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Debatte über Einwanderungsgesetz
"Wir schieben hier teilweise die falschen Leute ab"

Mit dem Migrationskonzept von Bundesinnenminister Seehofer lasse sich "ein gutes Gesetz" machen, sagte SPD-Politiker Lars Castellucci im Dlf. Die Bedenken der Union, falsche Anreize zu setzen, ließen sich ausräumen: mit einer Konzentration auf die Menschen, die bereits hier seien - und einer Stichtagsregelung.

Lars Castellucci im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Abgeordneter Lars Castellucci (SPD) spricht im Deutschen Bundestag.
    Gerade weil wir uns an Recht und Gesetzt hielten, brauchten wir ein Einwanderungsgesetz, sagte SPD-Innenexperte Lars Castellucci im Dlf (dpa/Wolfgang Kumm)
    Sarah Zerback: Wer darf nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten oder sich ausbilden zu lassen. Bisher gibt es dazu eine ganze Menge Regeln, ein Einwanderungsgesetz aber, wie es andere Länder längst haben, nicht. Das hat vor allen Dingen die Union in den vergangenen Jahren zu verhindern gewusst. In den Koalitionsvertrag hat es der Plan allerdings geschafft, um Migration in den Arbeitsmarkt gezielter zu steuern, und damit auch, aber nicht nur Fachkräfte anzulocken, die in Deutschland ja ganz dringend gebraucht werden. Gestern Nachmittag nun hat der Bundesinnenminister dazu erste Eckpunkte vorgelegt, und für die gibt es jetzt, wie könnte es anders sein, Lob und Kritik und auch noch einigen Klärungsbedarf.
    Am Telefon mitgehört hat der SPD-Innenexperte Lars Castellucci, Mitglied im Innenausschuss des Bundestags. Guten Tag, Herr Castellucci!
    Lars Castellucci: Hallo, Frau Zerback.
    "Es ist ja ganz wichtig, dass wir Zuwanderung besser steuern"
    Zerback: Jetzt hat Horst Seehofer sein Eckpunktepapier vorgelegt. Ist das endlich mal die Gelegenheit, ihn zu loben?
    Castellucci: Hubertus Heil, der Arbeitsminister, und auch der Wirtschaftsminister, Herr Altmeyer, haben da ja nun auch mitgeholfen. Aber jetzt ist es wirklich an der Zeit, zu sagen, das ist nun mal eine Vorlage, die auch auf der Basis des Koalitionsvertrags steht. Auf die haben wir lange gewartet. Es ist uns wichtig, dass das jetzt kommt. Jetzt ist etwas Gutes vorgelegt worden, was wir in den weiteren Verhandlungen sicherlich auch noch weiter verbessern können.
    Zerback: Dass es spät kommt, erwähnen Sie sogar schon selbst. Wie haben Sie denn nun die Union tatsächlich überzeugt, dass Deutschland doch ein Einwanderungsland ist?
    Castellucci: Sie erinnern sich ja auch, wie sicherlich auch viele, die jetzt zuhören, an den erbitterten Streit zwischen CDU und CSU, der nur sehr mühsam geglättet werden konnte, und von dem wir ja auch nicht wissen, ob er jetzt nur aufgrund von Landtagswahl wieder zurückgestellt ist. Und wir haben es damals bei der Einigung über die Frage, was an den deutschen Grenzen passieren soll, einfach auch zum Junktim gemacht und gesagt, wenn wir uns jetzt hier einigen, dann werden wir das nur machen, wenn auch eine unserer Hauptforderungen erfüllt wird. Es ist ja einfach ganz wichtig, dass wir Zuwanderung besser steuern und ordnen. Das erwarten die Menschen, und dafür brauchen wir dieses Zuwanderungsgesetz. Das haben wir damals mit durchgesetzt und uns nun auch dafür eingesetzt, dass es in diesem Jahr auch noch verabschiedet werden kann.
    "Gelegenheit, ein gutes Gesetz daraus zu machen"
    Zerback: Wo Sie den Koalitionskrach jetzt erwähnen, heißt das also, das ist jetzt nur ein Kompromiss, damit es nicht zu neuen Streitigkeiten kommt?
    Castellucci: Das ist mir offen gestanden – Politik ist immer Kompromiss – es ist mir egal in dem Fall, was jetzt die Triebfedern auf welcher Seite auch sind, die dann nun dazu führen, dass das in Bewegung gekommen ist. Fakt ist, es liegt vor, wir als Parlamentarier haben nun die Gelegenheit, das zu diskutieren und in den Beratungen dann ein gutes Gesetz daraus zu machen.
    Zerback: Nun hat ja Thomas Oppermann aus Ihrer Partei bereits im November 2016 einen Entwurf für ein solches Gesetz vorgelegt. Aber da muss man doch jetzt ganz ehrlich sagen, davon ist jetzt nicht viel übrig geblieben. Warum haben Sie sich da nicht stärker durchgesetzt als SPD?
    Castellucci: Das sehe ich nicht so. Wir haben ja grundsätzlich erst mal die Frage, wollen wir überhaupt Zuwanderung von außen ermöglichen. Und da muss man sagen, es gibt auch im eigenen Land natürlich noch eine Menge Potenzial, auch Arbeitsplätze zu besetzen. Ich denke da auch beispielsweise an die Frauen, die – hauptsächlich sind es Frauen –, die in Teilzeit festhängen, oder wenn insbesondere Alleinerziehende nicht die ausreichenden Zeiten bei der Kinderbetreuung vorfinden vor Ort und deswegen im Beruf zurückstecken müssen. Es gibt Leute, die aus welchen Gründen auch immer gehindert sind, am ersten Arbeitsmarkt volle Leistung zu bringen. Und all denen wollen wir ja helfen auch, dass sie sich einbringen können und zu unserem Wohlstand beitragen können. Aber eben zusätzlich braucht es, das kriege ich jeden Tag mitgeteilt und erfahre das bei jedem Besuch in Firmen oder auch in Pflegeeinrichtungen, dass es eben weitere Arbeitskräfte braucht, auch eben Arbeitskräfte, die nicht jetzt erst ausgebildet werden können und irgendwann zur Verfügung stehen, sondern dass es jetzt dringlich ist. Und das ist ja nun der Kernpunkt. Und Sie sprechen jetzt Details an, wie das umgesetzt wird und sehen zum Beispiel wahrscheinlich, dass das Punktesystem jetzt in diesem Eckpunktepapier nicht namentlich erwähnt ist. Darüber werden wir weiter zu reden haben. Aber wichtig ist der Grundsatz, dass wir jetzt eine Einwanderung nach Deutschland gut steuern und regeln können.
    Zerback: Was Sie ein Detail nennen, finden andere natürlich wiederum wichtig, dass das eben auch ein transparentes System gibt, eben das Punktesystem, wie Sie es ansprechen. Aber zu Recht weisen Sie ja darauf hin, dass das ein Entwurf ist und noch darüber sich zu reiben ist sozusagen. Der Spurwechsel aber, über den jetzt auch seit Tagen ja wieder verschärft diskutiert wird, nachdem der aus der CDU von Daniel Günter angesprochen wurde in der Debatte, also Chance für abgelehnte, aber gut integrierte Asylbewerber, sich um reguläre Einwanderung zu bewerben, der hat es jetzt ja nicht ins Eckpunktepapier geschafft. Warum nicht? Das war Ihnen doch als SPD ganz wichtig.
    Castellucci: Absolut. Seit drei Jahren werbe ich für dieses Modell, mit großem Nachdruck auch unterstützt aus der Wirtschaft, aber auch von den Kollegen, die nicht einsehen, warum jemand, der endlich eine freie Arbeitsstelle besetzt hat oder Ausbildungsstelle, da verlässlich mitarbeitet, warum diese Person dann hier nicht eine Chance erhalten kann.
    "Es ist der totale Irrsinn, der hier tobt"
    Zerback: Ist das ein Punkt, auf den Sie noch weiter dringen wollen?
    Castellucci: Unbedingt. Es ist der totale Irrsinn, der hier tobt, wenn Menschen hier mitarbeiten, Ausbildungs- und Arbeitsplätze, die lange unbesetzt waren in den Firmen, und die auch gar nicht anders besetzt werden können, dann wieder frei sein. Wir schieben hier teilweise die falschen Leute ab, muss man so etwas überspitzt sagen. Natürlich, wir halten uns an Recht und Gesetz, aber dafür wollen wir es ja gerade ändern. Und ich finde, die Union hat ja da einen Punkt, über den man tatsächlich sprechen kann, nämlich die Frage, würde denn so ein sogenannter Statuswechsel dazu führen, dass ein falscher Anreiz gesetzt wird, nach dem Motto, dann kommen alle übers Asylrecht und wissen, na ja, wenn das nicht gelingt, dann kann ich ja hier – und wenn ich mich dann aber anstrenge und so weiter, dann kann ich ja hier weiterhin bleiben, indem ich eine Arbeit aufnehme. Erstens ist das nicht so einfach, aber dafür haben wir ja nun auch einen klugen Vorschlag auf dem Tisch. Wenn wir nämlich uns erst mal konzentrieren auf diejenigen, die nun jetzt im Lande sind, und nicht eine allgemeine Regelung gleich schaffen würden, also mit einem Stichtag arbeiten würden, dann, finde ich, sind diese Bedenken der Union an dieser Stelle ausgeräumt, und darüber werden wir jetzt auch verhandeln.
    "Stichtagsregelungen sind immer auch ungerecht"
    Zerback: Da haben Sie mir natürlich klug eine kritische Nachfrage schon vorweggenommen, Herr Castellucci. Aber auf der anderen Seite heißt so eine Stichtagsregel doch auch, es gibt eben für die Menschen, die davon profitieren wollen, keine Planungssicherheit. Da stellt sich doch die alte Frage wieder, ob Deutschland dann überhaupt attraktiv genug ist.
    Castellucci: Ja, Stichtagsregelungen sind immer auch ungerecht. Wer ist vor dem Stichtag, wer ist nach dem Stichtag, das kennen wir bei den Mütterrenten, das kennen wir bei den Erziehungszeiten, die angerechnet werden und so weiter. Natürlich, das ist nie eine optimale Lösung. Mein Punkt ist einfach, wir regieren ja nie für die Ewigkeit, sondern jetzt, wenn wir es noch hinbekommen, noch zwei, drei Jahre. Und da fände ich jetzt eben einen Zwischenschritt, den Statuswechsel für diejenigen, die jetzt wegen unserer Schuld ja auch ewig in unseren Asylverfahren gehangen haben, keine Bescheide bekommen haben, dann natürlich und hoffentlich angefangen haben, dummes Zeug zu machen, sondern hier mitzuarbeiten, die Sprache zu lernen. Die Kinder sind eingeschult worden et cetera, dass wir denen eine Perspektive geben, das finde ich jetzt erst mal den allerwichtigsten Schritt. Und ob man darüber hinaus dann mehr machen muss, das kann dann in weiteren Verhandlungen auch in den Folgejahren ja noch miteinander geklärt werden.
    SPD kümmere sich nicht nur um Zuwanderer
    Zerback: Apropos weitermachen, Herr Castellucci. Die SPD, was macht die dann so beruflich in zwei, drei Jahren?
    Castellucci: Sie wird wieder ordentlich zulegen, weil wir zeigen, dass bei einem der drängendsten Themen, die die Menschen haben, nämlich der Frage von Zuwanderung, endlich unsere Vorstellungen durchgesetzt werden und dadurch auch eine Beruhigung der Lage eintritt. Und was ich auch ganz wichtig finde, ist das, was ich eingangs schon sagte: Es geht ja hier grundsätzlich darum, dass eine Teilhabe am Arbeitsmarkt allen ermöglicht werden soll nach ihren Kräften und so, dass alle zu unserem Wohlstand auch beitragen können, auch dazu beitragen können, dass wir alle sicher leben können, dass wir im Alter würdig gepflegt werden können, und was eben alles ansteht in diesem Land. Und das ist eine ganze Menge, und da kümmern wir uns ja eben nicht nur um Zuwanderer, wie ich das eben, weil ich von Ihnen gefragt werde, wieder ausführen muss, sondern wir haben beispielsweise ein großes Programm für einen sogenannten sozialen Arbeitsmarkt gerade verabschiedet, und der wird auch sehr vielen, die schon sehr lange in Arbeitslosigkeit festhängen, auch hier am deutschen Arbeitsmarkt wieder Perspektiven schaffen.
    "Wichtig wäre die Rückübernahme von Menschen, die hier kein Bleiberecht haben"
    Zerback: Herr Castellucci, das ist ein ganz wichtiges Thema, und das werden wir sicherlich auch an einer anderen Stelle noch mal wieder aufgreifen. Ich muss aber die Gelegenheit nutzen, um Ihnen am Schluss noch eine Frage zu stellen. Sie haben den Koalitionskrach über Zuwanderung angesprochen mit der Union, der ja gerade mal besiegelt ist. Wir haben jetzt gerade die Meldung bekommen, dass es eine neue Vereinbarung gibt zur Flüchtlingsrücknahme mit Griechenland, also jetzt die zweite nach Spanien. Also offensichtlich, Horst Seehofer, der liefert da jetzt in der Frage, oder wie darf ich das verstehen?
    Castellucci: Ich habe das noch nicht schriftlich vorliegen. Die Vorlage, die mit Spanien erarbeitet wurde, hat reinen Symbolwert. Wer aus Spanien kommt, steht dann plötzlich an der österreichisch-bayerischen Grenze und hat schon einen Asylantrag in Spanien gestellt und kann dann zurückgeschickt werden. Da können Sie dann mit mir zusammen gern Ende des Jahres mal auf die Zahlen schauen. Griechenland ist da schon relevanter, aber die eigentlichen Fragen finden nicht an der deutsch-österreichischen Grenze statt. Deswegen sind diese ganzen Verhandlungen gerade auch wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Viel wichtiger wäre, dass der Innenminister in die afrikanischen Staaten reist und dort auch möglicherweise mit einem europäischen Auftrag darum kämpft, dass die Rückübernahme von Menschen, die hier kein Bleiberecht haben, besser funktioniert. Das würde bei den Zahlen wirklich Bewegung bringen.
    Zerback: Herr Castellucci …
    Castellucci: Was jetzt mit Griechenland vereinbart wurde, wird keine großen Wirkungen entfalten.
    Zerback: Dann sind wir also schon mal lose verabredet. Lars Castellucci war das, der SPD-Innenexperte. Danke für das Gespräch!
    Castellucci: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.