Schritte in den Gängen, Stimmen hinter Wänden. Trepp auf, Trepp ab. Die Algorithmen des Alltags:
"Das klingt immer so wie eine Zauberformel oder ein Zauberwort: Die Algorithmen."
Verloren in den Münchner Kammerspielen. Kafka als Klammer. Die Allmacht der Algorithmen.
"Das sind ja nur Rechengesetze, die im Falle von Facebook dafür sorgen, was wir zu sehen bekommen in unserer Timeline. Und das ist sehr undurchsichtig."
In der Musik von Holly Herndon wird er hörbar, der Mangel an Transparenz in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt. Zum Auftakt der dreitägigen Veranstaltung "Sensible Daten - Die Kunst der Überwachung" performt die 1980 geborene Laptop-Künstlerin aus San Francisco Bits und Bytes als Clicks und Cuts: Unterkühlt bis unheimlich, elektronisch aber auch elektrifizierend. Der Popjournalist, Theatermacher und Dokumentarfilmer Tobi Müller kuratiert die Veranstaltungsreihe:
"Ich glaube wir stehen gerade am Anfang einer Alphabetisierungs-Phase im Umgang mit Überwachung und mit Spuren, die wir im Internet hinterlassen, und wie wir uns da verhalten."
Das Öffentliche und das Private: Wie haben sie sich verändert, wo sind ihre Grenzen, wo stecken die Gefahren? Datenschutz ist pikant: Für manche mehr, für manche weniger. Tobi Müller:
"Könnte es sein, dass unsere Apathie gegenüber Überwachung auch davon kommt, dass wir vielleicht ganz gerne angeguckt werden?"
Voyeurismus und Narzissmus als zentrale Punkte im Leben vieler
Es dreht sich ganz allgemein um Beobachten, auch um Überwachung, um Voyeurismus und Narzissmus, um die Psychologie von sehen und gesehen werden. Kurator Tobi Müller:
"Will man nur noch das hören, was einem gefällt? Will man nur noch die eigenen, vermeintlichen Gewissheiten gespiegelt sehen?
Fragen gibt es viele, Antworten vielleicht bisher nur wenige. Doch Ungewissheiten schärfen zumindest das Bewusstsein. Mit der Veranstaltung "Sensible Daten - Die Kunst der Überwachung" werden die Münchner Kammerspiele ein Wochenende lang zu einem Think Tank, einer Denkfabrik der Daten-Akrobatik. Wer jongliert mit welchen Informationen? Die Stars in der Manege: Sarah Harrison repräsentiert WikiLeaks, Whistleblower Bill Binney spricht über die NSA und Edward Snowden klickt sich über ein verschlüsseltes Programm per Video-Schaltung zur großen "Sicherheitsgala" am Samstagabend in den Theatersaal. Mathias Lilienthal:
"Wie man gemerkt hat am amerikanischen Wahlkampf, ist kein Thema im Moment so wichtig wie die Frage: Wie geht man mit unseren Daten um?"
Eine Frage, die auch Mathias Lilienthal beschäftigt. Der Intendant der Münchner Kammerspiele steht für politisches Theater als Performance-Schauspiel des ständigen Hinterfragens.
"Von was für Bildern werden wir beeinflusst, mit was für Mechanismen werden wir unterminiert? Und genau diese Dinge auf den Tisch zu packen, ist die Funktion von Theater."
Bei der Premiere der Performance-Lecture "Situation mit Zuschauern" werden dann am Freitagabend erst mal Stühle und Tische zurechtgerückt. Drei Schauspieler treten in einen Diskurs und inszenieren die Inszenierung einer IS-Propaganda, dem Enthauptungsvideo "A Message to America" aus dem Jahr 2014.
"…Sie haben sich hier eingefunden, obwohl die Ankündigung davor warnt, dass einige Szenen und Bilder potenziell verstörende Inhalte verhandeln und obwohl das Stück ab 18 Jahren freigegeben ist. Ein schaufreudiges Publikum. Sehen wir uns einander also genau an."
"Man hat ja als Zuschauer im Theater immer verschiedene Rollen, die man zu verschiedenen Zeitpunkten im Theaterbesuch einnimmt."
Grenzen zwischen Akteur und Voyer verschwimmen
Oliver Zahn, Regisseur und zugleich auch einer der Darsteller von "Situation mit Zuschauern", nähert sich dem Thema "sensible Daten" aus einer ethisch-moralischen Perspektive: Die in Szene gesetzte Gewalt als Seelenschau unserer Gesellschaft. Die Grenzen zwischen Akteur und Voyeur verschwimmen - auch im Theater.
"Man changiert ja zwischen distanziertem Betrachter, zwischen einem Voyeur, man ertappt sich dabei, dass man was erotisch findet oder dass man was abstoßend findet, man ist Zeuge, man nimmt ja verschiedene Positionen ein. Und gleichzeitig ist es aber so, dass die Situation im Theater immer so ein bisschen Peep-Show-mäßig ist.
Mit der Veranstaltung "Sensible Daten - Die Kunst der Überwachung" gerät auch das Theater an sich in das Licht der Observation. Schöne neue Welt. Das Private ist längst politisch. Und wie sensibel geht eigentlich Mathias Lilienthal mit seinen persönlichen Daten um?
"Schlampig. Ich tue all das, was man nicht tun soll: Ich hab das gleiche Kennwort für all meine Internet-Nutzungen. Aber ich bin auch so ein privater Exhibitionist, aber ich sollte das nicht sein. Nach dem Wochenende werde ich mein Verhalten ändern!"