Archiv

Datenbrille für Hubschrauberpiloten
Sicher durch Nebel und Schnee

Die Rettung von Unfallverletzten oder verunglückten Wanderern ist für viele Hubschrauberpiloten eine Herausforderung - besonders wenn dichter Nebel, starker Schneefall oder schlechte Sicht die Einsätze erschweren. Ein neues Helmsichtgerät mit integrierter Datenbrille soll nun helfen, die Arbeitsbelastung zu senken.

Von Bernd Schlupeck |
    Ein Notarzt-Rettungshubschrauber landet am 28.01.2010 auf der A 10 am Dreieck Spreeau in der Nähe eines umgekippten Kleintransporters.
    Piloten von Rettungshubschraubern haben nicht selten mit widrigen Wetterbedingungen zu kämpfen (dpa picture alliance/Bernd Settnik/lbn)
    "So, dann würde ich Sie mal bitten einzusteigen, beim Hubschrauber sitzt der Pilot rechts. Ich mache jetzt erst einmal den Co-Piloten. Wir haben hier sogar den Brechbeutel, haben ihn aber bisher noch nicht gebraucht. Türen klappen."
    Franz Viertler schließt die Tür einer Bo 105. Gleich geht es los mit meiner ersten Hubschrauberflugstunde.
    Ausgerechnet heute ist das Wetter schlecht: Dicker Nebel liegt über dem Tegernsee. Tief durchatmen.
    Zum Glück ist der Hubschrauber nur ein Simulator im Kellerlabor des Lehrstuhls für Hubschraubertechnologie der TU München, Franz Viertler Ingenieur und der Nebel eine Projektion.
    Aber die Bedingungen sind durchaus realistisch: Auch Piloten von Rettungs- oder Polizeihubschraubern kämpfen häufig mit Sichtweiten von unter 800 Metern. Damit das weniger stressig ist, entwickelt der Forscher derzeit ein Head-Mounted Display mit Augmented Reality:
    "Gut, dann kommen wir zu dem Head-Mounted-Display: Wir haben hier ein Gestell, ein Kopfband, das sich auf die Kopfgröße einstellen lässt. Dann hat man hier vorne das optische System, letztendlich eine Datenbrille, wo Informationen über diese Gläser eingespielt werden."
    "Jungfernflug" im Flugsimulator
    Der Forscher klemmt mir einen zwei Kilo schweren, schwarzen Kasten auf die Stirn, in dem zwei viereckige Brillengläser eingelassen sind. Über dem Nebel erscheinen nach ein paar Klicks bunte Linien vor meinen Augen.
    Autor: "Also ich sehe jetzt so eine Art grüner Gitternetzlinien, die das Bergprofil oder das Relief der Umgebung abbilden. Und diese rosafarbenen Pfeile, das ist der Flugweg."
    Franz Viertler: "Wir sagen 'magenta' dazu in der Luftfahrt und diese Pfeile zeigen den gleichen Flugweg, wie hier unten auf der Karte eingezeichnet. Nur das der Pilot nicht auf die Karte schauen muss, um somit beispielsweise den Unfallort finden zu können."
    Autor: "Ansonsten sehe ich noch das Cockpit abgebildet. Na gut, dann starten, wir mal."
    Franz Viertler: "Also in der Regel ist es so, dass wir eigentlich beide Beine und beide Arme benötigen."
    Ich fühle mich an meinen C64 erinnert, den ich als Kind hatte. Der Stick in der Mitte sieht wie ein Joystick aus. Zum Abheben und Landen, erklärt der Forscher. Links neben dem Sitz ist ein Gashebel. Und die Pedale, jeweils unter meinem linken und rechten Fuß, sind zum links oder rechts fliegen. Wir heben ab zu meinem Jungfernflug über den Tegernsee. Mein Sitz vibriert, der Rotor dreht auf - als Soundspur im Hintergrund.
    Autor: "Die magenta-farbenen Dreiecke sind mein Kurs."
    Franz Viertler: "Genau, und jetzt kommen noch Hindernisse dazu, zum Beispiel Häuser, das heißt man sieht nur die in türkis dargestellten Umrisse."
    "Und ich sehe jetzt noch ein Windrad, rot gepixelt. Das müsste ich links umfliegen."
    Franz Viertler: "Es wird immer Hindernisse geben, die nicht in der Datenbank verfügbar sind, mal eine Windkraftanlage, eine Stromleitung oder ein Baukran. Das heißt, Sie müssen durch Sensorik erfasst werden, zum Beispiel über so einen Lidar-Sensor."
    Lidar steht für Light Detection and Ranging und funktioniert ähnlich wie Radar. Dabei werden von einem Sensor an den Kufen des Helikopters aktiv Laserimpulse im Mikrometer-Bereich ausgesendet. Diese treffen auf Hindernisse und werden reflektiert. Anschließend wird das zurückgestreute Licht aufgefangen.
    Aus der Zeit, die währenddessen vergeht, wird die Entfernung zum Ort berechnet. Alle Daten werden verarbeitet und in Echtzeit in die Datenbrille projiziert. Damit diese immer an der richtigen Position auftauchen, wird per Ultraschall permanent die Lage des Kopfes erfasst.
    Franz Viertler: "Klappt eigentlich schon ganz gut für das erste Mal."
    Autor: "Das ist aber ein sehr empfindliches System."
    Franz Viertler: "Das ist so ein Baukran."
    Autor: "Den müssen wir umfliegen, den stehenden Hubschrauber."
    Franz Viertler: "Das waren jetzt nur noch ein paar Meter."
    Haarscharf weiche ich einem stehenden Hubschrauber aus. Neben den Informationen in den Gläsern sollte ich auch die Leinwand im Blick behalten. Selbst dicker Nebel lichtet sich kurz vor dem Objekt.
    Arbeitsbelastung konnte um 25 bis 30 Prozent gesenkt werden
    Ganz schön viel auf einmal zu beachten. Wie Profis mit der Brille klarkommen, hat der Forscher in einer Studie mit 16 Piloten getestet:
    "Letztendlich kam bei der Studie heraus, dass im Durchschnitt über alle Piloten hinweg, die Arbeitsbelastung um 25 bis 30 Prozent gesenkt werden konnte. Das heißt, obwohl hier wahnsinnig viele Informationen hinzukommen und die Piloten nur eine begrenzte Zeit zum Training in der Studie hatten, konnten die Piloten relativ schnell damit umgehen. Und damit war es auch möglich die Arbeitsbelastung in dem Bereich zu senken."
    Das ist gut für die Piloten, mir wird es allerdings zu viel: Ein flaues Gefühl macht sich in meinem Magen breit.
    Autor: "Jetzt wird mir schon ein bisschen schummrig."
    Franz Viertler: "Okay dann versuche ich noch zu landen, ich nehme die Straße hier; zwei Fuß, ein Fuß, und Kontakt mit dem Boden."
    Endlich wieder Boden unter den Füßen. Einen Test der Datenbrille in einem echten Hubschrauber möchte ich eher nicht ausprobieren.
    Genau dafür sucht der Forscher momentan Unterstützung aus der Industrie. Bis Piloten bei ihren Rettungseinsätzen eine Datenbrille nutzen können, vergehen also noch einige Jahre.