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Daueralarm auf der Intensivstation

Medizintechnik. - Akustische Signale sind auf der Intensivstation eigentlich eine gute Idee. Problematisch wird es allerdings, wenn zu viele Geräte zu oft Alarm schlagen. Denn irgendwann ist der Krach nur noch nervig – und das vielleicht entscheidende Signal wird leicht überhört. Auf der Medizintechnikmesse Medica, die gestern in Düsseldorf begann, hat der Verband der Elektrotechnikindustrie deshalb dafür plädiert, Warntöne künftig cleverer einzusetzen.

Von Ralf Krauter |
    In Arztserien bricht in diesem Moment immer hektische Betriebsamkeit aus. Mediziner eilen herbei und versuchen den Patienten wieder zu beleben. In der Realität könnte es aber durchaus passieren, dass die Helfer erst kommen, wenn es zu spät ist. Die zahlreichen Medizingeräte auf einer Intensivstation schlagen inzwischen nämlich so oft Alarm, dass die Ärzte den entscheidenden Hinweis leicht mal überhören.

    "Wir haben 30, 40, 50 verschiedene Alarmtypen an einem Patientenbett durch die Vielzahl der verschiedenen Geräte. Und auf einer mittelgroßen bis großen Intensivstation können Sie davon ausgehen, wenn Sie alle Betten zusammen nehmen, dass Sie Alarme im Minutentakt haben. Das heißt, Sie haben eigentlich einen mehr oder weniger kontinuierlichen Schallteppich auf einer Intensivstation, der vom Lärmpegel einer stark befahrenen Hauptstraße entsprechen kann."

    Lärm bedeutet Stress. Und der bekommt Patienten ebenso wenig wie Medizinern und Pflegekräften, erklärt der Experte für Intensivmedizin Dr. Michael Imhoff. Gemeinsam mit Kollegen vom Verband der Elektrotechnik VDE hat er auf der Messe Medica jetzt ein Positionspapier zum Daueralarm auf der Intensivstation präsentiert. Was drin steht, ist besorgniserregend. Studien belegen, dass 90 Prozent aller Alarme klinisch nicht relevant und damit überflüssig sind. Und das hat Folgen: Das Personal nimmt die Warnsignale nicht mehr ernst und tut sich schwer, bei all dem Krach die akustische Nadel im Heuhaufen finden: Den Patienten, dessen Zustand wirklich kritisch ist. Michael Imhoff:

    "Weil eben der Alarm in der Regel nicht mehr relevant ist, kommt es zu einer verzögerten Reaktion auf den Alarm. Oder es ist auch teilweise so, dass rein physiologisch man diesen Alarm gar nicht mehr wahrnimmt. Er verschwindet in dem ständigen Geräusch, was man wahrnimmt – und man kann nicht mehr differenzieren, ob man rennen muss oder nicht."

    Laut einer Studie im Fachblatt "Critical Care" aus dem Jahr 2001 reagiert das medizinische Personal nur auf einen von zehn Warntönen. Eine Untersuchung von 2007 ergab, dass nach einem Gerätealarm teils 40 Minuten vergingen, ehe Hilfe kam. Manchmal kam sie überhaupt nicht. Imhoff:

    "Wie zum Beispiel jetzt ein ganz prominenter Fall Anfang diesen Jahres im berühmten Mass General in Boston geschehen, wo eben Alarme komplett ausgeschaltet wurden, weil das Personal diese ständige Alarmflut nicht mehr ertragen konnte und dabei nicht mehr arbeiten konnte. Eine sehr gut nachvollziehbare Situation, die in diesem Fall dann zum Tode eines Patienten geführt hat."

    Um Abhilfe zu schaffen, schlagen die VDE-Experten vor, Alarmsysteme zu entwickeln, die Umgebungsinformationen berücksichtigen. Ein EKG-Monitor für die Herzfrequenz etwa könnte mit Sensoren gekoppelt werden, die messen, ob sich der Patient gerade bewegt. Wenn ja, wäre ein beschleunigter Puls eher auf ein harmloses Muskelzittern zurückzuführen - und deshalb kein Grund für ein Warnsignal. Ein anderer Weg, um weniger Alarme bei gleich bleibender Sensitivität zu erzielen, wäre, die vorhandenen Geräte miteinander zu vernetzen, um aus der Fülle an Messwerten ein klares Gesamtbild zu bekommen. Da in Krankenhäusern oft Systeme ganz verschiedener Hersteller zum Einsatz kommt, ist das technisch aber gar nicht so einfach. Außerdem gibt es juristische Probleme. Michael Imhoff:

    "In dem Moment wo zum Beispiel Medizingeräte in ein IT-Netzwerk integriert werden und mit diesem kommunizieren, liegt die Verantwortlichkeit für die korrekte Kommunikation bei dem Betreiber, das heißt bei dem Krankenhaus."

    Sollte ein lebenswichtiger Alarm aufgrund eines Programmierfehlers ausbleiben, wäre folglich das Krankenhaus haftbar und nicht der Gerätehersteller. Für Kliniken ist das keine verlockende Aussicht. Mit schnellen Fortschritten im Kampf gegen den Daueralarm auf der Intensivstation ist deshalb wohl nicht zu rechnen. Ihn zu führen, tut trotzdem Not, betont Michael Imhoff.

    "Man muss ganz klar sagen: Das wundersame an der Situation heutzutage ist nicht, dass etwas passiert, sondern dass so wenig passiert."