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Datenschutz
"EU hat beste Richtlinie der Welt"

Vor der EuGH-Entscheidung über das "Recht auf Vergessenwerden" im Internet hat Viviane Reding die EU-Länder aufgefordert, Brüssel beim Datenschutz zu folgen. Deutschland sei dabei das "Zünglein an der Waage", sagte die EU-Kommissarin im DLF.

Viviane Reding im Gespräch mit Mario Dobovisek |
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    "Wenn Deutschland aufhört mit dem Blockieren, dann haben wir eine neue Datenschutzverordnung", sagt Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, zuständig für Justiz und die Grundrechte der Bürger. (dpa / picture alliance / Nicolas Bouvy)
    Das EU-Parlament sei Vorreiter in Sachen Datenschutz und hätte hier die "beste Richtlinie der Welt", sagte die EU-Kommissarin für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Es liege an den Regierungen, hier ihre Blockaden aufzugeben. Auch nach mehr als zwei Jahren Diskussion streiten die EU-Staaten immer noch über zentrale Punkte der Reform, die die bestehende Datenschutzrichtlinie aus dem Jahre 1995 ersetzen soll. Zugleich sagte Reding: "Wer speichern kann, kann auch löschen." Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission hofft, "dass der Europäische Gerichtshof hier Klarheit schaffen will".
    Der EuGH entscheidet heute über die Frage, ob eine Person das Recht hat, von der Internet-Suchmaschine Google nicht gefunden zu werden. Eine Frage lautet auch hier hier: Dürfen Suchmaschinen wie Google Daten "vergessen" oder "löschen"? In dem Fall geht es um einen Spanier, dessen Name in einem Online-Zeitungsartikel im Zusammenhang mit Schulden und einer Zwangsversteigerung auftaucht. Die Chancen, dass der Spanier sich mit seinem Anliegen durchsetzen kann, gelten als gering. Im Sommer 2013 hatte der EU-Generalanwalt Niilo Jääskinen ihm in einem Rechtsgutachten eine Absage erteilt. Die derzeit geltende EU-Datenschutzrichtlinie enthalte kein allgemeines "Recht auf Vergessenwerden", unterstrich Jääskinen.

    Das Interview mit Viviane Reding in voller Länge
    Mario Dobovisek: Es ist die Generation Facebook, junge Erwachsene, die heute Karriere machen, denen aber das ein oder andere Mal die eigene Vergangenheit im Wege steht. Der Vollrausch mit 15, die Hetze gegen Mitschüler, eindeutige Posen und Fotos, das Internet, das vergisst nicht, denn löschen Sie nach Jahren Ihr selbst eingestelltes Bild, wurde es längst gleich mehrfach kopiert, von anderen Internet-Nutzern etwa oder den Servern der großen Suchmaschinen.
    Doch das eigene Bild zu löschen, das ist noch einfach, verglichen mit den Behauptungen oder Informationen anderer, Beispiel Bettina Wulff. Die Exfrau des früheren Bundespräsidenten klagt seit Jahren gegen Google, den Platzhirschen unter den Internet-Suchmaschinen, denn sie will unter anderem nicht, dass bei der Suche nach ihr automatisch die Worte "Prostituierte" erscheinen. Auch einzelne Seiten will sie löschen lassen.
    Andere wie Formel-Eins-Manager Max Mosley wollen, dass Sexfotos von ihm nicht mehr von Google verbreitet werden, ein fast aussichtsloser Kampf, wie er inzwischen nach Jahren selber sagt. Heute will der Europäische Gerichtshof ein Grundsatzurteil fällen über den Kampf eines Spaniers gegen Google.
    Am Telefon begrüße ich Viviane Reding, sie ist Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, dort zuständig für Justiz und die Grundrechte der Bürger, bis zur Europawahl jedoch als Spitzenkandidatin der Luxemburger Christdemokraten beurlaubt. Guten Morgen, Frau Reding!
    Viviane Reding: Guten Morgen!
    Dobovisek: Allein der Fall des gegen Google klagenden Spaniers wirft viele Fragen auf, wir haben es gehört, von den anderen Fällen ganz zu schweigen. 2011 traten Sie an, Frau Reding, dem Internet das Vergessen beizubringen mit einem sozusagen digitalen Radiergummi für die Bürger in der Hand – Stichwort "Das Recht auf Vergessenwerden im Internet". Inzwischen ist die EU-Datenschutzreform auf dem Weg. Warum ist der digitale Radiergummi irgendwo auf der Strecke liegen geblieben?
    Reding: Wir haben eine große Reform angestrengt, weil nämlich das Datenschutzgesetz, das heute noch in Kraft ist, aus dem Jahre 1995 stammt. Das sind Prä-Internet-Zeiten. Damals war Zuckerberg, der Schaffer von Facebook, gerade mal neun Jahre alt. Also Sie sehen, es ist höchste Zeit, dass wir unsere Gesetzgebung an den neuen Stand bringen. Das Europaparlament hat schon mit überwältigender Mehrheit der Novelle zugestimmt. Jetzt brauchen wir noch die Zustimmung der Regierungen. Die ist etwas schwieriger zu bekommen.
    "Höchste Zeit für neusten Stand der Gesetzgebung"
    Dobovisek: Aber ausdrücklich hat das Europaparlament auch gesagt, das Vergessenwerden im Internet, das Recht darauf, ist nicht Teil der neuen EU-Richtlinie. Warum also nicht?
    Reding: Das habe ich nicht gesehen. Ich habe im Gegenteil gesehen, dass dieses Recht auf Vergessen technisch besser umrissen worden ist. Wenn ich jetzt auf das Urteil zurückkomme, das ja heute gesprochen werden soll, da sind zwei sehr wichtige Elemente drin, und zwar das erste einmal, dass in Europa Europarecht angewendet wird.
    Google klagt ja darauf, dass sie nicht das Europarecht anzuwenden brauchen, weil der Server in den Vereinigten Staaten steht. Das kann und darf doch nicht so sein. Wenn man die Goldgrube der Daten in Luxemburg anpeilen will, in Europa anpeilen will, dann muss man auch die Gesetze Europas anwenden, und ich hoffe wirklich, dass der Gerichtshof hier Klarheit schaffen will.
    Das zweite Element ist: Müssen Informationen, wenn der Bürger das fragt, ausradiert werden? Heute ist das Gesetz nicht sehr klar, aber die neue Gesetzgebung ist sehr klar in dem Sinne und sie unterscheidet zwischen einem aufgehäuften Wissen des Journalisten einerseits, Medienfreiheit, und unter dem Recht des Einzelnen auf sein Selbstverständnis und sein Selbstbestimmen.
    Und in dem Sinne wäre es interessant zu sehen, ob ein jahrzehntelanges Suchergebnis, was mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat, ob das noch das Recht hat, als erstes Ergebnis gezeigt zu werden, wenn man auf Suche geht. Das ist nämlich unserer Meinung nach nicht verhältnismäßig und sollte gelöscht werden und technisch ist das auch möglich. Ich sage immer in dem Sinne, wer speichern kann, der kann auch löschen.
    Dobovisek: Für die einen ist es verletzter Datenschutz, für die anderen, Sie haben es angesprochen, Meinungs- und Pressefreiheit. Sie waren selbst jahrelang Journalistin, Frau Reding. Kann es jemals eine klar definierte Trennlinie zwischen diesen beiden Grundrechten geben?
    "Wer speichern kann, der kann auch löschen"
    Reding: Es muss eine Trennung geben. Die ist zwar nicht sehr klar, die muss auch von Fall zu Fall dann aufgegriffen werden. Was wichtig ist, ist das Verhältnismäßige. Das Recht des Journalisten zu schreiben und dieses Geschriebene auch in ein Archiv zu geben, das ist schon gegeben. Aber das Recht des Einzelnen, das einmal Geschriebene dann, wenn das Problem dessen, was geschrieben wurde, schon längst gelöst ist, dass das noch immer als erstes Suchergebnis kommt, das scheint mir aber doch einen Angriff auf die Persönlichkeitsrechte.
    Dobovisek: Dann gehen wir aber noch mal einen Schritt zurück, Frau Reding. Wenn es denn nicht klar ist, wo die Trennlinie zwischen Datenschutz und Pressefreiheit verläuft, dann wird es immer eine Einzelfallentscheidung sein, die einem langen juristischen Weg folgen muss. Sprich: Ist das Löschen der eigenen Daten am Ende nur etwas für Wohlhabende, die sich so einen Prozessweg auch leisten können?
    Reding: Nein! Genau deshalb ist ja in dem neuen Gesetz, das seit 2012 auf dem Tisch liegt, vom Europaparlament angenommen worden ist und von den Ministern noch in der Diskussion ist, ganz klar vorgesehen, dass die nationalen Aufsichtsbehörden sich darum kümmern. Die können für Ordnung sorgen in einem solchen Fall. Das kann schnell und schmerzlos gehen. Und die können auch bei Zuwiderhandlungen sehr hohe Strafen auferlegen auf die Unternehmen, die sich den Regeln nicht anpassen wollen. Das kann bis zu fünf Prozent des weltweiten Jahresumsatzes gehen.
    Also die werden schon Biss bekommen und auch dann die Möglichkeit, dadurch Recht durchzusetzen. Und für den Einzelnen wird es sehr einfach sein, in einem solchen Falle wendet er sich an seine nationale Datenschutzbehörde und die regelt das Problem, sogar wenn das Problem im Ausland geschehen ist.
    Dobovisek: Haben denn die nationalen Datenschutzbehörden genug Biss, wie Sie sagen?
    Reding: Heute haben sie nicht genug Biss, weil sie nicht große Strafen auferlegen können, und deshalb diese Neuerung, dass alle Datenschutzbehörden bei Zuwiderhandeln und repetitivem Zuwiderhandeln dann bis zu fünf Prozent des weltweiten Umsatzes gehen können. Das wäre schon eine Milliarde Euro für Google an Strafe. Ich glaube, da wird auch Google versuchen, sich dann der Gesetzgebung anzupassen.
    "Nationale Datenschutzbehörden haben nicht genug Biss"
    Dobovisek: Kommen wir noch einmal zu der EU-Datenschutzreform. Das Vergessenwerden im Internet steht so nicht drin, sondern es ist jetzt vom Löschen die Rede. Wer blockiert da?
    Reding: Da blockiert das Parlament Gott sei Dank nicht, denn ob man von Vergessenwerden oder von Löschen spricht, das kommt ja in der Praxis auf dasselbe heraus. Das Parlament hat versucht, das etwas technisch machbarer zu gestalten in den Texten. Ich bin völlig damit einverstanden. Die Tatsache, dass das Recht auf Vergessen in den Text eingeschrieben wird, ändert nichts, auch wenn es anders formuliert wird.
    Dobovisek: Insgesamt all das, was wir hier besprechen, klingt sehr kompliziert. Zu kompliziert vielleicht für jemanden, der sich nicht ausgiebig mit dieser Thematik befasst und seinen Artikel, seine Bilder aus dem Internet gerne gelöscht haben möchte. Können Sie verstehen, wenn gerade diejenigen, die das so kompliziert finden, was insgesamt in Brüssel passiert, europamüde werden?
    Reding: Ja. Ich glaube, die Menschen sollten zufrieden sein, dass es überhaupt Europa gibt im Datenschutz. Sonst hätten wir nämlich keinen. Wir haben in Europa seit 1995 schon eine Datenschutzrichtlinie. Die ist die Beste der Welt übrigens und die wird ja auch angewandt. Jetzt wird diese Datenschutzrichtlinie verstärkt, ausgebaut. Es liegt jetzt an den Regierungen, die diese Richtlinien bis heute noch blockiert haben, ihre Blockade endlich aufzugeben, und da sehe ich mit großer Freude, dass am Mittwoch etwas Wichtiges in Deutschland geschieht.
    Nämlich die Verbraucherschutzkonferenz der Minister tritt zusammen und da wird Senator Thomas Heilmann aus Berlin einen Beschlussvorschlag vorlegen, damit die europäische Verordnung schnell zu verabschieden sei. Gut, wir müssen aufs Gaspedal hier drücken und Big Data braucht Big Rights. Es ist also sehr gut, dass die Justizminister aus den Ländern mir helfen, im Interesse unserer Bürger diese Datenschutzverordnung so schnell wie möglich durchzubringen.
    "Big Data braucht Big Rights"
    Dobovisek: Ist es denn vor allem Deutschland, das blockierte?
    Reding: Deutschland ist das Zünglein an der Waage. Wenn Deutschland aufhört mit dem Blockieren, dann haben wir eine neue Datenschutzverordnung. Dass Länder wie England nie mit dem Blockieren aufhören werden, das scheint mir eine Evidenz zu sein. Einige arbeiten in Europa in dem Sinne mehr mit den Amerikanern als mit den europäischen Partnern.
    Dobovisek: Viviane Reding ist Vizepräsidentin der EU-Kommission und macht dieser Tage Europawahlkampf als Spitzenkandidatin der Christdemokraten in Luxemburg. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Reding: Gern geschehen. Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.