"Das Opfer kam von der Nachtschicht zurück, so wie es sich dann dargestellt hat. Der Täter wartete wohl in der Wohnung auf das Opfer. Er erschlug das Opfer mit einem Knüppel und durchtrennte mit einem Messer den Nacken des Opfers."
Die Beamten vom LKA München hatten kaum Anhaltspunkte, wer der Täter sein könnte. Kriminalrat Ernst Wirth klappte in der Wohnung des Opfers seinen Laptop auf. Mit einer speziellen Software spürte er die Handymasten der Umgebung auf.
"Es gab in diesem Fall zehn Sendemasten im Bereich des Tatortes, Entfernung zum Tatort zwischen 100 und 500 Meter."
Ernst Wirth besorgte sich richterliche Beschlüsse, um die Handy-Netz-Betreiber zur Herausgabe der Telekommunikationsdaten jener Sendemasten zu verpflichten. Denn er wollte wissen, welcher Handybesitzer wann, wo und wie lange am Tatort telefoniert hatte. Und tatsächlich entdeckte er eine Spur.
"In diesen Sendemasten war eingebucht eine Mobilfunknummer aus Großbritannien. Aus den parallel verlaufenden Abklärungen wussten wir, dass das Opfer einen Bekannten in Großbritannien hatte. Daraus konnten wir schließen, dass wohl eine Person mit englischer Mobilfunk-Kennung am Tatort war, und zwar zur tatrelevanten Zeit."
Die tatrelevante Zeit – sie spielt bei diesem Mord eine besonders wichtige Rolle. Denn das Verbrechen wurde im Herbst 2009 begangen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Telekommunikationsanbieter in Deutschland dazu verpflichtet waren, Verbindungsdaten ohne Anlass, also: auf Vorrat zu speichern.
Diese Regelung ging auf die Europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zurück. Die große Koalition hatte das entsprechende Gesetz Ende 2007 verabschiedet, es trat kurz darauf – zum 1. Januar 2008 – in Kraft. Zwei Jahre später allerdings erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für nichtig. Die Richter verlangten mehr Sorgfalt beim Datenschutz.
Seitdem steht die Umsetzung der Europäischen Richtlinie aus. Die schwarz-gelbe Bundesregierung konnte sich bislang auf kein entsprechendes Gesetz verständigen. Mittlerweile wird die Europäische Kommission ungeduldig: Sie hat der Bundesregierung eine Frist zur Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung gesetzt. Diese läuft heute um 24 Uhr aus.
Lässt die Bundesregierung – was zu erwarten ist – die Frist verstreichen, kann die Kommission Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichen. Deutschland drohen dann Strafzahlungen in Millionenhöhe.
Doch zurück zu jenem Mord, der im Herbst 2009 in Augsburg begangen wurde. Wären die Provider damals nicht zur Vorratsspeicherung verpflichtet gewesen, hätte der Beamte des Landeskriminalamtes in diesem Fall seinen Laptop wohl wieder zuklappen müssen. So aber konnte Ernst Wirth die Spur des verdächtigen Briten verfolgen.
"In diesem Fall hatten wir im deutschen Netz die erste Kommunikationsspur. Und zwar, als der spätere Täter am Flughafen München gelandet ist. Dort erhielt er nämlich eine sogenannte Begrüßungs-SMS: "Wir heißen sie herzlich willkommen im Netz von O2."
Den Inhalt dieser SMS konnte Ernst Wirth nicht sehen – er konnte ihn nur ahnen. Er wusste auch nicht, was der Täter in den Stunden vor dem Mord in sein Handy sprach. Vom Handynetz-Betreiber erfuhr er nur, wann, wo, wie lange und mit wem der Mörder sprach. Diese Hinweise reichten, um ihn zu überführen. Das Landgericht Augsburg verurteilte den Mann im Jahr 2010 zu lebenslanger Haft und stellte eine besondere Schwere der Schuld fest.
Ironischerweise fiel das Augsburger Urteil nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Aber weil die Tat schon 2009 begangen wurde, durften die Staatsanwälte die gespeicherten Handy-Daten nutzen.
"Wir gehen davon aus, dass wir nach jetziger Rechtslage diesen Tatnachweis nicht hätten führen können. Es bricht uns ein zentrales Ermittlungsinstrument weg, nämlich die Erhebung von Telekommunikationsspuren."
Ernst Wirth, der Kriminalbeamte vom LKA in München, will die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht kommentieren. Er kann auch nicht sagen, wie häufig eine Straftat unaufgeklärt bleibt, weil der Polizei keine Kommunikationsdaten zur Verfügung stehen. Schließlich kann er nicht wissen, ob die Daten ihn tatsächlich zu einem Täter führen würden. Anders ist es bei seinem Kollegen Bernhard Egger. Er ist Kriminaldirektor in München und klärt Straftaten auf, die im Internet begangen werden – wie beispielsweise die Verbreitung von Kinder-Pornografie.
"Wir bearbeiten im Jahr so circa 1700 Fälle mit unterschiedlichen Inhalten und unterschiedlichem Gewicht. Wenn der Nutzer gespeichert worden wäre, dann hätten wir das Endgerät. Und das Endgerät gibt immer Möglichkeiten für weitere polizeiliche Ermittlungen."
Doch die Internet-Dienstanbieter müssen die sogenannten IP-Adressen ihrer Kunden nicht speichern. Diese Adressen könnten Aufschluss darüber geben, an welchem Computer eine Tat begangen wurde. Bernhard Egger beschreibt Fälle, in denen er deutliche Hinweise auf ein Verbrechen hat. Bisweilen liegt ihm sogar ein Chat-Protokoll vor, in dem ein Täter eine Straftat in allen Einzelheiten beschreibt. Eine absurde Situation: das Chat-Protokoll hat der Ermittler, denn das dürfen Dienstanbieter wie Facebook so lange speichern wie sie wollen. Nur: an welchem Computer der Chat geführt wurde – das erfährt Egger nach aktueller Rechtslage nicht:
"Wenn man täglich in dem Bereich arbeitet, ist es natürlich sehr unbefriedigend. Man hat teilweise ein Gefühl der Machtlosigkeit. Etwa wenn wir Sachverhalte kennen, aber keine Chance haben zu ermitteln oder den Täter zu einem Verfahren zu bringen."
"XY ... ungelöst" – das gilt besonders häufig bei der Internet-Kriminalität. Und gerade dort verzeichnen die Kriminalstatistiken die höchsten Zuwachsraten. Berhard Egger vom LKA München sagt, er habe Bekannte, die auf Facebook viele persönliche Daten speicherten – und gleichzeitig gegen die Vorratsdatenspeicherung seien.
"Ich glaube, dass die Bevölkerung zu wenig informiert ist über das Thema. Es geht überhaupt nicht um Inhalte, und zudem werden die Daten nicht bei der Polizei gespeichert oder bei anderen Sicherheitsbehörden, sondern bei den Providern. Und sie müssen dann entweder im Rahmen eines richterlichen Beschlusses oder im Fall von IP-Adressen über genormte gesetzliche Regelungen erhoben werden."
Die Frage, welche Daten die Ermittler tatsächlich brauchen, wird in der schwarz-gelben Regierungskoalition unterschiedlich beantwortet. Die Gräben sind tief. Kein Wunder, will doch die FDP – allen voran die zuständige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – am liebsten gar keine Daten anlasslos speichern. Die Union ihrerseits drängt darauf, möglichst viele Daten zu speichern. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, CSU, verweist dabei regelmäßig auf die Bedürfnisse der Praxis:
"Ich glaube, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger natürlich auch versucht, ein gewisses Profil für die FDP in der Innenpolitik zu gestalten. Aber ich halte es für dringend notwendig, auch immer mal auf die Experten zu hören, die dringend anmahnen, dass eine Vorratsdatenspeicherung umgesetzt werden muss, um nicht für Terrorismus und organisierte Kriminalität Tür und Tor zu öffnen."
Nach dem Verständnis liberaler Rechtspolitik sind die Bedürfnisse der Ermittler nur ein Argument. Denn ein möglicher Gewinn an Sicherheit muss immer gegen die Freiheitsrechte der Bürger abgewogen werden. Abgesehen davon bezweifelt die Bundesjustizministerin den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung. In der Bundespressekonferenz, während einer der regelmäßig quälend langen Auseinandersetzungen zwischen Innen- und Justizministerium, sagte Thomas Bauer, Sprecher des Justizministeriums:
"Natürlich wollen Praktiker die Vorratsdatenspeicherung. Dieser gefühlte Bedarf der Praktiker – und das ist aus unserer Sicht die interessante Frage gewesen – lässt der sich empirisch belegen?"
Um das herauszufinden, gab die Justizministerin beim Freiburger Max-Planck-Institut eine Studie in Auftrag. Das Ergebnis: Ermittler wünschen sich die gespeicherten Daten. Gleichzeitig lässt sich nicht belegen, dass die Vorratsdatenspeicherung statistisch zu einer höheren Aufklärungsrate führt. Festhalten lässt sich aber: Wenn – dann sind vor allem die Daten aus dem Internet wichtig. Zum selben Ergebnis kommt auch eine Studie des Bundeskriminalamts.
Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung aber berufen sich nicht nur auf den Bedarf der Praktiker – sondern auf geltendes europäisches Recht. Die Europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2006 verlangt, dass Provider – also die Telekommunikationsanbieter - Telefondaten, SMS-und Email-Verbindungsdaten und die IP-Adressen mindestens sechs Monate lang speichern müssen.
Das entsprechende Gesetz aus dem Haus der damaligen Justizministerin Brigitte Zypries scheiterte vor dem Bundesverfassungsgericht – weil unter anderem die heutigen liberale Justizministerin dagegen geklagt hatte. Möglich wäre die Vorratsdatenspeicherung aber auch nach dem Urteil noch – wenn Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sie wollte. Die Ministerin aber hat andere Vorstellungen. Ihr Sprecher Anders Mertzlufft erläutert das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren:
"Sie sichern die Daten, sobald ein wie auch immer gearteter Verdacht vorliegt. Also wenn ein Terrorverdächtiger irgendwas baut, und sie können keine Hausdurchsuchung, weil’s nicht reicht, oder keine Abhörmaßnahme durchführen im Bereich der Gefahrenabwehr, dann haben Sie die Möglichkeit, mit einer solchen Sicherung auch alles mögliche einzufrieren, was an Daten da ist."
Das bedeutet: Keine Speicherung ohne Anlass. Eine Ausnahme soll nach dem Vorschlag für das Internet gelten: Sieben Tage sollen die IP-Adressen gespeichert werden. Doch auf diesen Vorschlag aus dem Justizministerium wollte sich Hans-Peter Friedrich gar nicht erst einlassen, er akzeptierte den Entwurf nicht einmal als Gesprächsgrundlage. Die Daten müssten anlasslos gespeichert werden, forderte er.
Bis der Impuls aus Europa kam bewegte sich nichts. Die Kommission mahnte die Umsetzung der Richtlinie an. Die Bundeskanzlerin verlangte, dass die Ministerien miteinander sprechen - auf Grundlage des Vorschlags der Justizministerin. Die Lösung des Bundesinnenministers: Er schrieb diesen vollständig um:
"Deswegen habe ich vorgeschlagen, so wie die Richtlinie es vorschlägt, dass alle Kommunikationsdaten ohne besonderen Anlass für sechs Monate gespeichert und dann automatisch gelöscht werden."
Von Kompromissen ist derzeit keine Rede, im Gegenteil: Der Vorschlag Friedrichs geht über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich wenig amüsiert:
"Dieser Vorschlag jetzt aus dem Haus des Innenministers war in meinen Augen eher ne kleine Art von Kriegserklärung als ein Kompromissangebot."
Der gescholtene Innenminister konterte kühl:
"Es ist die Frage nicht, ob es einen Kompromiss zwischen mir und Frau Leutheusser-Schnarrenberger gibt, sondern es ist die Frage, ob Frau Leutheusser-Schnarrenberger die Kommission überzeugen kann, dass ihre Richtlinie falsch ist. Ich glaube nicht, dass ihr das gelingen wird."
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt zu verstehen, dass sie die Richtlinie umgesetzt sehen will. Wenn auch bisher ohne zeitliche Ansage. Für die FDP ist die Vorratsdatenspeicherung – neben den Netzsperren, mit deren Ablehnung sich die FDP in der Koalition durchsetzen konnte – vielleicht d a s Thema, mit dem sie als Rechtsstaatspartei punkten will. Entsprechend kämpferisch gab sich die FDP auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende. Nach der Ansage des Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle ...
"Vorratsdatenspeicherung: Meine Daten gehören mir, sie gehören nicht dem Staat und nicht den Konzernen."
... folgte Applaus. Erst einmal.
"Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist unsere Jean d’Arc der Bürgerrechte. Sie steht dafür ... "
Und dann, nach dem Lob, Jubel - fast eine Minute lang. Und eine Ansage, nach der die Ministerin ihre Position nur schwer fallen lassen kann:
"Es gibt genügend rote und schwarze Sheriffs. Gut, dass es eine gelbe Lady gibt, die klare Grundsätze hat."
Nur: Da wäre immer noch die Richtlinie und die Europäische Kommission, die auf ihre Umsetzung drängt. Diese Aufgabe weisen die Europäischen Verträge der Brüsseler Behörde zu. Mehr als 2000 Vertragsverletzungsverfahren laufen in jedem Jahr gegen die 27 EU-Mitgliedsstaaten. Gegen Deutschland laufen derzeit 74 solcher Verfahren, in acht Fällen droht ein Zwangsgeld.
Das Vertragsverletzungsverfahren dauert, bis es zur Klage kommt, oft mehrere Jahre. Dabei ist es durchaus ein unausgesprochenes Ziel, über die lange Zeit den betroffenen Mitgliedsstaat schließlich dazu zu bewegen, europäisches Recht doch korrekt umzusetzen und anzuwenden, ohne dass es zur Klage vor dem EUGH kommt und zu hohen Geldstrafen.
Bei der Vorratsdatenspeicherung ist die Brüsseler Behörde allerdings der Ansicht, Deutschland habe ausreichend Spielraum gehabt, um die europäischen Vorgaben umzusetzen, und dabei den besonderen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes Rechnung zu tragen. Die Vorstellungen der Bundesjustizministerin, anstatt der Vorratsdatenspeicherung das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren einzuführen, überzeugen die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström nicht. Ein solches Verfahren erfülle die Vorgaben nicht, so ihr Sprecher:
"Um es noch mal ganz deutlich zu sagen: Quick Freeze kann nicht als eine Umsetzung der Richtlinie gelten. Hier geht es um ein anderes System, das nicht so weit geht wie die gemeinsam beschlossene Vorratsdatenspeicherung und es ist nicht so wirksam wie das, was die Richtlinie vorsieht."
Auch in einem anderen Punkt ist die Bundesjustizministerin in Brüssel auf Granit gestoßen: Leutheusser-Schnarrenberger hielt eine Umsetzung der geltenden Vorratsdaten-Richtlinie für nicht erforderlich, schließlich – so ihre Argumentation - arbeite die Kommission gerade an einer Reform eben dieser Richtlinie. Diese könne Deutschland dann später in überarbeiteter Fassung umsetzen. Tatsächlich hatte sich die EU-Innenkommissarin nach einem kritischen Expertenbericht im vergangenen Jahr für strengere und klarere Regeln bei Einsatz und Speicherung von Telefon- und Internetdaten ausgesprochen.
Doch ein neuer Vorschlag dazu steht noch aus. So oder so müsse bestehendes europäisches Recht umgesetzt werden, betont die Europäische Kommission. Auch Gegner der Vorratsdatenspeicherung wie der grüne Europaabgeordnete Jan-Philipp Albrecht haben kein Verständnis für die abwartende Haltung der Bundesjustizministerin:
"Man muss sich dann eben auch irgendwann darauf einlassen, dass man auf europäischer Ebene eine Neuentscheidung herbeiführt oder eben das gemeinsam Entschiedene umsetzt. Das ist natürlich auch meines Erachtens ein Fehler gewesen, dass man solange in der Bundesregierung nicht hat einigen können, denn eine Einigung hätte dazu beigetragen, dass früher und zügiger in der EU-Kommission an einer Überarbeitung der Richtlinie gearbeitet würde."
Nach Einschätzung des grünen Europaabgeordneten gibt es unter den Mitgliedsländern, aber auch im Europäischen Parlament, eine klare Mehrheit für eine Reform der Vorratsdatenspeicherung. Albrecht zweifelt allerdings nicht daran, dass es im Kern bei einer anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsdaten bleiben wird. Diese Einschätzung teilt auch sein Parlamentskollege Manfred Weber von der CSU:
"Es wird zu Veränderungen kommen bei der Frage, mit welchen Gründen darf ich auf Daten zugreifen, also nur bei schwerster Kriminalität, es kann Veränderungen geben, wie lange die Daten gespeichert werden, heute mindestens 6 Monate, vielleicht machen wir dies kürzer, aber der Grundsatz, dass wir anlasslos speichern, der wird in Europa nicht zur Debatte gestellt werden durch Novellierungsvorgaben."
Im Spagat zwischen Sicherheit und Freiheit teilen längst nicht alle EU-Staaten die grundsätzlichen Bedenken gegen eine anlasslose Speicherung - wie es sie in Deutschland gibt. Länder mit der Erfahrung von Terroranschlägen in jüngster Zeit - wie Spanien und Großbritannien - räumen der Sicherheit einen deutlichen Vorrang ein. In Italien gilt die Vorratsdatenspeicherung als wichtige Waffe im Kampf gegen die Mafia.
Doch richtig ist auch: Nicht nur Deutschland hat Probleme mit der Richtlinie. So wurden Schweden und Österreich wegen Nichtumsetzung vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Dabei verwarfen die Luxemburger Richter das Argument, die Richtlinie könne nicht umgesetzt werden, weil sie rechtswidrig sei. Das rumänische Verfassungsgericht wiederum verwarf 2009 das nationale Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wegen gravierender Mängel beim Datenschutz. Und der Irische High Court hat die EU-Richtlinie im Februar dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt und gefragt, ob die Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung mit der Europäischen Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar seien. Für den grünen Europaabgeordneten Jan-Philipp Albrecht alles Zeichen einer zunehmend kritischen Haltung:
"Natürlich hat Deutschland geschichtliche Erfahrungen gemacht, die uns sehr vorsichtig gemacht haben, und wo wir uns starke Grenzen gesetzt haben. Die haben viele andere europäische Staaten nicht, manche aber schon. In Rumänien hat auch das Verfassungsgericht deutlich gesagt, so geht das gar nicht mit der Richtlinie. - Das Problem ist kein rein deutsches, sondern durchaus auch eine europäische Debatte."
Die Beamten vom LKA München hatten kaum Anhaltspunkte, wer der Täter sein könnte. Kriminalrat Ernst Wirth klappte in der Wohnung des Opfers seinen Laptop auf. Mit einer speziellen Software spürte er die Handymasten der Umgebung auf.
"Es gab in diesem Fall zehn Sendemasten im Bereich des Tatortes, Entfernung zum Tatort zwischen 100 und 500 Meter."
Ernst Wirth besorgte sich richterliche Beschlüsse, um die Handy-Netz-Betreiber zur Herausgabe der Telekommunikationsdaten jener Sendemasten zu verpflichten. Denn er wollte wissen, welcher Handybesitzer wann, wo und wie lange am Tatort telefoniert hatte. Und tatsächlich entdeckte er eine Spur.
"In diesen Sendemasten war eingebucht eine Mobilfunknummer aus Großbritannien. Aus den parallel verlaufenden Abklärungen wussten wir, dass das Opfer einen Bekannten in Großbritannien hatte. Daraus konnten wir schließen, dass wohl eine Person mit englischer Mobilfunk-Kennung am Tatort war, und zwar zur tatrelevanten Zeit."
Die tatrelevante Zeit – sie spielt bei diesem Mord eine besonders wichtige Rolle. Denn das Verbrechen wurde im Herbst 2009 begangen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Telekommunikationsanbieter in Deutschland dazu verpflichtet waren, Verbindungsdaten ohne Anlass, also: auf Vorrat zu speichern.
Diese Regelung ging auf die Europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zurück. Die große Koalition hatte das entsprechende Gesetz Ende 2007 verabschiedet, es trat kurz darauf – zum 1. Januar 2008 – in Kraft. Zwei Jahre später allerdings erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für nichtig. Die Richter verlangten mehr Sorgfalt beim Datenschutz.
Seitdem steht die Umsetzung der Europäischen Richtlinie aus. Die schwarz-gelbe Bundesregierung konnte sich bislang auf kein entsprechendes Gesetz verständigen. Mittlerweile wird die Europäische Kommission ungeduldig: Sie hat der Bundesregierung eine Frist zur Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung gesetzt. Diese läuft heute um 24 Uhr aus.
Lässt die Bundesregierung – was zu erwarten ist – die Frist verstreichen, kann die Kommission Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichen. Deutschland drohen dann Strafzahlungen in Millionenhöhe.
Doch zurück zu jenem Mord, der im Herbst 2009 in Augsburg begangen wurde. Wären die Provider damals nicht zur Vorratsspeicherung verpflichtet gewesen, hätte der Beamte des Landeskriminalamtes in diesem Fall seinen Laptop wohl wieder zuklappen müssen. So aber konnte Ernst Wirth die Spur des verdächtigen Briten verfolgen.
"In diesem Fall hatten wir im deutschen Netz die erste Kommunikationsspur. Und zwar, als der spätere Täter am Flughafen München gelandet ist. Dort erhielt er nämlich eine sogenannte Begrüßungs-SMS: "Wir heißen sie herzlich willkommen im Netz von O2."
Den Inhalt dieser SMS konnte Ernst Wirth nicht sehen – er konnte ihn nur ahnen. Er wusste auch nicht, was der Täter in den Stunden vor dem Mord in sein Handy sprach. Vom Handynetz-Betreiber erfuhr er nur, wann, wo, wie lange und mit wem der Mörder sprach. Diese Hinweise reichten, um ihn zu überführen. Das Landgericht Augsburg verurteilte den Mann im Jahr 2010 zu lebenslanger Haft und stellte eine besondere Schwere der Schuld fest.
Ironischerweise fiel das Augsburger Urteil nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Aber weil die Tat schon 2009 begangen wurde, durften die Staatsanwälte die gespeicherten Handy-Daten nutzen.
"Wir gehen davon aus, dass wir nach jetziger Rechtslage diesen Tatnachweis nicht hätten führen können. Es bricht uns ein zentrales Ermittlungsinstrument weg, nämlich die Erhebung von Telekommunikationsspuren."
Ernst Wirth, der Kriminalbeamte vom LKA in München, will die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht kommentieren. Er kann auch nicht sagen, wie häufig eine Straftat unaufgeklärt bleibt, weil der Polizei keine Kommunikationsdaten zur Verfügung stehen. Schließlich kann er nicht wissen, ob die Daten ihn tatsächlich zu einem Täter führen würden. Anders ist es bei seinem Kollegen Bernhard Egger. Er ist Kriminaldirektor in München und klärt Straftaten auf, die im Internet begangen werden – wie beispielsweise die Verbreitung von Kinder-Pornografie.
"Wir bearbeiten im Jahr so circa 1700 Fälle mit unterschiedlichen Inhalten und unterschiedlichem Gewicht. Wenn der Nutzer gespeichert worden wäre, dann hätten wir das Endgerät. Und das Endgerät gibt immer Möglichkeiten für weitere polizeiliche Ermittlungen."
Doch die Internet-Dienstanbieter müssen die sogenannten IP-Adressen ihrer Kunden nicht speichern. Diese Adressen könnten Aufschluss darüber geben, an welchem Computer eine Tat begangen wurde. Bernhard Egger beschreibt Fälle, in denen er deutliche Hinweise auf ein Verbrechen hat. Bisweilen liegt ihm sogar ein Chat-Protokoll vor, in dem ein Täter eine Straftat in allen Einzelheiten beschreibt. Eine absurde Situation: das Chat-Protokoll hat der Ermittler, denn das dürfen Dienstanbieter wie Facebook so lange speichern wie sie wollen. Nur: an welchem Computer der Chat geführt wurde – das erfährt Egger nach aktueller Rechtslage nicht:
"Wenn man täglich in dem Bereich arbeitet, ist es natürlich sehr unbefriedigend. Man hat teilweise ein Gefühl der Machtlosigkeit. Etwa wenn wir Sachverhalte kennen, aber keine Chance haben zu ermitteln oder den Täter zu einem Verfahren zu bringen."
"XY ... ungelöst" – das gilt besonders häufig bei der Internet-Kriminalität. Und gerade dort verzeichnen die Kriminalstatistiken die höchsten Zuwachsraten. Berhard Egger vom LKA München sagt, er habe Bekannte, die auf Facebook viele persönliche Daten speicherten – und gleichzeitig gegen die Vorratsdatenspeicherung seien.
"Ich glaube, dass die Bevölkerung zu wenig informiert ist über das Thema. Es geht überhaupt nicht um Inhalte, und zudem werden die Daten nicht bei der Polizei gespeichert oder bei anderen Sicherheitsbehörden, sondern bei den Providern. Und sie müssen dann entweder im Rahmen eines richterlichen Beschlusses oder im Fall von IP-Adressen über genormte gesetzliche Regelungen erhoben werden."
Die Frage, welche Daten die Ermittler tatsächlich brauchen, wird in der schwarz-gelben Regierungskoalition unterschiedlich beantwortet. Die Gräben sind tief. Kein Wunder, will doch die FDP – allen voran die zuständige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – am liebsten gar keine Daten anlasslos speichern. Die Union ihrerseits drängt darauf, möglichst viele Daten zu speichern. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, CSU, verweist dabei regelmäßig auf die Bedürfnisse der Praxis:
"Ich glaube, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger natürlich auch versucht, ein gewisses Profil für die FDP in der Innenpolitik zu gestalten. Aber ich halte es für dringend notwendig, auch immer mal auf die Experten zu hören, die dringend anmahnen, dass eine Vorratsdatenspeicherung umgesetzt werden muss, um nicht für Terrorismus und organisierte Kriminalität Tür und Tor zu öffnen."
Nach dem Verständnis liberaler Rechtspolitik sind die Bedürfnisse der Ermittler nur ein Argument. Denn ein möglicher Gewinn an Sicherheit muss immer gegen die Freiheitsrechte der Bürger abgewogen werden. Abgesehen davon bezweifelt die Bundesjustizministerin den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung. In der Bundespressekonferenz, während einer der regelmäßig quälend langen Auseinandersetzungen zwischen Innen- und Justizministerium, sagte Thomas Bauer, Sprecher des Justizministeriums:
"Natürlich wollen Praktiker die Vorratsdatenspeicherung. Dieser gefühlte Bedarf der Praktiker – und das ist aus unserer Sicht die interessante Frage gewesen – lässt der sich empirisch belegen?"
Um das herauszufinden, gab die Justizministerin beim Freiburger Max-Planck-Institut eine Studie in Auftrag. Das Ergebnis: Ermittler wünschen sich die gespeicherten Daten. Gleichzeitig lässt sich nicht belegen, dass die Vorratsdatenspeicherung statistisch zu einer höheren Aufklärungsrate führt. Festhalten lässt sich aber: Wenn – dann sind vor allem die Daten aus dem Internet wichtig. Zum selben Ergebnis kommt auch eine Studie des Bundeskriminalamts.
Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung aber berufen sich nicht nur auf den Bedarf der Praktiker – sondern auf geltendes europäisches Recht. Die Europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2006 verlangt, dass Provider – also die Telekommunikationsanbieter - Telefondaten, SMS-und Email-Verbindungsdaten und die IP-Adressen mindestens sechs Monate lang speichern müssen.
Das entsprechende Gesetz aus dem Haus der damaligen Justizministerin Brigitte Zypries scheiterte vor dem Bundesverfassungsgericht – weil unter anderem die heutigen liberale Justizministerin dagegen geklagt hatte. Möglich wäre die Vorratsdatenspeicherung aber auch nach dem Urteil noch – wenn Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sie wollte. Die Ministerin aber hat andere Vorstellungen. Ihr Sprecher Anders Mertzlufft erläutert das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren:
"Sie sichern die Daten, sobald ein wie auch immer gearteter Verdacht vorliegt. Also wenn ein Terrorverdächtiger irgendwas baut, und sie können keine Hausdurchsuchung, weil’s nicht reicht, oder keine Abhörmaßnahme durchführen im Bereich der Gefahrenabwehr, dann haben Sie die Möglichkeit, mit einer solchen Sicherung auch alles mögliche einzufrieren, was an Daten da ist."
Das bedeutet: Keine Speicherung ohne Anlass. Eine Ausnahme soll nach dem Vorschlag für das Internet gelten: Sieben Tage sollen die IP-Adressen gespeichert werden. Doch auf diesen Vorschlag aus dem Justizministerium wollte sich Hans-Peter Friedrich gar nicht erst einlassen, er akzeptierte den Entwurf nicht einmal als Gesprächsgrundlage. Die Daten müssten anlasslos gespeichert werden, forderte er.
Bis der Impuls aus Europa kam bewegte sich nichts. Die Kommission mahnte die Umsetzung der Richtlinie an. Die Bundeskanzlerin verlangte, dass die Ministerien miteinander sprechen - auf Grundlage des Vorschlags der Justizministerin. Die Lösung des Bundesinnenministers: Er schrieb diesen vollständig um:
"Deswegen habe ich vorgeschlagen, so wie die Richtlinie es vorschlägt, dass alle Kommunikationsdaten ohne besonderen Anlass für sechs Monate gespeichert und dann automatisch gelöscht werden."
Von Kompromissen ist derzeit keine Rede, im Gegenteil: Der Vorschlag Friedrichs geht über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich wenig amüsiert:
"Dieser Vorschlag jetzt aus dem Haus des Innenministers war in meinen Augen eher ne kleine Art von Kriegserklärung als ein Kompromissangebot."
Der gescholtene Innenminister konterte kühl:
"Es ist die Frage nicht, ob es einen Kompromiss zwischen mir und Frau Leutheusser-Schnarrenberger gibt, sondern es ist die Frage, ob Frau Leutheusser-Schnarrenberger die Kommission überzeugen kann, dass ihre Richtlinie falsch ist. Ich glaube nicht, dass ihr das gelingen wird."
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt zu verstehen, dass sie die Richtlinie umgesetzt sehen will. Wenn auch bisher ohne zeitliche Ansage. Für die FDP ist die Vorratsdatenspeicherung – neben den Netzsperren, mit deren Ablehnung sich die FDP in der Koalition durchsetzen konnte – vielleicht d a s Thema, mit dem sie als Rechtsstaatspartei punkten will. Entsprechend kämpferisch gab sich die FDP auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende. Nach der Ansage des Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle ...
"Vorratsdatenspeicherung: Meine Daten gehören mir, sie gehören nicht dem Staat und nicht den Konzernen."
... folgte Applaus. Erst einmal.
"Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist unsere Jean d’Arc der Bürgerrechte. Sie steht dafür ... "
Und dann, nach dem Lob, Jubel - fast eine Minute lang. Und eine Ansage, nach der die Ministerin ihre Position nur schwer fallen lassen kann:
"Es gibt genügend rote und schwarze Sheriffs. Gut, dass es eine gelbe Lady gibt, die klare Grundsätze hat."
Nur: Da wäre immer noch die Richtlinie und die Europäische Kommission, die auf ihre Umsetzung drängt. Diese Aufgabe weisen die Europäischen Verträge der Brüsseler Behörde zu. Mehr als 2000 Vertragsverletzungsverfahren laufen in jedem Jahr gegen die 27 EU-Mitgliedsstaaten. Gegen Deutschland laufen derzeit 74 solcher Verfahren, in acht Fällen droht ein Zwangsgeld.
Das Vertragsverletzungsverfahren dauert, bis es zur Klage kommt, oft mehrere Jahre. Dabei ist es durchaus ein unausgesprochenes Ziel, über die lange Zeit den betroffenen Mitgliedsstaat schließlich dazu zu bewegen, europäisches Recht doch korrekt umzusetzen und anzuwenden, ohne dass es zur Klage vor dem EUGH kommt und zu hohen Geldstrafen.
Bei der Vorratsdatenspeicherung ist die Brüsseler Behörde allerdings der Ansicht, Deutschland habe ausreichend Spielraum gehabt, um die europäischen Vorgaben umzusetzen, und dabei den besonderen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes Rechnung zu tragen. Die Vorstellungen der Bundesjustizministerin, anstatt der Vorratsdatenspeicherung das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren einzuführen, überzeugen die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström nicht. Ein solches Verfahren erfülle die Vorgaben nicht, so ihr Sprecher:
"Um es noch mal ganz deutlich zu sagen: Quick Freeze kann nicht als eine Umsetzung der Richtlinie gelten. Hier geht es um ein anderes System, das nicht so weit geht wie die gemeinsam beschlossene Vorratsdatenspeicherung und es ist nicht so wirksam wie das, was die Richtlinie vorsieht."
Auch in einem anderen Punkt ist die Bundesjustizministerin in Brüssel auf Granit gestoßen: Leutheusser-Schnarrenberger hielt eine Umsetzung der geltenden Vorratsdaten-Richtlinie für nicht erforderlich, schließlich – so ihre Argumentation - arbeite die Kommission gerade an einer Reform eben dieser Richtlinie. Diese könne Deutschland dann später in überarbeiteter Fassung umsetzen. Tatsächlich hatte sich die EU-Innenkommissarin nach einem kritischen Expertenbericht im vergangenen Jahr für strengere und klarere Regeln bei Einsatz und Speicherung von Telefon- und Internetdaten ausgesprochen.
Doch ein neuer Vorschlag dazu steht noch aus. So oder so müsse bestehendes europäisches Recht umgesetzt werden, betont die Europäische Kommission. Auch Gegner der Vorratsdatenspeicherung wie der grüne Europaabgeordnete Jan-Philipp Albrecht haben kein Verständnis für die abwartende Haltung der Bundesjustizministerin:
"Man muss sich dann eben auch irgendwann darauf einlassen, dass man auf europäischer Ebene eine Neuentscheidung herbeiführt oder eben das gemeinsam Entschiedene umsetzt. Das ist natürlich auch meines Erachtens ein Fehler gewesen, dass man solange in der Bundesregierung nicht hat einigen können, denn eine Einigung hätte dazu beigetragen, dass früher und zügiger in der EU-Kommission an einer Überarbeitung der Richtlinie gearbeitet würde."
Nach Einschätzung des grünen Europaabgeordneten gibt es unter den Mitgliedsländern, aber auch im Europäischen Parlament, eine klare Mehrheit für eine Reform der Vorratsdatenspeicherung. Albrecht zweifelt allerdings nicht daran, dass es im Kern bei einer anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsdaten bleiben wird. Diese Einschätzung teilt auch sein Parlamentskollege Manfred Weber von der CSU:
"Es wird zu Veränderungen kommen bei der Frage, mit welchen Gründen darf ich auf Daten zugreifen, also nur bei schwerster Kriminalität, es kann Veränderungen geben, wie lange die Daten gespeichert werden, heute mindestens 6 Monate, vielleicht machen wir dies kürzer, aber der Grundsatz, dass wir anlasslos speichern, der wird in Europa nicht zur Debatte gestellt werden durch Novellierungsvorgaben."
Im Spagat zwischen Sicherheit und Freiheit teilen längst nicht alle EU-Staaten die grundsätzlichen Bedenken gegen eine anlasslose Speicherung - wie es sie in Deutschland gibt. Länder mit der Erfahrung von Terroranschlägen in jüngster Zeit - wie Spanien und Großbritannien - räumen der Sicherheit einen deutlichen Vorrang ein. In Italien gilt die Vorratsdatenspeicherung als wichtige Waffe im Kampf gegen die Mafia.
Doch richtig ist auch: Nicht nur Deutschland hat Probleme mit der Richtlinie. So wurden Schweden und Österreich wegen Nichtumsetzung vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Dabei verwarfen die Luxemburger Richter das Argument, die Richtlinie könne nicht umgesetzt werden, weil sie rechtswidrig sei. Das rumänische Verfassungsgericht wiederum verwarf 2009 das nationale Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wegen gravierender Mängel beim Datenschutz. Und der Irische High Court hat die EU-Richtlinie im Februar dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt und gefragt, ob die Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung mit der Europäischen Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar seien. Für den grünen Europaabgeordneten Jan-Philipp Albrecht alles Zeichen einer zunehmend kritischen Haltung:
"Natürlich hat Deutschland geschichtliche Erfahrungen gemacht, die uns sehr vorsichtig gemacht haben, und wo wir uns starke Grenzen gesetzt haben. Die haben viele andere europäische Staaten nicht, manche aber schon. In Rumänien hat auch das Verfassungsgericht deutlich gesagt, so geht das gar nicht mit der Richtlinie. - Das Problem ist kein rein deutsches, sondern durchaus auch eine europäische Debatte."