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Datenverkauf an CDU und FDP
"Die Post hat wohl wirklich anonymisierte Daten angeboten"

Die ehemalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht in der Nutzung der Daten von Post-Kunden zu Wahlkampfzwecken keinen Verstoß gegen den Datenschutz. Solche Modelle würden aber mit der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung der Vergangenheit angehören.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Christine Heuer |
    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerien (FDP), nimmt am 15.05.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) an der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 2015 teil.
    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerien (FDP) (dpa / picture alliance / Daniel Naupold)
    Christine Heuer: Es ist ein gefundenes Fressen für alle Satireseiten im Netz und natürlich auch für Satiresendungen im Fernsehen. CDU und FDP haben Daten der Post gekauft, um im Wahlkampf bei Bürgern gezielter für sich werben zu können. Die Post hat viele Daten über uns, weil ja jeder mit einer Adresse in Deutschland dort registriert ist. FDP und CDU sollen nur anonymisierte Daten bekommen haben, es hat aber ausgereicht, um zum Beispiel zu identifizieren, in welchen Straßenzügen sich das Werben besonders lohnen könnte. In den USA verkauft Facebook Daten, bei uns die Post – besser lässt sich Deutschlands technologischer Rückstand gar nicht beschreiben, lästerte "extra 3" nach den Enthüllungen "Bild am Sonntag" dieses Wochenende. Aber die Sache ist natürlich auch ernst. Wir sprechen jetzt darüber mit der FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Viele Jahre war sie Bundesjustizministerin, und für Datenschutz jeder Art hat sie sich immer stark gemacht. Guten Morgen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger!
    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Frau Heuer!
    "Ein Unterschied zu Facebook"
    Heuer: Ihre Partei hat also im Wahlkampf Postdaten gekauft. Hätten Sie so etwas auch getan?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist eine schwierige Frage, muss ich Ihnen ehrlich sagen, denn natürlich sind wir besonders, gerade auch unter Datenschutzaspekten sensibel, wenn Profile von Personen aus verschiedenen Datenbeständen erstellt werden. Ich denke, es liegt ein Unterschied vor zu Facebook, denn hier hat die Post wohl wirklich anonymisierte Daten angeboten, also man kann nicht gezielt eine Person, Frau Müller, Herr Maier, Frau Schulze, ansprechen, sondern man bekommt eine Analyse, woraus man als Partei selbst eine Wahrscheinlichkeit herleitet, wo möglicherweise Menschen wohnen, die eher affin sind für eine bestimmte Partei, also für die FDP oder die CDU oder die CSU. Das geht nach unserem Datenschutzrecht. Aber ich glaube, es ist gut, dass wir eine andere Zeitrechnung jetzt ab Mai dieses Jahres bekommen. Da geht das nicht mehr.
    Heuer: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Facebook hat seine Daten wenigstens nicht gezielt und aktiv weitergegeben, also verkauft. Das hat die Post schon gemacht. Ist das nicht im Grunde anrüchiger?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich gehe davon aus, dass das, was die Post gemacht hat, weil es um anonymisierte Daten ging, die sie dann nachher verkauft hat, also wofür man bezahlt hat, seit über 13 Jahren anscheinend, dass das ein Geschäftsmodell ist, das mit dem Datenschutzrecht in Deutschland noch in Einklang gestanden ist. Denn danach kann ein Nutzer widersprechen, aber es ist nicht zwingend geboten, dass er immer vorher einwilligen muss. Und ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Das wird jetzt anders werden, dass man als Nutzer nicht sich selbst kümmern muss, was passiert mit den Daten, sondern von Anbeginn sagt, ich will nicht, dass meine Daten für irgendetwas verwandt werden, ganz egal, was es ist. Oder ich suche nur das gezielt raus, was ich gern möchte, was passiert. Aber es geht ja bei Facebook nicht nur darum, dass man auf Facebook schaut, sondern man schaut auf Apps und man schaut auf Cambridge Analytica, die natürlich noch mal ein anderes Geschäftsmodell entwickelt haben mit Tausenden Daten pro Person, als jetzt die Post in Deutschland.
    Keine Wählermanipulation
    Heuer: Sie haben jetzt zweimal gesagt, ich muss das erwähnen, das ändert sich bald, weil sich die Gesetzeslage in Deutschland ändert. Facebook und die Post in Deutschland sind in diesem Fall – beide Fälle sind dann aber doch auch vergleichbar, weil ja in beiden Fällen Politiker gehofft haben jedenfalls, von Daten zu profitieren. Hat die FDP, hat Ihre Partei mithilfe der Post Wähler manipuliert?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Gezielt einen Flyer an zum Beispiel eine Straße oder ein Viertel in einer Stadt als Partei zu schicken oder dort einzuwerfen, ist in meinen Augen nicht eine Wählermanipulation. Das ist etwas anderes, ob ich über soziale Netzwerke Informationen empfange als Nutzer, wo ganz gezielt Informationen drin sind, weil man weiß, da ist jemand, der ist gegen das bestehende oder für das bestehende Gesetzessystem oder Gesundheitssystem oder anderes.
    Heuer: Aber Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ganz kurz: Wenn die FDP über mich mehr weiß als ich denke und dann vor der Wahl ganz direkt bei mir wirbt, dann ist das doch Manipulation.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP und die CDU, alle Parteien, die dieses Postmodell genutzt haben, die wissen nichts über Sie als Frau Heuer persönlich, weil sie über Sie als Frau Heuer persönlich keine Daten haben. Das wäre etwas, was natürlich überhaupt nicht ginge. Sondern jede Partei muss wissen, sie hat da, ich sage mal, eine Einschätzung bekommen, wie jemand möglicherweise politisch denkt und kann dort einen Flyer hinschicken. Sie kann keine E-Mail schicken, sie kann nicht irgendetwas mit den mobilen Endgeräten machen. Das halte ich schon noch für einen Unterschied.
    Überprüfung der Post von der Datenschutzaufsicht in Deutschland
    Heuer: Aber den Flyer schickt sie ja ganz gezielt mir und dann eben nicht anderen.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, den schickt sie an Millionen Bürgerinnen und Bürger vielleicht und schickt sie vielleicht an ganze Viertel, wo sie gar nicht weiß, wie Bürgerinnen und Bürger darüber denken, neben auch zig anderen Flyern. Ich finde, es ist schon noch qualitativ ein Unterschied. Aber ich denke, wenn man es unter dem Gesichtspunkt der Selbstbestimmung betrachtet der Bürgerinnen und Bürger, dann ist das, was wir bisher in Deutschland haben, als Nutzer zu sagen, ich muss widersprechen, dass überhaupt irgendjemand so einen Dienst entwickeln kann, nicht ausreichend, um mein Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen, weil ich das einfach nicht weiß und weil es so aufwendig ist. Und deshalb, denke ich, ist es gut, wenn jetzt generell der einzelne Bürger selbstbestimmt ganz anders damit umgeht und aber auch die Verwendung von Daten zweckbestimmt viel strikter überprüft wird. Ich gehe mal davon aus, dass die Post auch von der Datenschutzaufsicht in Deutschland überprüft wurde. Wenn nicht, wird das natürlich jetzt erfolgen.
    Heuer: Das sagt man, ja. Nein, das sagen ja alle Beteiligten. Es waren übrigens nur die CDU und die FDP, die die Postdaten benutzt haben, die anderen Parteien waren da nicht mit im Spiel. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, hat am Wochenende gesagt, die Daten hätten bloß eine Wahrscheinlichkeit geliefert, "einen möglichen FDP-affinen Wähler anzutreffen". Findet die FDP den nicht mehr ohne Hilfe der Post?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt ja, wie das letzte Wahlergebnis gezeigt hat, eine zweistellige Zahl FDP-affiner Wähler, die man mit Anzeigen, mit Plakaten, mit allem möglichen erreicht, die man auch mit Flyern erreicht, die man eben gezielt verschickt, ohne dass ich mir Daten von der Post kaufe, kann ich natürlich meinen Flyer auch verschicken, auch dahin, wo ich weiß,
    Heuer: Wär auch eine Idee …
    Leutheusser-Schnarrenberger: Das kann ich selbst raussuchen, wie war ein Wahlergebnis bei einer letzten Wahl, wo lagen eher bessere Ergebnisse und wo schlechtere. Das macht jede Partei.
    "Ich halte es für einen wichtigen und akzeptablen Weg zu werben"
    Heuer: Und das würden Sie persönlich auch für den besseren Weg halten?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich halte es für einen wichtigen und akzeptablen Weg zu werben. Ich denke, dass diese Modelle jetzt vorbei sind, die sind Vergangenheit, und es wird in Zukunft, denke ich, ganz anders überlegt werden müssen, Werbung zu machen. Aber ich denke, nicht, indem man irgendwelche Daten künftig auch erwirbt.
    Heuer: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-Politikerin. Sie war lange Bundesjustizministerin. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
    Leutheusser-Schnarrenberger: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.