Eine Fahne der DDR mit Hammer und Zirkel hängt an einer baufälligen Hütte, dem Hauptquartier der Madgermanes - so nennen sich die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik. Wie jede Woche haben sie sich in dem kleinen Park in der Innenstadt von Maputo versammelt, sie beten, diskutieren, lärmen. An diesem Tag sind es etwa 80 Männer und Frauen, unter ihnen José Salvador Cossa, der Sekretär und Sprecher der Madgermanes. Nein, sagt er, 30 Jahre Mauerfall sei für ihn kein Grund zum Feiern:
"Das war so gut, aber für uns war es ein bisschen schlecht, weil wir haben in Deutschland gearbeitet, dann fiel die Mauer, und bis heute haben wir kein Geld erhalten, bis heute."
"Mir fehlen 45.000 Euro"
Cossa ist heute 54 Jahre alt. Er hat in Dresden in der Druckereibranche gearbeitet, von 1987 bis 1991. Dann kehrte er in seine Heimat zurück. Und als einer der wenigen kann er genau beziffern, wie viel Geld ihm seine Regierung seiner Meinung nach schuldet aus Lohn und Rücklagen:
"Es gibt verschiedene Gelder, Abfindungen, Versicherung, und der Lohn, der jeden Monat abgezogen wurde. Mir fehlen also 45.000 Euro, die ich in Deutschland erarbeitet habe."
45.000 Euro sind eine immens hohe Summe, denn im Schnitt verdient ein Mosambikaner heute nicht mehr als 400 Euro im Jahr. Insider in Maputo schätzen, dass die DDR-Vertragsarbeiter um eine Summe von umgerechnet insgesamt mehr als 600 Millionen Euro betrogen wurden. Offiziell sollte ein Teil des Lohns, 60 Prozent, abgezogen werden und als Transferzahlung nach Mosambik gehen und erst dort den Arbeitern nach ihrer Rückkehr ausbezahlt werden.
Mosambiks Regierung rührt sich nicht
Die Bundesregierung in Berlin hat mehrfach betont, dass sie alle Verpflichtungen erfüllt habe, zuständig sei die mosambikanische Regierung. Doch die rührt sich nicht, seit 30 Jahren. Inzwischen demonstrieren sogar schon Kinder und Enkel der Madgermanes, weil sie die Ansprüche nicht aufgeben wollen. Für viele wäre es der einzige Weg heraus aus dem Elend, wenn sie endlich ihr Geld bekämen:
Ich habe gar keinen Job, ich arbeite nicht, erzählt mir Manuel Xavier Zameia, ein magerer, kränklich wirkender Mann in aufgetragener Kleidung. Er habe in der DDR in einer Zigarettenfabrik gearbeitet und nach der Rückkehr nach Mosambik nicht wieder Fuß gefasst, sagt Zameia. Sein Kollege Ernesto Chipanga hat immerhin einen Job, er schlägt sich heute als angestellter Kellner durch, allerdings für einen Hungerlohn. Dabei wollte er mit seinem Startkapital aus der Schuhfabrikation in Zittau in der Heimat ein eigenes kleines Restaurant aufmachen.
Jahrelang habe er in Zittau gearbeitet, in einem Wohnheim geschlafen im Mehrbettzimmer, erzählt Ernesto Chipanga, 50 Mosabikaner in einem Quartier. Sie alle waren jung und voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Chipanga sagt, er habe keine Ahnung, wie viel ihm seine Regierung schulde, und Vieles habe er schon vergessen, außer, dass ihm Dresden sehr gut gefallen habe.
"Hat keinen Sinn, etwas zu fordern, das nie eintreten wird"
Er habe in Erfurt und später in Karl-Marx-Stadt im Akkord in der Bekleidungsindustrie gearbeitet, berichtet Arlindo Nhantumbo. In Mosambik habe damals Bürgerkrieg geherrscht, es gab kaum zu essen, nichts zu kaufen. Im sozialistischen Bruderstaat DDR dagegen sei die Versorgung in den 80er-Jahren besser gewesen als in Mosambik, sogar eine Krankenversicherung habe er gehabt.
Der 52-Jährige Nhantumbo schlägt sich heute in Maputo mit einem schrottreifen Taxi durch und kommt, wie er sagt, so gerade über die Runden. Eine Krankenversicherung hat er nicht, und als er vor zehn Jahren einmal angeschossen wurde, stand er vor dem Ruin. Doch im Gegensatz zu vielen seiner Vertragsarbeiter-Kollegen aus der DDR geht er nie zu den Demonstrationen der Madgermanes.
"Denn wenn ich nur anfange die Jahre zu zählen, in denen die Regierung uns nichts gezahlt hat, dann fühle ich mich vergessen. Und es hat keinen Sinn, etwas zu fordern, das nie eintreten wird."
Noch lieber als das Geld sähe Nhantumbo seine Tochter
Ihm liege jetzt im Alter etwas anderes auf der Seele, sagt Arlindo Nhantumbo und legt ein verblichenes Foto auf die Kühlerhaube seines Taxis. Schemenhaft ist darauf ein Baby zu erkennen:
"Ich hatte eine Freundin in Erfurt, wir haben uns 1987 kennengelernt und hatten 1988 eine Tochter, sie hieß Vanessa. Ich kannte sie nur als Baby, habe sie seit 32 Jahren nicht gesehen."
Die Beziehung zur Mutter des Babys zerbrach. Der Kontakt nach Deutschland brach ab. Nhantumbo heiratete später eine Mosambikanerin, Laurinda. Auch sie war eine DDR-Vertragsarbeiterin. Vier Kinder hat das Paar. Heute, sagt Arlindo Nhantumbo, würde er seine Tochter in Deutschland gern einmal kennen lernen. Das, sagt er, sei ihm wichtiger als das Geld, um das er betrogen wurde.