Debatte
Darum geht es beim Streit um Achille Mbembe

Der kamerunische Historiker Achille Mbembe steht im Zentrum einer aufgeregten Debatte. Sie dreht sich um die gegen ihn gerichteten Vorwürfe des Antisemitismus und der Relativierung des Holocaust. Außerdem soll Mbembe das Existenzrecht des Staates Israel infrage stellen. Wer erhebt diese Vorwürfe, aus welchen Gründen? Ein Überblick.

    Achille Mbembe spricht am 25.05.2017 in Hamburg im Thalia Theater.
    Der afrikanische Historiker, politische Philosoph und Postkolonialismus-Theoretiker Achille Mbembe (Picture Alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    Der Historiker und politische Philosoph Achille Mbembe wurde 1957 in Kamerun geboren, zurzeit lehrt er an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg. Mbembe* gilt als einer der weltweit wichtigsten Theoretiker des Postkolonialismus. Im August hätte er als Redner das inzwischen wegen der Coronakrise abgesagte Kunstfestival Ruhrtriennale eröffnen sollen. Gegen diese Einladung hatte unter anderem der Antisemitimus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, protestiert. Er warf Mbembe gegenüber verschiedenen Medien eine Relativierung des Holocaust vor.
    Schwere Vorwürfe und Streit um einige Textpassagen
    Einer der Kritiker von Achille Mbembe ist der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein, mit dem wir deswegen ausführlich gesprochen haben.
    Außerdem habe Mbembe in seinen wissenschaftlichen Schriften die Politik Israels gegenüber den Palästinensern mit dem Apartheidsystem in Südafrika gleichgesetzt. Dies entspreche "einem bekannten antisemitischen Muster", so Klein. Andere Kritiker warfen dem Wissenschaftler vor, zum Beispiel durch das Unterzeichnen einer Petition die vom Deutschen Bundestag als antisemitisch eingestufte BDS-Bewegung zu unterstützen. BDS steht für "Boycott, Divestment and Sanctions", zu Deutsch "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen".

    Warum wird Mbembe die Relativierung des Holocaust vorgeworfen?

    Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung Felix Klein bezieht sich in seinem Vorwurf vor allem auf Mbembes Buch "Politik der Feindschaft". Mbembe äußere sich, so Klein im Deutschlandfunk Kultur, "zumindest missverständlich, wenn er das Apartheidssystem in Südafrika und die Zerstörung von Juden in Europa unmittelbar hintereinander erwähnt und auf die ideologischen Hintergründe hinweist, dass beides 'emblematische Manifestationen einer Trennungsfantasie' seien". Die Textstelle, auf die sich Felix Klein bezieht, lautet in der deutschen Übersetzung des Mbembe-Buchs "Politik der Feindschaft" folgendermaßen: "Das Apartheidregime in Südafrika und - in einer ganz anderen Größenordnung und in einem anderen Kontext - die Vernichtung der europäischen Juden sind zwei emblematische Manifestationen dieses Trennungswahns."
    Vergleichen ist nicht gleichsetzen
    Der politische Philosoph Achille Mbembe ist in die Schlagzeilen geraten: Er verharmlose den Holocaust, werfen Kritiker Mbembe vor. René Aguigah hält dagegen: Die Vorwürfe basierten auf einem verfälschenden Umgang mit Zitaten, an ihnen sei nichts dran.
    Achille Mbembe weist den Vorwurf, er relativiere den Holocaust, in einem E-Mail-Interview mit Deutschlandfunk Kultur zurück. Unter anderem sagt er dort: "Ich kenne keinen zurechnungsfähigen Menschen, der das Vorhaben der Vernichtung der Juden, das in Deutschland ins Werk gesetzt wurde, nicht als etwas so Einzigartiges und Bestürzendes begreift, dass es nicht nur die Deutschen, sondern die Menschheit als Ganze einschließt."
    "Diese Unterstellung trifft mich in meiner Seele"
    Im Interview verwahrt sich Achille Mbembe gegen die ihn erhobenen Vorwürfe. Und fragt: Was bedeutet es für Deutschland, wenn Stimmen aus den ehemaligen Kolonien so leichtfertig verdächtigt werden?

    Warum wird Mbembe Antisemitismus vorgeworfen?

    Mbembe kritisiert offen die Politik Israels - aber ist diese Kritik auch antisemitisch? Der Antisemitimus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, beruft sich bei der Bestimmung von Antisemitismus in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur auf die Definition der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken. Diese lege fest, so Klein, "Kritik am Handeln des Staats Israel sei dann antisemitisch, wenn Israel delegitimiert, wenn es dämonisiert wird oder wenn doppelte Standards angelegt werden in der Beurteilung des israelischen Regierungshandelns im Vergleich zum Handeln anderer Länder". Wenn er diese Kriterien an Texte von Mbembe anlege, komme er zu dem Ergebnis: "Hier geht vieles durcheinander, und hier müssen wir doch mal ganz klare Linien einziehen, um zu sehen, was ist zulässig und wo sind Aussagen problematisch."
    Klein wirft Mbembe vor, den Staat Israel in seinen Schriften mehrfach als "Projekt" zu bezeichnen. Israel sei jedoch ein "völkerrechtlich anerkannter Staat, der auch viele Kriege hat durchstehen müssen, die, wenn sie verloren gegangen wären, das Land in seiner Existenz bedroht hätten. Da muss man also besonders vorsichtig formulieren."
    Gegenüber Deutschlandfunk Kultur hat Achille Mbembe zu den Vorwürfen unter anderem dargelegt: "Die schärfsten Kritiker der israelischen Regierung sind selbst Israelis. Wenn jede Kritik der israelischen Regierung gleichbedeutend mit einer Äußerung von Antisemitismus wäre, dann wäre fast ein Drittel der israelischen Bürger, obwohl selbst Juden, antisemitisch."

    Welches Verhältnis haben Mbembe und die BDS-Kampagne?

    Am 23. März 2020 richtete Lorenz Deutsch, kulturpolitischer Sprecher der FDP im Landtag von Nordrhein-Westfalen, einen Offenen Brief an die Intendantin der Ruhrtriennale, Stefanie Carp. Sie möge die Festival-Einladung an den Philosophen Achille Mbembe überdenken. Denn dieser unterstütze die Kampagne BDS (Boycott, Divestment and Sanctions), die der Bundestag als antisemitisch einstuft. Unter anderem daraus hat Deutsch abgeleitet, Mbembe bestreite das Existenzrecht Israels.
    Auf die Frage, wie er seine Beziehung zu BDS charakterisieren würde, sagte Achille Mbembe im E-Mail-Interview mit Dlf Kultur: "Die Wahrheit ist, dass ich keinerlei Beziehung mit BDS habe." Mbembe wird auch vorgeworfen, er habe vor zehn Jahren zu den Unterstützern einer BDS- oder BDS-nahen Petition gehört. Dazu sagte Mbembe: "Diese Petition ist nicht von BDS entworfen worden, sondern von einer großen Gruppe angesehener südafrikanischer Wissenschaftler*innen, aufmerksam gegenüber ihrer eigenen Geschichte von Rassenunterdrückung und -kampf, aber auch dem Projekt von Wahrheit, Vergebung und Versöhnung verpflichtet."
    *Wir haben die zuvor falsche Schreibweise des Namens an einigen Stellen korrigiert
    Zwei Männer sprechen mit verworrenem Pfeilzeichen zwischen ihnen.
    Streitgespräch - Alan Posner vs. Stefan Detjen
    In Deutschland wird über das Verhältnis des afrikanischen Philosophen Achille Mbembe zu Israel gestritten. Deutschlandradio-Korrespondent Stephan Detjen kommentierte und rief Empörung bei "Welt"-Autor Alan Posener hervor. In diesem Gespräch tauschen die beiden ihre Argumente.