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"Das Zuschütten mit Liquidität löst die Probleme nicht"

Eine Banklizenz für den Rettungsschirm ESM wäre ein "inflationspolitisches Himmelfahrtskommando", sagt Rainer Brüderle. Damit komme man "immer mehr in die Haftung für Fehlentwicklungen" anderer. Der deutsche Staatshaushalt sei "kein Selbstbedienungsladen" für reformunwillige Länder, so der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion.

Rainer Brüderle im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Geld hat man zu haben – eine Wendung aus dem Deutschen Zivilrecht, ein schöner Satz, aber in Krisenzeiten hat er seine Selbstverständlichkeit natürlich längst verloren. Italien und Spanien ächzen unter der erheblichen Zinslast, woher nehmen, wenn nicht stehlen, das ist da eher die Frage, und eine Antwort haben nun einige Euroländer neu in die Diskussion gebracht, es geht um die sogenannte Banklizenz. Dahinter steckt der Gedanke, dem Rettungsfonds ESM unbegrenzt Kredit bei der Europäischen Zentralbank einzuräumen, sozusagen Rettungsschirm ohne Ende, ein Gedanke, den Deutschland bisher ablehnt. Und das ist jetzt unser Thema im Interview mit dem Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Rainer Brüderle!

    Rainer Brüderle: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Sie haben die Banklizenz im Interview mit der "Welt" eine Vermögensvernichtungsmaschine genannt. Was haben Italien und Frankreich da denn nicht verstanden?

    Brüderle: Ja gut, sie wollen den einfachen Weg gehen, indem sie einfach Geldvermehrung vornehmen und damit versuchen, ihre Probleme zu umschiffen. Aber das hat sich in der Geschichte jenseits der aktuellen Situation immer gezeigt, dass das kein Lösungsweg ist. Früher hat man Münzverschlechterung gemacht, weniger Gold oder Edelmetalle hineingesteckt, später hat man auch versucht, durch inflationäre Aufblähung die Probleme zu lösen, und das wäre hier quasi das Überschreiten des Rubikon, ein inflationspolitisches Himmelfahrtskommando, dem man unbegrenzt Geld schaffen kann und damit nicht Vertrauen schaffen wird. Das ist ein kurzfristiger Effekt, genau so, wenn sie salopp formuliert einem Alkoholiker eine Flasche Schnaps geben, dann hat er noch mal einen schönen Abend. Am nächsten Tag ist er nicht gesund. Deshalb muss man die Strukturen vernünftig machen, wir alle wollen Europa, wir wollen einen soliden Weg dabei gehen, und das ist hier eine unbegrenzte Geldvermehrung, die direkte Finanzierung der Staatsdefizite mit der Notenpresse, und genau das darf nicht stattfinden, weil damit der Euro in seiner Stabilität erheblich gefährdet ist.

    Schulz: Herr Brüderle, aber alles, was die Eurozone bisher getan hat gegen die Krise, das hat ja eben nur vorübergehend geholfen, ebenso wird argumentiert, wegen des Deckels. Wie lange soll das dann noch so weitergehen, dass die Krise zwar Milliarden verschlingt, dass aber der Befreiungsschlag nicht klappt?

    Brüderle: Aber Frau Schulz, wir haben den ESM noch gar nicht in Wirkung. Der muss in Italien noch ratifiziert werden, in Deutschland muss das Verfassungsgericht drüber befinden Anfang September. Dieses Instrument mit 500 Milliarden Schlagkraft ist überhaupt nicht in Wirkung, wir können es noch gar nicht in der Wirkung völlig abschließend beurteilen, und schon wird wieder diskutiert das Land nicht wissen, was anderes machen, unbegrenzt machen. Nein, das zeigen alle Erfahrungen: Das Zuschütten mit Liquidität löst die Probleme nicht. Dahinter stehen ja realwirtschaftliche Fehlentwicklungen. Da wird was gemacht, was es in der Welt noch nicht gab: eine Wirtschaftsunion, eine Währungsunion, aber keine politische Union. Man hat, um die Stabilität der Währung zu erreichen, Leitplanken eingezogen. Das war der Stabilitäts- und Wachstumspakt, maximal drei Prozent Verschuldung bezogen auf die Wertschöpfung, aber in Rezessionsfall, nicht im Regelfall, Summe maximal 60 Prozent der jährlichen Wertschöpfung, was wir uns erarbeiten als Kuchen. Deutschland war leider unter Rot-Grün die erste Regierung, die es gerissen hat, dann Frankreich mit Chirac, die anderen haben fröhlich mitgemacht. Man hat hier einen Dammbruch durchgeführt, jetzt müssen wir die Scherben zusammenkehren, wieder zusammenkleben, etwas Neues dafür schaffen. Und wenn wir das nicht stabil und seriös machen, wird es keinen Lösungseffekt haben. Wir werden in den schwachen Ländern keine Investition hinkriegen, Arbeitsplätze zu erhalten, da Arbeitsplätze zu schaffen, wenn die Investoren kein Vertrauen haben. Sie werden in Kapitalmärkten kein Geld kriegen zu vernünftigen Zinsen, wenn man kein Vertrauen in die Entwicklung hat. Irland zeigt uns, wenn man einen harten, aber Erfolg versprechenden Weg geht, kommt man wieder raus. Portugal zeigt es auch, Spanien hat noch gar nicht die 100 Milliarden zur Rekapitalisierung ihrer Banken, und wir diskutieren jeden Tag eine quasi neue, salopp formuliert, währungspolitische Sau durchs Dorf, bevor wir Vertrauen haben.

    Schulz: Was aber ja nichts daran ändert, Herr Brüderle, dass Spanien ja auf Sparkurs ist. Nur an den Zinsen ändert sich nichts. Muss da nicht ein neues Instrument her?

    Brüderle: Es ändert sich doch nicht über Nacht. Sie müssen auch überzeugend den Reformkurs durchhalten, man hat jahrelang in der Ausbildung, gerade bei den Jugendlichen, sehr erschreckende Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, ja. Aber das duale Ausbildungssystem einzuführen, Perspektiven aufzuzeigen, was wäre denn auch schädlich, wenn wir einen europäischen Arbeitsmarkt haben, wenn Jugendliche aus Spanien in Deutschland eine Ausbildung erfahren. Wir können zum Teil Ausbildungsplätze nicht besetzen, auch da braucht man einen europäischen Arbeitsmarkt. Alles dies hat man noch gar nicht auf die Schiene gebracht. Die Rettungsmittel für die Banken sind noch gar nicht geflossen, den ESM gibt es noch nicht, aber die Oberschlauen wissen schon: Jetzt müssen wir unbegrenzt Geld drucken. Das kann kein Vertrauen sein, das ist genau die Fehlentwicklung, wo die kleinen Leute am Schluss die Dummen dabei sind, die sich gegen die Inflation, die ja vorprogrammiert ist, wenn man in diesem Umfang Geld einfach druckt und auf den Markt wirft, ohne dass damit die Produktion höher ist, das kann nur schiefgehen dabei. Japan hat es gezeigt, in zehn Jahren Stagnation, und alle, die fehlende Entwicklung über Bord werfen, damit man kurzfristig einen Effekt hat, das hält als Strohfeuer kurze Zeit an, aber löst die Probleme nicht. Wir müssen Europa seriös und solide weiterentwickeln, damit es bestand hat, und nicht kurzfristig Wunschvorstellungen nachjagen.

    Schulz: Gut, Herr Brüderle, da gehen die Einschätzungen in Europa ja gerade offenbar auseinander. Die Kanzlerin hat ja in der vergangenen Woche auch den Willen bekräftigt, alles zu tun, um den Euro zu retten. Was macht sie denn so sicher, dass sie diesen Schritt dann nicht auch gemeint hat?

    Brüderle: Wir wollen alle den Euro retten, der Euro ist ja auch ein politisches Projekt. Aber man muss es richtig machen. Also wir retten den Euro nicht, indem wir unbegrenzt Geld drucken.

    Schulz: Ja, aber das verstehen ja offenbar Frankreich und Italien unter alles tun.

    Brüderle: Sie müssen mal ganz real sehen, in Frankreich hat man jetzt eine Regierung, die Vorstellung hat, Rente mit 60, wir müssen unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zumuten, Rente mit 67 zu machen, und das kann ich keinem erklären, dass wir in Deutschland die Haftung und Finanzierung dafür übernehmen, dass man in Frankreich mit 60 in Rente geht. Wir kommen doch mit diesen Maßnahmen, wie einer Banklizenz immer mehr in die Haftung für Fehlentwicklungen in anderen Ländern. Am Schluss haftet wirklich der deutsche Arbeitnehmer mit seinen ersparten Groschen für Fehlentwicklungen in anderen Ländern. Diese dürfen doch kein Mittel sein, um dort Reformpausen zu finanzieren, Reformunwilligkeit zu sanktionieren. Dort, wo die Länder Reformen angepackt haben, im Baltikum, in Polen, in anderen Ländern, dort haben sie entsprechende Erfolge, in der Slowakei – das waren harte Maßnahmen, aber sie haben die Kurve gekriegt. Irland hat massiv eingegriffen in Gehaltsstrukturen, in Pensionszahlungen, in den Staatshaushalt, es zeigt sich, dass der Kurs eben sie wieder nach oben bringt. Das wegzudrücken heißt doch nur, sich an den Problemen vorbei zu mogeln. Hinter all diesen monetären Fragen, das ist quasi ein Schleier über der Realwirtschaft, stehen Fehlstrukturen, wo man wenigstens erkennen muss, dass sie seriös umgesetzt und verändert werden, und das ist eben in einer Reihe von Ländern noch nicht der Fall.

    Schulz: Aber diese unterschiedlichen Positionen, Herr Brüderle – die Argumente, wir sind ja jetzt schon häufig ausgetauscht, offenbar hat es Angela Merkel genau nicht geschafft, die Partner in Europa davon zu überzeugen. Letzten Endes hat Deutschland ja auch dem europäischen Druck immer wieder nachgegeben. Ursprünglich wollte Deutschland ja auch Griechenland mal nicht retten, und bis hin zum Einknicken der Kanzlerin jetzt auf dem letzten Gipfel. Warum sollte das in Sachen Banklizenz denn anders laufen?

    Brüderle: Die Kanzlerin ist nicht eingeknickt. Es steht jetzt der Bericht der sogenannten Troika an, das ist gerade die Vereinbarung, dass, nur wenn die Griechen auch Fortschritte erzielt haben, sie weiteres Geld bekommen. Wenn sie das nicht machen, dann kann man ja in ganz Europa die Reformbemühungen einstellen, wenn eben nichts tun und nicht umsetzen auch honoriert wird. Und dann kommen wir genau in die Haftungsunion hinein, dass die Deutschen haften für alle Fehlentwicklungen. Und der deutsche Staatshaushalt ist kein Selbstbedienungsladen für Länder, die nicht bereit sind, Veränderungen vorzunehmen, die es schon längst hätten machen sollen, und das wird die Stunde der Wahrheit in Europa sein. Hat man in größerem Umfang die Bereitschaft, es zu machen, oder haben es nur wenige, dann wird man eben ein Europa entwickeln, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, was übrigens in Frankreich immer die Vorstellung war.

    Schulz: Herr Brüderle, damit bedienen Sie natürlich auch die Vorstellungen, die vielleicht in Deutschland auch viele haben, wir seien die Zahlmeister, die anderen würden auf unserem Schweiß Kahn fahren. Der Vorwurf, der diese Woche ja kam vom Chef der Eurogruppe, dass sich in Deutschland die Parteien zu stark über die Innenpolitik in Sachen Euro-Fragen profilieren. Wie verantwortungsvoll gehen Sie denn mit diesen wichtigen Fragen um?

    Brüderle: Ja, Europa seriös und solide zu bauen, ist die Verantwortung. Es ist weder für Europa gut, noch für Deutschland gut, eine Entwicklung macht, die Deutschland schwächt, sondern die Lösung muss sein, dass man die schwächeren Länder einfach in eine andere Wettbewerbsfähigkeit versetzt und stärker macht dabei – das ist die Lösung. Das ist nicht nur ein Umverteilen, mal schauen, wo kann man noch Geld abholen, sondern die Lösung ist, die eigenen Probleme wenigstens anzupacken, sie auf den Weg zu bringen – man kann über Zeitachsen reden, aber daran führt nichts vorbei. Wenn jetzt eine Fehlentwicklung – wir stehen da nicht alleine, die Skandinavier stehen an unserer Seite, ob das die Niederländer sind, die Österreicher, die es genau so empfinden, dass man nicht nur einfach umverteilen kann, und sich an anderen Strukturen abwenden kann. Und der Kernfehler ist, dass man damals die politischen Instrumente nicht mit geschaffen hat, die wir jetzt nachsteuern müssen. Es war ein Fehler, Griechenland aufzunehmen, aber das ist alles Schnee von gestern, die haben die Voraussetzungen nie erfüllt gehabt, die Zahlen waren falsch, es wurde getrickst und hin und her gefummelt, und wir Deutsche sind solidarisch, kein Land tut mehr. Immer bei allen Maßnahmen sind wir etwa mit 30 Prozent dabei, aber wir sind auch nicht blöde. wir müssen schon die Strukturen – das hat mit Populismus und Innenpolitik überhaupt nichts zu tun – seriös aufbauen. Man muss in Grundsatzfragen, in unsicheren Zeiten, in sensiblen Lagen bei den Prinzipien bleiben, das ist der Kompass, das ist Ordnungspolitik. Und wenn man das aufgibt, dann kommen wir insgesamt ins Schlittern in Gesamteuropa, Deutschland und Europa.

    Schulz: Der FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle heute in den "Informationen am Morgen" im Interview. Vielen Dank dafür!

    Brüderle: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.