Philipp May: Das Jahr 2018 war kein ganz einfaches für die Wirtschaft. Wir wollen eine Bilanz des Wirtschaftsjahres ziehen und tun das mit Klemens Kindermann, Leiter unserer Wirtschaftsredaktion. Herr Kindermann, mir fallen da für 2018 spontan drei Riesen-Themen ein: Brexit, Diesel, Trump. Was davon hat die Unternehmen und Finanzmärkte am stärksten umgetrieben?
Klemens Kindermann: Zweifellos ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der EU am 29. März hängt wie ein Damoklesschwert über der Wirtschaft gerade in Europa. Da wird man sehen, ob es nicht doch noch im Januar zu einer Zustimmung des britischen Parlaments zu dem mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag kommt.
Wenn man aber auf die anderen großen Themen für die Wirtschaft schaut, dann ist das wichtigste ziemlich eindeutig die neue Welt der Handelskonflikte, angezettelt durch US-Präsident Donald Trump. Die deutsche Wirtschaft ist davon mehr als andere Ökonomien in der Welt betroffen, da sie so exportstark ist wie kaum eine andere. Man kann sagen: die Globalisierung hat ausgedient, wenn man die Welt so sieht wie Trump. Und in der EU hat Trump einen Gegner ausgemacht, der sogar noch schlimmer als China ist:
"Die Europäische Union ist wahrscheinlich so schlecht wie China, nur kleiner, okay? Es ist furchtbar, was sie uns angetan haben. Nehmen wir die Lage bei den Autos: sie senden einen Mercedes, wir können kein Auto schicken."
Von dieser aggressiven Handelspolitik der USA werden viele Ökonomien getroffen, nicht nur die EU und China. Zum Beispiel über eine geringere Nachfrage Chinas nach Rohstoffen und Vorprodukten auch die Schwellenländer ganz massiv. Aber eben nicht nur die, sondern auch wir hier in Europa und Deutschland.
Deutschland leidet unter Handelskrieg USA gegen China
May: Was kostet die deutsche Wirtschaft die neue amerikanische Handelspolitik?
Kindermann: Ziemlich eindeutig beziffern kann man die seit Juni geltenden Strafzölle der USA auf Aluminium- und Stahlimporte aus der EU. Die dürften allein die hiesigen Unternehmen etwas über eine Milliarde Euro in den nächsten zwei Jahren kosten. Ein viel größerer Faktor für die deutsche Wirtschaft ist der Handelskonflikt zwischen den USA und China.
Peking hat ja die Zölle auf Auto-Importe aus den USA drastisch angehoben. Das trifft aber gar nicht so sehr die US-Hersteller, sondern die deutschen Autobauer: Aus ihren US-Werken stammen die meisten der von den USA nach China eingeführten Pkw. Noch schlimmer ist die allgemeine Verunsicherung durch die harten Handelskonflikte, allen voran der zwischen den USA und China. Denn die deutsche Wirtschaft ist vor allem eine, die Maschinen, Anlagen und Fahrzeuge liefert, typische Investitionsgüter. Da hinein zu investieren, das stellen viele Firmen weltweit erst einmal zurück.
Das Wachstum der gesamten deutschen Ausfuhren fällt daher nach einer aktuellen Schätzung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages in 2018 mit knapp drei Prozent nur halb so kräftig aus wie angenommen. In absoluten Zahlen kostet das die deutsche Exportwirtschaft etwa 55 Milliarden Euro.
Wettrennen ums Auto der Zukunft
May: Die deutschen Autobauer sind auch von diesen Handelskonflikten betroffen. Aber das war nicht ihr einziges Problem?
Kindermann: Nein, beileibe nicht. Ihr Problem ist eines, das ausgerechnet mit einer der wichtigsten Eigenschaften ihres eigenen Produkts zu tun hat: Geschwindigkeit. Es gibt weltweit ein Rennen um das Auto der Zukunft, das Elektroauto. Und die deutschen Hersteller liegen da zurück, sind nicht schnell genug. Stichwort Tesla, der US-Elektroautobauer. Oder der chinesische Markt, der wichtigste der Welt, wo der Verkauf von E-Autos bereits boomt.
Zur Autoshow in Detroit kamen die deutschen Autobauer noch mit ihren SUVs. Da müssen sie sehr schnell umsteuern. Und der neue VW-Chef Herbert Diess sagt selbst, dass es ohne schnelles Umsteuern, ohne höheres Tempo nicht geht:
"Wir müssen dabei in einem ausgesprochen anspruchsvollen Wettbewerbsumfeld unser Tempo nochmals deutlich erhöhen."
VW investiert in die E-Mobilität in den nächsten Jahren 30 Milliarden Euro. Gleichzeitig gibt die Umstellung auf Elektroautos neue Probleme: Dafür braucht man weniger Mitarbeiter, bei VW könnten alleine in Emden und Hannover bis zu 7.000 Stellen wegfallen. Man braucht auch Batterien und deren sichere Lieferung. Und das Ganze in einer Zeit, wo die Diesel-Affäre immer noch nicht ausgestanden ist.
Kursverfall bei Banken
May: Zum Schluss schauen wir noch auf die deutschen Banken. Kann man sagen, das war ein Trauerspiel, was wir da 2018 gesehen haben?
Kindermann: Ja, das kann man sagen. In den USA haben die Banken die Lehman-Krise hinter sich gelassen, schreiben wieder satte Gewinne und spielen eine Schlüsselrolle beim Aufschwung der US-Wirtschaft. Hier in Deutschland sind die Deutsche Bank und die Commerzbank nur noch Schatten ihrer selbst, sind überwiegend mit sich selbst beschäftigt. Im Frühjahr wurde der glücklose John Cryan bei der Deutschen Bank rausgeworfen und Christian Sewing als neuer Vorstandschef installiert. Sein Zukunftskonzept:
"Wir müssen nachhaltig profitabel arbeiten und dafür jetzt die langfristigen Voraussetzungen schaffen."
Hört sich ein bisschen defensiv an und überzeugt offenbar nicht richtig: Der Aktienkurs der Deutschen Bank ist seit dem Amtsantritt Sewings im April um fast ein Drittel gefallen, seit Jahresbeginn übrigens um gut die Hälfte. Jetzt vor Weihnachten rutschte er sogar unter die Marke von sieben Euro – also, wenn Hermann Josef Abs, der legendäre Deutsche-Bank-Vorsitzende, das wüssste, dass eine Deutsche Bank-Aktie so viel kostet wie eine Schachtel Zigaretten ...