Archiv


DDR-Geschichte als Comic

In ihrem neuen Comic "Berlin - Geteilte Stadt" haben die beiden Autoren Susanne Buddenberg und Thomas Henseler Zeitzeugen der DDR befragt und deren Erlebnisse aufgezeichnet. Fünf wahre Geschichten erzählen von einer Zeit, die heute kaum noch vorstellbar ist.

Von Peter Claus |
    Als erstes fällt auf, abgesehen vom kolorierten Titelbild ist der Comic schwarz-weiß gestaltet – beeindruckend mit unzähligen Abstufungen von Grau. Es ist das Grau des Gestern. Wer in der DDR gelebt hat, den befällt sofort ein Schauder des Wiedererkennens.

    "Ja, das ist beabsichtigt so","

    sagt Susanne Buddenberg. Thomas Henseler ergänzt:

    " "Grau ist ’ne inhaltliche Aussage und das spiegelt ja eigentlich auch die Lebenswelt der Bürger"

    Der Versuch, Realität möglichst genau zu spiegeln, geht bei den beiden Hand in Hand mit künstlerischem Anspruch:

    "Ich hab’ immer der Hauptfigur einen bestimmten Grauton gegeben. Und dann musste ich drum herum gucken, wie arrangiere ich die anderen, in welcher Wichtigkeit – und dann habe ich erst die Kleidung gemacht, und dann danach den Hintergrund angepasst."

    Fünf Geschichten werden erzählt, Geschichten von Anpassung und Auflehnung, von Mut und Verbrechen, Geschichten, die sehr genau in den Alltag des Mauerlandes blicken. Der Reigen beginnt mit der Erzählung einer jungen Frau, die 1961, noch Tage nach dem Mauerbau, von Ost nach West fliehen konnte, und endet mit den Erinnerungen eines Mannes an seinen 18. Geburtstag, am Tag des Mauerfalls. Kurze, prägnante, historische Texte erläutern den jeweils aktuellen politischen und sozialen Hintergrund.

    "Das war uns ganz wichtig, dass wir persönliche Geschichten am authentischen Ort mit historischer Information verknüpfen, und wir haben natürlich mit allen Zeitzeugen gesprochen und haben zusammengearbeitet, ja, bis zuletzt."

    Ein entscheidender Beweggrund für die Zwei:

    "Die heute 20-Jährigen wissen halt nicht mehr, wie es halt damals in der Diktatur war. Woher auch?!"

    Und die, die dabei waren, haben vieles vergessen, etwa die Brutalität der Schützen an der Mauer, die Nöte derer, die, nur weil sie sich das Denken nicht verbieten lassen wollten, keine Universität besuchen durften, aber auch die Zivilcourage vieler Namenloser. Hier wird – höchst beeindruckend, spannend, detailgenau – Geschichte mit Sachkenntnis und mit wahrhaftig anmutendem Gefühl vermittelt. Für den Germanisten, Historiker und Comic-Experten Dr. René Mounajed macht das die Qualität des Comics aus:

    "Also erstmal ist er Geschichtskultur. Das heißt, er richtet sich eigentlich an jeden interessierten Leser. Aber natürlich kann sich das auch für den schulischen Geschichtsunterricht oder Politikunterricht anbieten, also auch das wäre ein Medium von schulischem Geschichtslernen."

    Comics als Lehrbücher. Alltag ist das noch nicht in Deutschland. Aber:

    "Der Comic kommt an allen Ecken und Enden – und man misst ihm, das ist das Schöne daran, auch endlich ein eigenes Lernpotential bei."

    Sein Urteil zu "Berlin – Geteilte Stadt":

    "Ich bin sehr begeistert. Also es liegt einfach daran, weil der Historiker hat immer das Problem mit der Wahrheit. Also die wahrste Wahrheit gibt es für den Historiker nicht, es gibt immer Annäherungen, und die bemessen wir mit dem Begriff der ‚historischen Triftigkeit’. Und ich finde, es ist sehr bemerkenswert, wenn sich gerade auch Künstler auf diesen schweren Weg machen, und nach historischer Triftigkeit fahnden – im Archiv, im Gespräch mit Zeitzeugen., und das versuchen, so zu präsentieren, dass andere das sehen können, also nicht nur lesen können, sondern sehen können. Die visuelle Narration haben wir hier. Und die zu erstellen, ist so leicht nicht. Und von daher habe ich immer große Hochachtung davor, weil ich finde, dass es eine ganz eigene Leistung ist, mit Geschichte umzugehen, wenn man diesen Anspruch der Triftigkeit hat."

    In anderen Ländern, den USA oder Frankreich etwa, gehören Comics längst zum Unterrichtsstandard. Vorbild für Susanne Buddenberg und Thomas Henseler ist denn auch der in den USA lebende Comickünstler Joe Sacco, der sich in seinen Arbeiten beispielsweise mit dem Alltag in Palästina auseinandersetzt. Wie er, so legt auch das Duo Wert auf eine fotorealistische, detailreiche Gestaltung, die über einen pädagogischen Ansatz weit hinausweist. Gebäude, Straßen, die Natur – jedes Bild verblüfft mit unzähligen Facetten. – Die Zielgruppe?

    "Im Visier haben wir natürlich schon die Jugendlichen. Aber, wann ist man nicht mehr jugendlich? – Zwanzig, Dreißig, Vierzig? Wo ist die Grenze?"

    Kluge Beigabe: In den Innenumschlagseiten des Buches ist der Ost-Berliner Stadtplan von 1977 zu finden. Die Orte, an denen die fünf Geschichten spielen, sind markiert. Wer mag, kann, mit dem Buch in der Hand, diese Orte besuchen und so sehr anschaulich in die Zeit der deutschen Teilung eintauchen.

    Da werden dann wohl viele denken, was Thomas Henseler als entscheidender Eindruck durch die Arbeit an diesem Comic, "Berlin – Geteilte Stadt", durch die Begegnungen mit den Zeitzeugen, geblieben ist:

    "Ich kann nur sagen ‚Chapeau’, ‚Hut ab!’, für mich sind’s eigentlich wirklich Helden."


    Literaturhinweis:
    "Berlin – Geteilte Stadt", "avant-verlag", 2012, 100 Seiten, 14,95 Euro.