Ein riesiges Diptychon, insgesamt stattliche fünf mal zwei Meter groß, das eigentlich nur aus einer uneinheitlichen, graublauen Farbfläche besteht. Doch schemenhaft deuten sich dunkle und helle geometrische Spuren an, es könnten Zitate der abstrakten Moderne, eines Lissitzky oder Malewitsch sein, oder auch Gebäudeformationen, wie man sie von verwackelten Luftaufnahmen aus dem Krieg kennt. Das bemerkenswerte Gemälde stammt vom Ende der siebziger Jahre und hat wenig gemein mit dem Klischee, das man landläufig, vor allem in Westdeutschland, immer noch mit Kunst aus der DDR verbindet. Sein Urheber, der Berliner Maler Hans Brosch, Jahrgang 1943, entspricht mit seinem Lebenslauf selbst am wenigsten diesem Klischee. In seiner Frühzeit probierte er alle möglichen modernen Stile durch und fand so zu einem ganz eigenen, unverwechselbaren Malstil. Er studierte an keiner Kunstakademie, sondern Theatermalerei bei Karl von Appen, einem überzeugten Kommunisten. Der frühe Gerhard Richter hatte bei ihm in Dresden gelernt. Später in Berlin sammelten sich so manche unangepassten Künstler wie Brosch in von Appens Dunstkreis. Solange er noch in der DDR lebte, fand er wachsende Beachtung bei westdeutschen Kuratoren, galt damals fast als Sensation. Das änderte sich, als er Ende der siebziger Jahre nach West-Berlin ging. Nun galt er plötzlich als verspäteter Informeller und versank nach und nach in Vergessenheit. Gerade in Westdeutschland ist das Interesse für ostdeutsche Kunst vor 1989 geradezu dramatisch gering, vom Kunstmarkt ganz zu schweigen. Die DDR ist Geschichte, und die Kunst in der DDR wird mit der DDR gleichgesetzt.
An Biografien wie der des Malers Hans Brosch aber kann man erkennen, wie sehr die Idiosynkrasien des Kalten Krieges im Westen noch nachwirken. Eine unbefangene Rezeption dieser Kunst erscheint kaum möglich. Noch immer hört man, auch bei der Pressekonferenz zu dieser Ausstellung, die Künstler der DDR, gerade auch die unangepassten, hätten eigentlich nur Vorbilder aus dem Westen verarbeitet. Oder ihnen wird noch immer ein spezifischer DDR-Stil angedichtet, der eben nur für die DDR Gültigkeit hatte und keinesfalls darüber hinaus interessant sein kann.
Ausstellung ist keine Sammlung von kulturhistorischen Asservaten
Das dürfte der Hauptgrund sein, weshalb Kurator Christoph Tannert sarkastisch betont, diese Ausstellung im Martin-Gropius-Bau sei übrigens eine Kunstausstellung – keine Sammlung von kulturhistorischen Asservaten. Gemeinsam mit Eugen Blume, dem scheidenden Chefkurator im Museum Hamburger Bahnhof, stemmt er sich mit Macht gegen die abschließende Bewertungen der Kunst in der DDR. Viele der gezeigten Werke, so meinen beide, hätten ebenso in der Gegenwart entstehen können. Darüber kann man vielleicht streiten, aber das Ansinnen ist dennoch folgerichtig Bewusst verzichten Tannert und Blume bei ihrer Hängung auf eine Ordnung nach Chronologie, nach Genrebegriffen, nach Schulen. Fotografie hängt neben abstrakter, gestischer und figürlicher Malerei, installative und skulpturale Arbeiten stehen dicht beieinander. Hier soll keiner voreiligen Kanonisierung Vorschub geleistet werden. Zwar gibt es auch hier Werke bekannter Künstlerinnen und Künstler, von A.R. Penck, Ute Mahler, Via Lewandowski oder Cornelia Schleime, die schon zu DDR-Zeiten auch westliche Sammler fanden. Die drei unbestritten Größten unter den unabhängigen Künstlern in der DDR fehlen indes: Carlfriedrich Claus, Gerhard Altenbourg und Hermann Glöckner. Auch das hat Methode. Gegenstimmen sind die hier gezeigten nicht nur in Bezug auf die DDR-Kunst, sondern auch in Bezug auf das, was sich bereits etabliert hat.
Wenn Eugen Blume, Jahrgang 1951, mit zitternder Stimme vom Jahr 1976 berichtet, in dem Wolf Biermann aus der DDR ausgewiesen wurde, spürt man, dass das Kapitel DDR historisch nicht einfach abgeschlossen sein kann. Blume nennt Biermanns Ausweisung einen faschistischen Akt der Vertreibung von Oppositionellen, der Zerstörung von Hoffnungen auf einen demokratischen Sozialismus in der DDR und damit deren Anfang vom Ende. Wer aber sind diese "Gegenstimmen", was eint sie? Es gibt keine einheitliche Linie, keine klare politische Botschaft, kein prinzipielles Anti. Die Punk-Szene vom Prenzlauer Berg in den achtziger Jahren, die Fotoschule Ostkreuz mit Arno Fischer und Sybille Bergemann, die Einzelgänger und Seitenwechsler – man spürt, die die Vielfalt dieser Biografien und Werke ist angetan, Weltbilder ins Wanken zu bringen. Bis heute.