Tobias Armbrüster: Facebook hat seit dem Wochenende ein riesen Problem. Es sind schwere Vorwürfe, die da im Raum stehen und die das größte soziale Netzwerk schwer belasten. Der Konzern soll in den USA vertrauliche Daten seiner Nutzer weitergeleitet haben.
Am Telefon ist jetzt Peter Schaar, der Vorsitzende der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz. Er war außerdem bis zum Jahr 2013 zehn Jahre lang der Bundesdatenschutzbeauftragte. Schönen guten Morgen, Herr Schaar.
Peter Schaar: Hallo, Herr Armbrüster.
Rechtliche Schuld wird zu untersuchen sein
Armbrüster: Herr Schaar, bei dieser Geschichte geht es ja um mehrere Kontroversen in einer einzigen Erzählung. Fangen wir mal an bei Facebook, das ja im Mittelpunkt dieser ganzen Schuldzuweisungen steht. Trifft diesen Tech-Giganten tatsächlich hier eine Schuld?
Schaar: Ob im rechtlichen Sinne Facebook hier eine Schuld trifft, das wird noch zu untersuchen sein. Darum müssen sich die Datenschutzbehörden in Europa und in den USA kümmern. Entsprechende Ankündigungen gibt es ja bereits. Aber eines ist klar: Ohne dieses Geschäftsmodell von Facebook hätte es dieses riesige Datenloch nicht gegeben, durch das dann unvorstellbar viele Daten offensichtlich abgesaugt worden sind. Bis zu 50 Millionen Facebook-User sollen betroffen sein. Insofern muss man einfach sagen: Facebook hat hier auf jeden Fall eine Mitverantwortung.
Armbrüster: Das müssen Sie uns ein bisschen genauer erklären. Woran liegt das, dass diese Daten bei Facebook abfließen konnten oder abgezweigt werden konnten?
Schaar: Facebook basiert ja darauf, dass man sehr viel über die Nutzer weiß und dass man diese Kenntnisse dann anderen zugänglich macht, und das bedeutet, dass die dann ihre Werbung zielgenau platzieren können. Dafür müssen diese Werbetreibenden viel Geld bezahlen. Das ist das Geschäftsmodell von Facebook, davon leben die ganz wesentlich.
Verknüpfung mit Daten aus anderen Quellen
Armbrüster: Und das wissen auch die Nutzer, dass das so funktioniert?
Schaar: Das wissen im Grundsatz auch die Nutzer. Aber was das jetzt ganz konkret bedeutet und wie dann die Daten auch weiterverwendet werden, darüber gibt dieser Vorfall jetzt schlaglichtartig einen doch erschreckenden Einblick, dass hier diese Informationen offensichtlich dann nicht nur für die Werbung innerhalb Facebooks benutzt wird, sondern dass die Daten offensichtlich verknüpft worden sind mit Daten, die aus anderen Quellen stammen. Und das ist bei Facebook ziemlich einfach, weil man bei Facebook ja die sogenannte Realnamenspflicht kennt. Da werden dann Daten über den Facebook-Nutzer mit Daten, die man irgendwo erworben hat, zum Beispiel bei Kreditauskunfteien oder bei Direktmarketing-Unternehmen, verknüpft oder auch mit Daten aus Wählerverzeichnissen, wie es sie in den USA gibt, die dann auch Auskunft über eine Parteipräferenz geben.
Armbrüster: Dann müssen Sie uns jetzt nur noch kurz erklären: Wie kann man mit solchen Datensätzen dann Wahlen manipulieren? So lautet ja der Vorwurf.
Schaar: Na ja. Das Interessante ist, dass diese Facebook-Profile ja zum einen, sage ich mal, biographische Informationen enthalten: Wo ist diese Person angemeldet? Wo hält sie sich auf gegebenenfalls? Wie alt ist sie? Welches Geschlecht hat sie? Und darüber hinaus auch eine Vielzahl von anderen Informationen, zum Beispiel Likes auch. Ganz wichtig sind auch die Freunde, die man hat, die Facebook-Freunde. Das sind im Durchschnitt 190 zurzeit. Daraus ergibt sich dann schon so etwas wie ein Persönlichkeitsprofil.
In diesem Fall ist es nun noch mal besonders perfide gelaufen. Cambridge-Analytiker oder dieser Professor, der dort genannt wurde, hatte eine App bereitgestellt, also ein kleines Programm, das man nutzen konnte in Facebook, das versprach, einen Persönlichkeitstest vorzunehmen. Einem solchen Programm, das einem widerspiegelt, wo sind die eigenen Stärken, wo sind die eigenen Schwächen, dem erlaubt man natürlich auch relativ viele Zugriffe, und zwar nicht nur auf die eigenen Daten, sondern auch auf die Daten der Facebook-Freunde. Genau das ist offensichtlich geschehen und insofern haben dann nicht nur die Profile der 270.000 Personen, die diese App selbst heruntergeladen haben, den Weg zu Cambridge-Analytikern gefunden, sondern darüber hinaus auch entsprechend viele Profile von den Freunden, und hochgerechnet ergibt sich dann diese horrende Summe von 50 Millionen Menschen.
Eine ganze Wahlkampagne darauf einstellen
Armbrüster: Kann man mit solchen Daten tatsächlich Wahlen beeinflussen?
Schaar: Na ja. Man weiß, wie die Leute im Großen und Ganzen ticken. Man weiß im Großen und Ganzen über ihre wirtschaftliche Situation, über die Sorgen, über ihre politischen Präferenzen, über ihre religiösen Ansichten, und jetzt kann man natürlich nicht nur die Facebook-Werbung, sondern die ganze Wahlkampagne darauf einstellen, dass man diese Personen, die offensichtlich schwankend sind – das ist ja nur eine Teilgruppe, die dann ganz besonders interessant ist, die man vielleicht umstimmen kann, die man zur Wahlurne dann bringen kann -, die kann man mit bestimmten Botschaften bombardieren auf den verschiedenen Kanälen. Das geht dann bis zu Hausbesuchen. Das ist dann nicht nur in der virtuellen Welt, sondern da werden diese Namen dann entsprechend auch verwendet, um in der realen Welt Wahlkampf zu machen. Das ist das Modell, wie solche Wahlkämpfe geführt werden, und das ist im Grunde genommen auch das große Problem, dass man als Betroffener gar nicht mitbekommt, wie man da manipuliert wird.
Armbrüster: Herr Schaar, man muss allerdings auch sagen, die Facebook-Nutzer wissen, dass ihre Daten von Facebook auch für andere Zwecke gebraucht werden. Muss uns diese Geschichte jetzt wirklich überraschen?
Schaar: Überraschen wird sie die Fachleute natürlich nicht. Aber die Betroffenen sollten sich mal etwas stärker auch Gedanken machen, wie sie mit diesen sozialen Netzwerken umgehen, wie sie mit ihren Privatsphäre-Einstellungen auch umgehen. Hier verweist Facebook ja immer wieder darauf, dass ja die Betroffenen selber es in der Hand hätten, das Ganze sehr viel restriktiver zu handhaben, diese Privatsphären-Einstellungen sehr viel strikter auch zu machen. Aber auf der anderen Seite ist es ja gerade das Interesse von Facebook, dass man das nicht so sehr einschränkt, und insofern werden die Voreinstellungen natürlich von den meisten Leuten auch gar nicht verändert, weil man nicht so genau weiß, welche Konsequenzen man hat, wenn man die eine Klickbox anklickt und dann den Zugang nicht mehr ermöglicht. Insofern würde ich sagen, Facebook hat hier ein Stück auch Mitverantwortung.
Die wenigsten garantieren sich für Datenschutz
Armbrüster: Was ist denn Ihre Einschätzung oder Ihre Sicht? Interessieren sich Facebook-Nutzer eigentlich wirklich für Datenschutz?
Schaar: Na ja, für Datenschutz selbst als großes Thema ihres Lebens garantiert nicht, oder das sind die wenigsten. Aber kaum jemandem ist es letztlich recht, manipuliert zu werden, und diese Manipulation findet ja nicht nur im politischen Bereich statt. Sie findet auch statt im wirtschaftlichen Bereich. Das können Unternehmen verwenden, um zum Beispiel ihre Preiskalkulationen individuell auf die Zahlungsbereitschaft des Kunden einzustellen und dann entsprechend damit sehr viel Geld zu verdienen. Transparenz ist das natürlich nicht. Man kann gar keine Preise mehr richtig vergleichen, weil man immer wieder, sage ich mal, mit diesen Profilen konfrontiert wird.
Und denken Sie an die Kreditwürdigkeit. Es gibt schon Unternehmen, die alleine aus den Facebook-Äußerungen, aus den Facebook-profilen bestimmte Aussagen zur Kreditwürdigkeit der Nutzer fällen. Da kriegt man dann möglicherweise keinen Kredit mehr. Nach welchen Kriterien auch immer und wie valide das ist, das ist vielfach Hokuspokus, weil man als nicht kreditwürdig befunden wird. Das hat also erhebliche Nachteile. Da geht es um politische Manipulation, es geht um Gewinnmaximierung und es geht auch darum, Menschen, die sowieso es schwieriger haben im Leben, denen das Leben noch mal schwieriger zu machen.
Armbrüster: Ganz kurz noch, Herr Schaar. Diese Geschichte spielt jetzt ja zum allergrößten Teil in den USA. Da hat sich das ereignet. Facebook ist ja auch ein amerikanisches Unternehmen. Gibt es von deutscher Seite aus irgendetwas, wenn man das wirklich kritisiert, wenn man das schlecht findet und wenn man nicht einfach sagt, Facebook ist für mich einfach ein Tool und ich benutze das und Datenschutz ist mir egal. Wenn man das nicht findet, gibt es von deutscher Seite aus irgendetwas, was man dagegen tun könnte, was möglicherweise auch die Bundesregierung tun könnte?
Schaar: Ich sehe mit großer Freude dem 25. Mai diesen Jahres entgegen. Dann tritt nämlich die europäische Datenschutzverordnung in Kraft. Dann werden solche Praktiken sehr viel besser untersucht werden können. Da kann man dann auch entsprechende Sanktionen auch in sehr großer Höhe gegen Unternehmen, die sich nicht an das Datenschutzrecht halten, verhängen. Insofern ist Europa da durchaus auf einem guten Wege und da zeigt sich letztlich auch, dass wir da auf nationaler Ebene viel weniger Möglichkeiten haben als auf europäischer. Insofern glaube ich auch, dass wir in Europa die Daten letztlich besser schützen können. Im Augenblick sieht es da allerdings noch nicht so allzu gut aus. Aber wie gesagt, das ist noch eine Übergangszeit bis zum 25. Mai. Dann wird das auf jeden Fall besser.
Armbrüster: Das war Peter Schaar, der Vorsitzende der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz, außerdem zehn Jahre lang Bundesdatenschutzbeauftragter. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Schaar.
Schaar: Herzlichen Dank meinerseits.
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