Es muss an dieser Stelle nochmal betont werden: Der Alltag in der DDR war repressiv-autoritär. Und das begann bereits in der Schule. Nicht freiheitliches Denken, sondern Unterordnung wurde gelehrt. Die Lehrer und Lehrerinnen gaben vor, wie die Welt aussieht. Das musste dann widerspruchlos übernommen, die propagierte Weltanschauung, die Herrschaftsinteressen des SED-Regimes mussten auswendig gelernt werden. Das wurde verinnerlicht.
Verbaute Karrierewege, gebrochene Menschen
Wer statt zum Pioniernachmittag zur Christenlehre ging und nicht die Eltern als Pastoren im Hintergrund hatte; wer lieber zur Bluesmesse statt zum FDJ-Treffen ging – dem konnten Steine in den Weg gelegt werden. Mit dem Ergebnis, dass man beispielsweise kein Abitur oder nicht die gewünschte Ausbildung machen durfte.
Dinge, die – bis heute – bei Betroffenen nachwirken, die durch verbaute Karrierewege nie richtig Fuß fassen konnten im wiedervereinigten Deutschland. Wer sich überhaupt nicht anpassen wollte, sollte gebrochen werden. Und landete in DDR-Umerziehungslagern, den „Jugendwerkhöfen“.
Doch bis heute gibt es in der ostdeutschen Gesellschaft kaum eine ehrliche Rede darüber. Nur wenige fragen: Warum habt ihr da mitgemacht? Es wird geschwiegen – bis heute. Wer in Familien kritisch nachfragt, die Rolle der Eltern und Großeltern hinterfragt, erfährt Sprech- und Frageverbote. Und das hält schon lange an.
Fragen an die Eltern: Warum habt ihr mitgemacht?
Denn: Warum wurde damals geschwiegen, als plötzlich die Arbeitskollegin nicht mehr erschien, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte? Warum wurde sich nicht solidarisch für den Nachbarn eingesetzt, wenn der Sohn von der Uni geworfen wurde, weil er die falschen Fragen gestellt hatte?
33 Jahre nach der Wiedervereinigung braucht es kritische Fragen: Warum habt ihr mitgemacht? Warum habt ihr nicht protestiert? Warum habt ihr euch das alles gefallen lassen?
Es braucht das schmerzhafte Generationengespräch, ein ostdeutsches Jahr 68. Gefragt sind da insbesondere die heute 40- bis 50-Jährigen. Sie müssen rauskommen aus ihrer Verweigerungs- und Schweigehaltung, rauskommen aus der Angst vor der Auseinandersetzung mit der Eltern- und Großelterngeneration.
Und es ist schon einigermaßen verwunderlich, dass unter Ostdeutschen Bücher Konjunktur haben, die die DDR verklären. Wie eine Decke, unter der man behaglich kuscheln kann. Und das ist bizarr – gerade vor dem Hintergrund, dass nach einer aktuellen Studie sich zwei Drittel der Ostdeutschen nach autoritären Strukturen wie in der DDR sehnen, mit der Demokratie fremdeln, sich eine „völkische Gemeinschaft“ wünschen.
Die Fragen aber, warum das gerade unter Ostdeutschen so tief verwurzelt ist, warum die autoritär gepolte Männerpartei AfD so attraktiv ist – werden nicht gestellt. Doch genau das muss jetzt passieren.
Schonungslose Aufarbeitung notwendig
Klar, es gibt jene, die sagen: Wir haben uns arrangiert, ein gutes Leben geführt. Doch was ist mit der in der DDR fehlenden Demonstrations-, Meinungs- und Pressefreiheit? Argumente, die nicht erwähnt, ja, verdrängt werden, wenn es um das Leben im SED-Regime geht.
Es geht um eine schonungslose Aufarbeitung über das Leben in der DDR. Es geht um eine fundamentale Kritik des Alltags in einer Diktatur – und zwar von unten. Es gibt Aufarbeitungsinstitutionen, Gedenkstätten – gut und schön.
Um zu verstehen, wie das repressive staatliche SED-Regime bis heute nachwirkt, muss das Schweigen über das alltägliche Leben in der DDR gebrochen werden. Und das können die Ostdeutschen nur selbst tun. Spätestens jetzt: 33 Jahre nach der Wiedervereinigung.