Berlin-Mitte, ein Nachmittag im privaten DDR-Museum. Die Schlange vor dem Eingang ist lang, Sprachfetzen in Englisch, Spanisch, Französisch, Deutsch schwirren durch die Luft. Das Haus wirbt damit, einen interaktiven Eindruck vom untergegangenen zweiten deutschen Staat zu vermitteln.
Stefan Wolle, Historiker und wissenschaftlicher Leiter zeigt, was mit interaktiv gemeint ist: "Also einer unserer Gegenstände ist die Nationalhymne der DDR. Da spielt der Bezug auf das wiedervereinigte Deutschland eine riesengroße Rolle."
Denn "Auferstanden auf Ruinen" durfte zwar gespielt, der Text aber nicht mehr gesungen werden. Es sieht ein bisschen aus wie beim Karaoke. Die Nationalhymne ertönt, auf dem Bildschirm ist der Text zu lesen. Die Besucher sollen jetzt die Begriffe finden, die damals als politisch anstößig galten - und dann einen großen roten Knopf drücken. So wie es Stefan Wolle bei den Worten "Deutschland einig Vaterland" gerade tut:
"Die Begriffe, die inkriminiert wurden, wie Deutschland. Da muss man drücken. Da muss man halt auch schnell sein."
Vielen Jüngeren fehlt der Bezug zum geteilten Deutschland
Ist das Klamauk? Oder zeitgemäße Museums-Pädagogik, die auch junge Menschen anspricht? Wolle sieht das Haus einem ständigen Modernisierungsdruck ausgesetzt. 25 Jahre nach der deutschen Einheit hätten viele Junge keinen Bezug zum geteilten Deutschland mehr.
Deshalb müssten die damaligen Themen über heutige Fragen behandelt werden: Jeder weiß um den Ausspähskandal des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA - das müsse man zum Beispiel nehmen und erklären, wie es für Menschen in der DDR war, von der Stasi überwacht zu werden.
Wie sammelt, wie kuratiert man eigentlich einen untergegangenen Staat? Stefan Wolle sieht große Unterschiede zu klassischen Themenfeldern der Geschichte, wie der Antike oder der Renaissance: "Denn wir haben ja fast ausschließlich Objekte hier, die an und für sich einen irgendwie gearteten künstlerischen Wert repräsentieren."
Nach der Wende habe es eine große Euphorie des Wegwerfens gegeben, sagt Wolle. Alles, was an das alte Leben erinnert hat, sollte raus. Davon hätten die Sammler der ersten Stunde, und später auch sein Museum profitiert, weil viele DDR-Alltagsgegenstände erhältlich waren.
Mit der Wende wurde alles schlagartig historisch
Ja, die DDR ist ein Sammlungsgebiet mit vielen Besonderheiten. Das findet auch Kerstin Langwagen, sie hat ihre Doktorarbeit über DDR-Museen geschrieben und arbeitet im staatlichen Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig:
"Das Interessante am Sammeln von DDR-Alltagsgeschichte ist, dass es nicht, wie es sonst üblich ist, in einem Museum, dass man eine lange Latenzphase hat. Eine Phase, sozusagen von dem Moment, wo ein Teil entwertet worden ist: es war noch in Benutzung und dann war es nicht mehr in Benutzung. Und dann viele, viele Jahre später wird es erkannt, als ein Erinnerungsgegenstand. Und diese Phase fehlte während der Transformationszeit völlig."
Kurz gesagt, fast alles, was die Menschen umgeben hatte, wurde mit der Wende schlagartig historisch: Autos, Möbel, Unterhaltungselektronik. Es landete auf dem Sperrmüll oder halt im Museum.
Mike Lukasch, ebenfalls vom Haus der Geschichte glaubt, dass es noch viele unbearbeitete Themen gibt:
"Wozu es wissenschaftlich sehr wenig gibt, das ist die Zeit nach 1990. Ich hatte das Beispiel Treuhand schon erwähnt. Der wahnsinnige Prozess der Wiedervereinigung, der in so vielen Bereichen so durchdringend und so schlagkräftig sein musste: von der Postleitzahl, über das Rentensystem, zum Gesundheitssystem."
Museen helfen, den Wandel zu verstehen
DDR-Museen können laut Lukasch beim Verstehen des rasanten Wandels helfen. Wiedererkennen, erinnern, erzählen: es ist das Verhaltensmuster, das bei vielen Besuchern im DDR-Museum in Radebeul bei Dresden zu beobachten sind.
"Das sind so alte Erinnerungen. Ich hab grad festgestellt, dass es eigentlich mehrere Abzeichen und Aufkleber gab, die ich selber hatte, wie Gruppenratsvorsitzender, an der FDF Bluse. Das kam aber jetzt erst wieder hoch. Komplett vergessen. Wie eine Reise in die Vergangenheit, eigentlich."
Der 42-Jährige Maik Seldmann steht leise kichernd vor einer Vitrine. Er kommt aus einer Kleinstadt im Erzgebirge, ist zum ersten Mal in einem DDR-Museum. Es ist eine Entdeckungsreise in seine eigene Vergangenheit.
Was auf lange Sicht übrig bleiben wird von der DDR? Nicht viel, glaubt Seldmann: "Es ist eine Episode, eine Sackgasse. Ein Seitenzweig der Geschichte gewesen. Aber es geht halt weiter."
Rund 30 DDR-Museen gibt es in Deutschland - das Gros im Osten, was weniger überrascht. Der Begriff ist nicht geschützt und so ist die Spannweite breit. Es gibt kleine private Sammlungen, die mehr verklären als einordnen. Es gibt die größeren Museen in privater Hand wie in Berlin, Radebeul oder Pirna und die großen staatlichen Einrichtungen wie vom Haus der Geschichte in Bonn, Berlin und Leipzig sowie Einrichtungen der Bundesländer. Hinzu kommen die Gedenkstätten wie die ehemaligen Stasi-Gefängnisse in Hohenschönhausen oder Bautzen.
Sie sind wichtige Erinnerungsorte, sagt Kerstin Langwagen: "Im Prinzip sind die DDR-Museen wie therapeutische Einrichtungen für eine Trauerarbeit zu sehen. Museen halten bestimmte Erinnerungen fest. Wenn man Erinnerungen vergewissern will, dann kann man das anhand von Objekten."
Denn es gibt ein Verlustgefühl, das die Menschen in die Museen treibt: "Weil etwas verschwunden ist, von dem man weiß, es kommt nie wieder."