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Debatte über Alltagsrassismus
"Sprache ist eine enorm relevante Macht"

Der Theaterregisseur Ersan Mondtag begrüßt, dass durch #MeTwo die Diskussion über Alltagsrassismus erneut angestoßen wurde. Es sei Zeit, dass das Thema zur Sprache komme, sagte er im Dlf. Er warnte aber auch davor, die Diskussion mit der Flüchtlingsfrage zu vermischen.

Ersan Mondtag im Gespräch mit Karin Fischer |
    Der Regisseur Ersan Mondtag
    Der Theaterregisseur Ersan Mondtag (dpa/ picture alliance/ Sören Stache)
    Karin Fischer: Nach der MeToo-Debatte gibt es ja eine MeTwo-Debatte, mit Two wie Zwei geschrieben. Ein kurzer Film auf Twitter mit entsprechendem Hashtag des deutsch-türkischen Aktivisten Ali Can hat Zigtausende dazu animiert, über Rassismuserfahrungen im Alltag zu berichten – weil viele Deutsche mehr sind als das, weil sie zwei Identitäten haben, die sich nicht ausschließen müssen. Vor der Sendung habe ich mit dem Theaterregisseur Ersan Mondtag gesprochen, 1987 in Berlin als Ersan Aygün geboren, und ihn zuerst gefragt: Ist das Thema Alltagsrassismus ein unterbelichtetes Kapitel in Deutschland, das jetzt zur Sprache kommt?
    Ersan Mondtag: Ja, ziemlich groß sogar. Und es wird auch Zeit, dass es zur Sprache kommt, weil Alltagsrassismus, das steckt ja auch schon im Begriff, ist etwas, womit wir leben, was wir internalisiert haben, was wir auch ein Stück weit in unseren Alltag integriert haben, also was wir auch nicht weiter selbst groß wahrnehmen. Aber jetzt durch diesen Hashtag bekommt man selbst mit, was einem überhaupt passiert ist oder wie groß oder wie schwer das eigentlich wiegt. Und dass das jetzt zutage kommt, ist eigentlich ein guter Vorgang.
    "Man ist etwas Exotisches, man ist eine Außenperspektive"
    Fischer: Sie sind in den vergangenen Jahren bekannt geworden mindestens in der Theaterszene, wurden als Nachwuchsregisseur ausgezeichnet, auch als Bühnen- und Kostümbildner des Jahres, und Sie inszenieren in großen Städten – in Hamburg, München, Berlin, Frankfurt. Was für Erfahrungen mit Alltagsrassismus haben Sie gemacht?
    Mondtag: Das sind manchmal so ganz kleine Dinge wie, man geht in den Urlaub, und dann heißt es, oh, besuchen Sie die Heimat. Manchmal ist es auch schwerwiegender wie, man kommt zur Schule, in der Grundschule – meine Eltern, wir sind türkischer Abstammung, wir essen Weißbrot, das macht man so bei uns –, und dann sagt die Lehrerin: Ja, Weißbrot macht dumm, wenn man kein Vollkornbrot isst. Dann sitzt man da als kleines Kind und denkt, ja wir sind blöd, wir sind dumm. Und dann sagt man das der Mutter, und die ist völlig verstört. Manchmal ist es auch ganz direkt: Ist ja ganz toll, dass Sie ganz gut Deutsch sprechen. Dann denke ich, ja natürlich spreche ich ganz gut Deutsch, ich komm ja aus Deutschland. Also es ist eigentlich immer dieses Subtile: Man gehört nicht dazu, man ist etwas Exotisches, man ist eine Außenperspektive, man ist fremd, und man kriegt eine Anerkennung dafür, etwas zu tun, was die anderen selbstverständlich tun.
    Fischer: Mesut Özil war der Auslöser für die Aktion, aber das Grundrauschen für die entsprechende Stimmung in Deutschland gerade eben ist ja die Flüchtlings- und Integrationsdebatte seit 2015. Ferda Ataman hat in einer Diskussion in der vergangenen Woche im Deutschlandfunk darüber gesprochen, dass sich gerade viele jüngere Menschen, auch die, die schon in dritter Generation in Deutschland leben, von dieser Debatte mitgemeint fühlen, einfach weil jetzt wieder so viel diskutiert darüber wird, wer bleiben darf und wer nicht.
    Mondtag: Ja, das ist völlig absurd. Da werden komplett verschiedene Dinge miteinander vermischt, und dann gibt es wieder den großen Fremden, das ist dann der Flüchtling, das sind dann die Türken, und irgendwann sind es dann auch wieder die Juden, dann sind es die Muslime. Also es wird ein Riesenbrei gekocht, und genau, man ist permanent auch gemeint in der sogenannten Flüchtlingsdebatte, was völlig skurril und absurd ist, weil das sind komplett verschiedene Themen.
    "Durch die Möglichmachung von sprachlicher Gewalt entsteht dann reale Gewalt"
    Fischer: Hat die Flüchtlingsdiskussion in Ihren Augen verbale oder andere Grenzen auch schon verschoben, leben wir in einem anderen Deutschland als vor 2015?
    Mondtag: Unglaublich, das geht relativ schnell. Ich glaube, vor drei Monaten hatten wir noch ein anderes Deutschland beziehungsweise vor einem Monat noch, noch bevor Söder "Asyltourismus" gesagt hat, noch bevor Horst Seehofer sich über 69 Flüchtlinge lustig gemacht hat, die abgeschoben wurden, auch da war das Deutschland noch ein anderes. Das geht relativ schnell, und da ist die Sprache eine enorm relevante Macht in der ganzen Verschiebung nach rechts, weil durch die Sprache, also durch die Anwendung von Begriffen, durch die Möglichmachung von sprachlicher Gewalt entsteht dann reale Gewalt.
    Fischer: Jetzt beginnt ja aber auch schon so eine Art Metadiskussion darüber, wer eigentlich bestimmen darf, was in Deutschland rassistisch ist.
    Mondtag: Ja, das ist natürlich sehr skurril. Ich hatte gestern Nacht auch eine Unterhaltung mit einer guten Freundin darüber. Man berichtet über eine Verletzung – wenn ich sage, ich wurde gerade geschlagen, und dann sagt eine Person, das stimmt doch gar nicht, dass du geschlagen wurdest, das ist doch keine Gewalt. Dass wir ernsthaft in der Situation sind, dass durch bestimmte Gruppierungen, auch durch bestimmte Medienkanäle infrage gestellt wird, dass es überhaupt stattfindet und dass es gar kein Rassismus ist, also gar keine Gewalt ist, ist ein völlig skurriler Vorgang. Es geht wieder darum, dass Personen sich in den Diskurs drängen und sagen, es geht um uns, weil wir werden attackiert, uns wird etwas unterstellt, was wir getan haben sollen, was nicht stimmt. Und wir sagen ganz klar, wir Betroffenen sagen ganz klar, aber es geht doch gerade um uns! Also ich hab seit 30 Jahren mit Alltagsrassismus zu kämpfen, ich rede jetzt darüber, und das Einzige, was ich erwarte, ist, dass du mir einfach mal zuhörst, was passiert ist, und nicht reflexartig sagst, ja, das kann man nicht als Rassismus betiteln, das ist eine Überhöhung, oder wie Christian Lindner gesagt hat, wir lassen uns nicht sagen, dass wir rassistisch sind. Ja, aber vielleicht muss man sich das einfach mal sagen lassen, um etwas zu überwinden, was einfach viel zu lange herrscht in diesem Land.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.