Rainer Berthold Schossig: Es gibt tatsächlich eine Feministin, die von allen geliebt wird, und das ist Miss Piggy. Nach mehr als 40 Dienstjahren in der "Muppet Show" bekommt sie heute den Sackler Center First Award des Brooklyn Museums für 2015. Dieser Preis ehrt Frauen, die in ihrem Tätigkeitsfeld ganz vorne weg sind. Piggy wird also als Wegbereiterin des Feminismus wie zuvor etwa die Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison geehrt. Miss Piggy habe "Temperament, Entschlossenheit und Mumm bewiesen und Millionen von Frauen gelehrt, Hürden zu überwinden", so das Brooklyn Museum über seine Wahl.
Am Telefon ist Stevie Schmiedel. Sie ist Genderforscherin in Hamburg und Gründerin der Initiative Pinkstinks. Frau Schmiedel, sie ist ja nun doch hoch dekoriert, Miss Piggy. Ein gutes Zeichen für den Zustand des Feminismus? Immerhin: Es ist ja eine Schweinepuppe mit Perlenohrringen und blonder Perücke, die sogar noch unter der Bühne von einem Mann bewegt wird. Derzeit würdigste Vertreterin des Geschlechts, des schönen, als Fleisch gewordener Feminismus?
Stevie Schmiedel: Am Anfang habe ich mich auch etwas daran gestört und fand es sehr merkwürdig und schräg, dass gerade eine Puppe diesen Preis bekommt. Natürlich ist das auch eine gute Werbung fürs Brooklyn Museum, eine "Muppet Show"-Puppe zu nominieren. Gleichzeitig dachte ich dann doch, Miss Piggy, wenn man mal genau hinguckt, dann hat die auch ein bisschen was von Heidi Klum, wie auf den Fotos, die man aktuell sieht. Und sie ist natürlich schon, Miss Piggy ist immer eigentlich das Schimpfwort gewesen für dicke Mädchen, Du siehst aus wie Miss Piggy. Das heißt, vielleicht dann doch ein später Sieg für Frauen, die mit Miss Piggy verglichen wurden in einer negativen Weise. So könnte man es natürlich auch sehen.
Feminismus in Deutschland hat verschiedene Strömungen
Schossig: Aber noch mal nachgefragt: Ist Miss Piggy denn wirklich eine beispielhafte Frau, mal abgesehen vom Äußeren? Sie liebt immerhin Mode und Sex und träumt von der Ehe mit dem Frosch Kermit.
Schmiedel: Ja, das ist schon ein bisschen bodenständig. Aber gerade das Sexpositive ist ja für den Feminismus heute oder für einen Teil des deutschen Feminismus auf jeden Fall ziemlich bestimmend. Ansonsten ist sie einfach natürlich aus den "Muppet Shows", wie ich mich an sie früher erinnere, schon jemand, der lautstark seine Meinung vertreten hat. Gleichzeitig war sie auch vielleicht etwas schrill, etwas zu hysterisch, wie wir das gerne nennen, natürlich nicht ideal. Gleichzeitig finde ich doch diese Betonung aufs Körperbild, das sie komplett widerlegt. Sie ist das genaue Gegenteil von Lillifee, was heute die Ikone von kleinen Mädchen ist, und das, muss man sagen, kann man dann doch mal positiv auch bemerken, obwohl natürlich eine Puppe kein wirklicher Mensch ist und vielleicht Ellen Degeneres oder andere tolle amerikanische Größen auch in die Wahl hätten kommen können.
Schossig: Die Journalistin Ronja von Rönne - Sie haben das Stichwort Feminismus genannt - die hat neulich in der "Welt" die Feminismus-Debatte ganz neu befeuert mit ihrem Artikel mit dem schönen Titel "Warum mich der Feminismus anekelt". Das ist ja schon ganz schön heftig. Und da hat sie geschrieben: "Ich bin keine Feministin, ich bin Egoistin, und ich weiß nicht, ob man im Jahr 2015 in Deutschland überhaupt den Feminismus braucht. Ich brauch ihn nicht." Macht denn Frau Rönne es sich damit doch nicht ein bisschen zu einfach?
Schmiedel: Sie macht es sich wahnsinnig einfach, in verschiedener Hinsicht. Erstens gibt es natürlich den Feminismus als solches überhaupt nicht mehr. Wir haben eine Zeit im Moment in Deutschland, da gibt es einmal die "Emma" mit ihren 40.000 Abonnentinnen und einmal das "Missy Magazine" mit seinen 40.000 Abonnentinnen. Beide sind wahrscheinlich repräsentativ für den Feminismus und können sich aber gegenseitig nicht ausstehen, sind sehr, sehr unterschiedlich und haben ganz, ganz kleine Schnittmengen nur.
Mädchen keine eingegrenzte Geschlechterrolle zuweisen
Schossig: Also wirkliche Stutenbeißerei quasi auf dieser Ebene?
Schmiedel: Ja, das sind aber verschiedene Wege inzwischen. Es geht einfach um unterschiedliche Positionen, die sehr, sehr hart ausgetragen werden wie in jeder Szene. Schauen Sie doch meinetwegen die Umweltschützerinnen an, da gibt es genauso viel Streit untereinander, was der richtige Weg ist. Das ist in jeder Szene so, das ist völlig verständlich. Aber auf jeden Fall ist der Feminismus sehr divers geworden in Deutschland. Ich glaube, wo wir uns alle einig sind ist, dass ganz viel getan werden muss gerade im Bereich sexualisierter Gewalt, was Frau Rönne total auslässt. Sie sagt, die Aufschrei-Debatte, die findet sie komplett lächerlich. Das ist natürlich eine privilegierte Position. Vielleicht ist ihr selber so etwas noch nicht passiert. Trotzdem: Selbst wenn man nicht selber betroffen ist - ich meine, viele von uns sind gegen Rassismus und selber in Deutschland als weißhäutige Menschen nicht betroffen -, es heißt ja nicht, dass man selber betroffen sein muss, um sich für bestimmte Dinge einzusetzen wie gleiches Gehalt für alle, wie die Tatsache, dass gerade Mütter Hartz IV-Empfängerinnen sind in Deutschland, dass wir hohe Zahlen von sexualisierter Gewalt haben, dass wir nach wie vor das große Problem haben, dass Frauen nicht in Führungspositionen kommen, und das liegt sicherlich nicht daran, wie Frau Rönne sagt, dass sie sich nicht richtig benehmen, sondern dass es einfach ganz klar schwierig ist für Frauen, durch diese Männerwelt durchzukommen.
Schossig: Ganz zum Schluss noch eine Frage, wir haben schon fast unsere Zeit durch. Wir haben Sie eingeladen, weil Sie Vertreterin der Aktion Pinkstinks sind, sie sogar mit initiiert haben, eine Kampagne gegen Produkte, Werbeinhalte und Marketingstrategien, die Mädchen in eingegrenzte Geschlechterrollen zuweisen. Feminismus-Debatte für Sie schon wichtig?
Schmiedel: Auf jeden Fall! Frau Rönne würde sagen, man kann für sich selber auswählen, ob man sein Kind in rosa oder hellblau kleidet. So ist es leider nicht in Deutschland, weil wir doch sehr, sehr viele Zwänge haben, die auch die Marktwirtschaft mit vorantreibt, weil sie daran sehr, sehr gut verdient. Da versuchen wir aufmerksam zu machen, Menschen zu sensibilisieren mit bunten Kampagnen.
Schossig: Das war die Genderforscherin Stevie Schmiedel mit Gedanken zur aktuellen Feminismus-Diskussion. Vielen Dank nach Hamburg.
Schmiedel: Kein Problem.
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