David Graeber ist Anthropologe und er ist Anarchist. Das sollte man wissen, wenn man dieses Buch liest. Denn es erklärt seine besondere Sichtweise auf die Dinge, seine Aufmerksamkeit für ein Phänomen, das die meisten Menschen nicht erkennen oder nicht hinterfragen würden. So hat er eben auch die "Bullshit-Jobs" ausgemacht und als gesellschaftliches Problem identifiziert.
"Ein Bullshit-Job ist eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann, obwohl er sich im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei dies nicht der Fall."
Und Graeber macht es konkret: Im Buch kommen die Menschen selbst zu Wort. Ein Beschäftigter eines Sub-Subunternehmers, der etwa Umzüge innerhalb einer Behörde organisiert. Da werden gleich mehrere Menschen mit Formularen beschäftigt, es vergehen Tage und viele Anträge, anstatt dass man kurzerhand Schreibtisch, Rechner und Telefon über den Flur trägt. Da ist der Telefonassistent eines Brokers, der Voranrufe zur Kundenakquise macht, nur damit es so aussieht, als wäre der Broker eine große Nummer mit großem Tross. Und da ist die Mitarbeiterin in einem Pflegeheim, die Formulare austeilt und auswertet, um die Freizeitinteressen der Bewohner zu erfassen. Daten, die dann zu keiner Aktion führen.
Wie der Stein ins Rollen kam
Graeber hatte zunächst einen Essay über das Phänomen der Pseudo-Beschäftigung geschrieben. Dieser fand große internationale Verbreitung und eine ebenso große Resonanz.
In Großbritannien und in den Niederlanden wurden daraufhin Umfragen gestartet, sie ergaben, dass im ersten Fall 37 Prozent der Befragten ihren Job für sinnlos hielten, im zweiten sogar 40 Prozent. Das erstaunte selbst Graeber und er begann mit den Recherchen. Er richtete eine spezielle E-Mail-Adresse ein und rief per Twitter Menschen auf, sich zu melden und zu berichten, wenn sie der Meinung waren, dass ihr Job keine Daseinsberechtigung hat.
Graeber: "Was man natürlich nicht will, ist Leuten zu sagen: Du magst Deinen Job für nützlich halten, aber ich weiß es besser. Ich traue den Instinkten der Menschen. Die Person, die am besten einschätzen kann, was der jeweilige Job bewirkt, ist diejenige, die ihn ausführt."
Eine der Hauptthesen, die Graeber in diesem Zusammenhang aufstellt, ist, dass es in punkto Arbeitsbeschaffung keinen Unterschied zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft gibt. Behörden gelten als schwerfällig und überladen, die Privatwirtschaft hingegen als schlank und effizient - von wegen, so Graeber. Es geschehe genau das, was im Kapitalismus nicht eintreten sollte, dass gewinnorientierte Unternehmen Geld für Mitarbeiter zahlen, die eigentlich nicht gebraucht werden.
Der Manager-Feudalismus
Die Finanzindustrie kommt beim Occupy-Vordenker Graeber erwartungsgemäß schlecht weg. In seinem erfolgreichen, kritischen Buch über das Schuldenwesen sowie seiner Veröffentlichung "Inside Occupy" hat er seine Haltung mehr als deutlich gemacht. So zitiert Graeber in diesem Buch viele Berichte von Betroffenen aus dem Finanzsektor. An einigen Stellen untermauert er seine These, dass vor allem die mächtige Finanzindustrie ein Mekka für die Entstehung von Bullshit-Jobs sei. Begründung: Täuschung und Betrug seien dort eh an der Tagesordnung. So habe Manger X nur deshalb mehr Angestellte als sein Vorgänger Y, weil seine Projekte wichtiger und größer erscheinen sollen. An Stellen wie diesen zieht Graeber stichhaltige Parallelen zum Feudalwesen. Ebenso wie ein Herrscher ein Gefolge habe, hierarchisch geordnet, gehöre es zu den Unternehmenskonventionen eine hierarchisch geordnete Belegschaft einer bestimmten Größe zu haben.
Als Anthropologe ist David Graeber skeptisch gegenüber ökonomischen Theorien, wonach Menschen nur nach der Prämisse handelten: möglichst wenig Aufwand für möglichst viel Nutzen bzw. Gewinn. Dagegen spricht für ihn etwa, dass so viele Menschen mit Bullshit-Jobs - die also fürs wenig bis nichts Tun auskömmlich bezahlt werden - unglücklich seien und sich nutzlos fühlten.
"Bullshit-Jobs verursachen regelmäßig Gefühle der Hoffnungslosigkeit, der Depression und der Selbstverachtung. Es sind Formen einer seelischen Gewalt, die sich gegen den innersten Kern dessen richtet, was es bedeutet, ein Mensch zu sein."
Die Zunahme der Bullshit-Jobs konnte, laut Graeber, deshalb unentdeckt bleiben, weil das Wachsen der Dienstleistungsbranche immer als eine natürliche Entwicklung betrachtet wurde. Hier tummelten sich jedoch nicht hauptsächlich Service-Kräfte, sondern größtenteils Verwalter, Berater, Büro- und Buchhaltungskräfte etc. Und unter diesen fänden sich eben viele Pseudotätigkeiten.
Die Rolle der Politik
Die Ursachen für die "Bullshitisierung" der Arbeitswelt macht Graeber auch in der Politik aus:
"Es ist offensichtlich, dass der einzige gemeinsame Nenner von Links und Rechts ist, dass die Lösung immer lautet: mehr Jobs. Egal, wo die herkommen, egal, welche Jobs gut wären. Es gibt diese großartige Äußerung von Barack Obama, als er als US-Präsident das Gesundheitssystem reformierte. Wenn man eine einheitliche Versicherung hätte, wäre das viel effizienter. Aber was wäre dann mit den drei Millionen Menschen, die bei den privaten Versicherungen arbeiten? Er gab also zu, dass es zum System gehört, überflüssige bürokratische Bullshit-Jobs zu haben. "
Der Autor macht viele Exkurse, u.a. zur Frage, wie Zeit empfunden wurde und wird, wie sie zum endlichen Besitz wurde oder wie sich der Wert von Arbeit verändert hat. So würde eine Arbeit in der Regel umso schlechter bezahlt, je offensichtlicher sie anderen Menschen nütze.
Das Ende der 40-Stundenwoche ist nicht das Problem
Immer wieder kommt er darauf zurück, dass wir alle die Arbeitszeit verkürzen könnten, wenn nicht der Großteil der Menschen dem Arbeitskult frönen würde. Dem Freigeist Graeber ist es ein Dorn im Auge, dass Arbeit zum Selbstzweck geworden ist, dass wir - Zitat - "kollektiv unserer eigenen Versklavung" zugestimmt hätten. Hier macht er es sich etwas einfach in Zeiten, in denen Arbeitsverdichtung in vielen Branchen auf der Tagesordnung steht.
Und eine solch radikale Diagnose verlangt eigentlich auch nach einer Lösung:
Graeber: "Das ist immer ein Dilemma für mich: Wenn man einen Lösungsvorschlag macht, beurteilen die Menschen das Buch oft nur danach. Wenn man keine konstruktiven Vorschläge liefert, heißt es: 'Der beschwert sich ja nur'. Also, entschied ich mich, einen Vorschlag aufzugreifen: Das allgemeine bedingungslose Grundeinkommen. Das erste Argument dagegen lautet immer: 'Dann machen die Leute lauter verrückte Dinge, die niemand braucht.' Aber wenn doch jetzt schon 40 Prozent der Beschäftigten der Ansicht sind, dass ihre Arbeit nichts Sinnvolles bewirkt, dann kann es doch nicht schlimmer werden."
Das allgemeine bedingungslose Grundeinkommen wäre für den Anthropologen ein Denkmodell, um zunächst den Lebensunterhalt von Arbeit zu trennen und dann den Sinn von Arbeit anders zu definieren.
"Man kann sich sehr leicht ausmalen, dass Menschen, die nicht arbeiten müssen, um zu überleben, sich dennoch entschließen, Zahnarzthelferin, Spielzeugmacher, Kinoplatzanweiser oder Schlepperkapitän zu werden [...] Sehr schwer kann man sich dagegen vorstellen, dass jemand, der ohne finanzielle Einschränkungen lebt, sich dafür entscheidet, einen nennenswerten Anteil seiner Zeit auf das Markieren von Formularen bei einer Gesundheitskostenmanagement-Firma aufzuwenden."
David Graeber hat sich eingehend und lange mit dem Thema befasst, was zu einigen Längen und Redundanzen führt. Nichts destotrotz macht es Spaß zu verfolgen, wie leidenschaftlich er diesem Phänomen auch mit einer gewissen Empathie für all die nutzlos Beschäftigten nachgeht. Er zitiert sehr viel aus den anonymisierten Berichten, die er erhalten hat. Sehr ausführlich geht er auf alle Schwachpunkte seiner Erhebungen und seiner Argumente ein.
Er will keine politische Lösung präsentieren, sondern ein gesellschaftliches Problem und dafür ein Bewusstsein schaffen. Um ein Nachdenken in Gang zu setzen darüber, was eine wirklich freie Gesellschaft ausmacht.
David Graeber: "Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit",
Klett-Cotta Verlag, 464 Seiten, 26 Euro.
Klett-Cotta Verlag, 464 Seiten, 26 Euro.