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DDR-Chef-Spion Wolf stellt sich freiwillig

Kurz vor der Wiedervereinigung flüchtete der ehemalige DDR-Geheimdienstchef, Markus Wolf, in die Sowjetunion - denn im Westen lag ein Haftbefehl gegen ihn vor. Am 24. September 1991 stellte er sich freiwillig der Justiz.

Von Wolfgang Stenke |
    Schon bei der ersten Stellungnahme, die Markus Wolf der ARD nach dem Fall der Mauer gab, lag es auf der Hand: Nicht nur er selbst, auch die bundesdeutsche Justiz würde Probleme bekommen, wenn der ehemalige Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes in ihren Machtbereich geriete. Der gegen ihn erhobene Vorwurf des Landesverrats sei juristisch absurd, sagte Wolf im Juni 1990, da er für einen souveränen Staat gearbeitet habe und nicht Bürger der Bundesrepublik gewesen sei.

    "Der gegen mich bestehende Haftbefehl geht ja von meiner generellen Verantwortung für die nachrichtendienstliche Arbeit aus und das ist, glaube ich, doch etwas Absurdes. Es geht ja nicht um meine Person, sondern jeder, der unter meiner Verantwortung Ähnliches getan hat, würde ja nach demselben Recht derselben Gefahr ausgesetzt sein."

    Wenige Tage bevor am 3. Oktober 1990 der Einigungsvertrag in Kraft trat, fuhren Wolf und seine Frau in ihrem Volvo nach Österreich. Von dort ging die Flucht weiter nach Moskau. Knapp ein Jahr später avisierte Wolf - wiederum von Österreich aus - seine Rückkehr und stellte sich den bundesdeutschen Behörden. In Berlin hatten gerade die ersten Prozesse gegen leitende Mitarbeiter der "Hauptverwaltung Aufklärung" begonnen. Wolf wollte sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Außerdem erschien die Sowjetunion ihm, nach dem Putschversuch gegen Gorbatschow, zu unsicher. In seinen Memoiren schrieb er:

    "Am 24. September 1991 überschritt ich die Grenze in Bayerisch Gmain, wo der Bundesanwalt, dem ich vor Gericht viele Monate lang gegenübersitzen sollte, mich schon erwartete. Der Triumph, meiner endlich habhaft zu werden, war ihm vom Gesicht abzulesen."

    1933, im Alter von zehn Jahren, war Markus Wolf, Sohn des jüdischen Dramatikers, Arztes und Kommunisten Friedrich Wolf, mit der Familie vor den Nationalsozialisten in die Sowjetunion geflohen. Als junger Mann kehrte er 1945 nach Berlin zurück – Teil jener antifaschistischen Gründergeneration, die unter der harten Hand der sowjetischen Besatzungsmacht ein besseres Deutschland aufbauen wollte. Nach Stationen beim Rundfunk und in der Moskauer DDR-Vertretung arbeitete er in Ost-Berlin, wo es mitten im Kalten Krieg vor Agenten nur so wimmelte, am Aufbau eines Auslandsnachrichtendienstes. Ab 1956 leitete er die "Hauptverwaltung Aufklärung" des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und wurde Stellvertreter von Minister Erich Mielke. "Schwert und Schild der Partei" hießen die Geheimdienste im Jargon der SED.

    "Euer Dienst ist die Aufklärung,
    Namen bleiben geheim,
    unauffällig die Leistungen,
    stets im Blickfeld der Feind."
    (aus dem Kundschafter-Lied)

    Wolf und seine Mitarbeiter schleusten Einflussagenten in hohe Positionen der Bundesrepublik. Der bekannteste war Günter Guillaume, Referent von Bundeskanzler Willy Brandt. Als der Spion 1974 enttarnt wurde, stürzte auch Brandt. Die gängige Geheimdienstpraxis, Agenten als sogenannte "Romeos" auf einsame Sekretärinnen im Bonner Regierungsapparat anzusetzen, kommentierte Wolf so:

    "Es wäre wirklich heuchlerisch, wenn ich behaupten würde, ich oder irgendjemand von den Mitarbeitern hätte da große Skrupel gehabt, denn jede nachrichtendienstliche Anbahnung bedeutet ja, irgendwelche zwischenmenschlichen Beziehungen aufzubauen."

    In der Zeit der Wende sympathisierte Wolf, der schon 1987 seinen Abschied vom MfS genommen hatte, mit den Reformern um Gorbatschow. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten kam Wolf zweimal vor Gericht. 1993 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Landesverrats und Bestechung zu sechs Jahren Haft. Wolf sah darin einen Akt von "Siegerjustiz". Das Urteil hielt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes nicht stand. Im zweiten Prozess – diesmal ging es um die Verschleppung eines fahnenflüchtigen DDR-Offiziers – bekam Markus Wolf 1997 zwei Jahre auf Bewährung. Ein mildes Urteil, das rechtsstaatlich nicht zu beanstanden war. Der Ex-Geheimdienstchef sah sich trotzdem weiterhin als Opfer eines "politischen Verfahrens". Als Buchautor und gern gesehener Gast in Talkshows vermarktete er erfolgreich seine Erfahrungen – von der Spionage bis zu den "Geheimnissen der russischen Küche". Markus Wolf starb am 9. November 2006.