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Debatte über EU-Spitze
Merkel wollte auf Cameron zugehen

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat offenbar auf den britischen Premierminister David Cameron Rücksicht nehmen wollen, als sie eine frühe Festlegung auf Jean-Claude Juncker als neuen EU-Kommissionspräsidenten vermied. Cameron hat nach Medienberichten indirekt mit einem Austritt Großbritanniens aus der EU gedroht.

Von Stephan Detjen | 01.06.2014
    Angela Merkel und David Cameron stehen lächelnd vor roten Flaggen der Computermesse CeBIT in Hannover
    Ein Bild aus besseren Tagen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister David Cameron bei der Eröffnung der CeBIT 2014 in Hannover. (dpa / Jochen Lübke)
    Die ersten Allianzen wurden noch in der Wahlnacht geschmiedet: Hier die Parlamentarier, die das Recht zur Bestimmung der Kommissionsspitze an sich zogen, um Europa einen Demokratie-Schub zu geben. Dort die Staats- und Regierungschefs, die im Rat ein umfassendes Personalpaket schnüren müssen - viele von ihnen angeschlagen durch die Erfolge der Populisten und Eurokritiker, wie der britische Premier David Cameron. Auch für ihn geht es um mehr als nur eine Personalie in Brüssel:
    "Wir brauchen eine Stärkung der Nationalstaaten, und wir brauchen an der Spitze der europäischen Institutionen Leute, die genau das verstehen."
    sagte Cameron, als er am Dienstag zum Abendessen der Staats- und Regierungschefs schritt. Wenig später – so wird jetzt berichtet – habe Cameron indirekt gar mit einem Austritt seines Landes aus der EU gedroht. Werde Juncker Kommissionschef, müsse das Referendum über die britische EU Mitgliedschaft möglicherweise vorgezogen werden, das eigentlich erst nach den Unterhauswahlen im Mai nächsten Jahres stattfinden soll. Juncker steht dabei aus britischer Sicht für das genaue Gegenteil dessen, was Cameron für die Zukunft der EU fordert, erklärt Tony Paterson, der Deutschland-Korrespondent des britischen "Independent", im Deutschlandfunk:
    "Er ist ein Symbol für dieses Konzept der Vereinigten Staaten von Europa. Und die ganze Stimmung in Großbritannien ist, wenn man diese UKIP Wahl anschaut und die Streitereien innerhalb der konservativen Partei, absolut gegen dieses Konzept."
    Bereits am Montag, so wird in London berichtet, habe David Cameron auch Angela Merkel angerufen und auf seinen Widerstand gegen Juncker eingestimmt. Umso erzürnter, so berichtet jetzt der „Spiegel", sei Merkel gewesen, als sie von der Festlegung der großen Parlamentsfraktionen auf Juncker erfahren habe.
    Bei dem Treffen der christlich-konservativen EVP-Spitze soll es in Brüssel zu einer scharfen Konfrontation zwischen Merkel und Juncker gekommen sein. Die Kanzlerin habe von einer „Kriegserklärung" der Parlamentarier an den Rat gesprochen. In ihrer Pressekonferenz nach dem Abendessen hatte Merkel immer wieder sibyllinisch die Beachtung der vertraglich geregelten Verfahren angemahnt und eine ausdrückliche Festlegung auf Juncker vermieden:
    "Wir haben erstmal gesagt: Wer gewinnt, kriegt den Kommissionspräsidenten. Und jetzt müssen wir weiter sehen. Ich schließe nichts aus, ich schließe nichts ein."
    Auch ihre am Ende der vergangenen Woche nachgeschobene Erklärung, sie führe alle Gespräche „ in dem Geist, dass Jean Claude Juncker Kommissionspräsident" werden könne, weist auf die Diskrepanz hin, die Merkel offenkundig zwischen dem „Geist" der Wahlkampfversprechen und den vertraglich geregelten Kompromisszwängen im Rat sieht. Merkel will Cameron dabei nicht ausgrenzen und vor den Kopf stoßen. Immer wieder hat sie in letzter Zeit zum Ausdruck gebracht, dass sie Großbritannien auch in Zukunft in der EU halten möchte.
    Eine Schlüsselrolle in dem Personalpaket, das nun in Brüssel geschnürt werden muss, könnte derweil die dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt spielen. Ende letzten Jahres ging ihr Bild um die Welt, als sie sich bei der Trauerfeier für Nelson Mandela mit dem Smartphone fröhlich zwischen Cameron und Barack Obama selbst knipste. Die Sozialdemokratin ist Nachfolgerin Hermann van Rompuys im Amt des Ratspräsidenten im Gespräch. Als möglicher Außenbeauftragter der EU wird immer wieder der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski genannt.