DDR-Sportsystem
Dopingopfer: Kampf um Anerkennung und Entschädigung

Die sportlichen Erfolge der DDR waren eng mit einem staatlich organisierten Dopingprogramm verbunden, das ab 1974 systematisch umgesetzt wurde. Tausende Athletinnen und Athleten leiden unter den Folgen und fordern bis heute Anerkennung und Entschädigung.

Von Olivia Gerstenberger |
Frank Peter Rötsch (DDR) führt als Fahnenträger die DDR-Olympiamannschaft ins Stadion
Die DDR gewann insgesamt 755 Olympiamedaillen. Sportliche Erfolge wurden dabei als Propagandainstrument eingesetzt. (imago / Werner Schulze)
Die Sportgeschichte der DDR war geprägt von vielen internationalen Erfolgen: Hunderte Olympiamedaillen, darunter über 200-mal Gold, gingen zwischen 1949 und 1989 an die kleine Nation, die außerdem jeweils weit über 700 Welt- und Europameister hervorbrachte. Nach der Wiedervereinigung kam ans Licht: Diese Erfolge waren das Ergebnis eines staatlich organisierten Dopingprogramms der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).

Inhalt

Wann und zu welchem Zweck fand das DDR-Staatsdoping statt?

Das umfassende staatliche DDR-Doping wurde ab 1974 unter dem Namen „Staatsplan 14.25“ systematisch umgesetzt. Ziel war es, die kleine DDR zu einer bedeutenden Sportnation zu machen. Die SED-Führung sah im Erfolg im Spitzensport ein wichtiges Mittel, um das Ansehen des Staates im Ausland zu stärken und so ein positives Image der DDR zu fördern. Und so wurde der DDR-Leistungssport nicht nur zur Förderung sportlicher Erfolge, sondern als Propagandainstrument eingesetzt, um das sozialistische System international zu repräsentieren und zu stärken.
Die Staatssicherheit (Stasi) überwachte, steuerte und verschleierte die Durchführung des umfassenden Dopingprogramms. Dieses wurde maßgeblich von Sportfunktionären wie Manfred Ewald und dem Mediziner Manfred Höppner aufgebaut, die im Einklang mit Stasi-Chef Erich Mielke eine systematische Verabreichung von Anabolika und anderen Dopingmitteln an Leistungssportler organisierten.
Rund 15.000 Athletinnen und Athleten wurden über Jahre hinweg oft unwissentlich und gegen ihren Willen mit leistungssteigernden Substanzen behandelt. Darunter waren auch Minderjährige. Zu den Substanzen gehörten insbesondere Anabolika – Wachstumshormone und Steroide.
Ab 1997 führten Gerichtsprozesse gegen Sportfunktionäre und Trainer zur Enthüllung des systematischen Betrugs. Die Wissenschaftler Werner Franke und Brigitte Berendonk deckten das System schließlich auf und legten das gesamte Ausmaß des staatlich organisierten Dopings in der DDR offen.

Wer sind die bekanntesten DDR-Dopingopfer?

Zu den bekanntesten Dopingopfern zählen die ehemalige Sprinterin Ines Geipel und Schwimmerin Kornelia Ender, die bei den Olympischen Spielen 1976 vier Goldmedaillen gewann. Die ehemalige Schwimmerin Ute Krieger-Krause und die ehemalige Leichtathletin Renate Neufeld gehörten zu den ersten, die an die Öffentlichkeit traten und über das DDR-Dopingsystem berichteten.
Auch Fußballteams seien zu DDR-Zeiten mit Aufputschmitteln gedopt worden, berichten Historiker wie Giselher Spitzer. Durch dessen Studie wurde bekannt, dass unter anderem auch der spätere Bundesligaspieler und -trainer Falko Götz vom Staatsdoping betroffen war. Götz schloss sich daraufhin einer Sammelklage wegen mutmaßlichen Dopings beim DDR-Rekordmeister Dynamo Berlin an.
Im Dlf erklärte Historikerin Jutta Braun, dass das Dopingsystem in der DDR fest in der Gesellschaft verankert war. Auch die Kinder- und Jugendsportschulen waren betroffen und zeichneten sich durch eine hohe Parteitreue aus, mit einem noch größeren Anteil an SED-Mitgliedern als im restlichen Land. Die Repressionen des Systems konnten jeden Einzelnen treffen – was das Dopingsystem als einen klaren Bestandteil der Diktaturgeschichte der DDR ausweist.
Die genaue Opferzahl ist schwer zu ermitteln, da viele Akten unvollständig sind oder zum Ende der DDR systematisch vernichtet wurden. Schätzungen zufolge sind mehrere Tausend Sportlerinnen und Sportler betroffen, die durch den Einsatz dieser unerlaubten Präparate bleibende gesundheitliche Schäden erlitten haben.

Welche Folgen hatte das DDR-Zwangsdoping?

Die gesundheitlichen Folgen für die Dopingopfer sind vielfältig und gravierend. Viele Betroffene leiden an chronischen Krankheiten, hormonellen Störungen und psychischen Problemen. Studien haben gezeigt, dass die Einnahme von anabolen Steroiden und anderen leistungssteigernden Mitteln in der Jugend zu schweren Langzeitschäden führen kann, darunter Herz-Kreislauf- und Krebs-Erkrankungen, Leber- und Nierenschäden sowie Unfruchtbarkeit. Organschäden treten dabei oft erst Jahre später auf.
Dabei sind es häufig hormonell bedingte Krankheiten, die möglicherweise auf die in der DDR verabreichten Medikamente zurückgehen. Der frühere Kugelstoßer Andreas Krieger (ehemals Heidi Krieger) war bereits in jungen Jahren so stark gedopt worden, dass er unter hormonellen und körperlichen Veränderungen litt und sich später dazu entschied, eine geschlechtsangleichende Operation vorzunehmen.
Auch psychisch sind die Folgen schwer: Der Dopingopferhilfeverein (DOH) spricht von einem hohen Anteil der Betroffenen, die unter Depressionen, Psychosen und Burnout leiden. Viele dieser ehemaligen Athletinnen und Athleten sind heute aufgrund physischer und psychischer Erkrankungen dauerhaft arbeitsunfähig.

Welche Entschädigung steht DDR-Dopingopfern zu?

Nach den Berliner Doping-Prozessen im Jahr 2000 erkannte Deutschland das DDR-Staatsdoping als "mittelschwere Kriminalität" an und verabschiedete 2002 das Doping-Opfer-Hilfegesetz (DOHG). Aus dem auferlegten Fonds von 2 Millionen Euro erhielten 194 Betroffene jeweils 10.500 Euro. Das Gesetz lief 2007 aus.
Doch die gesundheitlichen Schäden durch das Doping blieben und nahmen zu – laut dem Dopingopferhilfeverein war es auch zu Schäden in der zweiten Generation und zu Todesfällen gekommen. 2016 wurde daher ein zweites Dopingopfer-Hilfegesetz mit über 13 Millionen Euro für bis zu 1.000 zusätzliche Geschädigte eingeführt, ebenfalls mit einmaligen Zahlungen von 10.500 Euro. Dieses Gesetz lief 2019 aus. Anspruchsberechtigt waren ehemalige Sportler, die in der DDR ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen gedopt wurden.
Forderungen auf eine Entfristung des zweiten Gesetzes wurde nicht stattgegeben, wer also bis Ende 2019 keinen Antrag eingereicht hat, hat derzeit keinen Anspruch auf Hilfszahlungen. Nach aktuellem Stand fallen Opfer des DDR-Staatsdopingsystems auch nicht unter das sogenannte Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG). Das wurde nach der Wiedervereinigung eingeführt, um alle Menschen zu entschädigen, die durch behördliche Maßnahmen in der DDR gesundheitliche Schädigungen davongetragen haben. Man wollte damit vor allem politisch Verfolgte rehabilitieren.
Das systematische staatliche Doping von Leistungssportlern in der ehemaligen DDR stelle aber weder "politische Verfolgung" noch einen "Willkürakt im Einzelfall" im Sinne des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes dar, stellte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im März 2024 klar. Damit haben Opfer des DDR-Staatsdopings zunächst auf diesem Wege keinen zusätzlichen Anspruch auf Entschädigungen wie zum Beispiel eine Opfer-Rente.
In Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen hatten vor dem Urteil Sportlerinnen und Sportler die Verwaltungsrechtliche Rehabilitierung erreicht. Für eine Entschädigung müssen aber Anträge beim Landesamt für Gesundheit und Soziales gestellt werden – ein sehr aufwendiges, langwieriges und belastendes Verfahren. Auch das Land Thüringen engagiert sich gemeinsam mit dem Landessportbund Thüringen bei der Rehabilitation von Dopingopfern und berät sie über mögliche Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Eine monatliche Zahlung nach dem OEG erhalten Betroffene, wenn die aktuellen (dopingbedingten) Schäden einen gewissen Grad haben und wenn die Betroffenen bedürftig sind. 
Im Zuge der Diskussion um Rehabilitation und Entschädigung kam es immer wieder zu Kritik an angeblich überhöhten Opferzahlen und Trittbrettfahrern, die sich als Dopingopfer ausgeben würden. Viele Betroffene empfinden hingegen die Maßnahmen als unzureichend, da die Entschädigungen oft nicht die Kosten für medizinische Versorgung oder psychische Belastungen abdecken und ihr Leid nicht wirklich anerkannt werde.
Für die Opfer der SED-Diktatur ist ein Härtefall-Fonds geplant. 6 Millionen Euro wird der Möbelhersteller IKEA einzahlen, der als Unternehmen von der DDR-Haftzwangsarbeit profitierte.
Es sei beschämend, dass ausgerechnet ein ausländisches Unternehmen bisher als einziges den ersten Schritt mache und Anerkennung für die Zwangsarbeit zeige, sagt Evelyn Zupke, die erste Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, im Deutschlandfunk-Interview. Dennoch ist Zupke IKEA dankbar und hoffe auf eine Vorbildfunktion:
"Ganz konkret wünsche ich mir, auch von Firmen wie ALDI oder OTTO, dass sie sich endlich auch vertieft mit diesem Thema auseinandersetzen, dass sie sich mit den Betroffenen austauschen, in einer angemessenen Weise.“
Denn es hätten viele Unternehmen auch in Westdeutschland von der DDR-Zwangsarbeit profitiert. Wie die Mittel aus dem Fonds verteilt werden, ist noch nicht festgelegt, aber es ist denkbar, dass auch Opfer des staatlichen Dopings der DDR unter die Regeln dieses Fonds fallen.
"Nach jetzigem Stand werden wir uns an den Kriterien der Fonds in den ostdeutschen Ländern orientieren. Zum Beispiel in Thüringen und in Berlin können Dopingopfer bei Bedürftigkeit Hilfen beantragen."
Das könnte ein Meilenstein für die Opfer des DDR-Dopings sein, denn nach wie vor gebe es da "eine Schutzlücke" und Doping-Geschädigte müssten für ihre Rehabilitierung kämpfen, so Zupke.

Was fordern Hilfsorganisationen und die betroffenen Dopingopfer?

Evelyn Zupke kritisiert im Dlf deshalb auch die aktuelle Gesetzeslage für DDR-Dopingopfer. Sie fordert eine Gesetzesänderung, um Dopingopfern Zugang zu Hilfen zu ermöglichen, da die bestehenden Rehabilitationsgesetze hauptsächlich politisch Verfolgte berücksichtigten.
Zupke hat dazu einen Vorschlag beim Justizministerium eingereicht, kämpft jedoch damit, die gesundheitlichen Schäden der Dopingopfer nach Jahren kausal nachzuweisen. Sie plädiert dafür, DDR-Dopingopfer explizit im Rehabilitierungsgesetz zu benennen und sieht genügend Beweise für ihren politischen Missbrauch durch das SED-Regime. Die Anerkennung des staatlichen Unrechts sei für die Dopingopfer von großer Bedeutung.
Auch dem Dopingopferhilfeverein (DOH) ist die historische Aufarbeitung des DDR-Dopingsystems ein wichtiges Anliegen. Die Betroffenen wollen Anerkennung ihrer Leiden und die Aufarbeitung der Verantwortung staatlicher und sportlicher Institutionen. Der DOH setzt sich dafür ein, dass Dopingschäden künftig auch ohne individuelle juristische Nachweise anerkannt werden.