Johann Wolfgang von Goethe, Maria Callas, Pablo Picasso oder Marie Curie - für die meisten Kulturhistoriker wären diese faszinierenden Persönlichkeiten eigene Studien wert. In der Arbeit von Maximilian Schich an der Universität von Texas in Dallas sind sie Datenpunkte, gleichberechtigt unter 150.000 anderen Datenpunkten. Dabei ist Schich eigentlich Kunsthistoriker und hat sich im Detail zum Beispiel mit Zeichnungen der Renaissance beschäftigt. Aber dabei ist ihm klargeworden, dass die Kulturwissenschaften im Lauf der Zeit ebenso große Datenmassen angehäuft haben, wie zum Beispiel die Biologen.
"Die werden traditionell eigentlich nur als Nachschlagewerke benutzt, und man hat sich herzlich wenig dafür interessiert, wie die große Struktur dieser Datenbanken aussieht."
Das will die Gruppe um Maximilian Schich ändern. Sie hat für ihre Studie drei Datenbanken herangezogen. Zwei wurden von Experten zusammenstellt, das Allgemeine Künstlerlexikon und die Künstlerliste des Getty Research Institutes. Die dritte Datenbank Freebase erfasst Laien-Einträge, etwa aus Wikipedia. Maximilian Schich konzentrierte sich auf die Geburts- und Sterbedaten. Die sind schließlich für sehr viele bekannte Persönlichkeiten dokumentiert. Wobei bekannt hier schlicht heißt: in einer Datenbank verzeichnet. Für die Analyse holten sich die Kunsthistoriker Hilfe aus ganz unterschiedlichen Disziplinen.
"Also, wir greifen auf die Werkzeuge der Komplexitätswissenschaften zurück. Es gibt Beispielsweise graphische Methoden, die wir aus der Systembiologie mehr oder weniger geklaut haben, wir benutzen mathematische Modellierungen, für so einen Zweck braucht man halt einen Physiker im Team."
Attraktive Orte clustern
In einem ersten Schritt hat das interdisziplinäre Team dokumentiert, an welchen Orten mehr Personen sterben als geboren werden. Ein solches Ungleichgewicht kann kurzzeitig aus tragischen Gründen auftreten, etwa an Schlachtfeldern oder auch den Standorten von Konzentrationslagern. Besteht es längerfristig, sind die Ursachen dagegen meist positiv. Der Ort ist attraktiv. Viele bekannte Persönlichkeiten ziehen zum Beispiel nach Hollywood oder New York, deshalb sterben dort auch mehr Menschen. Wie sich die Attraktivität von Städten im Lauf der Zeit wandelt zeigen mehrere aus den Daten generierte Zeitrafferfilme. Jede bekannte Persönlichkeit ist darin ein Punkt, der vom Geburts- zum Sterbeort wandert. Kurz nach dem Jahr Null zieht es die Menschen vor allem nach Rom, später entstehen neue Zentren, regional aber nach ganz unterschiedlichen Mustern.
"Paris sammelt dann im weiteren Verlauf extrem massiv Individuen aus ganz Frankreich ein und zwar so weit, dass 60 bis 70 Prozent aller bekannte Persönlichkeiten in Paris landen. Das ist eine massive Zentralisierung und der gegenüber findet man so eine Art Wettkampf zwischen den Zentren in Deutschland, in den Niederlanden, in Norditalien wo sozusagen kein einziges Zentrum jemals mehr als 20 Prozent der Leute aus dem entsprechenden Bereich bei sich aufnimmt."
Diese Unterschiede waren bekannt.
"Aber Sie können eben auch sehen, dass sehr, sehr viele Leute aus Südamerika nach Südeuropa auswandern auf eine Art und Weise, die von der europäischen Kunstgeschichte überhaupt nicht abgedeckt ist."
So kann die globale Analyse der Datenbanken dann wieder Ansatzpunkte für konkrete Detailstudien liefern. In jedem Fall eröffnen die Big Data-Ansätze auch der Kulturgeschichte neue Perspektiven. Für Maximilian Schich ist dabei ein Befund besonders wichtig: es gibt große Muster der Lebenswege, die über lange Zeitspannen und in verschiedenen Weltgegenden gelten. Aber die Abweichungen von diesen allgemeinen Regeln, die sind in der Kulturgeschichte viel größer als in biologischen oder physikalischen Systemen.
"Nicht nur können wir sagen, liebe Kunsthistoriker, man kann quantifizieren und Physik der Kultur ist relevant, sondern wir können auch den Physikern sagen, sie müssen im Detail qualitative Forschung ernst nehmen weil sie sehr, sehr wichtig ist und immer anders ist als das Gesetz."