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Dauerregen, Schnee und Klimawandel

Es sei sehr wahrscheinlich, dass auch der Klimawandel seinen Anteil am derzeitigen Hochwasser hat, sagt Wissenschaftsjournalist Volker Mrasek. Er betont jedoch auch, dass die anhaltende Kühle der zurückliegenden Tage wohl eine noch größere Katastrophe verhindert habe.

    Jochen Steiner Für viele Menschen in Bayern und im Osten Deutschlands gibt es in diesen Tagen nur ein Thema: das Hochwasser, das ihre Wohnung, ihr Geschäft, ihre Stadt unter Wasser gesetzt hat. In Teilen Bayerns entspannt sich die Lage mittlerweile etwas, in Sachsen und Sachsen-Anhalt aber spitzt sie sich weiter zu. Bei mir im Studio ist mein Kollege Volker Mrasek. Wie konnte es denn überhaupt zu diesen außergewöhnlichen Überschwemmungen kommen?

    Volker Mrasek: Also das hat mit der Witterung der letzten Wochen oder sogar Monate zu tun. So ergibt sich das aus einer Analyse der Bundesanstalt für Gewässerkunde, die heute Mittag veröffentlicht worden ist. Da gibt es mehrere Punkte. Der erste war, dass der Winter sehr schneereich war. Der zweite, dass der Frühling sogar auch auf einigen Gipfeln der Mittelgebirge vor etwa zehn Tagen und in den Alpen sogar noch einmal Schnee gebracht hat. Und der erhöht jetzt natürlich die Pegel, denn jetzt, wenn die Schneeschmelze da ist, wird das quasi in Flusswasser übersetzt. Und dadurch erklärt sich zum Beispiel die Lage am Hochrhein oder an der Donau und am Inn. Außerdem ist der Frühling äußerst regenreich. Der Mai war laut dem Deutschen Wetterdienst der zweitnasseste seit Beginn der Messungen 1881. Und die Böden sind völlig übersättigt, das heißt, die haben keine Pufferfunktion mehr, die können kein Wasser mehr schlucken. Der dritte Punkt: Das Ganze hat sich noch einmal zugespitzt in den letzten zehn Tagen. Da lag Deutschland praktisch die ganze Zeit unter einem ständigen Tiefdruckeinfluss. Das kann man sich vorstellen wie so eine riesige rotierende Baggerschaufel. Die hat auf der der Nordseite kalte Luft reingesogen, von Süden warme Luft hereingeschaufelt. Die hat sich dann über die kalte gelegt. Die Folge war Regen. Der fiel dann praktisch durchgängig seit Freitag Vormittag im Nordosten und im Süden Deutschlands. Und dieser Dauerregen hat die Flusspegel dann letztlich so stark steigen lassen.

    Steiner: Sie haben es eben gesagt: Der Frühling ist ja nicht nur sehr nass, wir haben es alle auch mitbekommen am eigenen Leib, sondern auch sehr kühl. Gibt es da Zusammenhänge.

    Mrasek: Ja, einen Effekt haben wir ja praktisch schon angesprochen. Also dieser kalte Frühling hat die Schneeschmelze hinausgezögert und sogar noch einmal für Schneefälle Ende Mai gesorgt. Das hat die Lage ein bisschen verschärft. Andererseits ist diese Kühle jetzt positiv. Denn man darf annehmen, dass die Flutkatastrophe sogar noch schlimmer ausgefallen wäre, hätten wir in letzten Tagen richtige Frühlingstemperaturen oder sogar eine sommerliche Wärme gehabt. Denn je wärmer die Luft, desto mehr Wasserdampf kann sie auch aufnehmen. Und das geht recht schnell. Also wenn sie mal ein grad wärmer ist, passen schon sieben Prozent mehr Wasserdampf, sprich Wasser, hinein. Das heißt, wäre es jetzt richtig warm, wären die Niederschlagsmengen wahrscheinlich noch größer gewesen. Und die anhaltende Kühle hat zumindest in den letzten Tagen eigentlich Schlimmeres verhindert.

    Steiner: Nach dem letzten sogenannten Jahrhunderthochwasser 2002 wurde ein Aktionsplan Hochwasserschutz Elbe entwickelt. Warum gibt es dort erneut Überschwemmungen in diesem Ausmaß?

    Mrasek: Man muss einfach sagen, diese Mühlen der Hochwasserschutzpolitik mahlen offenbar sehr langsam. Es ist richtig, es gibt diesen Aktionsplan Hochwasserschutz Elbe länderübergreifend für Deutschland und Tschechien. Und ein wesentliches Element darin ist, dass man Deiche rückverlegt am Fluss und dass man neue Rückhaltebecken schafft. Also einmal will man neue Überschwemmungsflächen schaffen und dann zusätzliche Stauräume, wo das Wasser, wie in einem jetzigen Fall, eben hineinfließen kann. Aber man muss eben sehen: Zum Beispiel auf deutscher Seite an der Elbe - erst an vier Standorten sind tatsächlich Deiche rückverlegt worden. Und die meisten dieser Vorhaben sind erst in Planung. Es wurden auch Deiche auf über 500 Kilometer länge saniert und fast 20 neue Rückhaltebecken eingerichtet. Aber dieser zusätzlich geschaffene Stauraum reicht im Moment überhaupt noch nicht aus, um ein Hochwasser wie das jetzige oder wie das von 2002 auch nur annährend abzumildern.

    Steiner: Und die Frage, die jetzt viele wieder stellen: Hat der Klimawandel damit etwas zu tun?

    Mrasek: Also man kann schwer davon ausgehen, würde ich mal sagen . Sicher ist das heute noch nicht nachweisbar. Das hat damit zu tun, dass Starkregenfälle sehr kleinräumig sind und dass die Klimamodelle immer noch Schwierigkeiten haben, sie so kleinräumig zuverlässig aufzulösen und zu simulieren. Das macht die Sache sehr, sehr schwierig. Aber es gibt halt Fakten, die sehr dafür sprechen. Einer ist eben, das, was wir angesprochen haben: Eine wärmere Atmosphäre kann mehr Wasserdampf aufnehmen. Damit hat man auch ein höheres Potenzial für stärkere Niederschläge. Und nach den Daten Weltmeteorologieorganisation war das letzte Jahrzehnt das wärmste überhaupt der Aufzeichnungen. Und da gab es zahlreiche Wetterextreme in vielen Weltregionen. Und die waren dadurch gekennzeichnet, dass es sie in dieser Stärke noch gar nicht gegeben hat. Also es ist ziemlich plausibel davon auszugehen, dass der Klimawandel das Risiko für Starkniederschläge und Überschwemmungen erhöht - auch hier in Deutschland.

    Steiner: Kurz zum Schluss - die aktuellen Voraussagen: Ist das Schlimmste rum oder kommt da noch etwas?

    Mrasek: Also an Rhein und Donau offenbar schon, an der Elbe noch nicht. Da sagen die Vorhersagen zumindest bis Donnerstag Vormittag weiter steigende Pegel an, weil man da auch Nebenflüsse wie die Saale, die Mulde und die Schwarze Elster hat, die auch extreme Hochwasserstände haben. Das heißt, das Schlimmste an der Elbe ist noch nicht überstanden.