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DDR-Geschichte in Serie

Weissensee war vor drei Jahren ein großer Erfolg in der ARD - sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum: Die Serie erzählt vom Leben in der DDR in den 1980er-Jahren. Jetzt wird die zweite Staffel ausgestrahlt. Einem Vergleich mit US-Serien und britischen Formaten hält sie durchaus stand.

Von Hendrik Efert | 17.09.2013
    Das Besondere an Weissensee sind weder die Figuren noch das Thema – es ist die Form: Man entschied sich – wohl auch auf Drängen der Autorin Anette Hess – pro Staffel in sechs 45-Minütern zu erzählen. Stoffe, die im deutschen Fernsehen über den 90-minütigen Fernsehfilm hinausgehen, werden sonst gerne in das Korsett des Zwei- oder Dreiteilers gestopft und als Event-Fernsehen vermarktet. Doch serielles Erzählen über mehrere Folgen hat den Vorteil, den Inhalt im besten Sinne auszudehnen, auszuschmücken und mehrdimensional darzustellen. Dadurch entwickelt auch Weissensee ein Suchtpotenzial, wie man es sonst nur von britischen Miniserien oder den bekannten US-Autorenserien kennt – von den Sopranos bis Breaking Bad.

    "Du bist mir was schuldig!"
    "Wieso? Weil du deine Hand über mich gehalten hast? Wieso hast du sie nicht über Julia gehalten? Über unser Kind?"
    "Du weißt, dass das nicht ging."

    Eine gut erzählte Serie gibt uns Gelegenheit, in das Leben der Figuren einzutauchen, etwas über ihre Vergangenheit zu erfahren und so ihre jetzigen Entscheidungen und Handlungen nachvollziehen zu können. Dies löst Weissensee allerdings nur zum Teil ein: In der ersten Staffel kreist die Erzählung um Julia und Martin, in der neuen Staffel verliert Weissensee die Kernerzählung etwas aus den Augen, der Plot laviert zwischen dem recht großen Ensemble hin und her. Eine Weile steht Martins Bruder, der überzeugte Stasi-Offizier Falk Kupfer, im Mittelpunkt des Plots. Dann wiederum stehen die Abkapselungsversuche von Falks Frau Vera, eine Liebesaffäre und ihr neuer, regimekritischer Freundeskreis im Zentrum. Das Kernthema Julia und Martin geht verloren, die beiden verkümmern zu Randfiguren.

    "Wat hab ick heute wieder falsch jemacht? War ich wieder zu unsensibel? Habe ich dich falsch angefasst? Zu viel, zu wenig? Vera, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll!"
    "Ich lass mich scheiden. Ich hab Angst vor dir, ich will gehen, Falk."
    "Komm Vera, das haben wir doch alles schon gehabt!"
    "Ich war schon beim Anwalt."

    Was die Qualitätsserien aus Übersee ebenso erfolgreich zeigen: Anti-Helden. Gebrochene Protagonisten, deren Handlungen eigentlich unsere Moralvorstellungen verletzen, mit denen wir uns dennoch identifizieren, weil wir entweder ihrer Logik folgen können, weil wir Mitleid empfinden oder weil sie immer wieder auch Gutes tun und so nicht eindeutig in das Gut-oder Böse-Schema passen.

    "Wie sollen wir angesichts der Veränderungen in der Sowjetunion hier bei uns mit dem Wunsch der Menschen nach Veränderung umgehen? Ich möchte, dass Sie alles, was Sie an ideologischer Schulung intus haben, beiseitelegen und Ihre eigene Meinung wiedergeben."

    Bei Weissensee finden wir nur einen schillernden Charakter vor: (...) Familienoberhaupt und Stasi-Generalmajor Hans Kupfer, der mehr und mehr von seinen realsozialistischen Überzeugungen abrückt und damit auch von seinem Arbeitgeber. Er ist auch der einzige Charakter, der eine glaubwürdige Entwicklung durchläuft. Alle anderen halten an ihren Moralvorstellungen fest, Brüche sucht man vergebens. So wird auch der Zuschauer an keiner Stelle herausgefordert, seine Einstellung gegenüber einzelnen Figuren zu überdenken.

    "Ich sage Ihnen mal was aus eigener Erfahrung: Alles, was wir aus Angst tun oder nicht tun, kommt irgendwann wieder zurück. Wie ein Bumerang. Gerade jetzt in einer Zeit, wo man keine Angst haben sollte."

    Einen Mehrwert schafft Weissensee beim Einsatz von Symbolen und Motiven – in den großen amerikanischen Qualitätsserien üblich, hier im Fernsehen eher selten. Ein Beispiel: der Esstisch in der Villa der Familie Kupfer. Um Mutter Marlene Kupfer bricht die Welt zusammen, doch sie ist der sprichwörtliche Fels in der Brandung, eine verlässliche Größe. Sie versucht immer wieder, die Familie am Esstisch zu versammeln. Dieses Bild spiegelt jedes Mal den aktuellen Stand wider: Welches Familienmitglied nimmt am Abendessen teil, welches nicht?

    "Ich weiß genau, wie es ihm geht. Kenne jeden seiner Gedanken. Auch die Dunkelsten. Und trotzdem will ich ihm nah sein, wie am ersten Tag. Verrückt, oder?"

    Sicherlich könnte etwas komplexer und vielleicht auch überraschender erzählt werden, doch Weissensee ist in erster Linie zu loben: Erzählerisch und produktionstechnisch geht diese Serie weit über das hinaus, was im Fernsehen gegenwärtig an hiesigen Dramaserien gezeigt wird. Weissensee sorgfältig ausgestattet, bis in die Nebenrollen glänzend besetzt. All dies trägt zum Gelingen der Gesamterzählung bei – nicht selbstverständlich in deutschen Produktionen.

    "Und denk immer dran: Ich habe dir hier ein Obdach gewährt und ja, du bist mir auch zu Dank verpflichtet! Das hat sehr nachgelassen deine Dankbarkeit in letzter Zeit. Ich merke so etwas. Bin nämlich auch sensibel."

    Produzentin Regina Ziegler ist es zu verdanken, dass die Serie überhaupt auf die Bildschirme gelangte – mit eigenem Kapital stockte sie das ARD-Budget auf, dafür durfte sie Weissensee vorher auf DVD veröffentlichen. Durchaus üblich bei US-Produktionen. Hierzulande wäre zu wünschen, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen den Wert solcher Serien wirklich erkennt und künftig noch etwas mehr Mut aufbringt. Produzenten und Publikum wären längst bereit.


    Weitere Infos:
    Weissensee im TV: Start am Dienstag, 17.9., dann immer dienstags um 20:15 Uhr im Ersten.