Tobias Armbrüster: Die Panama Papers, die bringen rund um den Globus Politiker in Schwierigkeiten. In Großbritannien steht seit gestern Premierminister David Cameron unter Druck. Er hat nämlich zugegeben, dass er doch Anteile gehalten hat an einem Offshore-Fonds, den sein Vater gegründet und verwaltet hat. Zuvor hatte Cameron noch tagelang beteuert, dass er nichts mit diesen Geschäften zu tun habe. Wie gefährlich ist das alles jetzt für den Premierminister? Darüber wird auf der Insel heute eifrig debattiert. Wie brisant ist dieses verspätete Eingeständnis nun für David Cameron? Vor allem: Was bedeutet das alles für das Brexit-Referendum, wenn der Premierminister auf einmal als unglaubwürdig gilt? Kurz vor dieser Sendung habe ich darüber mit Anthony Glees gesprochen. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Buckingham und er sagt, die Lage für den Premierminister, die ist dramatisch.
Anthony Glees: Dass es David Camerons schwerste Stunde ist, daran kann man nicht zweifeln, und es ist wirklich eine gute Frage, ob er ausharren kann. Denn auf der einen Seite hat er es jetzt mit der Regierungsbroschüre zu tun. Das ist eine Broschüre, die die Regierungsposition im europäischen Referendum auslegt. Es gibt eine Position von den Leuten, die drin bleiben wollen, eine Position von den Brexiters und die Regierungsposition, und er steht unter starkem Druck, dass er Staatsgelder, Steuergelder dafür ausgegeben hat, die Regierungsposition aufzulegen. Und dann auf der anderen Seite muss er sich gegen die sogenannten Enthüllungen in den Panama-Papieren verteidigen, und dieser Druck kommt nicht von Labour, das ist das Seltsame, …
Armbrüster: Sondern von wem?
Glees: …, sondern von seiner eigenen Partei, mindestens von der Hälfte seiner eigenen konservativen Partei mit großer Unterstützung beinahe aller Zeitungen in Großbritannien.
"Wenn er bleibt, dann in einer Position ohne Macht"
Armbrüster: Das bringt mich gleich zu der Frage. Ist das vor allen Dingen jetzt mit Blick auf diese Enthüllungen rund um die Briefkastenfirma eine typisch britische Reaktion, dass der Premierminister dort jetzt so unter Druck steht, weil es gerade dort diese besonders aggressive Zeitungspresse gibt?
Glees: Ich glaube, das ist richtig, aber es ist besonders aggressiv, weil es um das europäische Referendum geht. Die Rechten, wenn ich sie so beschreiben darf, also die Brexiters und die Zeitungen wissen, dass die letzte Chance für die, die ein Verbleiben von Großbritannien in der Europäischen Union wollen, David Cameron ist, und die sehen ganz klar, dass David Cameron zerstört werden muss, wenn ein Sieg der Brexiters klar in Sicht zu erzielen ist. Es ist sehr wichtig für sie, entweder Cameron wegzufegen, was gut möglich ist. Dieses Wochenende wird es Parteibesprechungen geben und wir werden sehen, ob Cameron bleiben kann. Aber wenn er bleibt, dann in einer Position ohne Macht, in einer machtlosen Position, wo der Wähler nicht mehr auf ihn zu hören braucht. Und dass Cameron sagt, diese Papiere, diese Wertpapiere hat er vier Monate vor seiner Wahl als Premierminister abgegeben, daran denkt kein Mensch in Großbritannien. Die britische Fairness ist aus dem Fenster geworfen worden und dass es sehr schwierig sein wird für Cameron mit Geld, das ist seit Langem klar. Er ist ein reicher Mann, eine sehr reiche Familie, ging nach Eton. Wie soll man dort dafür bezahlen, wenn man nicht reich ist? Aber in seiner eigenen Partei hat man schon vor Jahren von ihm gesagt, er ist ein reicher Junge, der nicht weiß, was ein Liter Milch kostet, und das kann ihn die Regierung kosten.
Armbrüster: Herr Glees, wenn ich Sie richtig verstehe, dann sehen vor allen Dingen die Brexit-Befürworter in dieser aktuellen Lage jetzt ihre große Chance, David Cameron loszuwerden und damit vor allen Dingen für ihr Brexit-Ja eine Mehrheit zu gewinnen?
Glees: Genau das. Sie sagen es besser, als ich das sagen kann. Es ist ein Hals-an-Hals-Rennen zurzeit, 50:50 in den letzten Meinungsumfragen. Wenn Cameron machtlos dasteht und nicht die europäische Position verteidigen kann, dann ist das nicht nur die große Chance für die Brexiters, dann ist der Endsieg in klarer Sicht.
"Ein Staatsstreich nach feiner englischer Art"
Armbrüster: Da haben Sie ein Wort gebraucht, was man im Britischen vielleicht leichter benutzen kann als hier in Deutschland, wenn Sie vom Endsieg sprechen. Aber das mal beiseite. Wie gespalten ist denn seine Partei tatsächlich in dieser Frage, in dieser Brexit-Frage?
Glees: Total! - Total! - Eigentlich sind das zwei Parteien jetzt. Auf der einen Seite will David Cameron das Referendum sehen als eine Entscheidung unter vielen anderen Entscheidungen. Auf der anderen Seite sagen die Brexiters, dies ist eine Grundentscheidung, es ist eine Änderung von 40 Jahren Geschichte in Großbritannien. Und ich glaube, die Brexiters haben eigentlich Recht. Diese Entscheidung, die am 23. Juni getroffen werden muss, wird die Zukunft für mindestens zwei Generationen in Großbritannien entscheiden und Cameron muss zeigen, dass er wieder die Macht im Griff hat. Die ganze Zeit wollte er das Referendum nicht, wie alle Premierminister. Er will, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleibt, und meiner Meinung nach ist das völlig vernünftig, dass er das will. Aber er hat jede Position aufgeben müssen und jetzt in seiner eigenen Regierung stellen sich die Brexiter-Minister in seiner eigenen Regierung als Gegenregierung dar. Von einem Staatsstreich zu sprechen, nicht nach südamerikanischer Art, aber nach feiner englischer Art, wäre meines Erachtens nicht falsch.
Für Brexit-Befürworter ist "Weihnachten früh gekommen"
Armbrüster: Sie haben ja schon gesagt, die Fairness scheint da ein bisschen aus dem Fenster geworfen zu sein. Woran liegt das denn?
Glees: Die Brexiters haben für diesen Augenblick mehr als 20 Jahre gearbeitet und mehr als 20 Jahre darauf gewartet. Jetzt ist dieser Augenblick da. Die kommen, die feuern mit Argumenten und auf der einen Seite sind bei den britischen Wählern sehr viele Brexit-Stimmen. Diese Leute sind sehr gut organisiert. Nicht immer dieselben Stimmen, es kommen immer neue Leute dran als Minister, auch Leute aus der Wirtschaft, Akademiker und so weiter. Auf der anderen Seite ist dann nur Dave und wenn Dave ein reicher Junge ist, der nicht weiß, was ein Liter Milch kostet, der selber Geld bekommen hat, ohne darauf Steuern zu zahlen, was völlig unrichtig ist, aber das wird ihm vorgehalten, dann ist es für die Brexiters eine Gelegenheit. Dann ist Weihnachten früh gekommen.
Armbrüster: Anthony Glees, Politikwissenschaftler an der Universität Buckingham. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.
Glees: Gerne geschehen.
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