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25 Jahre nach David Nivel
Gewalt in der Fußball-Fankultur

Vor 25 Jahren wurde der französische Gendarm Daniel Nivel bei der Fußball-WM in Frankreich von deutschen Hooligans lebensbedrohlich verletzt. Gewalt ist nach wie vor Teil der Fußball-Fankultur, dem sich der DFB ein Jahr vor der Heim-EM stellen muss.

Von Luisa Kretzschmar |
Polizeiaufgebot im Fußballstadion
Polizeiaufgebot im Stadion - Probleme mit gewaltbereiten Fans sind im Fußball weiter präsent (picture alliance / DeFodi Images)
In letzter Zeit fällt häufiger das Wort Schande, wenn es um den deutschen Fußball geht. Was heute fußballerische Leistungen meint, stand bei der WM 1998 in einem ganz anderen Kontext. Die "Schande von Lens" hatte weitaus schwerwiegendere Folgen, als verlorene Länderspiele.
"Was das für diesen Menschen und für die Familie letztendlich bedeutet hat - eine ganz kurze Zeit, ein vielleicht auch zufälliger Vorfall - und es ist ein ganzes Menschenleben zerstört. Das ist schon bedrückend", sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinierungsstelle Fanprojekte.

Hooligan-Attacke auf David Nivel vor 25 Jahren

Er war an diesem 21. Juni vor 25 Jahren in Lens, als deutsche Hooligans den französischen Gendarm Daniel Nivel attackierten. Nivel wurde so schwer verletzt, dass er sich selbst nicht an den Tag erinnert.

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"Der Anschlag von Lens auf Daniel Nivel war ein Stück weit auch eine Zeitenwende", sagt Steffen Simon, Direktor für Öffentlichkeit und Fans des DFB. Der Anschlag wirkte als Fanal, viele erinnern ihn nach wie vor als schrecklichsten Moment des deutschen Fußballs - und zogen daraus Lehren. Eine wichtige Erkenntnis: eine stärkere Begleitung der Fans hilft, Gewalttaten zu verhindern.

Aufarbeitung von Gewalt in Vereinen - und in den Kurven

Für Michael Gabriel war die Aufarbeitung des Vorfalls durch Fanprojekte in den Vereinen daher entscheidend. Dort wird auch pädagogisch mit den Fans gearbeitet - ohne sie auf ihr Fußballfan-Dasein zu beschränken. Nur dies könne verantwortungsvolle Kräfte in den Kurven stärken:
"Weil diese jungen Leute dann, wenn es um Fankultur geht, die ihnen ja viel bedeutet, auch bereit sind, Verantwortung für Fankultur zu übernehmen. Also bereit dafür sind zu widersprechen, wenn Leute mit ausgrenzenden Ideen kommen, wenn Leute frauenfeindlich sind, wenn Leute antisemitisch sind, wenn Leute rassistisch sind."
"Wenn das gemeinsame Anliegen ist, möglichst wenig Gewalt in der Gesellschaft und dann zum Beispiel im Fußball auch zu haben, da muss ich ja mich fragen: Wie kommt es zu Gewalttätigkeit, was ist die Motivation der Leute?" - Fragt zum Beispiel Fanaktivistin Helen Breit, die unter anderem bei der Supporters Crew Freiburg organisiert ist. "Gibt es vielleicht auch alternative Angebote? Wenn jemand Gewalt ausübt, um sich sehr stark zu fühlen, um sich auszudrücken, um endlich gesehen zu werden, dann gibt es im Fußball ganz schön viel gute andere Varianten, wie ich das auch erreichen kann."

DFB setzt auf Dialog

"Das einzige Mittel, das überhaupt irgendwie in solchen Konfrontationen hilft, ist der Dialog", sagt dazu DFB-Mediendirektor Steffen Simon. Für diesen Dialog gibt es beim DFB die Kommission Fankulturen. Hier kommen der DFB selbst, die DFL und Vertreter von Vereinen und Fanorganisationen zusammen.
"Ich habe vorher eine Idee, warum ich den Dialog trete. Und dann gibt es sicherlich auch Forderungen oder Wünsche, die müssen Vereine oder Verbände ablehnen. Aber es muss eben auch irgendwann mal was bei rumgekommen", fordert Fan-Aktivistin Helen Breit sehr deutlich. "Wenn das nicht gelingt, sondern ich doch mit Gewalt oder mit Machtdurchsetzung es schneller zu meinen Lösungen kommen, dann habe ich eine falsche Botschaft."
Gewalttätige Ausschreitungen stehen bei Bundesliga-Begegnungen mehr im Fokus, als bei Länderspielen. Aber auch dort gibt es sie - wie vor einem Jahr bei der Nations-League-Partie zwischen Deutschland und England.
Laut Michael Gabriel sei die Gewalt hier auf andere Fans zurückzuführen, als in der Bundesliga. "Die Ultras weisen ein viel, viel größeren Vereinsbezug aus, und die Nationalmannschaft interessiert sie mehr oder weniger gar nicht. Und sie tauchen auch bei der Nationalmannschaft überhaupt nicht auf."

Koordinierungsstelle Fanprojekte: "Gewalt spielt wieder größere Rolle"

Dafür lässt sich seit einiger Zeit wieder vermehrt feststellen, dass es zu Zusammenkünften gewaltbereiter Fans kommt. "Wir haben in den letzten Jahren tatsächlich eine Entwicklung innerhalb der deutschen Fanszene innerhalb der deutschen Fankultur, wo es eine Häufung von Gewalt gibt, wo es auch wieder Gruppen gibt, für die Gewalt eine größere Rolle spielt und die sich selbst auch Hooligans nennen."
Seit der Pandemie ist außerdem zu beobachten, wie sich Fangruppen verändern. Zu den klassischen Ultras kommen zum Teil Menschen aus der Kampfsportszene, sagt auch Steffen Simon: "Das ist ein neues Phänomen, die sogenannten Hooltras, wo sich diese beiden Fanszenen, die der 2000er bis 2020er Jahre, Ultras, ein Stück weit vermischen."

Sorge um die Sicherheit bei der EM 2024 in Deutschland

Mit Blick auf die Sicherheit bei der Heim-EM im nächsten Jahr hat Supporterin Helen Breit noch eine Idee, wie man Gewalt leichter verhindern könnte - Zusammengehörigkeitsgefühl.
"Wenn im Nationalmannschaftsfußball wieder erreicht wird, dass die Menschen sich mit der Mannschaft und im Team und identifizieren und auch dem Verband, dann gelingt es natürlich dem Verband sehr viel leichter, die Leute zu erreichen und zu sagen ich wünsche mir dies Verhalten oder dieses weil wir sind doch eins. Wir sind doch gemeinsam hier, um irgendetwas großes sportlich zu erreichen."
Gewalttaten wie die Schande von Lens nie wieder geschehen zu lassen, bleibt auch 25 Jahre nach dem Angriff eine wichtige Priorität. Im besten Fall führt eine größere Fan-Nähe sogar dazu, dass das Wort Schande auch für die fußballerische Leistung nicht mehr so häufig zu hören sein wird.