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Daten, Kunst und Chaos

Bereits zum 26. Mal findet in Berlin die Transmediale statt. Sie steht unter dem Motto "Back when Pluto was a planet", im Internet abgekürzt als BWPWAP, ein Akronym, das für die rasende Veränderung der Welt steht. Und genau darum geht es auch auf dem Festival für digitale Kunst.

Von Cornelius Wüllenkemper |
    Der New Yorker Hip-Hop-Musiker Aesop Rock trauert in seinem Song "Bring back Pluto" den alten Zeiten nach, als es noch acht Planeten gab, als man sich noch auf bekannte Klassifizierungen und Ordnungssysteme verlassen konnte.

    "Wir nehmen das als eine Art von Metapher dafür, wie schnell kulturelle und wissenschaftliche Paradigmen und auch technologische Entwicklungen sich in unserer heutigen Gesellschaft verändern können","

    erklärt Kirstoffer Gansing, der schwedische Kurator der26. Transmediale. BWPWAP, "Back when Pluto was a planet", unter diesem Titel beleuchtet das Festival in Ausstellungen, Performances, Filmprojektionen, Konzerten, Debatten und Workshops das Verhältnis zwischen Medien, Wissenschaft, Technologie und Mensch. Die internationale Künstlergruppe der Telekommunisten zum Beispiel setzt sich mit dem Begriff Netzwerk auseinander: Wer profitiert eigentlich von Online-Netzwerken, wie werden sie kontrolliert, zensiert und regiert? Die Telekommunisten haben dafür im Foyer des Haus der Kulturen der Welt eine sogenannte "miscommunication platform" aufgebaut: Mit ihrem Octo, einem Rohrpostsystem, das auf über 1,5 Kilometer Länge durch das ganze Haus verläuft, zeigen sie, wie Online-Netzwerke funktionieren.

    ""Das hier ist ein ganz normaler Staubsauger, den man in jedem Obi kaufen kann. Mit ihm saugen und drücken wir die Kapseln durch das Rohrsystem. Are you ready? Here we go!","

    erklärt der kanadische Telekommunist Baruch Gotlieb und schickt im Probelauf ein Paket durch das Rohrpostsystem. Von acht im Haus verteilten Orten aus kann der Besucher ein Paket von A nach B schicken, muss sich aber zuvor per Telefon mit der Verteilerzentrale in Verbindung setzen.

    ""Sie können Ihr Paket nicht direkt an den Empfänger schicken. Das geht nur über die zentrale Verteilerstelle. Der Vermittler wird Ihnen dann ein paar Fragen stellen: Wie heißen Sie, wo wohnen Sie, wie alt sind Sie? Wenn Sie Ihr Paket dann abgeschickt haben, kann der Vermittler es öffnen und nachschauen, ob es irgendwas Verbotenes enthält, ob er etwas zensieren muss, vielleicht packt er auch noch Spam-Werbung mit rein, und dann erst leitet er es an den Empfänger weiter."

    Die Telekommunisten verstehen ihr Octo-Rohrpostsystem als fiktives Startup-Unternehmen, das die Weltherrschaft anstrebt und zuvor Werbekunden und Adresshändlern schmackhaft gemacht werden muss. Netzwerke wie Facebook oder Google, so die Message, sind weniger Mittel zur Kommunikation, sie verzerren und verfälschen diese vielmehr. Inwiefern der User selbst zum Produzenten werden, sich Technologien künstlerisch aneignen, sie zweckentfremden und im Do-it-yourself-Verfahren manipulieren kann, damit beschäftigt sich ein zweiter Themenstrang des Festivals. Der New Yorker Medienkünstler Peter Edwards etwa koppelt seine selbstgebastelten Synthesizer mit LED-Lampen und lässt sich von den audio-visuellen Zufällen überraschen, die sich aus der Eigendynamik seiner selbstgebauten Maschine ergeben.

    "Natürlich bin ich Produzent, aber auch der Aspekt des Users ist bei meiner Arbeit wichtig, denn ich beziehe ja bereits produzierte Technologie mit ein. Was ich am spannendsten finde, ist, dass ich diese Technologien ausbeute und so unvorhersehbare, versteckte und aufregende Phänomene entdecke."

    Die Chicagoer Medienkunst-Pionierin Sonia Landy Sheridan präsentiert auf der Transmediale ihre "Selbstgenerierende Kunst" aus den 60er-Jahren, bei der Kopier- oder Faxgeräte für bizarre visuelle Entfremdungseffekte zum Einsatz kommen. Aber auch die zeitgenössische Version dieser Bürokunst, die sogenannte Glitch-Art, ist auf der Transmediale vertreten, erklärt Kurator Kristoffer Gansing.

    "Das ist auch so ein User-Culture-Phänomen, dass man Fehler zum Beispiel innerhalb einer digitalen Kamera – oder man mischt eine Audio-Software mit einer Graphik-Software und nimmt ein Image-File und lädt das in ein Audioprogramm und dann zurück zum Photoshop-Programm. Und dann hat man ein Glitch-Image."

    Wenn Kunst und Medien heute immer mehr auf Technologie basieren, wozu braucht man dann eigentlich noch Papier? Auch mit dieser Frage setzt sich die Transmediale auseinander, in Diskussionen über die Bedeutung vom Selbstverlegen und der Welt der digitalen Bücher oder in Workshops über den "Druck im post-digitalen Zeitalter". Wer möchte, kann sich auch zeigen lassen, wie man Datenmüll als Rohmaterial für Kunstwerke nutzt, was hinter dem Touchscreen seines Smartphones eigentlich genau abläuft oder mit Peter Edwards seinen ersten Do-it-yourself-Synthesizer bauen.

    Wenn Pluto plötzlich kein Planet mehr ist und Wissenschaft und Technologie die Welt ständig neu erfinden, so lautet der Tenor der Transmediale, sollten wir ruhig mal einen Blick hinter die Kulissen werfen.