Seynsche: Herr Krauter, hat Sie die Meldung überrascht, dass die NSA an einem Quantencomputer tüftelt?
Krauter: Kein bisschen, Frau Seynsche, das war völlig klar, dass die Abwehrexperten dort sich mit so etwas befassen müssen. Spätestens seit 1994 ist ja bekannt, dass Quantencomputer im Prinzip in der Lage sein sollten, bestimmte Rechenaufgaben viel schneller zu lösen als konventionelle Supercomputer. Und zu diesen Aufgaben zählt eben auch das Knacken von verschlüsselten Nachricht. Der Grund dafür ist, dass praktisch alle gängigen Verschlüsselungsverfahren, mit denen heute E-Mails oder Banktransaktionen codiert werden, geheim gehalten werden, darauf basieren, dass sich normale Computer die Zähne ausbeißen, wenn es darum geht Zahlen in ihre Primfaktoren zu zerlegen. Das liegt daran, dass die Zahl der dafür nötigen Rechenschritte bei konventionellen Rechnern eben exponentiell steigt, je größer die Zahl wird, die man zerlegen will. Das heißt, wenn der geheime Schlüssel eines Lang genug ist, dann ist die Chance, den zu knacken, praktisch gleich Null, beziehungsweise bräuchte man Jahre dafür, und das macht die Sache dann für praktische Anwendungen uninteressant. Bis jetzt. Der Witz ist jetzt eben, dass für Quantencomputer andere Gesetze gelten, die versprechen enorme Geschwindigkeitsvorteile beim Codeknacken. Und deshalb ist es für Fachleute überhaupt nicht überraschend, dass die NSA die Entwicklung genau solcher Maschinen vorantreibt.
Seynsche: Und was sind das für neue Gesetze, also was macht diesen Quantencomputer so überlegen?
Krauter: Normale Computer rechnen ja bekanntlich mit Bits, die also entweder die Werte 0 oder 1 annehmen können. Der Witz bei Quantencomputern ist, die rechnen mit so genannten Quantenbits. Und die können die Werte 0 oder 1 gleichzeitig annehmen. Also nicht entweder oder, sondern sowohl als auch. Dank so genannter quantenmechanische Überlagerungszuständen ist so etwas möglich, kennt man von dem Gedankenexperiment mit Schrödingers Katze, die auch ein bisschen tot und lebendig gleichzeitig ist. So ähnlich funktioniert das. Und der Geschwindigkeitsvorteil, der daraus resultiert, der ist enorm. Das kann man sich verdeutlichen, indem man sich mal klarmacht, so ein PC mit 16 Bit kann der jeweils nur 65.536 Zahlen repräsentieren, und zwar eine dieser Zahlen, während ein Quantencomputer mit 16 Quantenbits all diese 65.536 Zahlen gleichzeitig im System halten kann und damit jonglieren kann. Und das hat eben Folgen. Wenn man jetzt zum Beispiel eine Zahl in ihre Primfaktoren zerlegen will, angenommen diese Zahl hätte 130 Stellen, bräuchte ein hoch parallel arbeitender Quantenrechner dafür rund 10 Millionen mal weniger Rechenschritte als ein heutiger Superrechner. Und bei noch größeren Zahlen, da während der Quantenrechnen sogar billionenfach schneller. Und das macht schon klar, woher das weltweit große Interesse an dieser Technologie kommt.
Seynsche: Weiß man denn, wie weit die NSA auf diesem Gebiet ist? Was hat sie da genau gemacht?
Krauter: Also unter anderem weiß man, dass sie ein 80 Million Dollar schweres Forschungsprogramm aufgelegt hat, um einen für die Kryptographie hilfreichen Quantencomputer zu entwickeln. Überraschend ist das, wie gesagt, nicht. Spannend ist natürlich die Frage, wie weit sie da gekommen sind. Und da weiß man jetzt eben laut Informationen der Washington Post, dass die NSA im September in der Lage sein wollte, zwei Quantenbits komplett zu kontrollieren. Das wäre ein interessanter technischer Schritt, aber doch nur ein relativ kleiner auf dem langen Weg zu einem Quantencomputer, der wirklich Kryptographen und das Gruseln lehren könnte. Denn so ein Rechner, der müsste mindestens einige 100 bis 1000 Quantenbits haben. Das ist technisch sehr knifflig, bisher auch noch keinem gelungen. Und Experten schätzen, dass das schon noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis man so etwas bauen kann. Wenn die Informationen der Washington Post korrekt sind, dann muss man sagen, sind die NSA-Abwehrspezialisten an dieser Stelle bei ihren Bemühungen auch nicht wesentlich weiter als andere Forschergruppen an Universitäten, Forschungsinstituten oder in der Industrie.
Seynsche: Aber es gibt doch eine kanadische Firma, über die wir schon einmal öfter berichtet haben, die bereits funktionierende Quantencomputer baut, oder nicht?
Krauter: Völlig korrekt. D-Wave Systems heißen die, die sind seit ein paar Jahren am Start und die haben tatsächlich schon zehn Millionen Dollar teure Rechenmaschinen, Quantenrechenmaschinen an Firmen wie Google verkauft oder an die NASA und vermutlich auch an die NSA, würde ich sagen. Der Haken ist allerdings, das sind keine so ganz universellen Quantencomputer, was D-Wave Systems bastelt, die sind also auch nicht das Mittel der Wahl, um Code zu knacken, also die gängigen RSA-Verschlüsselungen, um die es da geht. Die kann man mit diesen Maschinen nicht wirklich schneller entschlüsseln, da bieten die keinen direkten Vorteil. Insofern ist der universelle Quantencomputer als veritabler Code-Cracker, vorerst heute immer noch Zukunftsmusik. Aber es ist eben klar, wenn es ihn denn dann mal gibt, dann bricht wirklich eine neue Ära an, in der kaum noch ein heute verwendetes Verschlüsselungsverfahren sicher sein wird. Und der Anbruch dieser Ära, der ist jetzt eigentlich nur noch eine Frage der Zeit.