Bereits in der ersten Szene des Romans führt David Grossman seine Titelheldin auf spektakuläre Weise ein: Im Winter 1963 kommt Vera Novak gemeinsam mit ihrer zu diesem Zeitpunkt siebzehnjährigen Tochter Nina aus Jugoslawien nach Israel und siedelt sich in einem Kibbuz an. Dort lebt auch Rafael, ein Jahr jünger als Nina, mit seinem Vater Tuvia. Rafaels Mutter ist vor rund einem Jahr gestorben. Seitdem hat der ohnehin introvertierte Junge sich noch mehr aus dem Gemeinschaftsleben zurückgezogen. Er nimmt täglich Schlaftabletten, die er im Arzneischrank seiner Mutter gefunden hat, um sich selbst zu betäuben.
Nina und Vera stellen mit ihrer Ankunft das Leben im Kibbuz auf den Kopf. Gerüchte ranken sich um die beiden. Man raunt über Veras angeblich politisch motivierte Zeit im Gefängnis und über Ninas Aufwachsen als Mitglied einer Straßenbande. Ihren Nimbus als so undurchdringliche wie unberechenbare Figur festigt Nina bei jeder sich bietenden Gelegenheit:
"Rafaels Klassenkameraden nannten sie "Sphinx". Sie liefen heimlich hinter ihr her, machten ihren Gang nach, wie sie die Arme um sich schlang, und imitierten ihren hohlen Blick. Einmal erwischte sie zwei Jungs dabei und schlug sie kurzerhand zusammen. Solche Prügel hatte man im Kibbuz bis dahin noch nicht gesehen."
Danilo Kiš konnte sein Buchprojekt nicht mehr vollenden
"Was Nina wusste" basiert auf einer realen Geschichte, die bereits mehrfach erzählt wurde, wenn auch noch nie in Romanform. Die Frau, deren Biografie das Vorbild für Ninas Mutter Vera lieferte, hieß Eva Panić-Nahir, geboren 1918. Sie wurde 96 Jahre alt und war bis zu ihrem Tod eine enge Freundin David Grossmans, den sie bat, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Zuvor hatte bereits der Schriftsteller Danilo Kiš ein Buchprojekt über Panić-Nahirs wechselvolles, von den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts geprägtes Leben geplant.
Doch Kiš starb während der Arbeit an dem Buch. Die von ihm angefertigten Videoaufzeichnungen wurden allerdings zu einer Sendereihe zusammengeschnitten, die im serbischen Fernsehen lief und große Aufmerksamkeit erregte. Erstmals, so schreibt Grossman es in seinem Nachwort, habe die breite Öffentlichkeit etwas von der bis dahin verschwiegenen Existenz der Umerziehungsinsel Goli Otok und von den dort verübten Grausamkeiten erfahren.
Auch die Konstruktion von Grossmans Roman basiert auf dem Prinzip von Filmschnitten. Die Erzählerin des Romans ist Gili. Im Jahr 2008, zum Zeitpunkt des Handlungsstrangs, der der Gegenwart am nächsten ist, ist sie 39 Jahre alt. Gili ist Veras Enkelin und die Tochter von Rafael und Nina. Sie arbeitet beim Film als so genanntes Skriptgirl, ist zuständig für das, was man beim Film "Continuity" nennt, also dafür zu sorgen, dass in jeder neuen Einstellung die Logik und Einheitlichkeit gegenüber den vorangegangenen Szenen gewahrt bleiben.
Rekonstruktion eines Ur-Traumas
Genau das ist auch ihre Aufgabe in Grossmans Roman. Gili unternimmt den Versuch, eine Familiengeschichte über drei Generationen hinweg und deren Ur-Trauma zu rekonstruieren. Ein Trauma, von dem sie noch dazu selbst betroffen ist. Das ist der Grund dafür, dass Gilis Versuche, sich dem Verhältnis, der emotionalen Wucht und dem Scheitern der Beziehung von Rafael und Nina anzunähern, in Gili selbst wiederum Widerstände erzeugen und alte Verletzungen aufbrechen:
"Er liebte sie auf jede Art, die sie zuließ oder ihm aufzwang. Vielleicht hat auch sie ihn geliebt, aber es geht mir nicht darum, was sie für ihn empfand. Es gibt Bezirke, in denen mich, wann immer ich mich verführen lasse, sie zu betreten, Lebensüberdruss und Wahnsinn packt."
Überall stößt man in Grossmans Roman auf Ungewissheiten in Bezug darauf, wie sich Lebensentscheidungen rückwirkend bewerten lassen und aus welchen moralischen Zwangslagen heraus sie getroffen wurden. Wer die Geschichte von Eva Panić-Nahir bereits vorher kannte, wird sie durch Grossmans geschickte Dramaturgie und durch seine Reflexionen noch einmal mit anderen Augen und in den jeweiligen Erfahrungshorizonten der unterschiedlichen Figuren neu betrachten. Für alle anderen baut Grossman nach und nach ein Szenario auf, in dem Gili sich dem eigentlichen Schicksalskern tastend annähert.
Der äußere Erzählanlass ist Veras 90. Geburtstag, den sie 2008 im Kreis ihrer Familie feiert. Vera wird uns als vitale, zupackende Person geschildert, in deren Vergangenheit ein dunkles Geheimnis lauert. Ein Geheimnis, das die Lebenswege mehrerer Menschen entscheidend beeinflusst hat. Gili selbst ist sich nicht sicher, ob sie Veras Geständnis nicht bereits schon einmal persönlich gehört hat. Die Situation, in der sie sich seinerzeit befunden hat, spiegelt wiederum ihren eigenen labilen Zustand:
Rekonstruktion einer realen, sehr harten Geschichte
"Das war der Moment, in dem ich sie hätte fragen müssen, ob ich mich richtig erinnere oder nur meine, mich zu erinnern, dass sie mir vor Jahren einmal nachts alles erzählt hat, als ich halbtot auf der Intensivstation in der Hadassa lag, mit durchgeschnittenen Venen und sicherheitshalber auch noch einem Cocktail Tabletten intus."
"Was Nina wusste" ist die Rekonstruktion einer harten Geschichte, die Grossman entsprechend dramatisch aufgeladen und passagenweise auch in pathetischer Tonlage erzählt. Das wurde ihm bereits in der einen oder anderen Kritik zum Vorwurf gemacht, und in der Tat gibt es Augenblicke, in denen man sich wünscht, Grossman hätte der eigentlichen Wucht seiner Geschichte stärker vertraut, anstatt seine Figuren ihr individuelles Leid und ihre Versehrungen in paradigmatisch zugespitzten Szenen deklamatorisch verkünden zu lassen. So zum Beispiel in jener Szene, in der Nina ihre Tochter Gili urplötzlich mit ihren Emotionen in die Enge treibt:
"Sie umklammert mich, diese Frau, die mich vor sechsunddreißig Jahren aus ihrem Leben geschnitten hat, sie hat mich abgetrieben, es war wirklich eine Abtreibung, wenn auch mit der netten Verspätung von dreieinhalb Jahren, denn ich war ja bereits auf der Welt, die arme Gili war ja schon geboren."
Doch immer, wenn es darauf ankommt, ist Grossman stark. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Vera selbst anhebt, von den Entscheidungen zu erzählen, die sie in ihrem Leben zu treffen hatte und die sie gegen alle Widerstände durchgefochten hat. David Grossman hat in Zusammenarbeit mit seiner deutschen Übersetzerin Anne Birkenhauer jenen Tonfall entwickelt, in dem seine Hauptfigur Vera spricht; eine Mischung aus leicht fehlerhaftem Deutsch mit jiddischen Einschlägen.
Integrität vs. Umerziehungsinsel Goli Otok
Aus Veras Mund erfahren wir, dass ihr Aufenthalt auf der vom jungen Tito-Regime installierten Umerziehungsinsel Goli Otok ihren Ursprung hatte in der unverbrüchlichen Liebe Veras zu ihrem Ehemann Miloš; eine Liebe, die sie selbst über den Tod ihres Ehemannes hinaus nicht bereit war zu verraten. Vera, in Kroatien aufgewachsene Tochter ungarischer Juden, die später in Auschwitz ermordet wurden, verliebt sich in den serbischen Soldaten Miloš. Eine im Grunde unmögliche Verbindung, die Vera so lange wie möglich vor ihrem Vater geheimzuhalten versucht, bis, wie Vera es erzählt, der Rabbiner den Vater beiseite nimmt und ihn von Miloš‘ Integrität überzeugt:
"Wir kennen ihn schon in ganze Stadt, er ist feiner Kerl. Und Hitler steht schon in Österreich, wer weiß, vielleicht wird von uns allen überleben nur ihre Tochter dank diesem Freund. Wir haben nicht gewagt, Ihnen davon zu erzählen. Wir haben gehabt Angst, Sie bringen Mädchen um. Bestellen Sie ihn zu sich, lernen Sie ihn kennen und sehen Sie selbst, was für einer das ist."
Miloš ist die abwesende Schlüsselfigur in diesem Buch. Veras unverbrüchliche Solidarität ihm gegenüber ist die Wurzel aller weiteren Ereignisse. Gemeinsam haben Miloš und Vera im Zweiten Weltkrieg als Partisanen gegen die Faschisten und deren Kollaborateure gekämpft. Miloš überlebte den Krieg als Held – um in den frühen 1950er-Jahren umso tiefer zu fallen. Das Gerücht ging um, Stalin wolle die Sozialistische Republik Jugoslawien überfallen und annektieren. Die Folge waren umfangreiche Säuberungsaktionen und Bespitzelungen. Miloš wird verhaftet, nimmt sich im Gefängnis das Leben und wird anonym begraben.
Die Tochter führt ein verwildertes Leben auf der Straße
Vera wird bei ihrer Befragung vom Geheimdienst vor die Wahl gestellt: Wenn sie ihren toten Ehemann posthum als Stalinisten denunziert, erbt sie dessen Rente und kann gemeinsam mit ihrer Tochter Nina ein unbehelligtes und finanziell abgesichertes Leben führen.
Doch Vera weigert sich, die Integrität ihres Mannes wider besseres Wissen zu opfern. Und das, obwohl sie weiß, dass sie damit nicht nur für sich selbst, sondern auch für Nina eine existentielle Entscheidung trifft. Sie wird nach Goli Otok gebracht, während Nina offiziell bei Verwandten untergebracht wird, tatsächlich aber ein verwildertes Leben auf der Straße führt. Das ist der Kern von Ninas Unbehaustheit, ihrer Unruhe, ihrer Unberechenbarkeit und ihrer Aggressionen.
Was Grossman durchinszeniert, ist ein Generationen übergreifendes Trauma, das von den Müttern an die Töchter weitergegeben wurde und sich in einem Hang zur Selbstzerstörung manifestiert. Nina selbst beschreibt den Bruch in ihrem Leben folgendermaßen:
"Meinen wahren Charakter haben sie mir genommen, als ich sechseinhalb war, und sie haben ihn mir nach drei Jahren verdorben zurückgegeben. Kaputt... Denn ich erinnere mich noch, wer ich davor war, was für ein Mädchen ich gewesen bin."
Zwischen Wahn und Überlebenswillen
Die innerfamiliären Friktionen sind die eine Seite des Romans. Seine stärksten, weil intensivsten und beklemmendsten Szenen jedoch sind die auch im Schriftbild abgesetzten, in der dritten Person geschilderten Erfahrungen auf Goli Otok. Übersetzt heißt der Name "nackte Insel"; ein noch nicht einmal fünf Quadratkilometer großer Felsen in der Adria, unmittelbar neben der beliebten Ferieninsel Rab gelegen. "Titos Hawaii", das war der zynische Spitzname für die Gefängnisinsel, die erst 1988 endgültig geräumt wurde. Bis 1985 waren hier noch Regimegegner inhaftiert.
Die Willkür der Misshandlungen, die Hitze, die Angst, die täglichen Demütigungen durch die Wärterinnen werden in Grossmans Roman tatsächlich beinahe physisch spürbar. Auf rätselhafte Weise ist Vera kurz nach ihrer Ankunft, wie einige ihrer Mitgefangenen auch, über Nacht erblindet. Ihr Ausgeliefertsein ist damit vollkommen:
"Jemand führt sie. Die Sonne brennt auf den geschorenen Schädel. Sie schläft im Gehen fast ein. Eine Frau mit stinkender Zigarette hat den Arm um sie gelegt und schiebt ihr eine große, raue Hand in die Achselhöhle. Ab und zu betastet sie ihr Fleisch, drückt zu, kneift, und wenn Vera versucht, diese Berührung abzuschütteln, kriegt sie eine schnelle, scharfe Ohrfeige."
Gefängnisleitung sät Misstrauen unter den Insassen
Die Regeln auf der Gefängnisinsel sind unbarmherzig. Die Arbeit besteht zunächst darin, in der sengenden Hitze Felsbrocken einen Berg hinauf- und wieder hinunterzuwälzen. Eine sinnlose Arbeit, die die Gefangenen an den Rand ihrer Kräfte bringt. Gezielt sät die Gefängnisleitung unter den Insassen Misstrauen, schürt ein Klima der Denunziation. Selbst heimliche nächtliche Gespräche sind nicht vor Bespitzelung sicher. Neuankömmlinge auf der Insel werden von einem dafür abkommandierten Gefangenenspalier empfangen, mit Holzlatten verprügelt, getreten und bespuckt. Wer sich dabei durch besondere Brutalität hervortut, hat eher eine Chance auf Entlassung, so heißt es jedenfalls.
Auf Goli Otok, im von der erbarmungslosen Hitze erzeugten Dämmerzustand zwischen Wahn und instinktivem Überlebenswillen, fliegen Veras Gedanken auch zurück in ihre Vergangenheit, zurück zu ihren von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager ermordeten Eltern:
"Wie hat ihre Mutter immer gesagt: 'Gott hat eine große Erfindungsgabe für Notlagen.' Sie nimmt Abschied von ihrer Mutter. Sie umarmen sich. Ihre Mutter ist vor fast zehn Jahren in Auschwitz umgekommen. Gefangene, die in Auschwitz gewesen sind und später nach Goli Otok kamen, sagen, hier sei es härter. Dort war klar, wer der Feind ist und vor wem du dich in Acht nehmen musst. Hier ist die Methode, Feindschaft zwischen allen zu säen. Dass du dich auf gar niemanden mehr verlassen kannst."
Porträt einer unbeugsamen Frau
Für die erblindete Vera hat sich die Lagerkommandantin eine besondere Aufgabe ausgedacht, deren Sinn sie nicht begreift. Tagtäglich wird sie bei Sonnenaufgang auf einen Berg geführt, in eine bestimmte Position gebracht und zum Stillstehen verdonnert. Was geschieht mit ihr? Wird demnächst jemand kommen und sie rücklings über die Klippe ins Meer stürzen? Fast wünscht Vera sich das. Hin und wieder kommt jemand und korrigiert ihre Position. Während sie quälenden Durst leidet, hört sie, wie aus einem Gefäß Wasser ausgeschüttet wird. Sie riecht feuchte Erde und wundert sich darüber, woher dieser Geruch auf dem kahlen Felsen kommt. Für zehn Minuten darf sie um die Mittagszeit ihren Platz verlassen, um ihre Notdurft zu verrichten und eine gekochte Kartoffel zu essen.
Über Wochen zieht sich das hin. Vera ist verbrannt, abgemagert, spürt ihren Körper nicht mehr. Aber ihr Geist, der wache Geist, der Grossmans Roman insgesamt antreibt, funktioniert noch. Eines Tages nimmt Vera all ihren Mut zusammen und spricht eine der Wärterinnen, die sie soeben wieder in eine neue Position gerückt hat, an:
"Genossin Aufseherin", fragt Vera flüsternd. "Wozu stehe ich eigentlich hier?"
"Was heißt, wozu", fragt die Wärterin und landet einen Schlag auf Veras Brust, aber nicht zu stark. Nur, wie um ihre Pflicht zu tun.
"Was macht man hier mit mir? Was mache ich hier?"
Schweigen. Jetzt war sie wirklich zu weit gegangen.
"Das haben sie dir nicht gesagt?"
"Nein."
Die junge Frau lacht erstaunt auf. Man kann sich ihre kräftigen weißen Zähne vorstellen und ihr gesundes rosa Zahnfleisch.
"Warum soll ich es dir dann sagen?"
Vera setzt alles aufs Spiel: "Weil du ein Mensch bist."
Sie spendet Schatten für einen winzigen Setzling
David Grossmans Roman, das spricht für ihn, ist frei von Sentenzen und liefert keine allgemeingültigen Erkenntnisse. Auch bewertet er die Entscheidungen, die die Figuren treffen, nicht nach Maßstäben einer höheren Moral. Grossman zeigt vielmehr Menschen in individuellen Zwangslagen, die mit den Konsequenzen ihres Handelns weiterzuleben haben. Als Veras Sehkraft nach und nach zurückkehrt, was sie zunächst verschweigt, begreift sie, was ihre Funktion auf dem Berg ist: Sie spendet Schatten für einen winzigen Setzling, den die Lagerkommandantin hier oben gepflanzt hat. Ob dieses Detail ausgedacht oder überliefert ist, spielt keine Rolle, doch wie Grossman es als Symbol für die Perversion des Gefängnisalltags inszeniert, ist fabelhaft.
Eines Tages liest eine Aufseherin die Namen derjenigen vor, die aus dem Lager entlassen werden. Als Vera ihren Namen hört, versteht sie ihn zunächst gar nicht. Sie hat niemanden verraten, nichts unterschrieben, trotzdem darf sie gehen. 54 Jahre später, kurz nach ihrem 90. Geburtstag, wird sie gemeinsam mit ihrer Tochter Nina, ihrer Enkelin Gili und ihrem Stiefsohn Rafael nach Goli Otok zurückkehren – eine Art Familienaufstellung mit kathartischer Wirkung.
Versicherung bei einsetzendem Gedächtnisverlust
Gili hat ihre technisch veraltete Videokamera stets im Anschlag. Nina hat der Familie von ihrer einsetzenden Demenz erzählt. Veras aufgezeichneter Lebensbericht ist also auch ein Dokument, mit dessen Hilfe sich Nina bei einsetzendem Gedächtnisverlust ihrer Geschichte versichern könnte. "Was Nina wusste", der Titel des Romans, erhält dadurch zusätzliche Ambivalenz: Es geht nicht mehr nur darum, was Nina über die Jahrzehnte von dem vermeintlichen Verrat ihrer Mutter wusste, sondern es geht auch darum, welche Gewissheiten ihr zukünftig noch bleiben werden.
Zugleich zeigt sich Grossman auch in seinem neuen Roman als ein Autor, der im Prozess des Erzählens Hass zu überwinden versucht. Ninas feindselige Haltung gegenüber ihrer Mutter weicht im Verlauf der Reise nach Kroatien zusehends Zweifeln:
"Aber versteh bitte, dass ich dich nicht verhöre! Ich frage das nur, um... zu verstehen, um rückwirkend ein bisschen was zu reparieren.
"Rückwirkend kann man nichts mehr reparieren. Das weißt du selbst.""
"Was Nina wusste" ist kein makelloser, aber ein nachhaltig beeindruckender Roman. Man kann David Grossman durchaus ankreiden, dass die Komplexität seiner Konstruktion Redundanzen erzeugt und dass die in den Roman eingebaute Technik der filmischen Cuts und Neuansätze hin und wieder die Geduld strapaziert. Etwas weniger Drama, auch in der Expressivität der Figuren, hätte dem Buch gewiss nicht geschadet.
In erster Linie aber ist "Was Nina wusste" das mit Zuneigung und Empathie gezeichnete Porträt einer unbeugsamen Frau, deren charakterliche Integrität und Gradlinigkeit auf unheilvolle Weise mit den Ideologien des 20. Jahrhunderts kollidiert sind.
David Grossman: "Was Nina wusste", Roman.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer.
Carl Hanser Verlag, München. 352 Seiten, 25 Euro.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer.
Carl Hanser Verlag, München. 352 Seiten, 25 Euro.