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Das Weltliteraturfestival Poetica
Eine Frage der Identität

Wer oder was bin ich? Und wie verändert Sprache das eigene Ich? Beim Poetica-Festival in Köln dreht sich in diesem Jahr alles um Identitäten. In Zeiten von Trump ist das auch ein hoch politisches Thema.

Von Rachelle Pouplier |
    Der nigerianisch-amerikanischer Schriftsteller Teju Cole
    Der nigerianisch-amerikanische Schriftsteller Teju Cole ist in diesem Jahr zu Gast beim Poetica-Festival (Deutschlandradio / Torben Waleczek)
    Wie bewegliche Schleier legen sich die unterschiedlichen Identitäten der Hiromi Ito mal übereinander und berühren sich, mal wehen sie diffus auseinander. Das Sprechen in einer fremden Sprache – für die Japanerin Ito ist es Englisch – bringt immer wieder neue Versionen des lyrischen Ichs zum Vorschein. Die Poesie und die Prosa ermöglichen ein Wechselspiel zwischen den Ichs. Identitäten sind fließend, Verwandlungen möglich, erklärt Kuratorin und Schriftstellerin Yoko Tawada beim Auftakt der Poetica.
    Anhand von Texten wie Kafkas berühmter Erzählung "Die Verwandlung" erörtern die Autoren und das Publikum das Albtraumhafte, Abstoßende, Animalische, das ebenfalls menschlich sein kann. Der Lyriker und Büchner-Preisträger Jan Wagner schreibt in seinen Gedichten auch aus der Perspektive von Pflanzen oder Gegenständen:
    "Das Schlüpfen in Rollen und andere Identitäten ist einer der großen Reize beim Schreiben von Gedichten. Da schwingt immer natürlich auch die Suche nach dem eigenen Kern, der eigenen Geschichte mit."
    Und das bringe auch Schattenseiten hervor:
    "Schon die Träume, die man Nacht für Nacht hat, offenbaren einem ja auch Wesenszüge, die einem doch unsympathisch sind, und die man eigentlich nicht entdecken möchte. Es war auch Goethe, der sagte, was für Monster in einem lauern. Dieser Mr Hyde, der in jedem Jekyll steckt, dass man auch dunkle Identitäten hat, aber auch die können interessant sein - gerade, wenn man Gedichte schreibt."
    Die düsteren Seiten der Gesellschaft
    Auch Gesellschaften besitzen dunkle Seiten: In Zeiten, in denen Populisten versuchen, mit dem Begriff einer vermeintlichen, kollektiven, nationalen Identität diejenigen, die anders sind, auszugrenzen, kommt der Literatur wieder eine zunehmend politische Aufgabe zu. Das spürt man auch auf der Poetica in Köln:
    Die Schriftstellerin Monique Truong ist am Ende des Vietnamkrieges als junges Mädchen mit ihren Eltern aus Vietnam in die USA geflohen. Die Charaktere ihrer Romane kämpfen als Einwanderer, ähnlich wie sie selbst, mit von außen aufoktroyierten Identitäten. Donald Trump habe, wie sie sagt, die Komplexität, die verschiedenen Identitäten der USA nicht erkannt.
    "Für mich sind die Vereinigten Staaten nicht mehr dasselbe Land, in das meine Eltern und ich damals gekommen sind. Präsident Trump hat etwas über dieses Land offenbart, das niederschmetternd ist. Er versteht weder die Geschichte noch die Mythologie dieses Landes. Er hat den öffentlichen Diskurs auf so ein niedriges Niveau gebracht. Er macht aus Menschen Stereotype: den guten versus den schlechten Immigranten."
    "Ausländerfeindlichkeit entsteht aus einer Art Identitätsdilemma"
    So wenig es nur eine Geschichte der Vereinigten Staaten gibt, so wenig gibt es auch nur eine Geschichte der Stadt New York, erinnert der nigerianisch-US-amerikanische Autor Teju Cole. In seiner Novelle "Open City" lässt er einen Flaneur durch die Straßen New York Citys spazieren und macht ihn zum scharfen Beobachter einer globalisierten Welt.
    "Die größte Spannung bei Fragen zur Identität besteht eigentlich für heterosexuelle, weiße Männer, die sich bedroht fühlen und ein altmodisches Konzept der Gesellschaft und der Machtverteilung aufrecht erhalten wollen. Schwarze, lesbische Frauen fordern ja nicht, dass jeder in Deutschland so sein soll wie sie. Aber die hetero, weißen Männer tun genau das. Ausländerfeindlichkeit entsteht also aus einer Art Identitätsdilemma heraus."
    Sprengkraft der Poesie
    Die Kraft, Nationalismus und Heimattümelei zu überkommen, liefert die Poesie. Denn "Beyond Identities", der diesjährige Poetica-Titel, bedeutet: Jenseits von Identitäten. Das Lesen von Prosa und Poesie schafft – über die eigene Person hinaus – Empathie. Jan Wagner:
    "Wer Gedichte liest und bereit ist, sich einzulassen auf andere Identitäten und andere Leben, und überhaupt den Gedanken zulässt, dass all dieses in einem selbst schlummert - das macht die Sprengkraft von Gedichten aus, das macht sie auch so unbeliebt in Diktaturen."