wie heißt das?, die unbekannteste Großartigkeit des deutschen Films sein, ich wäre jetzt gern bekannter, weil das bringt sehr viele positive Seiten mit sich.

    Marchewka: Sie haben mal gesagt, dass Ihr Beruf so eine Art Vehikel für Sie sei, verschiedene Seiten Ihrer Persönlichkeit ausleben zu können und auch eine gute Möglichkeit, um sich selber besser kennen zu lernen. Auf 'München 72' bezogen: Welche Seite der Persönlichkeit haben Sie denn da ausleben können?

    Heerwagen: Da war es eher so, dass ich es interessant fand, in die Siebziger zu reisen. Und ich hoffe einfach, dass ich mit dem Film dieser Frau eine Stimme geben konnte, mit der sie auch glücklich gewesen wäre und dass ich sie nicht verrate und versuche, so gut wie möglich zu zeigen und wiederzugeben und ihr überhaupt ein Bild zu geben.

    Marchewka: Ein kleines Denkmal setzen vielleicht?

    Heerwagen: Ja. Und was war eigentlich das Charakteristische? Es war so eine direkte Art, die sie hatte, die mir sehr viel Spaß gemacht hat, weil ich manchmal nicht so direkt bin wie sie und wahrscheinlich auch nie zu einem Terroristen sagen würde, hier, was macht ihr denn da für einen Quatsch? Das fand ich toll. Auch ihre Naivität fand ich super. Diese positive Naivität, die sie hatte. Da konnte ich ganz viele Sachen entdecken, die ich auch gerne in mein Leben mitgenommen hätte. Ich habe aber eher, glaube ich, diesmal mehr von ihr gelernt als die Figur von mir. Und das war eine sehr spannende Reise für mich.


    Das ZDF zeigt "München '72 - Das Attenat" heute um 20.15 Uhr