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Debatte über Flugsicherheit
"Jetzt sollte man nicht mit Schnellschüssen reagieren"

In der Debatte über schärfere Kontrollen für Fluggäste warnt der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka vor der Einführung wenig durchdachter Maßnahmen. Was in einer Situation Gefahren reduziere, könne in einer anderen zur tödlichen Barriere werden. Das zeige die nach dem 11. September 2001 eingeführte Cockpit-Verriegelung.

Burkhard Lischka im Gespräch mit Bettina Klein | 02.04.2015
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    Lischka: "Ich warne auch davor, dass man hier jetzt irgendwelche Schnellschüsse vollzieht, die sich möglicherweise in einigen Jahren auch wieder in ganz anderen Situationen als fatal herausstellen." (Deutschlandradio)
    Bettina Klein: Bei dem Versuch, die Umstände und Hintergründe des Germanwings-Absturzes in der vergangenen Woche aufzuklären, stoßen Sicherheitsbehörden offenbar auf Probleme, die ihnen eigentlich bekannt sein durften, Regelungen, die sie nun wieder oder überhaupt erst einmal überprüfen lassen wollen. Die Ausweisregelungen zum Beispiel bei innereuropäischen Flügen könnten verschärft, die Regelungen, die die Cockpit-Türen nach außen sichern, dagegen wieder gelockert werden. Unangebrachter Aktionismus oder berechtigte Überlegungen? Burkhard Lischka hat mitgehört. Er gehört der SPD an und ist innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Ich grüße Sie.
    Burkhard Lischka: Schönen guten Tag, Frau Klein.
    Klein: Herr Lischka, gehen wir mal einige Punkte durch, mal unabhängig vom konkreten Fall. Wir wissen mitunter nicht, wer an Bord eines Flugzeuges sitzt. Da muss man aber jetzt doch staunen, oder?
    Lischka: Ja, das ist natürlich ein Teil des Schengen-Abkommens und das ist ein Teil der Praxis in der Vergangenheit. In der Tat besteht da ein Problem, mit dem man sich beschäftigen muss, dass nämlich durch eine bloße Weitergabe des Flugtickets nicht bekannt ist, wer da möglicherweise in einer Maschine ist. Aber ob hier generelle Ausweiskontrollen für alle europäischen Flüge die richtige Antwort sind, das erscheint mir fraglich und da mache ich drei Fragezeichen im Augenblick, denn das hat ja auch Folgen, nicht nur erheblich verlängerte Wartezeiten für Millionen Passagiere in Europa, wo sich lange Schlangen dann möglicherweise bilden bei den Ausweiskontrollen. Die zweite Frage, die sich mir aufdrängt, ist: Wer soll diese Kontrollen durchführen? Die Bundespolizei? Die arbeitet im Augenblick schon am Limit, gerade vor dem Hintergrund der Terrorgefahren. Und man muss dann aufpassen, dass man sie hier nicht mit zusätzlichen Aufgaben belastet, die dann zu Lücken in ganz anderen Bereichen wieder führen.
    "Unsere Sicherheitsbehörden arbeiten am Limit"
    Klein: Vielleicht könnten das einfach diejenigen übernehmen, die bisher nur die Bordkarten überprüfen, denn wenn man zum Beispiel in die Vereinigten Staaten fliegt, dort ist es selbstverständlich, dass man dort vor dem Einsteigen in das Flugzeug seine Bordkarte und den Reisepass vorzeigen muss.
    Lischka: Nun, Herr de Maizière hat sich hier im Augenblick ja noch nicht eindeutig entsprechend geäußert, wer diese Kontrollen durchführen kann. Nur worauf ich verweise: Unsere Sicherheitsbehörden arbeiten am Limit und ich kann mir im Augenblick nicht vorstellen, dass sie diese millionenfache Aufgabe auch noch übernehmen können.
    Klein: Unabhängig von der Personalfrage, würden Sie es denn befürworten, wenn man das sicherstellen könnte, dass es dafür genug Personal gibt?
    Lischka: Ich denke, wir sind alle im Augenblick gut beraten, gerade nach dem schrecklichen Absturz in der vergangenen Woche, nicht irgendwelche Schnellschüsse zu vollziehen, denn das führt meiner Meinung nach nur zu einer Scheinsicherheit. Ich denke, alle Beteiligten sollten sich an einen Tisch setzen - das betrifft Fluggesellschaften, das betrifft aber auch Luftfahrtexperten, Mediziner, Sicherheitsbehörden, von mir aus auch die Politik -, um zu überlegen, was sind tatsächlich Maßnahmen, die zu einem Sicherheitsgewinn führen. Denn wir haben es ja erlebt, auch anhand der Diskussion, die jetzt über die Türschutz-Verriegelung am Cockpit geführt wird: Eine Maßnahme kann sich in einem Fall als goldrichtig erweisen und in einem anderen Fall als ein fataler Irrtum oder als tödliche Barriere, wie wir das jetzt erlebt haben.
    "Es kann genauso zu Zugunglücken kommen"
    Klein: Ich würde gern mal ganz kurz bei der Ausweis- oder Passvorzeigepflicht bleiben. Sehen Sie es denn als ein Sicherheitsrisiko, dass im Grunde genommen, bevor ich einsteige, niemand mehr kontrolliert, ob ich eigentlich derjenige bin, auf den das Ticket ausgestellt wurde, oder ob ich es nicht irgendeinem ixbeliebigen Passagier übergeben habe, meine Bordkarte oder mein Handy, der vielleicht nicht mit friedlichen Absichten an Bord geht?
    Lischka: Das ist ja in der Tat die Frage, was hier gelöst werden soll. Herr de Maizière verweist darauf, dass es so möglich ist, dass Gefährder beispielsweise sich innereuropäisch auf Flügen bewegen. Das ist ein Argument, mit dem man sich beschäftigen sollte. Nur ich frage mich, wo fängt man da an und wo hört man auf. Gefährder können sich auch kreuz und quer durch Europa bewegen, zum Beispiel durch Züge. Es kann genauso zu Zugunglücken kommen, wo nicht bekannt ist, welche Personen reisen mit dem Zug, und es wird ja niemand ernsthaft fordern, dass wir beispielsweise vor einer europäischen Zugfahrt Ausweiskontrollen durchführen.
    Klein: Es geht einfach darum, ob wieder die Ausweiskontrollen eingeführt werden, wie sie ja vor der Schengen-Regelung galten in Europa.
    Lischka: Ja, und da, sage ich, sollte man jetzt auch nicht mit Schnellschüssen reagieren. Dass wir hier uns in Europa seit dem Schengen-Abkommen frei bewegen können, dass wir nicht überall unseren Personalausweis vorzeigen, das wissen wir nicht nur zu schätzen, sondern das, finde ich, ist auch eine große Errungenschaft, die man jedenfalls nicht leichtfertig über Bord werfen sollte. Ich würde sehr gern mit dem Innenminister darüber diskutieren, wo er hier konkrete Probleme sieht und wo er meint, dass diese tatsächlich durch Ausweiskontrollen gelöst werden können.
    "Gedanken darüber machen, wie man Flugsicherheit verbessern kann"
    Klein: Es ging jetzt auch darum, dass offenbar nicht so schnell die Opfer identifiziert werden konnten, weil deren Nationalität und auch die Zuordnung zu einer Wohnanschrift nicht gegeben war. Da staunt man natürlich auch, weil man normalerweise, wenn man ein Ticket bucht, all dies angeben muss.
    Lischka: Ja, normalerweise ja. Das Problem besteht allerdings darin, dass Sie natürlich dieses Ticket, wie der Innenminister zurecht sagt, weitergeben können und dann zwar den Namen der ersten Person kennen, aber nicht mehr der zweiten Person.
    Klein: Herr Lischka, schauen wir noch auf das, was Sie auch gerade angedeutet haben. Die Cockpits sind nicht mehr so einfach von außen zu betreten. Das ist eine Regelung, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeführt wurde, auch hier in Deutschland. Ihre Partei hat damals den Innenminister gestellt. Jetzt fragt man sich, war das vielleicht ein zu viel, weil man andere Gefahren dadurch erst erzeugt. Muss diese Regelung noch mal auf den Prüfstand und möglicherweise verändert werden?
    Lischka: Nun, ich glaube, nach diesem schrecklichen Absturz muss man sich in vielen Bereichen Gedanken darüber machen können, wie man Flugsicherheit verbessern kann. Aber dieses Beispiel zeigt natürlich: Man hat einen konkreten Fall, das war damals 9/11, und wollte Terrorgefahren bei Flugzeugentführungen vermindern, und das hat sich in diesem Fall als tödliche Barriere erwiesen. Das bedeutet für alle weiteren Diskussionen, wir sollten sehr genau abwägen, was für mehr Sicherheit können wir hier schaffen, aber wo führt das zu Problemen auf der anderen Seite, und das gilt für alle Vorschläge, die im Augenblick gemacht werden, genauso gut natürlich auch für diesen Türschutz-Mechanismus.
    "Solche Anschläge verhindert man nicht mit blindem Aktionismus"
    Klein: Ist es Ihrer Meinung nach auch ein Beleg dafür, was ja manche nun vermuten, sobald wir hier wirklich einen schweren Terroranschlag zum Beispiel hätten, dann würde sich die Sicherheitsdiskussion noch einmal komplett drehen?
    Lischka: Nun, ich glaube, man sollte einen kühlen Kopf bewahren. Wir sind ja erklärtes Angriffsziel islamistischer Terroristen, hier in Europa und damit auch in Deutschland. Wir haben gesehen, dass es Anschläge gab in Paris und Kopenhagen, und ich sage, solche Anschläge können sich jederzeit wiederholen. Aber solche Anschläge verhindert man nicht mit blindem Aktionismus und immer neuen Vorschlägen, sondern aus meiner Sicht mit gut ausgestatteten Sicherheitsbehörden, und vor diesem Hintergrund möchte ich auch davor warnen, dass man hier jetzt irgendwelche Schnellschüsse vollzieht, die sich möglicherweise in einigen Jahren auch wieder in ganz anderen Situationen als fatal herausstellen.
    Klein: Vielleicht wären es ja keine Schnellschüsse, sondern man nimmt sich jetzt auch wirklich Zeit zu überlegen. Abschließend, Herr Lischka, es sieht nach allem anderen aus als nach einem Terroranschlag, was diesen Absturz in der vergangenen Woche angeht. Dennoch diskutieren wir über Verbesserungen beim Schutz vor Terroranschlägen. Halten Sie das für gerechtfertigt, oder sagen Sie, das ist pietätlos in der augenblicklichen Situation?
    Lischka: Nun, ich glaube, man sollte diese beiden Sachen nicht miteinander vermengen, und nach allem, was wir wissen, hat sich ja bei diesem schrecklichen Absturz nun wirklich kein Terroranschlag realisiert. Gleichwohl: Wenn man auf Probleme trifft, wie beispielsweise diese Weitergabe von Flugtickets, dann halte ich es auch für angemessen, darüber zu diskutieren, ob das nicht zu Sicherheitslücken in ganz anderen Bereichen und Zusammenhängen führt, weil nichts ist statisch und unsere Sicherheitsarchitektur erst recht nicht.
    Klein: Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka heute Mittag im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch und Ihre Einschätzungen, Herr Lischka.
    Lischka: Auf Wiederhören, Frau Klein!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.