Die Probleme der Technik verdecken das Problem der Technik. Sie hat Probleme und sie macht Probleme. Aber sie ist auch ein Problem. Doch wie kann Technik überhaupt zum Problem werden, wenn sie doch das Resultat von Erkenntnis und Berechnung ist?
Mit dieser Frage ist Norbert Bolz im Zentrum seines Interesses an der Technik. Der Philosoph ermöglicht es seinem Leser, einen Schritt zurückzutreten und sich für den Moment der Lektüre von der Sachzwanglogik zu lösen, mit der die Folgeprobleme technischer Entwicklungen als notwendiges Übel behandelt werden. Bolz macht den Weg frei, um das Wesen des Technischen wieder in den Blick zu bekommen. Dazu unternimmt er einen Parforceritt durch die Philosophie des 20. Jahrhunderts. Von Edmund Husserl bis Hans Blumenberg von Helmuth Plessner bis Friedrich Kittler und von Walter Benjamin bis Niklas Luhmann reicht die Liste jener, auf die Bolz zurückgreift. Vor allem aber – und das legt ja bereits der Titel nahe - hält er es mit Heidegger. Der nämlich hat einst den für das vorliegende Buch titelgebenden Begriff des Gestells geprägt. Für Heidegger vollendet sich im Gestell der Prozess der Technisierung. Die Lebenswelt verschwindet in ihrem bisherigen Sosein und wird vollständig umgewandelt durch die Prozesse der Abstraktion und Formalisierung. Dabei geht es dieser Denktradition, in die sich Bolz bewusst stellt, nicht um eine Technikkritik, sondern um eine Analyse der von der Technisierung herrührenden Veränderungen im geistigen Zugriff auf die Welt. Von dem Moment an, wo sich die Technik zum Gestell geschlossen hat, zählt Können mehr als Wissen, da es durch die Ingenieurskunst möglich wird, mit Dingen umzugehen, die wir weder im Großen noch en détail verstehen. Bolz arbeitet heraus, dass das Gestell ebenso sehr entlastet wie es entmündigt, und sieht vor diesem Hintergrund auf unsere Gegenwart:
Unsere Welt der kommunizierenden Computer ist keine Welt nach dem Maß des Menschen. Dem Kult der sozialen Netzwerke zum Trotz deuten Datenverwaltung, Expertensysteme und Suchmaschinen auf die geheime Wirklichkeit des Gestells: Maschinen kommunizieren mit Maschinen. Ob man das nun Gestell, Matrix oder "the cloud" nennt – entscheidend ist nur, dass es sich by technology for technology vollzieht.
Mit dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann sieht Bolz, wie die Technik eine zweite Umwelt für den Menschen erschafft. Luhmann hat dafür den Terminus "Ausschaltung der Welt-im-übrigen" geprägt. Den Startpunkt dieser neuen, künstlichen Umwelt des Menschen verortet Bolz im Hereinbrechen des Maschinenzeitalters. Erhellend analysiert der Professor für Medienwissenschaft von der Technischen Universität Berlin den Unterschied zwischen Werkzeug, trivialer und kybernetischer Maschine. Während man sich des Werkzeugs noch bedient, muss die Maschine vom Menschen bedient werden. Die kybernetische Maschine dagegen, die sich von den Umwelteinflüssen weitestgehend unabhängig macht, muss nur noch gewartet werden. Da wir heute zunehmend in einer Welt der kybernetischen Maschinen leben, die eigenständig einparken, selbstständig Staubsaugen und im Internet eifrig Daten austauschen, müssen wir uns nur noch in Ausnahme- - sprich - Katastrophenfällen mit der Natur als erster Umwelt auseinandersetzen und haben es ansonsten mit dem Hightech-Gestell als zweiter Umwelt des zu tun. Anders gesagt: Wie der Mensch in vorzivilisatorischer Zeit von der Natur, so sind wir heute von der Technik abhängig. Die Technik wird nun ihrerseits aber von ihren eigenen Folgeproblemen angetrieben. Somit müssen wir uns gesamtgesellschaftlich wie individuell mehr mit den Folgeproblemen der Technik als mit unseren ureigenen beschäftigen.
Bei Themen wie Umweltverschmutzung, Global Warming und Energieversorgung spürt jeder: Die Zukunft hängt von Techniken ab, die derzeit noch nicht zur Verfügung stehen.
Wer nun aber erwartet, dass Bolz aus seiner scharfen Analyse heraus ein apokalyptisches Bild malt, sieht sich rasch enttäuscht. So wählt das Buch "Das Gestell" nicht die düstere Vision des Hollywoodkinos a la Terminator, sondern sieht in den Internetmedien die Möglichkeit eines neuen Bundes zwischen Technik und Mensch. Bolz bedient sich dazu eines Ausdrucks des katholischen Philosophen Theilhard de Chardin, der von Noosphäre sprach und damit einen Weltgeist meinte, der sich um die Erde legt und die Evolution der Menschheit vollendet.
Heute macht das Internet aus der Noosphäre technische Wirklichkeit. Das Neue der neuen Medien besteht vor allem darin, dass ihre Inhalte von den Nutzern selbst produziert werden. Blogging macht heute aus dem Internet eine neue Form der Öffentlichkeit, in der alle füreinander Publikum sind.
Ein überraschender Schluss des Buches, der jedoch angesichts des philosophisch schwergewichtigen Vorlaufs, durch den Bolz in gewohnt souveräner Manier zu manövrieren versteht, etwas fade wirkt. Sicher gibt es im Internet die Tendenz, dass neben die Rezeption auch die Partizipation tritt. Doch anzunehmen, dass damit eine Wende im Verhältnis Technik und Mensch eintritt, wirkt naiv oder – da das im Fall von Norbert Bolz auszuschließen ist – bemüht. Denn dass wir Menschen zumindest in der Lage sind, die technischen Apparaturen für unsere Zwecke zu nutzen, hat bereits die Erfolgsgeschichte des Autos gezeigt. Wenn das Buch schließlich mit einer Meditation über den durch Facebook erzeugten neuen Begriff des "Freundes" endet, reibt sich der treue Bolz-Leser die Augen und fragt sich, wie und warum der ehedem provokante Philosoph seine funkelnd-ironischen Statements einer nicht zu überlesenden Sehnsucht nach Milde geopfert hat. Die Antwort muss der Rezensent schuldig bleiben.
Norbert Bolz: Das Gestell.
Wilhelm Fink Verlag 2012, 137 Seiten, 16,90 Euro
Mit dieser Frage ist Norbert Bolz im Zentrum seines Interesses an der Technik. Der Philosoph ermöglicht es seinem Leser, einen Schritt zurückzutreten und sich für den Moment der Lektüre von der Sachzwanglogik zu lösen, mit der die Folgeprobleme technischer Entwicklungen als notwendiges Übel behandelt werden. Bolz macht den Weg frei, um das Wesen des Technischen wieder in den Blick zu bekommen. Dazu unternimmt er einen Parforceritt durch die Philosophie des 20. Jahrhunderts. Von Edmund Husserl bis Hans Blumenberg von Helmuth Plessner bis Friedrich Kittler und von Walter Benjamin bis Niklas Luhmann reicht die Liste jener, auf die Bolz zurückgreift. Vor allem aber – und das legt ja bereits der Titel nahe - hält er es mit Heidegger. Der nämlich hat einst den für das vorliegende Buch titelgebenden Begriff des Gestells geprägt. Für Heidegger vollendet sich im Gestell der Prozess der Technisierung. Die Lebenswelt verschwindet in ihrem bisherigen Sosein und wird vollständig umgewandelt durch die Prozesse der Abstraktion und Formalisierung. Dabei geht es dieser Denktradition, in die sich Bolz bewusst stellt, nicht um eine Technikkritik, sondern um eine Analyse der von der Technisierung herrührenden Veränderungen im geistigen Zugriff auf die Welt. Von dem Moment an, wo sich die Technik zum Gestell geschlossen hat, zählt Können mehr als Wissen, da es durch die Ingenieurskunst möglich wird, mit Dingen umzugehen, die wir weder im Großen noch en détail verstehen. Bolz arbeitet heraus, dass das Gestell ebenso sehr entlastet wie es entmündigt, und sieht vor diesem Hintergrund auf unsere Gegenwart:
Unsere Welt der kommunizierenden Computer ist keine Welt nach dem Maß des Menschen. Dem Kult der sozialen Netzwerke zum Trotz deuten Datenverwaltung, Expertensysteme und Suchmaschinen auf die geheime Wirklichkeit des Gestells: Maschinen kommunizieren mit Maschinen. Ob man das nun Gestell, Matrix oder "the cloud" nennt – entscheidend ist nur, dass es sich by technology for technology vollzieht.
Mit dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann sieht Bolz, wie die Technik eine zweite Umwelt für den Menschen erschafft. Luhmann hat dafür den Terminus "Ausschaltung der Welt-im-übrigen" geprägt. Den Startpunkt dieser neuen, künstlichen Umwelt des Menschen verortet Bolz im Hereinbrechen des Maschinenzeitalters. Erhellend analysiert der Professor für Medienwissenschaft von der Technischen Universität Berlin den Unterschied zwischen Werkzeug, trivialer und kybernetischer Maschine. Während man sich des Werkzeugs noch bedient, muss die Maschine vom Menschen bedient werden. Die kybernetische Maschine dagegen, die sich von den Umwelteinflüssen weitestgehend unabhängig macht, muss nur noch gewartet werden. Da wir heute zunehmend in einer Welt der kybernetischen Maschinen leben, die eigenständig einparken, selbstständig Staubsaugen und im Internet eifrig Daten austauschen, müssen wir uns nur noch in Ausnahme- - sprich - Katastrophenfällen mit der Natur als erster Umwelt auseinandersetzen und haben es ansonsten mit dem Hightech-Gestell als zweiter Umwelt des zu tun. Anders gesagt: Wie der Mensch in vorzivilisatorischer Zeit von der Natur, so sind wir heute von der Technik abhängig. Die Technik wird nun ihrerseits aber von ihren eigenen Folgeproblemen angetrieben. Somit müssen wir uns gesamtgesellschaftlich wie individuell mehr mit den Folgeproblemen der Technik als mit unseren ureigenen beschäftigen.
Bei Themen wie Umweltverschmutzung, Global Warming und Energieversorgung spürt jeder: Die Zukunft hängt von Techniken ab, die derzeit noch nicht zur Verfügung stehen.
Wer nun aber erwartet, dass Bolz aus seiner scharfen Analyse heraus ein apokalyptisches Bild malt, sieht sich rasch enttäuscht. So wählt das Buch "Das Gestell" nicht die düstere Vision des Hollywoodkinos a la Terminator, sondern sieht in den Internetmedien die Möglichkeit eines neuen Bundes zwischen Technik und Mensch. Bolz bedient sich dazu eines Ausdrucks des katholischen Philosophen Theilhard de Chardin, der von Noosphäre sprach und damit einen Weltgeist meinte, der sich um die Erde legt und die Evolution der Menschheit vollendet.
Heute macht das Internet aus der Noosphäre technische Wirklichkeit. Das Neue der neuen Medien besteht vor allem darin, dass ihre Inhalte von den Nutzern selbst produziert werden. Blogging macht heute aus dem Internet eine neue Form der Öffentlichkeit, in der alle füreinander Publikum sind.
Ein überraschender Schluss des Buches, der jedoch angesichts des philosophisch schwergewichtigen Vorlaufs, durch den Bolz in gewohnt souveräner Manier zu manövrieren versteht, etwas fade wirkt. Sicher gibt es im Internet die Tendenz, dass neben die Rezeption auch die Partizipation tritt. Doch anzunehmen, dass damit eine Wende im Verhältnis Technik und Mensch eintritt, wirkt naiv oder – da das im Fall von Norbert Bolz auszuschließen ist – bemüht. Denn dass wir Menschen zumindest in der Lage sind, die technischen Apparaturen für unsere Zwecke zu nutzen, hat bereits die Erfolgsgeschichte des Autos gezeigt. Wenn das Buch schließlich mit einer Meditation über den durch Facebook erzeugten neuen Begriff des "Freundes" endet, reibt sich der treue Bolz-Leser die Augen und fragt sich, wie und warum der ehedem provokante Philosoph seine funkelnd-ironischen Statements einer nicht zu überlesenden Sehnsucht nach Milde geopfert hat. Die Antwort muss der Rezensent schuldig bleiben.
Norbert Bolz: Das Gestell.
Wilhelm Fink Verlag 2012, 137 Seiten, 16,90 Euro