Mozarts "Zauberflöte" Libretto-Neuausrichtung mit Sprengkraft
Wie frauenfeindlich und rassistisch sind die Opernlibretti von Komponisten wie Mozart? Und wie könnte beispielsweise die "Zauberflöte" für ein sensibilisiertes Publikum neujustiert werden? Damit beschäftigt sich der Verlag Critical Classics.
Die Empörungswelle war groß, als Kinder- und Jugendbücher wie „Räuber Hotzenplotz“, „Pippi Langstrumpf“ oder „Winnetou“ für ein heutiges Publikum vor rund zehn Jahren leicht bearbeitet herausgegeben wurden: Bestimmte Begriffe in diesen Büchern, die heute als rassistisch oder sexistisch gelten oder bestimmte Minderheiten diskriminieren, wurden ersetzt.
Historische Texte auch in der Oper neu beurteilen
Auch Operntexte sind historische Zeitzeugen ihrer damaligen Welt. Was passiert, wenn man Bizets „Carmen“ neu befragt? Wie ersetzt man dort Klischees über Sinti und Roma durch eine diskriminierungssensible Sprache. Wie kommt das dort entworfene Frauenbild ohne solche Bezeichnungen aus, die heute als herabsetzend empfunden werden?
Der Regisseur und langjährige Opernintendant der Wuppertaler Bühnen Berthold Schneider hat die Edition „Critical Classics“ ins Leben gerufen, in der er alternative Textvorschläge für Opernklassiker macht. Als erstes nimmt sich Schneider Mozarts „Zauberflöte“ vor.
Wichtiges Repertoirestück
Für Kinder und Jugendliche ist Mozarts „Zauberflöte“ oft immer noch der Erstkontakt mit der Gattung der Oper. Streng genommen ist die „Zauberflöte“ ein Singspiel – das heißt, es gibt viel gesprochenen Text, der besser und eindeutiger zu verstehen ist als gesungener und damit oft auch verständlicher fürs Publikum und somit stark im Fokus.
Voller althergebrachter Vorurteile
In der „Zauberflöte“ finden sich viele verbalen Herabsetzungen, die sich auf Frauen und people of colour beziehen. Am offensichtlichsten ist das in der Figur des Bösen, des sogenannten Mohren Monostatos. Berthold Schneider hat mittlerweile Reaktionen im Publikum der „Zauberflöte“ beobachtet, die dem Anliegen von Theaterschaffenden widersprechen: Unfreiwillige Komik will von denen sicherlich niemand erzeugen.
Es waren solche Textzeilen, bei denen sich die Menschen durch ein peinlich berührtes Lachen von uns distanzierten, uns als Operngenre innerlich in eine entfernte historische Ecke schoben. Und uns im besten Fall nachsichtig belächelten, denn es ging ja 'nur' um Oper. In dieser Aufführung habe ich verstanden, dass wir das ändern müssten.
Mit diskriminierungssensiblem Textbuch das Regieteam entlasten
Zum Beispiel beim platonischen Duett zwischen Pamina und Papageno. Darin wird oft das Wort "Weib" benutzt, das heute oft als herabsetzend empfunden wird. Zudem kann man in dem Duett die Heiligsprechung heterosexueller Liebe sehen. Der Vorschlag Berthold Schneiders ist deshalb nicht nur die Änderung des Wortes Weib zum Wort Frau hin, die vielen Verswiederholungen in der klassischen Oper kommen ihm zur Hilfe, um auch einige andere Liebesoptionen zu erwähnen:
Nichts Edlers sei als Mann und Frau. Mann und Mann und Frau und Frau, Mann und Mann und Frau und Mann, Reichen an die Gottheit an."
Ein Vorschlag, der sich plakativ um Vollständigkeit bemüht. Aber: wer kann es besser?
Nebenhandlungen neu deuten
Wer durch die „Zauberflöte“ in der neuen Edition blättert, findet Schneiders Problematisierungen plötzlich auch an unerwarteter Stelle plausibel. Dass Papagena zunächst als alte, hässliche Frau verkleidet ist, nimmt man nun verstärkt als Sexismus und Altersdiskriminierung wahr. Schneider schlägt vor, dass Papageno seine Papagena zunächst nicht wegen ihres Aussehens verschmäht, sondern weil er mit selbstbewussten Frauen nicht umgehen kann.
Schneider macht Vorschläge, eine Nebenhandlung anders zu spielen als im Textbuch des Emanuel Schikaneder vorgesehen. Denn beim bloßen Austausch einzelner Wörter kann es in der „Zauberflöte“ nicht bleiben.
Ergänzungen zulassen
Berthold Schneider fügt für Pamina Mozarts deutschsprachige Konzertarie Köchelverzeichnis 383 mit einem neuen Text von Schneider als Dichter ein. Damit versucht er, die Figur der Pamina in ihrer Partnerwahl von ihrer Passivität zu befreien. Weshalb darf nur Tamino eine Liebesarie singen, während Paminas Bekenntnis zum Prinzen stillschweigend vorausgesetzt wird?
Textänderungen sind nicht alles
Berthold Schneider präsentiert namentlich die Figur der Pamina in der Summe seiner Textänderungen als stark gestaltende, ausgleichende Kraft zwischen der nun doch ziemlich fies geratenen Königin der Nacht einerseits und dem Sonnenfürsten Sarastro andererseits.
An dieser Stelle fragt man sich, ob genau diese subjektive Deutung nicht besser ausschließlich auf künstlerischer Ebene der Opernregie und damit auf der Bühne selbst geleistet werden sollte. Kritisch muss nun nicht nur der Originaltext der Mozart-Oper gelesen werden, sondern auch jener der Bearbeitung. Aber es lohnt sich.