"Die Dorfgemeinschaft ist hier schon sehr intensiv: Gemeinsames Straße fegen, und solche Sachen. So, und jetzt bist du in einem Rundling."
Doris Gessner, die mit ihrer sportlichen Figur so gar nicht nach 64 Lebensjahren aussieht, wohnt seit vier Jahren in dem 90-Seelen-Dorf Köhlen im südlichen Wendland - einem so genannten Rundling. Alle 14 Häuser formieren sich um einen kleinen Dorfplatz, auf dem Spielgeräte und eine Infotafel stehen - außerdem ein gemeinsamer Briefkasten für alle:
"Da ist morgens die Zeitung für alle drin, die holt sich jeder ab. Und hier wird angekündigt, was so los ist. Wie zum Beispiel am ersten Juni 'Köhlen - ein Rundling stellt sich vor'. Das war Welterbetag."
Die Wendländer Rundlingsdörfer sind nämlich weltweit einzigartig und Anwärter für den Weltkulturerbetitel - noch in diesem Jahr wird das Land Niedersachsen sie vorschlagen. Und dabei sind die Rundlinge oftmals gar nicht mehr so richtig rund: Aufgrund ihrer dichten Anordnung brannten viele ab und wurden in einer etwas länger gestreckteren Dorfform wieder neu aufgebaut:
"Aber die Grundstücke sind noch so - das formt sich nach hinten wie Tortenstücke."
So auch bei Doris Gessner. Bunte Blumeninseln und Sitzgelegenheiten siedeln entlang des gepflegten Fachwerkhauses, das aus dem Jahr 1792 stammt. Hallenhäuser nennen sich diese mächtigen Bauten - einst Wirtschafts- und Wohnhäuser in Einem.
"Das ist die Groot Dör, und dann war hier alles Wirtschaftsgebäude, Einfahrt für die großen Wirtschaftswagen. Ich habe hier insgesamt über 300qm Wohnfläche."
"Eine große Dichte an Kreativen"
Viel Platz, den Doris Gessner und ihr Lebensgefährte aber nicht für sich allein nutzen - sie gibt als Bildhauerin regelmäßig Kurse und beherbergt die Kursteilnehmer dann direkt im Haus. Außerdem hat sie in den dazugehörigen Gebäuden, ehemalige Ställe, Werkräume und Ausstellungsflächen eingerichtet. Und das alles für einen Kaufpreis von 150.000 Euro. Kein Wunder, dass es die Künstlerin aus Ostfriesland ins Wendland zog - und das ging nicht nur ihr so, erzählt sie, als wir wieder im Auto sitzen:
"Das liegt daran, dass hier eine irre große Dichte an Kreativen, Lebenskünstlern herrscht - die ist um ein 200-faches höher als in anderen Gegenden."
Eine weitere dieser kreativen Personen ist Babette Schwaderer, die wir nun besuchen. Ebenso wie Doris Gessner verliebte sie sich bei einem Besuch der 'Kulturellen Landpartie' spontan ins Wendland.
"Sie malt und gibt auch Malkurse. Sie liebt ihr Haus und beobachtet den Verfall und begleitet den irgendwie."
Kurz vor dem 40-Einwohner-Ort Oldendorf halten wir vor einem allein stehenden Häuschen. Er erinnert an Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt im Kleinformat erinnert. So auch von innen - wir gehen einfach durch die offene Haustür.
"Fast ein Museum"
"Grüß dich, Babette!" - Ja, das Highlight ist die Küche, das ist fast ein Museum. Ohne fließend Wasser und mit so einer alten Spüle."
Und einem uralten Ofen. Jede Wand ist in einer anderen Farbe bemalt, beinahe verwunderlich erscheint, dass es eine Zentralheizung gibt.
Babette Schwaderer:
Babette Schwaderer:
"Die Sache mit der Heizung ist die, dass die Heizkörper an den unmöglichsten Stellen angebracht sind, also die Umluft funktioniert nicht so wirklich."
Babette Schwaderer trägt es mit Fassung. Die Mittvierzigerin kam vor 15 Jahren ins Wendland, um das Leben hier auszuprobieren, - aus einem ganz tiefen Ruhebedürfnis, wie sie sagt. Nun ist sie immer noch da und nutzt ihr marodes Heim für die Kunst:
"An allen Ecken und Kanten ist es porös - es schenkt auch manchmal so Teile her, das tue ich auch niemals weg, da passiert immer noch mal etwas mit. Das sieht man dann auch in der Ausstellung."
Die findet sich im Hinterhaus und zeigt vor allem Aktbilder. Da hätten die Wendland-Eingeborenen am Anfang doch etwas irritiert reagiert, grinst Schwaderer - inzwischen hätten sie sich aber auch daran gewöhnt:
Sich mit den wichtigen Dingen im Leben beschäftigen
"Das ist diese ruhige Freundlichkeit, wenn man sich mit den wichtigen Dingen im Leben beschäftigt."
Nun kommen die Nachbarn sogar in die Ausstellung - oder schicken ihre Kinder vorbei: Babette Schwaderer hat sich nämlich zusätzlich jüngst als Kulturpädagogin selbstständig gemacht - Kindergruppen können sie in ihren Garten besuchen.
"Wir haben gestern eine 20-köpfige Piratenschlacht gehab. Ich denke mir dann eine Geschichte aus und Spiele, die dazugehören. Das ist dann so, dass so eine Weide im Nullkommanix zum Piratenschiff wird, und dann geht das los."
Leben kann Schwaderer noch nicht von ihren Tätigkeiten, aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig: 'Wer seinen Beruf gefunden hat, braucht nie mehr zu arbeiten' - so steht es in altdeutscher Schrift mit einer Feder geschrieben auf einem ihrer Ausstellungsstücke. Die rothaarige Frau lächelt - vielleicht trifft genau das auch auf sie zu.
Wir verabschieden uns und fahren weiter. Baumgesäumte Landstraßen schlängeln sich durch eine weite, von Felderwirtschaft geprägte Landschaft. An den meisten Häusern prangt ein großes, gelbes X - das Symbol für den Widerstand gegen den Castor. So auch vor dem alten Bauernhaus von Johann Strauß, 72 Jahre alt, weißer Vollbart, einer von 40 Einwohnern des Ortes Leisten:
"Ich habe das als Bildhauer etwas variiert, das sind Bohlen, die ich auf dem Dachboden gefunden habe."
"Wenn der Castor naht, ist das ganze Wendland auf den Beinen. Da gibt es kaum jemanden der nicht demonstriert, oder Gäste aufnimmt," fügt Doris Gessner hinzu.
Dann lächelt sie und verrät, dass Johann Strauß gern Leserbreife schreibt - aber zu einem anderen Thema.
Ein anderes Problem
"Hier im Wendland leiden wir unter einer beginnenden Massentierhaltung, die die Tendenz hat sich auszubreiten.""Es ist ja so, dass das Wendland eigentlich die Tendenz hat, ein Fremdenverkehrsgebiet zu werden mit sanftem Tourismus, und ein Ökogebiet mit biologischer Landwirtschaft - und das kann ich jetzt nicht kombinieren." Dass dagegen etwas getan werden muss, steht für Strauß außer Frage:Die Lokalpolitik versuche zur Zeit jedoch genau dies, bemängelt Strauß. Er selbst hat längst damit begonnen, den sanften Tourismus in der Region zu befördern: An seinem Haus prangt - wie auch an dem von Doris Gessner und Babett Schwaderer - ein Schild mit der Aufschrift 'Wendland hautnah': Interessierte können sich über eine Internetplattform mit Wendländern verabreden und sie das Ganze Jahr über daheim besuchen."Wir haben schon verschiedene Leute hier gehabt, vor allem Radfahrer. Und die haben natürlich auch das Verlangen, sich neben der Landschaft hier auch kulturell etwas umzusehen."Bei Johann Strauß und seiner Ehefrau Irene gibt es einiges zu sehen: Das von Blumen gesäumte, über 100 Jahre alte Bauernhaus haben sie in Eigenarbeit liebevoll renoviert, im ehemaligen Wirtschaftsgebäude nebenan finden sich gleich zwei Ausstellungsräume. Während er mit Holz und Stein bildhauert, arbeitet sie schwerpunktmäßig mit geschöpftem Papier."Interessant wird das erst, wenn man Pflanzenteile einschöpft, Spargel etwa, oder Blütenteile. Und dann kann man das Ganze zusammensetzen zu Kollagen."Auf dem Weg nach draußen kommen wir an einer hölzernen Sitzgruppe vorbei, die Rückenlehne der Bank besteht aus ausgefrästen menschliche Silhouetten - alles handgemacht."Seitdem wir hier wohnen, hab ich noch kein Stück Holz selbst beschaffen müssen."Denn Nachbarn und Freunde bringen immer wieder Material vorbei - und freuen sich, wenn damit noch etwas 'passiert'.
Langeweile hat Johann Strauß also selten - er verbringt aber auch noch an anderer Stelle viel Zeit."So, durch die Scheune kommt man hier in den Garten. Das hier ist das Herzstück, der Komposthaufen. Hier sehen wir Erdbeeren, Rote Beete. Zum Beispiel Bohnen kaufen wir nie - von diesen insgesamt zwölf Stangen ernten wir so viel, dass wir noch viel verschenken können."Enger ZusammenhaltAls Stress empfindet der Rentner das Gärtnern keineswegs:"Es ist ja so: Wenn man das als Arbeit empfindet, dann wird es lästig. Empfindet man das als Erholung von anderer Arbeit, dann spart man sogar dabei. Man muss nicht in ein Fitnesscenter zu gehen - das macht man, indem man eine Hacke in die Hand nimmt und damit durchs Gemüsebeet zieht."Auch das Ehepaar Strauß scheint seine Berufung gefunden zu haben. Die beiden Lehrer im Ruhestand verkauften vor zwölf Jahren ihr Haus in Salzgitter und haben nur vor allem eines: Zeit. Um ihre Zukunft - das Altwerden auf dem Land - machen sie sich hingegen kaum Sorgen: Hier leben doch so viele Senioren in den Dörfern, sagen sie - und wenn da mal jemand einen Tag lang nicht auftaucht, würde es sofort bemerkt - anders als in der Stadt.Wieder im Auto, erzählt mir Doris Gessner, dass es eben dieser enge Zusammenhalt der Menschen ist, der sie am meisten am Wendland fasziniert.Und dann kommen wir auf dem Rückweg noch an einem der großen Schweineschlachtbetriebe der Region vorbei - das Problem mit der Massentierhaltung, welches Johann Strauß so sehr unter den Nägeln brennt.„Stinkt natürlich auch schön. Und dahinter ist der Rundling Steine, den hat dieser Besitzer fast komplett aufgekauft, und da wohnen die Polen die hier arbeiten - also der Landkreis hat nicht einmal was davon."Eine eigentümliche Liaison zwischen Kultur und Wirtschaft - und sicher keine im Sinne der meisten Wendlandbewohner. Eine Chance, seinen Status als Natur- und Kulturraum festzuschreiben, erhält das Wendland 2017 - wenn es vielleicht Weltkulturerbe wird.
Langeweile hat Johann Strauß also selten - er verbringt aber auch noch an anderer Stelle viel Zeit."So, durch die Scheune kommt man hier in den Garten. Das hier ist das Herzstück, der Komposthaufen. Hier sehen wir Erdbeeren, Rote Beete. Zum Beispiel Bohnen kaufen wir nie - von diesen insgesamt zwölf Stangen ernten wir so viel, dass wir noch viel verschenken können."Enger ZusammenhaltAls Stress empfindet der Rentner das Gärtnern keineswegs:"Es ist ja so: Wenn man das als Arbeit empfindet, dann wird es lästig. Empfindet man das als Erholung von anderer Arbeit, dann spart man sogar dabei. Man muss nicht in ein Fitnesscenter zu gehen - das macht man, indem man eine Hacke in die Hand nimmt und damit durchs Gemüsebeet zieht."Auch das Ehepaar Strauß scheint seine Berufung gefunden zu haben. Die beiden Lehrer im Ruhestand verkauften vor zwölf Jahren ihr Haus in Salzgitter und haben nur vor allem eines: Zeit. Um ihre Zukunft - das Altwerden auf dem Land - machen sie sich hingegen kaum Sorgen: Hier leben doch so viele Senioren in den Dörfern, sagen sie - und wenn da mal jemand einen Tag lang nicht auftaucht, würde es sofort bemerkt - anders als in der Stadt.Wieder im Auto, erzählt mir Doris Gessner, dass es eben dieser enge Zusammenhalt der Menschen ist, der sie am meisten am Wendland fasziniert.Und dann kommen wir auf dem Rückweg noch an einem der großen Schweineschlachtbetriebe der Region vorbei - das Problem mit der Massentierhaltung, welches Johann Strauß so sehr unter den Nägeln brennt.„Stinkt natürlich auch schön. Und dahinter ist der Rundling Steine, den hat dieser Besitzer fast komplett aufgekauft, und da wohnen die Polen die hier arbeiten - also der Landkreis hat nicht einmal was davon."Eine eigentümliche Liaison zwischen Kultur und Wirtschaft - und sicher keine im Sinne der meisten Wendlandbewohner. Eine Chance, seinen Status als Natur- und Kulturraum festzuschreiben, erhält das Wendland 2017 - wenn es vielleicht Weltkulturerbe wird.