"Quantencomputer gibt es noch nicht. Aber viele Konzerne investieren eine Menge Geld in die Entwicklung, und wir können nicht absehen, wie rasch die Fortschritte kommen werden. Und ist der Quantencomputer erstmal da, wird die derzeitige Kryptographie hinfällig sein."
Andrea Fratalocchi will keine Ängste schüren. Schließlich dürfte es noch Jahre dauern, bis der Quantencomputer soweit entwickelt ist, dass er digitale Sicherheitscodes knacken kann. Dennoch arbeitet er an der König-Abdullah-Universität für Wissenschaft und Technologie in Saudi-Arabien schon jetzt mit Hochdruck an einer Alternative – und zwar aus gutem Grund.
"Ein Hacker, der heute geheime Daten abfängt und speichert, könnte sie in fünf oder zehn Jahren, wenn Quantencomputer dann verfügbar sind, entschlüsseln. Dann könnte er zum Beispiel Ihre Kreditkartennummer und Ihre Passwörter herausfinden. Und das könnte gefährlich werden, wenn Sie diese Daten dann immer noch benutzen."
Hardware unüberwindbar machen
Schon seit längerem sucht die Fachwelt nach Methoden, mit denen sich künftige Quantenrechner austricksen lassen. Viele Hoffnungen ruhen auf Verschlüsselungssoftware, die auf einer anderen Mathematik basiert als heute und an der sich jeder Quantencomputer die Zähne ausbeißen sollte. Dagegen setzen Fratalocchi und sein Team auf Hardware. Die Kernkomponente ist ein spezieller Chip.
"Dieser Chip ist so konstruiert, dass er eine einlaufende Information komplett in ein Zufallssignal umwandelt. Konkret führt eine Glasfaser in diesen Chip. Mit einer Art optischen Schalter variieren wir laufend die Stelle, an der das Licht aus der Faser in den Chip geleitet wird. Und bei jeder neuen Stelle kommt ein komplett anderes Signal heraus."
Perfekter Zufallsschlüssel-Generator
Die Fachleute nutzen also nichts anderes als die Chaos-Theorie. Bei der können winzige Ursachen gewaltige Wirkungen haben – man denke an den sprichwörtlich gewordenen Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonas, der in Texas einen Tornado auslösen kann. Beim neuen Chip genügt es, den Einleite-Punkt der Glasfaser minimal zu verschieben, und schon spuckt der Chip ein völlig anderes Resultat aus, und zwar ein völlig unvorhersehbares, sagt Fratalocchi. Genau das mache den Chip zu einem perfekten Generator für digitale Zufallsschlüssel. Sie gelten als prinzipiell unknackbar, denn der Zufall garantiert, dass sich aus einer verschlüsselten Nachricht keinerlei Rückschlüsse auf den Klartext ziehen lassen. Dafür darf man einen solchen Schlüssel immer nur einmal benutzen. Auch das leistet der neue Chip: Er erzeugt für jede neue Transaktion einen neuen Zufallsschlüssel.
"Wir haben alle möglichen Attacken gegen unser Verfahren ausprobiert. Wir haben sogar versucht, die Methode mit unserem eigenen Chip zu hacken. Und wir konnten zeigen: Es ist unmöglich, irgendwelche Informationen zu entschlüsseln."
Forscher versprechen perfekte digitale Sicherheit
Die Forscher versprechen also nichts weniger als eine perfekte digitale Sicherheit, auch gegen den Quantencomputer – ähnlich wie die sogenannte Quantenkryptographie, allerdings deutlich einfacher und günstiger. Im Labor funktioniert das Verfahren, sagt Fratalocchi. Nun sei man auf der Suche nach einem Industriepartner, der die Technik in ein größeres Netzwerk integriert und auf Herz und Nieren testet. Für den späteren Routineeinsatz ließe sich der Chip ganz einfach in jeden Router einbauen, so die Vision. Ein Problem bleibt allerdings noch:
"Unsere Technologie benötigt einen direkten Glasfaseranschluss. Den aber gibt es in vielen Ländern noch nicht flächendeckend. Dort liegt auf der letzten Meile meist ein Kupferkabel. Und das ist etwas, was man ändern müsste."
Ein Wunsch, der wohl noch für geraume Zeit unerhört bleiben wird – weshalb der Chaos-Chip vorerst nur beschränkt Verwendung finden dürfte. Denn für den flächendeckenden Einsatz fehlt bis auf weiteres die nötige Infrastruktur.